BGE 103 Ib 87
 
17. Urteil vom 14. März 1977 i.S. X. gegen Eidg. Steuerverwaltung
 
Regeste
Warenumsatzsteuer. Revision eines rechtskräftigen erstinstanzlichen Entscheids, Voraussetzungen.
Die Revision kann nicht aus Gründen verlangt werden, die der Gesuchsteller bei Anwendung der ihm zumutbaren Sorgfalt im ordentlichen Rechtsmittelverfahren hätte geltend machen können (Erw. 3).
 
Sachverhalt
X. ist steuerpflichtiger Grossist im Sinne des Warenumsatzsteuerbeschlusses. Aufgrund einer bei ihm vorgenommenen Kontrolle gelangte die Eidg. Steuerverwaltung (EStV) zum Schluss, dass seine Buchhaltung den Anforderungen nicht genüge. Sie fand, dass er für die in den Zeitraum vom 1. Januar 1970 bis zum 31. Dezember 1973 fallenden Steuerperioden zu wenig Warenumsatzsteuern entrichtet habe. Gestützt auf ihre Berechnungen forderte sie von ihm einen Steuerbetrag von Fr. 8'612.-- nebst Verzugszins nach. Sie bestätigte die Forderung durch Entscheid vom 30. Oktober 1975. Der Steuerpflichtige erhob hiegegen Einsprache, reichte sie aber zu spät ein, so dass darauf nicht eingetreten wurde.
Mit Eingabe vom 27. Februar 1976 ersuchte er die EStV um Revision ihres Entscheids vom 30. Oktober 1975. Die EStV wies das Gesuch ab und bestätigte die Abweisung auf Einsprache hin. Gegen diesen Einspracheentscheid erhebt X. Verwaltungsgerichtsbeschwerde.
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1. Im Warenumsatzsteuerbeschluss ist die Möglichkeit einer Revision rechtskräftiger Entscheide der EStV nicht vorgesehen. Indes hat das Bundesgericht in ständiger Rechtsprechung anerkannt, dass in den bundesrechtlichen Abgabesachen einem Begehren des Abgabepflichtigen um Revision des rechtskräftigen Entscheides einer unteren Instanz auch dann, wenn gesetzliche Vorschriften hierüber fehlen, unter bestimmten Voraussetzungen Folge zu geben ist. Es hat die Revision eines solchen Entscheides für zulässig erklärt, wenn er unter Verletzung wesentlicher prozessualer Grundsätze zustande gekommen ist oder wenn darin Tatsachen, die den amtlichen Akten hätten entnommen werden müssen, nicht berücksichtigt worden sind, ferner in Fällen, wo der Abgabepflichtige Tatsachen oder Beweismittel vorbringt, deren Geltendmachung ihm im früheren Verfahren nicht möglich war (BGE 74 I 406 E. 3; ASA Bd. 34 S. 150, Bd. 43 S. 251).
Art. 66 Abs. 2 VwVG verpflichtet die Beschwerdeinstanz, ihren Beschwerdeentscheid auf Begehren einer Partei in Revision zu ziehen, wenn die Partei a) neue erhebliche Tatsachen oder Beweismittel vorbringt oder b) nachweist, dass die Beschwerdeinstanz aktenkundige erhebliche Tatsachen oder bestimmte Begehren übersehen hat, oder c) nachweist, dass die Beschwerdeinstanz die Bestimmungen ... der Art. 29-33 über das rechtliche Gehör verletzt hat.
X. hat sich in seinem Gesuch vom 27. Februar 1976 auf diese in Art. 66 Abs. 2 VwVG vorgesehenen und in der Folge auch auf die vorne erwähnten, von der Rechtsprechung anerkannten drei Revisionsgründe berufen.
2. Art. 66 VwVG findet auch auf das Steuerverfahren Anwendung (Umkehrschluss aus Art. 2 Abs. 1 VwVG). Er bezieht sich jedoch nach seinem Wortlaut nur auf die Revision von "Beschwerdeentscheiden". Im vorliegenden Fall wird aber die Revision eines erstinstanzlichen Steuerentscheides verlangt. Der Gesetzgeber hat bewusst davon abgesehen, im VwVG Bestimmungen über die Gründe für die Revision von Verfügungen erster Instanz aufzustellen (vgl. Botschaft des Bundesrates vom 24. September 1965 über das Verwaltungsverfahren, BBl 1965 II 1373). Indes ist GYGI offenbar der Meinung, Art. 66 VwVG sei auf solche Verfügungen sinngemäss anwendbar (Verwaltungsrechtspflege und Verwaltungsverfahren im Bund, 2. Aufl., S. 119). Die Vorinstanz teilt diese Auffassung. In der Tat bestimmen Art. 44 Abs. 1 BG über die Stempelabgaben und Art. 59 Abs. 1 BG über die Verrechnungssteuer (Fassung gemäss Art. 52 BG über die Stempelabgaben), dass auf die Revision der diese Abgaben betreffenden Entscheide der EStV Art. 66 VwVG sinngemäss angewandt wird (vgl. auch Art. 43 Abs. 1 Vollziehungsverordnung zum BG über den Militärpflichtersatz, welcher die Gründe für die Revision von Verfügungen der Veranlagungsbehörde und der Rekurskommission in Anlehnung an Art. 66 Abs. 2 VwVG umschreibt). Es liegt nahe anzunehmen, dass Art. 66 VwVG auf die Revision von Entscheiden der EStV im Bereich der Warenumsatzsteuer ebenfalls sinngemäss anwendbar ist. Ob diese Annahme gerechtfertigt sei, kann jedoch hier offengelassen werden, da das vorliegende Revisionsgesuch ohnehin nicht geschützt werden kann.
3. Nach Art. 66 Abs. 3 VwVG gelten die in Abs. 2 erwähnten Gründe nicht als Revisionsgründe, wenn die Partei sie im Rahmen des Verfahrens, das dem Beschwerdeentscheid voranging, oder auf dem Wege einer Beschwerde, die ihr gegen den Beschwerdeentscheid zustand, geltend machen konnte. Im gleichen Sinne hat das Bundesgericht hinsichtlich der Revision von Verfügungen der Verwaltung auf dem Gebiete der bundesrechtlichen Abgaben entschieden; es hat festgestellt, dass Einwendungen, die im ordentlichen Rechtsmittelverfahren hätten erhoben werden können, eine Revision der Verwaltungsverfügung nicht zu begründen vermögen (BGE 77 I 241 E. 2; ASA Bd. 34 S. 152 f., Bd. 43 S. 251 f.). Auf jeden Fall ist die Revision dann auszuschliessen, wenn der Gesuchsteller die Gründe, aus denen er sie verlangt, bei Anwendung der ihm zumutbaren Sorgfalt schon im ordentlichen Rechtsmittelverfahren hätte geltend machen können (vgl. BGE 76 I 8; ASA Bd. 34 S. 152 f., Bd. 43 S. 251 f.).
Dem Beschwerdeführer X., welcher Geschäftsmann ist und sich zudem vom Inhaber eines Treuhandbüros beraten liess, konnte aber vernünftigerweise zugemutet werden, die in seinem Revisionsgesuch vorgebrachten Einwendungen gegen die der Verfügung vom 30. Oktober 1975 zugrunde liegenden Berechnungen, insbesondere gegen die Heranziehung von Erfahrungszahlen, auf dem Wege der Einsprache innert der gesetzlichen Frist geltend zu machen; hatte ihm doch die EStV nach der Zustellung der Ergänzungsabrechnung vom 28. Januar 1975 eine lange Frist für begründete und belegte Einwendungen gegen die Ergebnisse der Steuerkontrolle eingeräumt, Ergebnisse, über die er von Anfang an orientiert gewesen war. Der dem Revisionsgesuch beigelegte Bericht des Treuhandbüros vom 10. Februar 1976, der die Berechnungen des Revisors der EStV in verschiedenen Punkten beanstandet und insbesondere eine Berichtigung des für das Geschäftsjahr 1973 in Rechnung gestellten Wareneinkaufs verlangt, enthält keinerlei Elemente, die vom Steuerpflichtigen oder seinem Berater bei Beachtung der ihnen zuzumutenden Aufmerksamkeit nicht binnen der am 1. Dezember 1975 abgelaufenen Einsprachefrist hätten entdeckt und geltend gemacht werden können. Das lässt sich umsoweniger bestreiten, als dieser Bericht und die vom 30. November 1975 datierte, aber zu spät eingereichte Einspracheschrift fast Wort für Wort miteinander übereinstimmen und genau die gleichen Argumente enthalten.
Der Beschwerdeführer hätte auch die Rüge, dass er nicht genügend angehört worden sei, im ordentlichen Rechtsmittelverfahren vorbringen können. Das wäre ihm bei Anwendung einiger Sorgfalt ohne weiteres möglich gewesen; denn die Art des Vorgehens der EStV war ihm von Anbeginn an genau bekannt.
Daraus folgt, dass die EStV das Revisionsgesuch des Beschwerdeführers zu Recht abgewiesen hat. Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde ist offensichtlich unbegründet.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Beschwerde wird abgewiesen.