BGE 105 Ib 18 |
3. Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 9. Februar 1979 i.S. Eidg. Polizeiabteilung gegen Baader und Rekurskommission des Kantons Bern für Massnahmen gegenüber Fahrzeugführern (Verwaltungsgerichtsbeschwerde) |
Regeste |
Art. 17. Abs. 1 lit. d SVG. |
Sachverhalt |
Das Strassenverkehrsamt des Kantons Bern entzog Franz Baader mit Verfügung vom 20. Juli 1972 den Führerausweis, weil er am 9. Juni 1972 in angetrunkenem Zustand gefahren sei: Baader focht diese Verfügung nicht an, sie wurde deshalb rechtskräftig. Am 27. September 1972 stellte der Gerichtspräsident VI von Bern die gegen Baader eingeleitete Strafuntersuchung ein, weil er zur Auffassung gelangte, es könne nicht mit Bestimmtheit gesagt werden, dass Baader in angetrunkenem Zustand gefahren sei.
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Am 24. Februar 1977 wurde Baader der Führerausweis erneut wegen Fahrens in angetrunkenem Zustand entzogen. Die Dauer der Massnahme wurde auf ein Jahr festgesetzt, da die neue Widerhandlung in die fünfjährige Rückfallsfrist von Art. 17 Abs. 1 lit. d SVG fiel. Baader erhob Beschwerde an die Rekurskommission des Kantons Bern für Massnahmen gegenüber Fahrzeugführern, mit der Begründung, er sei 1972 im Strafverfahren von der Anschuldigung des Fahrens im angetrunkenen Zustand freigesprochen worden. Das Strassenverkehrsamt habe deshalb zu Unrecht angenommen, er befinde sich im Rückfall. Die Rekurskommission schloss sich der Auffassung an, Baader sei im früheren Fall nicht in angetrunkenem Zustand gefahren. Sie reduzierte die Entzugsdauer daher von einem Jahr auf zwei Monate.
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Das Bundesgericht heisst die Beschwerde der Eidg. Polizeiabteilung gut.
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Erwägungen: |
1. a) Wird ein Fahrzeug in angetrunkenem Zustand geführt, so sieht das SVG einerseits den Entzug des Führerausweises vor (Art. 16 Abs. 3 lit. b SVG), anderseits stellt es diese Handlungsweise unter Strafe (Art. 91 SVG). Der Führerausweisentzug stellt eine von der strafrechtlichen Sanktion unabhängige, um der Verkehrssicherheit willen angeordnete Verwaltungsmassnahme mit präventivem und erzieherischem Charakter dar. Das Gesetz sieht keine Bindung der Administrativbehörde an das Erkenntnis des Strafrichters vor. Die Administrativbehörde ist deshalb befugt, selbständig zu entscheiden, ob die Voraussetzungen für einen Ausweisentzug erfüllt sind. Dem Grundsatz der Unabhängigkeit der Administrativbehörde stehen jedoch wesentliche Interessen der Rechtseinheit und der Rechtssicherheit entgegen. Die Administrativbehörde soll deshalb nicht ohne Not von den Feststellungen des Strafurteils abweichen. Wie das Bundesgericht in BGE 101 Ib 274 dargelegt hat, ist sie dazu aber insbesondere dann berechtigt, wenn sie Tatsachen feststellt und ihrem Entscheid zugrundelegt, die dem Strafrichter unbekannt waren oder die er nicht beachtet hat; wenn sie zusätzliche Beweise erhebt, deren Würdigung zu einem abweichenden Entscheid führt oder wenn die Beweiswürdigung durch den Strafrichter den feststehenden Tatsachen klar widerspricht. Endlich kann die Verwaltungsbehörde zu einem anderen Ergebnis gelangen als der Strafrichter, wenn dieser bei der Anwendung des geltenden Rechts auf den Sachverhalt nicht alle Rechtsfragen abgeklärt, insbesondere die Verletzung bestimmter Verkehrsregeln übersehen hat (BGE 101 Ib 274, BGE 96 I 773 E. 4).
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b) Diese Grundsätze gelten freilich nur für den Fall, dass die Verwaltungsbehörde über die Administrativmassnahme entscheidet, nachdem das Erkenntnis des Strafrichters ergangen ist. Sie braucht dieses jedoch nicht abzuwarten. Das entspricht auch gar nicht den Vorstellungen des Gesetzgebers, denn dieser ging davon aus, dass der Entscheid über den Entzug des Führerausweises möglichst bald nach der Tat getroffen werde, ohne dass die für die Abwicklung des Strafverfahrens notwendige Zeit verstreiche (BGE 96 I 774; BBl. 1955, II S. 27). Verfügt die Verwaltungsbehörde, bevor das Urteil im Strafverfahren vorliegt, so hat sie selbständig zu entscheiden, ob die Voraussetzungen für einen Ausweisentzug erfüllt sind. An diese Verfügung ist der Strafrichter bei seinem späteren Urteil in der gleichen Sache nicht gebunden. Er hat in tatbeständlicher und rechtlicher Hinsicht selbständig zu entscheiden, ob sich der fragliche Motorfahrzeugführer strafbar gemacht hat, und es können für ihn insbesondere die Grundsätze keine Geltung beanspruchen, die bestimmen, unter welchen Voraussetzungen die Verwaltungsbehörde vom Urteil des Strafrichters abweichen darf. Gelangt der Strafrichter zu einem Freispruch, so bedeutet das auf der anderen Seite nicht, dass eine mit diesem Entscheid in Widerspruch stehende Administrativmassnahme ohne weiteres dahinfiele. Diese ist in einem anderen Verfahren ergangen und bleibt deshalb bestehen, selbst wenn der Strafrichter in der gleichen Angelegenheit zu einem abweichenden Erkenntnis gelangt ist.
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c) Was den Vorfall vom 9. Juni 1972 betrifft, so entzog das Strassenverkehrsamt des Kantons Bern Baader den Führerausweis mit Verfügung vom 20. Juli 1972 wegen Fahrens in angetrunkenem Zustand. Am 27. September 1972 stellte der Gerichtspräsident VI von Bern die Strafuntersuchung ein, weil er zur Auffassung gelangte, es könne nicht mit Bestimmtheit gesagt werden, dass Baader in angetrunkenem Zustand gefahren sei. Baader focht die Verfügung über den Entzug des Führerausweises nicht an. Diese wurde damit rechtskräftig. Die Eidg. Polizeiabteilung räumt in ihrer Beschwerde ein, die Rechtskraft der Entzugsverfügung bedeute nicht, dass auf sie überhaupt nicht mehr zurückgekommen werden dürfe. Dies habe jedoch "durch Ergreifen eines ausserordentlichen Rechtsmittels zu geschehen (z.B. Revision)". Ein solches Verfahren sei nicht durchgeführt worden. Diese Feststellung trifft zu, wie aus den Akten hervorgeht.
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Baader wandte sich auch nicht mit einem Wiedererwägungsgesuch an die Entzugsbehörde. Ob diese auf ein solches, unter Berufung auf das abweichende Ergebnis des Strafverfahrens gestelltes Gesuch hätte eintreten müssen, und ob eine derartige Rechtsvorkehr Aussicht auf Erfolg gehabt hätte, braucht deshalb nicht näher erörtert zu werden. Im vorliegenden Fall ist einzig zu prüfen, ob in der Beschwerde zu Recht geltend gemacht wird, die Rekurskommission habe bei ihrem Entscheid ohne weiteres von der weder angefochtenen noch widerrufenen Entzugsverfügung vom 20. Juli 1972 ausgehen müssen, ohne zu untersuchen, ob Baader damals wirklich in angetrunkenem Zustand gefahren sei.
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2. a) Nach Art. 16 Abs. 3 lit. b SVG muss der Führerausweis entzogen werden, wenn der Führer in angetrunkenem Zustand gefahren ist. Die Dauer des Entzugs beträgt nach Art. 17 Abs. 1 lit. d SVG mindestens ein Jahr, "wenn der Führer seit Ablauf eines früheren Entzuges wegen Fahrens in angetrunkenem Zustand erneut in diesem Zustand gefahren ist". Diese Bestimmung enthält keine ausdrückliche Anordnung darüber, ob die Rekursbehörde hinsichtlich der vorangegangenen Widerhandlung ohne weiteres vom Ergebnis des früheren Verfahrens auszugehen habe, oder ob sie sich selbständig darüber vergewissern müsse, dass der Fahrzeugführer im früheren Fall tatsächlich in angetrunkenem Zustand gefahren sei. Es ist indes klar, dass letzteres nicht der Sinn der Gesetzesvorschrift sein kann. Art. 17 Abs. 1 lit. d SVG sieht eine Verschärfung der Massnahme vor, wenn sich der Fahrzeugführer, der in angetrunkenem Zustand gefahren ist, im Rückfall befindet. Ob er bereits in einem früheren Zeitpunkt die gleiche Widerhandlung beging, bildete Gegenstand eines eigenen Administrativverfahrens und wurde dort entschieden, sei es durch die Entzugsverfügung selber, wenn diese unangefochten blieb, sei es durch einen nachfolgenden Beschwerdeentscheid. Art. 17 Abs. 1 lit. d SVG geht deshalb klarerweise davon aus, dass die Behörde, welche über die zweite Massnahme auf Beschwerde hin entscheidet, ihrem Entscheid das Ergebnis des früheren Verfahrens zugrunde zu legen hat. Etwas anderes wäre auch gar nicht sinnvoll und stände mit dem Gebot der Rechtssicherheit in Widerspruch. Die Rekurskommission beruft sich freilich darauf, Art. 17 Abs. 1 lit. d SVG setze seinem Wortlaut nach voraus, dass der Motorfahrzeugführer innert fünf Jahren seit Ablauf des früheren Entzuges wegen Fahrens in angetrunkenem Zustand "erneut" in diesem Zustand gefahren sei. Dieser Einwand geht jedoch fehl. Die Formulierung beruht allein darauf, dass der mehrmalige Entzug wegen einer gleichartigen Widerhandlung in Frage steht. Es lässt sich daraus jedoch nicht folgern, dass bei einem späteren Entzug jeweils die Rechtmässigkeit der früheren Massnahme überprüft werden könne oder überprüft werden müsse. Bestände ein solches Recht oder eine solche Pflicht, so müsste das gleiche auch im Falle von Art. 17 Abs. 1 lit. c SVG gelten. Dem Wortlaut dieser Bestimmung ist indes kein entsprechender Hinweis zu entnehmen. Gegenteils wird eine Mindestentzugsdauer von sechs Monaten vorgeschrieben, "wenn der Führer trotz Ausweisentzuges ein Motorfahrzeug geführt hat oder wenn ihm der Ausweis wegen einer Widerhandlung entzogen werden muss, die er innert zwei Jahren seit Ablauf des letzten Entzuges begangen hat". Aus dem Wortlaut von Art. 17 Abs. 1 lit. d SVG lässt sich deshalb nichts für die Auffassung der Rekurskommission ableiten.
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