BGE 111 Ib 56 |
13. Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 15. März 1985 i.S. Sozialdemokratische Partei der Schweiz und Dr. Peter Vollmer gegen Schweizerische Radio- und Fernsehgesellschaft und Eidgenössisches Verkehrs- und Energiewirtschaftsdepartement (Verwaltungsgerichtsbeschwerde) |
Regeste |
Verwaltungsgerichtsbeschwerde; Wegfall des aktuellen praktischen Interesses. |
2. Die Abgrenzung zwischen erlaubter Wirtschaftswerbung und verbotener politischer Propaganda in TV-Spots kann nur aufgrund einer Würdigung der konkreten Umstände des Einzelfalles erfolgen (E. 3). |
3. Nichteintreten auf eine Verwaltungsgerichtsbeschwerde, die diese Frage zum Gegenstand hat, nach Wegfall des aktuellen praktischen Interesses (E. 3). |
Sachverhalt |
Am 8. Oktober 1979 wurde von der Sozialdemokratischen Partei der Schweiz (SPS) die Volksinitiative "gegen den Missbrauch des Bankgeheimnisses und der Bankenmacht" (Bankeninitiative) eingereicht. Die Bundesversammlung beschloss am 24. Juni 1983, die Initiative Volk und Ständen zur Abstimmung zu unterbreiten. Am 19. Dezember 1983 setzte der Bundesrat den Abstimmungstermin auf den 20. Mai 1984 fest. An diesem Tag wurde die Initiative von Volk und Ständen verworfen.
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Die Schweizerische Radio- und Fernsehgesellschaft (SRG) strahlte am 5. und am 20. Dezember 1983 auf dem Fernsehkanal DRS einen Werbespot der Schweizerischen Bankiervereinigung mit dem folgenden Wortlaut aus:
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"Auch in der Schweiz ist heute Arbeit für alle nicht mehr
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selbstverständlich. Damit die Wirtschaft nicht stagniert, müssen vermehrt
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Investitionen getätigt, neue Märkte erschlossen und neue Produkte
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entwickelt werden. Dazu braucht es Geld.
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Deshalb stellen die Banken das ihnen anvertraute Geld der Wirtschaft
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zur Verfügung. So helfen sie mit, Arbeitsplätze zu schaffen und zu
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sichern.
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Mit Geld kann produziert, können Rohstoffe beschafft und Maschinen
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gekauft werden. So tragen die Banken dazu bei, unsere Wirtschaft in Gang
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zu halten.
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Die Schweizer Banken, ein Teil unserer Wirtschaft."
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"Private Dinge sind vertraulich. Auch Geldangelegenheiten sind
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privat. Deshalb gibt es das Bankgeheimnis.
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Es ist eigentlich ein Bankkundengeheimnis und schützt die
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Privatsphäre der Kunden. Kriminellen bietet das Bankgeheimnis jedoch
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keinen Schutz.
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Das Bankgeheimnis ist wichtig für das Vertrauen in unsere Banken.
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Die Schweizer Banken, ein Teil unserer Wirtschaft."
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Die SPS reichte am 6. Januar 1984 beim Eidgenössischen Verkehrs- und Energiewirtschaftsdepartement (EVED) ein "Gesuch um Erlass einer Feststellungsverfügung gemäss Art. 25 Vw(V)G und um Anordnung vorsorglicher Massnahmen gemäss Art. 56 Vw(V)G und Aufsichtsbeschwerde gemäss Art. 71 Vw(V)G betreffend TV-Werbespots der Schweizerischen Bankiervereinigung vom 5. Dezember 1983, 9. Dezember 1983 und 20. Dezember 1983, evtl. weitere, ausgestrahlt durch die SRG, Schweizerische Radio- und Fernsehgesellschaft" ein. Die SPS verlangte unter anderem, es sei festzustellen, dass es sich bei den betreffenden TV-Werbespots um unzulässige politische Propaganda, evtl. um unzulässige unwahre und irreführende Reklame im Sinne von Ziff. 3 lit. c evtl. f der Weisungen des Bundesrates über die Fernsehreklame vom 24. April 1964 handle; die SRG sei anzuweisen, diese oder ähnliche TV-Spots, die nicht eindeutig als Wirtschaftswerbung zu qualifizieren sind, nicht mehr auszustrahlen. Die SPS machte geltend, die Werbespots der Schweizerischen Bankiervereinigung würden keine erlaubte Wirtschaftswerbung gemäss Ziff. 3 lit. a der Weisungen des Bundesrates darstellen.
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Bereits am 4. Januar 1984 hatte Dr. Vollmer eine praktisch gleichlautende Eingabe in eigenem Namen eingereicht.
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Am 8. März 1984 erliess das EVED gegenüber der SPS eine förmliche Verfügung, in der es unter anderem feststellte, dass die von der SRG ausgestrahlten TV-Werbespots der Schweizerischen Bankiervereinigung die Weisungen des Bundesrates über die Fernsehreklame und die Konzession nicht verletzen würden. Die Eingabe von Dr. Vollmer wurde als blosse Aufsichtsbeschwerde entgegengenommen; ihr wurde keine Folge gegeben.
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Gegen die Verfügung des EVED vom 8. März 1984 führen die SPS und Dr. Vollmer rechtzeitig Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit den Anträgen:
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"1. Der Entscheid des Eidgenössischen Verkehrs- und
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Energiewirtschaftsdepartementes vom 8. März 1984 sei aufzuheben.
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2. Es sei festzustellen, dass die Ausstrahlung der TV-Spots der
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Schweizerischen Bankiervereinigung am 5., 9. und 20. Dezember 1983 gegen
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Art. 14 Abs. 2 SRG-Konzession i. Verb. m. Ziff. 3 und 4 der Weisungen des
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Bundesrates über die Fernsehreklame vom 24. April 1964 verstiess.
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3. Das EVED als Aufsichtsbehörde der SRG sei anzuweisen, die SRG im
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Sinne von Art. 27 Abs. 1 SRG-Konzession zur Behebung des Rechtsmangels
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aufzufordern.
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unter Kosten- und Entschädigungsfolge"
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Das Bundesgericht tritt auf die Beschwerde nicht ein aus den folgenden
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Erwägungen: |
2. a) Gemäss Art. 103 lit. a OG ist zur Verwaltungsgerichtsbeschwerde berechtigt, wer durch die angefochtene Verfügung berührt ist und ein schutzwürdiges Interesse an deren Aufhebung oder Änderung hat. Im allgemeinen ist ein Interesse im Sinne dieser Bestimmung nur schutzwürdig, wenn der Beschwerdeführer nicht bloss beim Einreichen der Beschwerde, sondern auch noch im Zeitpunkt der Urteilsfällung ein aktuelles praktisches Interesse an der Aufhebung oder Änderung der angefochtenen Verfügung hat (BGE 107 Ib 275 E. 1c; BGE 106 Ib 112 E. 1b; BGE 100 Ib 327 E. 2; BGE 98 Ib 57 /58, z.T. mit weiteren Nachweisen; GRISEL, Traité de droit administratif, Band II, S. 900; GYGI, Bundesverwaltungsrechtspflege, 2. A., S. 154/155; SALADIN, Das Verwaltungsverfahrensrecht des Bundes, S. 184). Dieses nicht nur bei der Verwaltungsgerichtsbeschwerde, sondern auch bei der staatsrechtlichen Beschwerde vorausgesetzte Erfordernis (BGE 109 Ia 170 E. 3b; BGE 108 Ib 124 E. 1a) soll sicherstellen, dass das Bundesgericht konkrete und nicht bloss theoretische Fragen entscheidet (BGE 110 Ia 141 E. 2a, mit weiteren Nachweisen; KÄLIN, Das Verfahren der staatsrechtlichen Beschwerde, S. 244).
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b) Das Bundesgericht verzichtet sowohl bei Verwaltungsgerichtsbeschwerden als auch bei staatsrechtlichen Beschwerden ausnahmsweise auf das Erfordernis des aktuellen praktischen Interesses, wenn sich eine gerügte Rechtsverletzung jederzeit wiederholen könnte und eine rechtzeitige gerichtliche Überprüfung im Einzelfall kaum je möglich wäre (BGE 110 Ia 143 E. 2b; BGE 109 Ia 170 E. 3b; 107 Ib 275/276 E. 1c, 392 E. 1; BGE 106 Ib 112 E. 1b; BGE 104 Ib 319 E. 3c, je mit weiteren Nachweisen). Allerdings prüft es eine Beschwerde trotz Wegfalls des aktuellen praktischen Interesses nur, wenn sich die aufgeworfenen Fragen jederzeit unter gleichen oder ähnlichen Umständen wieder stellen können (BGE 110 Ia 143 E. 2b; BGE 108 Ia 42 /43 E. 1a; BGE 104 Ib 319 E. 3c; GRISEL, a.a.O., S. 900) und wenn an deren Beantwortung wegen der grundsätzlichen Bedeutung ein hinreichendes öffentliches Interesse besteht (BGE 110 Ia 143 E. 2b; BGE 104 Ia 230 E. 1b).
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a) Auf den 1. März 1984 hin hat der Bundesrat seine Weisungen über die Fernsehreklame vom 24. April 1964 aufgehoben und durch die neuen Weisungen über die Fernsehwerbung vom 15. Februar 1984 ersetzt (BBl 1984 I 364 ff.). Nach diesen neuen Weisungen ist ebenso wie nach den Weisungen vom 24. April 1964 nur die Wirtschaftswerbung und neu die Werbung für gemeinnützige Aktionen zulässig (Art. 8), während unter anderem - wie schon unter dem alten Recht - politische Propaganda verboten ist (Art. 9 lit. b).
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b) Die Abgrenzung zwischen erlaubter Wirtschaftswerbung und unzulässiger politischer Propaganda ist mitunter recht schwierig. Die Weisungen vom 15. Februar 1984 enthalten im Gegensatz zu den Weisungen vom 24. April 1964 auch keine Definition der Wirtschaftswerbung mehr.
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aa) Da erst seit der Volksabstimmung vom 2. Dezember 1984 im neuen Art. 55bis BV eine klare verfassungsmässige Grundlage für die Gesetzgebung über Radio und Fernsehen besteht und es der Gesetzgeber bisher unterlassen hat, im Bereiche der Monopolmedien eine angemessene Ordnung aufzustellen, beruhen die der SRG erteilte Konzession und die Weisungen über die Fernsehwerbung nicht auf einer besonderen gesetzlichen Grundlage. Solange solche Regeln fehlen, haben sich die Bestimmungen in der Konzession und in den Weisungen auf die Wahrung des öffentlichen Interesses im Rahmen der verfassungsmässigen Rechte zu beschränken (vgl. dazu Urteil vom 17. Oktober 1980 in ZBl 83 (1982) S. 219 ff., speziell S. 221 ff. E. 2c und d). Dabei kommt den verfassungsmässigen Rechten in doppelter Hinsicht Bedeutung zu: Einerseits ist ihre Wahrung selbst eine Aufgabe, die im Rahmen einer Monopolkonzession wahrgenommen werden muss; andererseits sind die gerade zu diesem Zweck verfügten Einschränkungen derselben verfassungsmässigen Rechte nur zulässig, soweit sie sich aus der verfassungsmässigen Ordnung selbst ergeben. Im Zusammenhang mit der Fernsehwerbung fallen - sowohl als Schutz- als auch als Einschränkungsobjekt - die Meinungsäusserungsfreiheit, die Handels- und Gewerbefreiheit sowie das politische Stimmrecht in seiner Ausrichtung auf die demokratische Willensbildung in Betracht.
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bb) Diese Grundsätze haben nicht nur für die der SRG erteilte Konzession und für die bundesrätlichen Weisungen, sondern auch für deren Auslegung im konkreten Einzelfall zu gelten. Das Bundesgericht müsste somit der Abgrenzung zwischen der in den bundesrätlichen Weisungen nicht näher umschriebenen erlaubten Wirtschaftswerbung einerseits und der unzulässigen politischen Propaganda andererseits eine Interessenabwägung zwischen den verschiedenen, miteinander möglicherweise in Konflikt geratenden verfassungsmässigen Rechten zugrunde legen.
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c) Eine solche Interessenabwägung könnte nicht losgelöst vom konkreten Fall vorgenommen werden. Das Bundesgericht müsste vor allem den Wortlaut der strittigen TV-Werbesendungen einer einlässlichen Analyse unterziehen. Ausserdem müssten die TV-Spots einerseits in ihrer Relevanz als - unter Umständen schon lange praktizierte - Wirtschaftswerbung gewürdigt und anderseits in bezug zu einer allenfalls durchgeführten Abstimmungskampagne in der Presse und in weiteren Medien gesetzt werden. Auch die Nähe des Ausstrahlungszeitpunktes zum Abstimmungstermin würde bei der Beurteilung wohl eine Rolle spielen. Das Bundesgericht hätte somit seinen Entscheid ausschliesslich aufgrund einer Würdigung der konkreten Umstände des Einzelfalles zu fällen.
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Es ist praktisch ausgeschlossen, dass sich die Frage der Abgrenzung zwischen erlaubter Wirtschaftswerbung und unzulässiger politischer Propaganda unter den gleichen oder ähnlichen Umständen bei späteren Fällen wieder stellen könnte. Wohl ist anzunehmen, dass bei weiteren Volksbegehren und anderen Abstimmungsvorlagen TV-Werbespots allfällig interessierter und betroffener Wirtschaftskreise zur Ausstrahlung gelangen werden, deren Zulässigkeit im Sinne der bundesrätlichen Weisungen vom 15. Februar 1984 zu prüfen sein könnte. Die konkreten Umstände solcher Fälle werden sich aber von den Umständen des vorliegenden Falles in verschiedenster Hinsicht wesentlich unterscheiden.
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Die hier zu prüfende Frage liegt anders als etwa in dem in BGE 97 I 731 ff. wiedergegebenen Fall. Die vorliegende Situation ist vergleichbar mit derjenigen bei einer Mehrzahl von staatsrechtlichen Beschwerden, mit denen die Verfassungs- und Konventionswidrigkeit der Anordnung oder Erstreckung einer inzwischen dahingefallenen Untersuchungshaft gerügt wird und auf die das Bundesgericht nach neuerer Rechtsprechung im allgemeinen nicht mehr eintritt (vgl. dazu eingehend BGE 110 Ia 140 ff.). Das Bundesgericht hat daher ebenfalls keinen Anlass, auf die vorliegende Beschwerde nach dem Wegfall des aktuellen praktischen Interesses noch einzutreten.
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