BGE 103 Ib 184
 
30. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 2. September 1977 i.S. Wolf gegen Schweizerische Bundesanwaltschaft
 
Regeste
Art. 40 StGB, Art. 242 BStP.
 
Sachverhalt
Das Bundesstrafgericht verurteilte Gisela Wolf am 21. Juni 1975 wegen verbotenen Nachrichtendienstes zu sieben Jahren Zuchthaus und 15 Jahren Landesverweisung.
Wegen einer während des Strafvollzuges aufgetretenen schweren Depression wurde Frau Wolf von der Strafanstalt Hindelbank in die Psychiatrische Klinik Münsingen verlegt. Überraschend festgestellte Anzeichen von Krebs machten am 9. Mai 1977 eine schwere Operation nötig. Sie fand sich nach durchgeführter erster Hälfte der anschliessenden Strahlenbehandlung nicht bereit, sich auch der erforderlichen Oberflächenbestrahlung noch zu unterziehen.
Nach einem bei Prof. Hartmann eingeholten Gutachten vom 19. Juli 1977 ist Frau Wolf derzeit hafterstehungsunfähig. Sie bedürfe vorerst der Erholung in einem Heim mit der Möglichkeit zu ausgedehnten Spaziergängen und viel frischer Luft; sie müsse geschont, psychisch aufgerichtet, unterstützt werden und benötige dauernd Zuspruch und Geborgenheit.
Frau Wolf, die bereits am 15. Juni 1977 darum nachgesucht hatte, liess am 28. Juli 1977 durch ihren Rechtsbeistand ein Gesuch um Unterbrechung des Strafvollzugs einreichen.
Die Schweizerische Bundesanwaltschaft wies dieses Gesuch am 29. Juli 1977 einstweilen ab. Die Möglichkeit, Frau Wolf in der Hochgebirgsklinik Davos-Clavadel unterzubringen, genüge sowohl den Anforderungen des bundesgerichtlichen Urteils sowie des Gutachtens von Prof. Hartmann, und den Sicherheitsbedürfnissen könne mit ausgebildeten, mit Frau Wolf in gutem Einvernehmen stehenden Polizeiassistentinnen Rechnung getragen werden.
Die Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich, dem der Vollzug des bundesgerichtlichen Urteils obliegt, verfügte am 2. August 1977 die Versetzung von Frau Wolf aus dem Kantonsspital Zürich nach der Hochgebirgsklinik Davos-Clavadel.
Frau Wolf führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen die Verfügung der Schweizerischen Bundesanwaltschaft. Sie beantragt, diese sei aufzuheben und der Vollzug der gegen sie ausgefällten Freiheitsstrafe zu unterbrechen.
Die Schweizerische Bundesanwaltschaft schliesst auf Abweisung der Beschwerde.
 
Aus den Erwägungen:
Art. 40 StGB bestimmt in Abs. 1, der Vollzug einer Freiheitsstrafe dürfe nur aus wichtigen Gründen unterbrochen werden, in Abs. 2, der Aufenthalt in einer Heil- oder Pflegeanstalt, in welche der Verurteilte während des Vollzuges verbracht werden müsse, sei grundsätzlich auf die Strafe anzurechnen. Nach Art. 242 BStP wird der Vollzug einer Freiheitsstrafe aufgeschoben oder unterbrochen, wenn der Gesundheitszustand des Verurteilten oder besondere Verhältnisse es erfordern.
Den fraglichen Bestimmungen ist kein Grundsatz der von der Beschwerdeführerin behaupteten Art zu entnehmen, eine vorhandene Hafterstehungsunfähigkeit müsse zwingend zur Unterbrechung des Strafvollzuges führen. Es ergibt sich aus ihnen vielmehr, dass eine Freiheitsstrafe grundsätzlich ohne Unterbruch zu vollstrecken ist. Der wegen einer während des Strafvollzuges aufgetretenen Erkrankung in eine Heil- oder Pflegeanstalt verbrachte Strafgefangene wird für die Dauer seines dortigen Aufenthaltes regelmässig nicht hafterstehungsfähig, das heisst fähig sein, die Strafe in der bisherigen Weise an sich vollziehen zu lassen. Wenn Art. 40 Abs. 2 StGB vorschreibt, der Aufenthalt in einer solchen Anstalt sei dem Verurteilten grundsätzlich auf die Strafe anzurechnen, so folgt daraus, dass die durch eine solche Erkrankung bewirkte Hafterstehungsunfähigkeit nicht notwendigerweise zu einer Unterbrechung des Strafvollzuges führen muss, also von Gesetzes wegen keinen zwingenden Grund für eine solche bildet. Diese gesetzgeberische Tendenz findet folgerichtig ihren Niederschlag darin, dass der Bundesrat gemäss Art. 397bis Abs. 1 lit. g StGB zum Erlass ergänzender Bestimmungen über den Vollzug von Strafen und Massnahmen an kranken, gebrechlichen und betagten Personen befugt ist, und diese Kompetenz nunmehr auch den Kantonen zusteht (Art. 6 Abs. 1 VStGB). Dass eine vorhandene Hafterstehungsunfähigkeit nicht schlechthin zur Unterbrechung des Strafvollzuges führen soll, ergibt sich auch aus der bisherigen, noch darzustellenden Rechtsprechung des Bundesrates zu Art. 40 StGB. Wenn die zuständige Behörde ohne den Strafvollzug zu unterbrechen für die Gesundheit eines kranken Strafgefangenen sorgt, sei es auch durch Einweisung in eine Heil- oder Pflegeanstalt, statt ihn aus dem Strafvollzug zu entlassen, damit er sich selber um die Wiederherstellung der verlorenen Gesundheit kümmere, so widerspricht das demnach Art. 40 StGB und Art. 242 BStP an sich nicht.
Die bei der Beschwerdeführerin festgestellte Hafterstehungsunfähigkeit, die sich als blosse Unfähigkeit darstellt, die Strafe weiterhin in einer Strafanstalt zu verbüssen, muss auch bei Würdigung der konkreten Umstände des Falles nicht zu einer Unterbrechung des Strafvollzuges führen. Dem Gutachten von Prof. Hartmann, das feststellt, die Beschwerdeführerin bedürfe vorerst einer Erholung in einem Heim mit der Möglichkeit zu ausgedehnten Spaziergängen und viel frischer Luft, ist nicht zu entnehmen, dass diese nicht fähig wäre, einen solchen Aufenthalt ohne Unterbrechung des Strafvollzuges zu ertragen. So etwas behauptet selbst die Beschwerdeführerin nicht. Es ist ihr allerdings darin beizupflichten, dass durch die Einweisung in die Hochgebirgsklinik Davos-Clavadel die fehlende Hafterstehungsfähigkeit im Sinne der Fähigkeit, die Strafe in einer Strafanstalt zu verbüssen, nicht hergestellt wird. Aber darauf kommt es nicht an. Entscheidend ist vielmehr einzig, ob aus medizinischer Sicht die Fortführung des Strafvollzugs in dieser Klinik als unverantwortbar erscheint. Für einen solchen Schluss liefert das Gutachten, das selber einen Erholungsaufenthalt der Beschwerdeführerin in einem Heim befürwortet, keine Anhaltspunkte.