BGE 116 Ib 113
 
14. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 1. Oktober 1990 i.S. X. gegen Regierungsrat des Kantons Zürich (Verwaltungsgerichtsbeschwerde)
 
Regeste
Umwandlung der Saison- in eine Jahresaufenthaltsbewilligung. Bundesgesetz vom 26. März 1931 über Aufenthalt und Niederlassung der Ausländer, Abkommen vom 10. August 1964 zwischen der Schweiz und Italien über die Auswanderung italienischer Arbeitskräfte nach der Schweiz (Italienerabkommen).
2. Voraussetzung der Bewilligungserteilung nach Art. 12 des Italienerabkommens ist, dass sich der Ausländer in der Schweiz wohl verhalten hat; namentlich darf er nicht zu schweren Klagen Anlass gegeben oder einen Ausweisungsgrund gesetzt haben (E. 3a und b).
3. Die Verweigerung einer Jahresbewilligung setzt die Vornahme einer Interessenabwägung sowie die Wahrung des Verhältnismässigkeitsgrundsatzes voraus (E. 3c).
4. Es ist widersprüchlich, die Umwandlung der Saisonbewilligung mit der Anrufung eines Fernhaltegrundes zu verweigern, dem Ausländer jedoch erneut eine Saisonbewilligung zu erteilen (E. 4).
 
Sachverhalt
X., geboren 1955, italienischer Staatsangehöriger, arbeitete seit 1985 alljährlich als Saisonnier im Kanton Zürich. Für das Jahr 1990 erteilte ihm die Fremdenpolizei des Kantons Zürich erneut eine Aufenthaltsbewilligung als Saisonnier.
Mit Strafbefehl vom 11. September 1989 verurteilte die Bezirksanwaltschaft Bülach X. in Anwendung von Art. 91 Abs. 1 SVG wegen Fahrens in angetrunkenem Zustand, begangen am 9. April 1989, zu einer Busse von Fr. 500.--.
Am 23. Juni 1989 reichte X. bei der Fremdenpolizei des Kantons Zürich ein Gesuch um Umwandlung seiner Saison- in eine Jahresaufenthaltsbewilligung ein. Am 15. August 1989 bestätigte das Bundesamt für Ausländerfragen, dass X. die zeitlichen Voraussetzungen für eine Umwandlung seiner Saison- in eine Jahresaufenthaltsbewilligung erfülle.
Die kantonale Fremdenpolizei wies das Gesuch jedoch mit Verfügung vom 26. Oktober 1989 aufgrund der Vorstrafe des Gesuchstellers ab.
Gegen diese Verfügung rekurrierte X. am 21. November 1989 an den Regierungsrat des Kantons Zürich. Mit Beschluss vom 24. Januar 1990 wies der Regierungsrat diesen Rekurs ab.
Am 8. März 1990 erhob X. Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Bundesgericht. Er beantragt, der Beschluss des Regierungsrats sei unter Kostenfolge aufzuheben und es sei ihm, X., die Jahresbewilligung zu erteilen. Eventualiter sei die Sache der Fremdenpolizei des Kantons Zürich zur Erteilung der Jahresbewilligung zu überweisen.
In seiner Vernehmlassung vom 18. April 1990 schliesst der Regierungsrat des Kantons Zürich auf Abweisung der Beschwerde. Das Bundesamt für Ausländerfragen beantragt, es sei auf die Beschwerde nicht einzutreten. Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut aus den folgenden
 
Erwägungen:
2. a) Gemäss Art. 100 lit. b Ziff. 3 OG ist auf dem Gebiete der Fremdenpolizei die Verwaltungsgerichtsbeschwerde unzulässig gegen die Erteilung oder Verweigerung von Bewilligungen, auf die das Bundesrecht keinen Anspruch einräumt. Die zuständigen Behörden entscheiden über die Bewilligung des Aufenthalts im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften und der Verträge mit dem Ausland nach freiem Ermessen (Art. 4 des Bundesgesetzes über Aufenthalt und Niederlassung der Ausländer vom 26. März 1931, ANAG; SR 142.20). Damit steht dem Ausländer grundsätzlich kein Anspruch auf die Erteilung der Aufenthaltsbewilligung zu; die Verwaltungsgerichtsbeschwerde ist darum ausgeschlossen, soweit der Ausländer sich nicht auf eine Sondernorm des Bundesrechts oder eines Staatsvertrags berufen kann, die ihm einen Anspruch auf eine solche Bewilligung einräumt.
b) Nach Art. 12 des Abkommens vom 10. August 1964 zwischen der Schweiz und Italien über die Auswanderung italienischer Arbeitskräfte nach der Schweiz (Italienerabkommen; SR 0.142.114.548) wird Saisonarbeitskräften, die sich im Verlaufe von fünf (beziehungsweise neu vier) aufeinanderfolgenden Jahren ordnungsgemäss während mindestens 45 (respektive jetzt 36) Monaten zur Arbeit in der Schweiz aufgehalten haben, auf Gesuch hin eine Jahresbewilligung erteilt, vorausgesetzt, dass sie in ihrem Beruf eine Ganzjahresbeschäftigung finden.
Bereits der Wortlaut dieser Bestimmung ("wird ... erteilt") lässt auf einen Rechtsanspruch auf eine Jahresbewilligung schliessen. Auch in der Botschaft des Bundesrates vom 19. November 1964 war klar die Rede von einem derartigen Anspruch (BBl 1964 II 1008f. sowie 1014). Art. 12 des Italienerabkommens vermittelt demnach einen Anspruch auf die Bewilligungserteilung (BGE 111 Ib 163 f. E. 1a; unveröffentlichter Entscheid vom 1. Dezember 1989 in Sachen C.; PETER KOTTUSCH, Das Ermessen der kantonalen Fremdenpolizei und seine Schranken, in: ZBl 91/1990, S. 158; TONI PFANNER, Die Jahresaufenthaltsbewilligung des erwerbstätigen Ausländers, Diss. St. Gallen 1984, S. 122), weshalb die Verwaltungsgerichtsbeschwerde zulässig ist. Ob die Voraussetzungen zur Umwandlung erfüllt sind, ist im Rahmen der materiellen Prüfung zu entscheiden (vgl. BGE 111 Ib 164 E. 1a).
a) Der Beschwerdeführer beruft sich auf ein unveröffentlichtes Urteil vom 7. August 1986 in Sachen B. Das Bundesgericht hat sich darin zur Auslegung von Art. 28 BVO geäussert und entschieden, dass in diesem Falle, wo es nur um die Frage der Unterstellung unter die Begrenzungsverordnung - und noch nicht um die Erteilung der Aufenthaltsbewilligung - ging, sich der Entscheid über die Ordnungsmässigkeit darauf beschränke, ob der Aufenthalt des Ausländers als Saisonnier in der Schweiz fremdenpolizeilich bewilligt war (vgl. das genannte Urteil in Sachen B., insbesondere E. 2 als Präzisierung von BGE 97 I 534 f. E. 2a).
Im vorliegenden Fall ist dieses Urteil nicht von Bedeutung, denn beim Entscheid über die Bewilligungserteilung nach Art. 12 des Italienerabkommens bildet das fremdenpolizeilich relevante Wohlverhalten des Gesuchstellers immer einen Bestandteil der zu prüfenden Voraussetzungen (Art. 12 in Verbindung mit Art. 10 des Italienerabkommens).
b) Gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung kann bei der Anwendung von Art. 11 des Italienerabkommens - wo es um die Vorzugsbehandlung nach einem ununterbrochenen Aufenthalt von fünf Jahren geht - eine Aufenthaltsbewilligung dann verweigert werden, wenn der Ausländer ein Verhalten offenbart hat, das den Entzug oder den Widerruf einer schon erteilten Aufenthaltsbewilligung rechtfertigen würde; namentlich darf der Ausländer nicht im Sinne von Art. 9 Abs. 2 lit. b ANAG Anlass zu schweren Klagen gegeben oder einen Ausweisungsgrund gemäss Art. 10 Abs. 1 ANAG gesetzt haben (BGE 97 I 534 f. E. 2a und 3a mit Hinweisen; unveröffentlichtes Urteil vom 5. Mai 1976 i.S. M. E. 3). Nichts steht dagegen, diese Regeln auch auf Art. 12 des Italienerabkommens (Umwandlung der Saison- in eine Jahresaufenthaltsbewilligung) anzuwenden.
c) Für die Fälle des Widerrufs und der Nichterneuerung von Aufenthaltsbewilligungen gilt, dass in Analogie zu Art. 11 Abs. 3 ANAG sowie Art. 16 Abs. 3 ANAV - wie bei der Ausweisung - eine Interessenabwägung vorzunehmen beziehungsweise das Verhältnismässigkeitsprinzip zu wahren ist (vgl. BGE 98 Ib 90 E. 3; BGE 93 I 10 E. 4; KOTTUSCH, a.a.O., S. 172). Dabei kommt es wesentlich auf die Bedeutung des verletzten Rechtsgutes, die Tatumstände sowie die persönlichen Verhältnisse des Ausländers an (BGE 98 Ib 89 f. E. 2c; unveröffentlichtes Urteil vom 20. Januar 1983 i.S. A. E. 4).
Die Verweigerung einer Jahresbewilligung in Anwendung von Art. 12 des Italienerabkommens bewirkt in ähnlicher Weise einen Eingriff in eine bundesrechtlich gewährte Rechtsposition. Aus diesem Grunde haben die Behörden ebenfalls in Analogie zu Art. 16 Abs. 3 ANAV eine Interessenabwägung vorzunehmen und den Verhältnismässigkeitsgrundsatz zu beachten. Anderseits handelt es sich nicht um eine Beschränkung einer gültigen Anwesenheitsbewilligung. Ein Fehlverhalten des Ausländers kann in der Interessenabwägung daher strenger beurteilt werden, als wenn - wie etwa bei einer Ausweisung - in bestehende Bewilligungen eingegriffen wird.
b) Aus den Akten ergibt sich, dass das Vergehen des Beschwerdeführers nicht allzu schwer wiegt. Dies geht - ohne dadurch das Delikt der Trunkenheit am Steuer zu bagatellisieren - aus den konkreten Umständen der vom Beschwerdeführer verübten Straftat (nur kurze Fahrstrecke) und seines Verhaltens im Strafverfahren (sofortiges Geständnis und gezeigte Einsicht) hervor. Auch der Strafrichter hat die Tat aus diesen Gründen als nicht schwerwiegend beurteilt. Es handelt sich ferner um ein einmaliges Vorkommnis und es deutet nichts darauf hin, dass der Beschwerdeführer, der über einen unbescholtenen Leumund verfügt und sonst in der Schweiz nie zu Klagen Anlass gegeben hat, erneut straffällig werden könnte.
Nach und in Kenntnis der strafrechtlichen Verurteilung hat die kantonale Fremdenpolizei dem Beschwerdeführer erneut eine Saisonnierbewilligung ausgestellt. Dies war zwar dem Regierungsrat bei seinem Entscheid noch nicht bekannt, doch ist es bei der Interessenabwägung zu berücksichtigen. Die kantonalen Fremdenpolizeibehörden haben sich für die Frage der Umwandlung der Saisonbewilligung auf den Standpunkt gestellt, das Interesse der öffentlichen Ordnung und Sicherheit - namentlich dasjenige an der Zulassung von Ausländern, welche zu keinen Klagen Anlass geben - überwiege die Interessen des vorbestraften Beschwerdeführers. Die Fremdenpolizeibehörden haben sich nun jedoch zu ihrer eigenen Argumentation in Widerspruch gesetzt, denn aus der erneuten Zulassung des Beschwerdeführers als Saisonnier ergibt sich, dass dem angefochtenen Entscheid gerade kein überwiegendes Fernhalteinteresse zugrunde liegt.
c) Eine Abwägung der in Frage stehenden Interessen führt zum Schluss, dass die fremdenpolizeilichen Interessen, die für eine Nichtumwandlung sprechen, gering sind und keineswegs die entgegenstehenden des Beschwerdeführers überwiegen. Die kantonalen Fremdenpolizeibehörden haben sich zudem widersprüchlich verhalten.