56. Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 17. Dezember 1982 i.S. Müller gegen Eidgenössisches Finanz- und Zolldepartement (Verwaltungsgerichtsbeschwerde)
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Regeste
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Eidgenössische Versicherungskasse: Aufnahme mit Vorbehalt.
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2. Die EVK-Statuten stehen einer vorbehaltslosen Aufnahme eines Zügers nicht entgegen. Mangels ausdrücklicher gegenteiliger Regelung in der Freizügigkeitsvereinbarung ist ein Züger rechtlich und finanziell gleich zu stellen, wie er es in der alten Kasse war (E. 2).
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Sachverhalt
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Dr. Pierre Müller stand seit 1973 als Archäologe im Dienste des Kantons Zürich. Mit Verfügung vom 11. Mai 1979 wurde er rückwirkend auf den 1. Juli 1977 ohne Vorbehalt in die kantonale Beamtenversicherungskasse (kurz Zürcher Kasse) aufgenommen. Seit dem 1. September 1980 ist Dr. Müller für ein Forschungsprojekt tätig und wird vom Schweizerischen Nationalfonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung (kurz Nationalfonds) besoldet. Dr. Müller ist stark kurzsichtig. Überdies wurde bei ihm eine retinale Degeneration links festgestellt. Dieses Gebrechen wurde bei der Aufnahme in die Zürcher Kasse gemeldet, vom Amtsarzt festgestellt und als wenig bedeutungsvoll eingestuft, da bei einer Verschlimmerung des Zustandes durch eine Lasercoagulation eine Invalidität verhindert werden könne. Die Zürcher Kasse verzichtete deshalb auf die Anbringung eines Vorbehalts. Nachdem der Projektleiter beim Nationalfonds Dr. Müller zur Aufnahme als Mitglied der Eidg. Versicherungskasse (EVK) angemeldet hatte, musste dieser sich der vertrauensärztlichen Aufnahmeuntersuchung unterziehen. Der Ärztliche Dienst der allgemeinen Bundesverwaltung (AeD) kam aufgrund dieser Untersuchung zum Schluss, Dr. Müller könne wegen seiner Kurzsichtigkeit nur mit Vorbehalt in die EVK aufgenommen werden. Nach Ansicht des AeD hätte sich bereits bei der Aufnahme in die Zürcher Kasse ein solcher Vorbehalt gerechtfertigt.
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Mit Verfügung vom 10./29. April 1981 wurde Dr. Müller eröffnet, er werde gestützt auf Art. 12 der Statuten der Eidgenössischen Versicherungskasse vom 29. September 1950 (SR 172.222.1, EVK-Statuten) als mit Vorbehalt versichertes Mitglied in die EVK aufgenommen. Als Ursache für den Vorbehalt gab die EVK an: "Myopie und Folgen." Eine von Dr. Müller gegen diese Verfügung erhobene Beschwerde wurde vom Eidg. Finanz- und Zolldepartement (EFZD) mit Entscheid vom 31. August 1981 abgewiesen.
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Dr. Müller erhebt gegen diesen Entscheid Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Er rügt unter anderem die unzutreffende Auslegung der EVK-Statuten.
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Das EFZD schliesst in seiner Vernehmlassung vom 22. Oktober 1981 auf kostenfällige Abweisung der Beschwerde.
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Aus den Erwägungen:
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"Die Kasse, in welche der Übertritt erfolgt, verpflichtet sich im Rahmen ihrer gesetzlichen, reglementarischen oder statutarischen Möglichkeiten,
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a) das ohne Vorbehalt versicherte Mitglied ohne Vorbehalt aufzunehmen und einen allfälligen Vorbehalt nicht zu erweitern.
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b) ..."
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Demnach musste die EVK den Beschwerdeführer als Züger grundsätzlich ohne Vorbehalt aufnehmen. Es ist zu prüfen, ob sie nach Gesetz und ihren Statuten auch dazu befugt war. Die EVK verneint diese Möglichkeit, weil die EVK-Statuten in Art. 20 ausdrücklich den Vorbehalt bei Invalidität für die Freizügigkeitsvereinbarung vorbehalte und weil sich gemäss Art. 12 Abs. 2 EVK-Statuten die Kassenverwaltung auf die Feststellungen des verwaltungsärztlichen Dienstes (AeD) zu stützen habe. Der Beschwerdeführer rügt die falsche Anwendung der EVK-Statuten.
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Art. 20 EVK-Statuten, welcher erst seit dem 1. Januar 1973 in Kraft ist (AS 1973 33 bzw. 35 ff.; BBl 1972 II 617) lautet:
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"Freizügigkeit
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Die Kassenverwaltung kann mit andern Personalfürsorgeeinrichtungen Vereinbarungen über die Freizügigkeit bei Übertritt abschliessen. Darin bleiben besondere, für die Mitglieder verbindliche Bestimmungen über die anzurechnenden Beitrags- und Versicherungsjahre, über den Vorbehalt bei Invalidität sowie über die zu überweisenden Beträge vorbehalten."
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Da Sinn und Tragweite dieser Bestimmung umstritten sind, ist es nützlich, sich bei der Auslegung auf alle drei amtlichen Texte zu stützen. Die entsprechenden französischen und italienischen Texte lauten:
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"Libre passage
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L'administration de la caisse peut conclure, avec d'autres institutions de prévoyance du personnel, des conventions de libre passage en cas de transfert de membres. Ces conventions peuvent contenir des dispositions spéciales ayant caractère obligatoire pour les membres, relativement aux années de cotisation et d'assurance, à la restriction en cas d'invalidité ainsi qu'aux montants à transférer.
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Libero passaggio
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L'amministrazione della Cassa può conchiudere con altri istituti di previdenza del personale convenzioni di libero passaggio in caso di trasferimento dei membri. Queste convenzioni possono prevedere disposizioni speciali, vincolanti per i membri, circa gli anni di contribuzione e d'assicurazione, le limitazioni in caso di invalidità e le somme da trasferire."
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b) Der französische und der italienische Text zeigen Sinn und Tragweite dieser Bestimmung besser auf als der schwerfällig formulierte und unklare deutsche Text (vgl. nicht veröffentlichtes Urteil vom 20. Oktober 1982 i.S. M. c. Schweizerische Eidgenossenschaft, E. 3c). Zudem lässt der Vergleich des deutschen Textes mit den Texten der beiden romanischen Amtssprachen einen inhaltlichen Unterschied erscheinen. Während nämlich der zweite Satz im deutschen Text scheinbar imperativ vorschreibt, dass in diesen Freizügigkeitsvereinbarungen besondere Bestimmungen bezüglich der Beitragsjahre, den Vorbehalt bei Invalidität und die zu überweisenden Beiträge vorbehalten bleiben, enthalten die romanischen Texte nur eine Kann-Vorschrift, wonach die Freizügigkeitsvereinbarungen solche besondere Bestimmungen enthalten können. Es kann jedoch offen bleiben, welche genaue Tragweite diese Bestimmung hat, denn jedenfalls steht fest, dass unter den in Art. 20 EVK-Statuten vorbehaltenen Bestimmungen, Sonderbestimmungen in den Freizügigkeitsvereinbarungen zu verstehen sind; mit anderen Worten, Art. 20 EVK-Statuten behält vor, dass in den Freizügigkeitsvereinbarungen Sonderbestimmungen, auch über Vorbehalte bei Invalidität gemacht werden können. Die zur Frage stehende Freizügigkeitsvereinbarung enthält aber keinen solchen Vorbehalt. Die einzige in Betracht fallende Bestimmung dieser Freizügigkeitsvereinbarung, die zitierte Ziffer 3, enthält nur eine Rückverweisung auf die jeweiligen gesetzlichen, reglementarischen oder statutarischen Möglichkeiten.
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c) Es fragt sich, ob die Kassenstatuten überhaupt der vorbehaltlosen Aufnahme eines Zügers aufgrund von Ziff. 3 der Freizügigkeitsvereinbarung entgegenstehen können. Der Sinn der Freizügigkeit besteht nämlich darin, den Züger in der neuen Kasse finanziell und rechtlich möglichst gleich zu stellen, wie er es in der alten war. Mit dem Abschluss der Freizügigkeitsvereinbarung nimmt es eine Kasse in Kauf, dass sie Züger unter Bedingungen aufnehmen muss, die in ihren Statuten und Versicherungsbedingungen für ihre Mitglieder vorgesehen sind, unter denen aber ein Neueintretender ohne Freizügigkeitsanspruch nicht aufgenommen würde. Mangels einer ausdrücklichen gegenteiligen Regelung in der Freizügigkeitsvereinbarung folgt daraus, dass ein Züger, welcher ohne Vorbehalt gegen das Risiko Invalidität versichert war, selbst dann ohne Vorbehalt in die neue Kasse aufzunehmen ist, wenn eine vorbehaltlose Aufnahme nach den Kassenstatuten nicht möglich wäre. Dabei ist allerdings vorauszusetzen, dass die neue Kasse das Risiko Invalidität überhaupt versichert.
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Dieses Problem stellt sich indessen im vorliegenden Fall nicht, weil feststeht, dass Art. 20 EVK-Statuten kein Hindernis für die vorbehaltlose Aufnahme des Beschwerdeführers darstellt. Auch andere statutarische Hindernisse stehen nicht im Wege, namentlich nicht Art. 12 EVK-Statuten. Gemäss Absatz 2 dieser Bestimmung stellt der AeD fest, ob die Versicherung gegen Invalidität ohne oder mit Vorbehalt möglich ist. Aus dieser Bestimmung, welche 1957 in die EVK-Statuten aufgenommen wurde (AS 1957 218 bzw. 216; BBl 1957 I 325) und deshalb Art. 20 EVK-Statuten als lex posterior et specialis nachgeht, kann nicht geschlossen werden, dass der ärztliche Dienst entscheidet, ob und bejahendenfalls für welche Risiken und wie lange ein Vorbehalt anzubringen ist. Dieser Entscheid obliegt vielmehr den zuständigen Kassenorganen. Der AeD gibt lediglich ein Gutachten über die medizinischen Befunde. Zwar ist der medizinische Aspekt der wichtigste für den Entscheid über einen Vorbehalt, aber er ist nicht der einzige. Macht der AeD den Vorschlag, einen Vorbehalt anzubringen, so hat das zuständige Kassenorgan zu prüfen, ob ein solcher Vorbehalt auch juristisch möglich ist. Im Falle des Beschwerdeführers war die Anbringung eines solchen Vorbehaltes nicht möglich, ohne die mit der Zürcher Kasse getroffene Freizügigkeitsvereinbarung zu verletzen. Bei dieser Sachlage ist die Beschwerde gutzuheissen und die EVK anzuweisen, den Beschwerdeführer ohne Vorbehalt aufzunehmen.
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