BGE 109 Ib 183
 
31. Beschluss der II. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 9. Dezember 1983 i.S. Salaheddine und Monika Reneja-Dittli gegen Regierungsrat des Kantons Zürich (staatsrechtliche Beschwerde und Verwaltungsgerichtsbeschwerde)
 
Regeste
Nichterneuerung der Aufenthaltsbewilligung des ausländischen Ehemannes (Art. 4 ANAG, Art. 8 EMRK, Art. 100 lit. b Ziffer 3 OG).
2. Der durch die Nichterneuerung der Aufenthaltsbewilligung betroffene Ausländer sowie seine durch Art. 8 Ziffer 1 EMRK geschützten Familienglieder können den letztinstanzlichen kantonalen Entscheid über die Aufenthaltsbewilligung mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde beim Bundesgericht anfechten (Praxisänderung; E. 2b).
3. Ausdehnungsverfügung des Bundesamtes für Ausländerfragen bei Nichterneuerung der kantonalen Aufenthaltsbewilligung (E. 3a). Vernehmlassung des Bundesamtes für Ausländerfragen zuhanden des Bundesgerichts (E. 3b).
 
Sachverhalt
Salaheddine Reneja, dessen frühere Aufenthalte in der Schweiz bereits zu berechtigten Klagen Anlass gegeben hatten, erhielt am 28. März 1980 von der Fremdenpolizei des Kantons Zürich allein deswegen eine neue Aufenthaltsbewilligung, weil er inzwischen eine Schweizerin geheiratet hatte. Mit Urteil vom 11. Mai 1982 sprach ihn das Bezirksgericht Zürich verschiedener schwerer Zuwiderhandlungen gegen das Bundesgesetz über die Betäubungsmittel vom 3. Oktober 1951 (SR 812.121) schuldig und bestrafte ihn mit 24 Monaten Zuchthaus. Gestützt auf diese Verurteilung wies die Polizeidirektion des Kantons Zürich mit Verfügung vom 23. November 1982 das Gesuch des Rekurrenten vom 27. September 1982 um Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung ab.
Ein hiegegen gerichteter Rekurs an den Regierungsrat des Kantons Zürich blieb erfolglos.
Salaheddine und Monika Reneja-Dittli erheben sowohl eine Verwaltungsgerichtsbeschwerde als auch eine staatsrechtliche Beschwerde gegen die ergangenen fremdenpolizeirechtlichen Entscheide. Sie beantragen namentlich die Aufhebung der angefochtenen Entscheide und die Gewährung der aufschiebenden Wirkung. Auf ihre einzelnen Vorbringen wird, soweit erforderlich, in den Erwägungen eingegangen.
Im vorliegenden Fall rechtfertigt es sich, die beiden Beschwerdeverfahren zu vereinigen.
In ihren Vernehmlassungen vom 25. und vom 29. August 1983 beantragt die Finanzdirektion des Kantons Zürich den Beschwerden keine aufschiebende Wirkung zu erteilen und auf die Sache selbst nicht einzutreten.
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1. Nach bisheriger bundesgerichtlicher Praxis steht dem Ausländer bei Nichterneuerung seiner Aufenthaltsbewilligung weder eine Verwaltungsgerichtsbeschwerde (BGE 109 Ib 178; BGE 106 Ib 127 E. 2a) noch eine staatsrechtliche Beschwerde gegen den letztinstanzlichen kantonalen Entscheid zur Verfügung; dies gilt auch dann, wenn der Ausländer mit einer Schweizerin verheiratet ist (Bundesgerichtsentscheid vom 7. Juli 1983 i.S. I. Oezaltay). Vorbehalten bleibt nach bisheriger Praxis lediglich die Rüge der Verletzung von Verfahrensvorschriften (BGE 106 Ib 132 E. 3 sowie die noch strengere Praxis in BGE 107 Ia 185 E. 3c). Es fragt sich jedoch, ob im Hinblick auf Ehepaare und minderjährige Kinder von Personen, die über ein Anwesenheitsrecht in der Schweiz verfügen, an dieser Praxis festgehalten werden kann.
"1. Jedermann hat Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs."
Art. 8 Ziff. 1 EMRK reicht somit sachlich über das in Art. 54 BV (SR 101) gewährleistete Recht auf Ehe hinaus, indem die Bestimmung nicht nur die Freiheit der Ehebeziehung als solche, sondern darüber hinaus auch die Beziehungen zu weiteren Familiengliedern schützt. Nach der in der "Europäischen Grundrechte-Zeitschrift" (EuGRZ 1983, S. 423, Ziff. 54) wiedergegebenen Praxis der Europäischen Kommission für Menschenrechte in Strassburg gewährt die Menschenrechtskonvention zwar kein Recht auf Anwesenheit in einem bestimmten Staat; doch könne Art. 8 EMRK durch die Ausweisung verletzt werden, wenn dadurch die Familie getrennt werde.
Ist das in Art. 8 EMRK geschützte Familienleben durch einen staatlichen Eingriff betroffen, so müssen sich alle Familienglieder auf die Menschenrechtskonvention berufen können. Der Anwendungsbereich von Art. 8 EMRK darf indessen nicht überdehnt werden: Der Schutz ist auf die Familie im engen Sinne, also auf die Ehegatten und ihre minderjährigen Kinder zu beschränken. Diese Personen müssen berechtigt sein, sich im Rahmen "einer wirksamen Beschwerde bei einer nationalen Instanz" (Art. 13 EMRK) gegen staatliche Eingriffe in ihr Familienleben wehren zu können. Dabei kann der Schutz des Familienlebens nur dann angerufen werden, wenn die Beziehung auch tatsächlich gelebt wird; dieser Sachverhalt ist anhand objektiv überprüfbarer Umstände nachzuweisen.
Ferner kann die Nichterneuerung der Aufenthaltsbewilligung eines Familiengliedes das in Art. 8 EMRK gewährleistete Familienleben nur dann berühren, wenn ein anderer Familienangehöriger über ein Anwesenheitsrecht in der Schweiz verfügt. Dies ist vor allem bei der Schweizer Bürgerin der Fall, die einen Ausländer geheiratet hat, dann aber auch bei einem Ausländer oder einer Ausländerin, die über eine Niederlassungsbewilligung in der Schweiz verfügt. Schliesslich muss die Berufung auf Art. 8 EMRK möglich sein, wenn ein Familienglied seine Anwesenheit in der Schweiz auf einen Staatsvertrag stützen kann (z.B. das Abkommen zwischen der Schweiz und Italien über die Auswanderung italienischer Arbeitskräfte nach der Schweiz, SR 0.142.114.548, wo im Rahmen des in Art. 11 des Abkommens gewährleisteten Anwesenheitsrechtes eine Verwaltungsgerichtsbeschwerde zulässig ist: BGE 97 I 533 E. 1b).
b) Es fragt sich deshalb, ob den aus Art. 8 EMRK begünstigten Personen gegen den letztinstanzlichen kantonalen Entscheid über die Nichterneuerung der Aufenthaltsbewilligung die staatsrechtliche Beschwerde oder die Verwaltungsgerichtsbeschwerde zur Verfügung steht.
Die staatsrechtliche Beschwerde ist nur zulässig, wenn die behauptete Rechtsverletzung nicht sonstwie durch Klage oder Rechtsmittel beim Bundesgericht oder einer andern Bundesbehörde gerügt werden kann (Art. 84 Abs. 2 OG; SR 173.110). Es ist daher zunächst zu prüfen, ob auf die von Monika und Salaheddine Reneja-Dittli erhobenen Verwaltungsgerichtsbeschwerden eingetreten werden kann. Ist dies der Fall, so sind die staatsrechtlichen Beschwerden unzulässig.
Nach Art. 100 lit. b Ziff. 3 OG ist die Verwaltungsgerichtsbeschwerde unzulässig gegen Entscheide über die Erteilung oder Verweigerung von Bewilligungen, auf die das Bundesrecht keinen Anspruch einräumt. Im Lichte von Art. 8 Ziff. 1 EMRK kann entgegen früherer Ansicht nicht mehr gesagt werden, das durch die Menschenrechtskonvention geschützte Familienglied, welches von seiner übrigen Familie getrennt würde, wenn seine Aufenthaltsbewilligung nicht erneuert würde, verfüge über keinen bundesrechtlichen Anspruch auf Anwesenheit in der Schweiz. Damit ist allerdings noch nichts über die materielle Beurteilung des Gesuches um Erneuerung der Aufenthaltsbewilligung gesagt; diesbezüglich bleibt die in Art. 8 Ziff. 2 EMRK vorgesehene Rechtsgüterabwägung vorbehalten. Art. 8 Ziff. 1 EMRK beschränkt jedoch das der zuständigen Behörde in Art. 4 ANAG (SR 142.20) grundsätzlich eingeräumte freie Ermessen bei der Erneuerung von Anwesenheitsbewilligungen. Dies genügt, um auf die Verwaltungsgerichtsbeschwerde des von Art. 8 Ziff. 1 EMRK geschützten Ausländers einzutreten, dessen Aufenthaltsbewilligung nicht erneuert wurde, obwohl seine Familienglieder ein Anwesenheitsrecht in der Schweiz haben.
Es muss aber auch auf die Verwaltungsgerichtsbeschwerde der von der Nichterneuerung der Aufenthaltsbewilligung betroffenen Familienglieder mit Anwesenheitsrecht in der Schweiz eingetreten werden, werden doch auch sie durch die Nichterneuerung der Aufenthaltsbewilligung ihres Familiengenossen berührt. Dies sind in erster Linie die schweizerische Ehefrau des Ausländers und das Kind des Ausländers, das im Rahmen von Art. 5 lit. a BüG (SR 141.0) das Schweizer Bürgerrecht originär erwirbt; darüber hinaus aber auch die ausländischen Familienangehörigen mit Anwesenheitsrecht in der Schweiz, die im Sinne von Art. 8 EMRK einen Anspruch auf Schutz ihres Familienlebens geltend machen können (oben E. 2a).
Da die Nichterneuerung der Aufenthaltsbewilligung mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde angefochten werden kann, entfällt die Möglichkeit einer staatsrechtlichen Beschwerde. Die letztinstanzliche kantonale Behörde wird ihren Entscheid künftig in den oben genannten Fällen, in welchen eine Verwaltungsgerichtsbeschwerde zulässig ist, mit einer Rechtsmittelbelehrung versehen müssen.
c) Im vorliegenden Fall ist sowohl auf die Verwaltungsgerichtsbeschwerde von Monika als auch auf diejenige von Salaheddine Reneja einzutreten. Damit sind ihre gleichzeitig erhobenen staatsrechtlichen Beschwerden unzulässig und es ist deshalb nicht auf sie einzutreten.
3. a) Hat die letztinstanzliche kantonale Behörde die Erneuerung der Aufenthaltsbewilligung verweigert, so kann das Bundesamt für Ausländerfragen die Pflicht zur Ausreise aus dem betreffenden Kanton auf die ganze Schweiz ausdehnen (Art. 12 Abs. 3 letzter Satz ANAG). Bei Fällen, die mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde weiterziehbar sind (E. 2b), wird die kantonale Behörde das Gesuch um Erlass der Ausdehnungsverfügung künftig erst nach unbenütztem Ablauf der Rechtsmittelfrist stellen können. Wird hingegen die Verwaltungsgerichtsbeschwerde ergriffen, so wird das Verfahren auf Erlass der Ausdehnungsverfügung künftig vom Bundesgericht selbst ausgelöst werden: Im Hinblick auf die materielle Beurteilung der Sache erscheint es sinnvoll, die Ansicht des Bundesamtes für Ausländerfragen, welches ja bei seinem Entscheid über den Erlass der Ausdehnungsverfügung vor den gleichen Rechtsfragen steht, bereits bei Beurteilung des kantonalen Entscheids in das Verfahren miteinzubeziehen. Bestätigt das Bundesgericht den kantonalen Entscheid über die Nichterneuerung der Aufenthaltsbewilligung, so kann alsdann das Bundesamt ohne weiteres die Ausdehnungsverfügung erlassen.
b) Die besondere Wichtigkeit der Stellungnahme des Bundesamtes für Ausländerfragen für das verwaltungsgerichtliche Verfahren vor Bundesgericht im vorliegenden Zusammenhang erfordert es, die Vernehmlassung der eidgenössischen Behörde obligatorisch zu erklären. Das Bundesamt hat dabei alle für die gestützt auf Art. 8 Ziff. 2 EMRK vorzunehmende Rechtsgüterabwägung erforderlichen Sachumstände zu würdigen und, soweit die kantonalen Akten unvollständig sind, diese zu ergänzen. Dabei sind namentlich folgende Fragen tatsächlicher Natur abzuklären:
- Sind die behaupteten familiären Beziehungen zu dem über ein Anwesenheitsrecht in der Schweiz verfügenden Ehegatten oder minderjährigen Kind intakt und werden sie auch tatsächlich intensiv gelebt?
- Bestehen besondere Gründe, die den Weggang der Familienangehörigen ins Ausland als völlig unzumutbar erscheinen lassen?
- Soweit die Vorwürfe an den Familienangehörigen, dessen Aufenthaltsbewilligung nicht erneuert werden soll, nicht bereits rechtsgenügend festgehalten sind, Ausführungen zu diesen unter Gewährung des rechtlichen Gehörs.
Das vorliegende Verfahren ist auszusetzen und dem Bundesamt für Ausländerfragen ist Gelegenheit zur Stellungnahme einzuräumen. Über die Kostentragung wird im Entscheid über die Sache selbst entschieden werden.
Demnach beschliesst das Bundesgericht:
Auf die Verwaltungsgerichtsbeschwerde von Monika und Salaheddine Reneja wird eingetreten. Hingegen wird nicht auf ihre staatsrechtlichen Beschwerden eingetreten.