57. Auszug aus dem Urteil vom 22. Dezember 1976 i.S. Elektrizitätswerk der Stadt Zürich gegen Josef und Ferdinand Bläsi
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Regeste
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Enteignung.
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Von Ausnahmen abgesehen müssen die Grundeigentümer unter dem Gesichtspunkt von Art. 684 ZGB Bestand und Betrieb einer Hochspannungsleitung auf dem benachbarten Grundstück entschädigungslos hinnehmen, da sich in der Regel daraus keine übermässigen Einwirkungen ergeben. Darüber, ob Nachbarrechte verletzt seien, entscheidet ausschliesslich der Enteignungsrichter; Art. 69 Abs. 1 EntG findet keine Anwendung (E. 3a; Bestätigung der Rechtsprechung).
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Eine Entschädigungspflicht kann bestehen, wenn für die Erstellung des Werkes des Enteigners zugunsten Dritter als Dienstbarkeit errichtete Baubeschränkungen aufzuheben sind oder von kantonalen Vorschriften, die auf Grund von Art. 686 ZGB erlassen worden sind, abgewichen werden muss; Frage offengelassen, ob dies auch bei Verletzung von gestützt auf Art. 702 ZGB erlassenen kantonalen Bestimmungen gilt (E. 3b).
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Sachverhalt
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Die Brüder Josef und Ferdinand Bläsi sind Eigentümer von zwei in Vaz/Obervaz (GR) gelegenen Grundstücken, nämlich der aus Wald- und Wiesland bestehenden Parzelle Nr. 3005 und der angrenzenden Parzelle Nr. 3004, auf welcher das von Josef Bläsi geführte Hotel Dieschen steht. Das Elektrizitätswerk der Stadt Zürich (EWZ) führte gegen die Gebrüder Bläsi ein Enteignungsverfahren durch, um die neue 50 kV-Leitung von Sils i.D. zum Unterwerk Sand/Lenzerheide auf einer Länge von 130 m über das Grundstück Nr. 3005 führen und den Leitungsmast Nr. 79 darauf errichten zu können. Für die Expropriation wurde den Enteigneten von der Schätzungskommission, Kreis 12, eine Gesamtentschädigung von Fr. 10'100.-- zugesprochen. Diese umfasst neben den Entschädigungen für die Erstellung des Leitungsmastes Nr. 79 sowie für die Durchleitungsrechte auch einen Betrag von Fr. 7'000.--, mit welchem die nachteiligen Auswirkungen der Leitung, insbesondere des auf der Parzelle Nr. 2789 stehenden dreiteiligen Leitungsmastes Nr. 80, auf die Hotelliegenschaft Nr. 3005 abgegolten werden sollten. Das EWZ hat mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde verlangt, dass der für die Beeinträchtigung der Hotelliegenschaft zugesprochene Betrag von Fr. 7'000.-- gestrichen werde, da kein Rechtsgrund für eine solche Entschädigungsleistung bestehe. Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut.
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Aus den Erwägungen:
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Unbestreitbar kann die Hochspannungsleitung in nächster Umgebung des Hotels Dieschen für dieses gewisse Nachteile mit sich bringen. Es ist eine Erfahrungstatsache, dass Grundstücke, auf denen oder in deren Nähe eine Hochspannungsleitung erstellt wird, einen Wertverlust erleiden können, selbst wenn ihre Überbaubarkeit durch die Leitung nicht eingeschränkt wird. Diese Entwertung kann insbesondere dann eintreten, wenn der Bodenpreis massgeblich von der landschaftlichen Schönheit mitbestimmt wird. Sie kann aber auch darauf beruhen, dass sich ein Käufer für Land, das sich in unmittelbarer Nähe einer Hochspannungsleitung befindet, aus rein psychologischen Gründen nicht interessiert (BGE 100 Ib 194 E. 4; nicht publ. Urteil i.S. EOS vom 19. September 1973).
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Hier steht jedoch nicht die mögliche Entwertung von Bauland, sondern von einer Hotelliegenschaft in Frage. Der Verkehrswert eines Hotels hängt weitgehend davon ab, in welchem Masse es mit Gästen belegt ist. Angaben über die Belegung des Hotels Dieschen sind in den Akten jedoch nicht zu finden. Die Schätzungskommission hat denn auch den Entschädigungsbetrag von Fr. 7'000.-- in analoger Anwendung von Art. 42 Abs. 2 OR nach freiem Ermessen festgesetzt. Auch der Experte des Bundesgerichtes neigte dahin, einen Schaden in dieser Grössenordnung zu bejahen. Ob und in welcher Höhe ein Schaden tatsächlich entstanden ist, braucht jedoch nicht abgeklärt zu werden, da, wie aus dem folgenden hervorgeht, ohnehin keine Entschädigung geleistet werden muss.
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a) Der für die Hotelliegenschaft allfällig entstandene Schaden wäre dann zu ersetzen, wenn, wie die Enteigneten geltend machen, von der Leitung derart starke Einwirkungen ausgehen, dass sie als übermässig im Sinne von Art. 684 ZGB zu betrachten sind. Gegen solche Immissionen können sich die Betroffenen, wenn dem Werkeigentümer das Enteignungsrecht verliehen wurde, nicht mit den in Art. 679 und 684 ZGB umschriebenen nachbarrechtlichen Klagen zur Wehr setzen, sondern nur gestützt auf Art. 5 EntG einen Entschädigungsanspruch erheben (BGE 100 Ib 195 E. 7a, 96 II 348 E. 6, BGE 94 I 297 E. 6 mit Verweisen). Über den Entschädigungsanspruch entscheidet nach der neueren Rechtsprechung ausschliesslich der Enteignungsrichter, und zwar nicht nur über die Höhe der Entschädigung, sondern auch darüber, ob überhaupt eine Verletzung von Nachbarrechten vorliege; diese Frage braucht, da Art. 69 Abs. 1 EntG nicht zur Anwendung kommt, nicht dem Zivilrichter vorgelegt zu werden (BGE 101 Ib 289 E. 8c, BGE 100 Ib 195 E. 7a, 94 I 298 E. 7).
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Wie das Bundesgericht wiederholt entschieden hat, erzeugt das blosse Vorhandensein einer Baute oder baulichen Anlage keine übermässigen Einwirkungen im Sinne von Art. 684 ZGB; solche können sich nur aus der Art der Benutzung oder des Betriebes einer Anlage ergeben (BGE 97 I 357 E. 1c, BGE 91 II 341 E. 3, 88 II 264, 334 f.). Demnach kann auch die blosse Existenz von Masten und Drähten einer Hochspannungsleitung, die den gesetzlichen Vorschriften entsprechend erstellt worden ist, an sich keine das Nachbarrecht verletzenden Immissionen verursachen. Für allfällige Nachteile, die sich für die Hotelliegenschaft Bläsi aus dem Vorhandensein der Hochspannungsleitung ergeben - wie etwa die Beeinträchtigung des Landschaftsbildes - besteht daher kein Entschädigungsanspruch, der sich aus Art. 684 ZGB und Art. 5 EntG ableiten liesse (vgl. BGE 100 Ib 195 E. 7b).
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Was die Immissionen aus dem Betrieb der Leitung anbelangt, die an sich unter Art. 684 ZGB fallen können, so sind sie von untergeordneter Bedeutung. Ernste Gefahren sind objektiverweise vom Betrieb einer Hochspannungsleitung nicht zu befürchten. Subjektive Momente, das heisst psychische Beeinträchtigungen durch die Leitung, sind bei der Beurteilung der Frage, ob deren Einwirkungen übermässig seien, zwar nicht völlig ausser acht zu lassen, aber doch nur unter grosser Zurückhaltung zu berücksichtigen (BGE 100 Ib 195 f.). Der Betrieb einer Hochspannungsleitung, der übrigens der Gesamtbevölkerung dient, hat denn auch heute nichts Ungewöhnliches mehr an sich. In der Regel ist daher anzunehmen, dass die sich aus dem Betrieb einer Hochspannungsleitung ergebenden Nachteile nicht als übermässige Einwirkungen im Sinne von Art. 684 ZGB zu betrachten sind und von den betroffenen Grundeigentümern, hier von den Gebrüdern Bläsi, entschädigungslos hinzunehmen sind.
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b) Zusätzlich ist die Möglichkeit in Betracht zu ziehen, dass ein öffentliches Werk wie die fragliche Leitung zwar keine übermässigen Einwirkungen im Sinne von Art. 684 ZGB verursacht, jedoch gegen privatrechtliche (Art. 686 ZGB) oder öffentlichrechtliche (Art. 702 ZGB) Vorschriften des kantonalen oder kommunalen Rechts verstösst oder eine zugunsten Dritter als Dienstbarkeit errichtete Baubeschränkung verletzt. In diesem Fall stellt sich die Frage, ob auch hier das Enteignungsverfahren und die entsprechenden Entschädigungsfolgen Platz greifen können. Dass für die Aufhebung von beschränkt dinglichen Rechten, die einem öffentlichen Werk weichen müssen, ein Enteignungsverfahren durchgeführt werden kann, ergibt sich schon aus dem ersten Satzteil von Art. 5 Abs. 1 EntG. Auf dem Enteignungsweg kann auch dann vorgegangen werden, wenn durch öffentliche Bauten Abwehrrechte des Nachbarn eingeschränkt werden müssen, welche ihm auf Grund der nach Art. 686 ZGB den Kantonen vorbehaltenen zivilrechtlichen Bauvorschriften zustehen (vgl. BGE 88 II 264), denn Art. 5 EntG nennt als Gegenstand des Enteignungsrechtes allgemein "die aus dem Grundeigentum hervorgehenden Nachbarrechte" und verweist damit nicht nur auf Art. 684 ZGB, sondern gesamthaft auf die Art. 684-698 ZGB (HESS, Das Enteignungsrecht des Bundes, N. 3 zu Art. 5 EntG). Fraglicher ist, ob Art. 5 EntG selbst dann Anwendung finden kann, wenn für die Errichtung eines Werkes von Bestimmungen, die auf Grund von Art. 702 ZGB von den Kantonen und Gemeinden erlassen worden sind, abgewichen werden muss. Soweit diese Bestimmungen nämlich nicht nur dem öffentlichen Interesse, sondern auch den Privatinteressen der Nachbarn dienen, liesse sich erwägen, ob sie den gemäss Art. 686 ZGB erlassenen Bauvorschriften gleichzustellen wären.
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Indessen brauchen diese Fragen hier nicht näher geprüft zu werden, da von den Enteigneten nicht einmal behauptet wird, dass durch den Bau der Leitung neben Art. 684 ZGB noch andere Vorschriften verletzt worden seien. Eine gesetzliche Grundlage für die den Gebrüdern Bläsi zugesprochene Enteignungsentschädigung von Fr. 7'000.-- besteht somit nicht, weshalb die Beschwerde des EWZ gutzuheissen ist.
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