BGE 117 Ib 4
 
2. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 14. Januar 1991 i.S. Christoph Merian Stiftung gegen Einwohnergemeinde Birsfelden und Verwaltungsgericht des Kantons Basel-Landschaft (Verwaltungsgerichtsbeschwerde)
 
Regeste
Materielle Enteignung (Art. 5 Abs. 2 RPG); Nichteinzonung eines Grundstücks.
 
Sachverhalt
A.- Die Christoph Merian Stiftung ist seit 1914 Eigentümerin der Parzelle Nr. 203 im Gebiet "Hagnau" in der Gemeinde Birsfelden. Das Areal von 44 324 m2 ist aufgeteilt in eine Steilböschung von gut 8000 m2, welche ungenutzt ist, und ebenes Land von rund 36 000 m2, wo sich Pflanzgärten befinden.
Nach dem Zonenplan vom 29. November 1949 gehörte die Parzelle Nr. 203 zum Landwirtschaftsgebiet. Im Jahre 1955 wurde sie der "allgemeinen Wohnzone" W3 zugewiesen. In dieser Zone waren Einzel- und Reihenhäuser (Wohnbauten, Läden und Wirtschaften) in offener Bebauung zulässig; unter gewissen Bedingungen waren auch Hochbauten gestattet. In den späten siebziger Jahren formierte sich in Birsfelden eine politische Bewegung, welche für die Erhaltung der Familiengärten in der "Hagnau" eintrat. Ein von der Gemeinde ausgearbeiteter Quartierplan für die Überbauung des Areals, welcher vom Einwohnerrat am 25. Oktober 1978 gutgeheissen worden war, wurde in der Volksabstimmung vom 23. September 1979 abgelehnt. Am 26. September 1980 stellte die Christoph Merian Stiftung ein Gesuch für den Bau eines Mehrfamilienhauses auf der Parzelle Nr. 203, worauf der Gemeinderat am 4. November 1980 über das Grundstück eine Bausperre verhängte. Am 10. Dezember 1980 beschloss der Einwohnerrat, den ebenen Teil der Parzelle Nr. 203 der Spezialzone "Familiengärten" und die Steilböschung der Grünzone, welche von einer Aussichtszone überlagert ist, zuzuteilen. Mit Entscheid vom 1. Dezember 1981 wies der Regierungsrat des Kantons Basel-Landschaft eine dagegen eingereichte Einsprache der Christoph Merian Stiftung ab und genehmigte diese Umzonung. Dieser Entscheid erwuchs in Rechtskraft.
B.- Die Christoph Merian Stiftung erhob beim Enteignungsgericht des Kantons Basel-Landschaft gegen die Einwohnergemeinde Birsfelden erfolgreich Klage: Mit Urteil vom 13. November 1986 verpflichtete das Gericht die Gemeinde zur Zahlung von Fr. 16'276'640.-- für die Folgen der Zonenplanänderung sowie von Fr. 32'616.70 für die unnütz gewordenen Planungskosten, beides nebst Zins zu 5% ab Datum der Klageeinreichung. Gegen dieses Urteil gelangte die Einwohnergemeinde an das Verwaltungsgericht des Kantons Basel-Landschaft, welches mit Entscheid vom 13. September 1989 das Vorliegen einer materiellen Enteignung verneinte und den Entscheid des Enteignungsgerichts aufhob.
C.- Gegen dieses Urteil erhob die Christoph Merian Stiftung am 14. Februar 1990 beim Bundesgericht Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Das Bundesgericht weist sie ab, soweit es darauf eintritt.
 
Aus den Erwägungen:
a) Der Zonenplan 1949 teilte das ganze Gemeindegebiet von Birsfelden in verschiedene Zonen für private Bauten, Zonen für öffentliche Werke und Anlagen und in Grünzonen auf; das Waldareal war besonders ausgeschieden. Einzig das Gebiet "Hagnau" wurde nicht in die Ortsplanung einbezogen, aber im Zonenplan 1949 als Landwirtschaftsland eingezeichnet. Die Parzelle Nr. 203 wurde landwirtschaftlich genutzt, der andere Teil der "Hagnau" war mit Pachtgärten belegt. Mit der Zonenplanänderung von 1955 wurde die Parzelle Nr. 203 der Wohnzone W3 zugewiesen.
aa) Nicht bestritten ist, dass die Zonenordnung von 1955 im Sinne des eidgenössischen Raumplanungsgesetzes das Baugebiet vom Kulturland trennte. Indessen fehlt in der Ortsplanung seit damals eine besondere Landwirtschaftszone. Daraus allein darf jedoch nicht geschlossen werden, die kommunale Zonenordnung genüge den Anforderungen des eidgenössischen Raumplanungsgesetzes nicht. Dieses verlangt nicht, dass in jeder Gemeinde alle Nutzungsansprüche zu befriedigen sind. Ob eine Landwirtschaftszone auszuscheiden ist, beurteilt sich nach den gesetzlichen Zonenkriterien (Art. 16 RPG) und aufgrund einer gesamthaften Abwägung und Abstimmung aller räumlich wesentlichen Gesichtspunkte und Interessen (Art. 1 Abs. 1 und Art. 3 RPG; vgl. BGE 114 Ia 368 ff., 374 ff.).
bb) Inhaltlich verlangt das eidgenössische Raumplanungsgesetz, dass die Bauzone auf das mit der zweckmässigen Nutzung des Bodens und der geordneten Besiedlung des Landes zu vereinbarende Mass beschränkt wird (Art. 22quater Abs. 1 BV, Art. 1 und 3 RPG). Bauzonen dürfen demnach höchstens das Land umfassen, das sich für die Überbauung eignet und weitgehend überbaut ist oder voraussichtlich innert 15 Jahren benötigt und erschlossen wird (Art. 15 RPG). Die Zonenordnung der Gemeinde Birsfelden von 1949/1955 widersprach diesen Anforderungen klar. Sie wies insbesondere in der allgemeinen Wohnzone W3 Baulandreserven auf, die ungefähr gleich gross waren wie das bereits überbaute Gebiet. Zwar dürfte die Gemeinde schon damals wegen ihrer Nähe zur Stadt Basel einem erheblichen Siedlungsdruck ausgesetzt gewesen sein. Indessen zeigen sogar die Verhältnisse Ende der siebziger Jahre, dass die 1949/1955 ausgeschiedenen Wohnzonen erheblich überdimensioniert waren und somit den Anforderungen von Art. 15 RPG nicht entsprachen.
cc) Die Gemeinde Birsfelden vertritt die Auffassung, die Einteilung des Landwirtschaftslandes in die allgemeine Wohnzone W3 habe weder dem Zweckartikel des kantonalen Baugesetzes (§ 1 BauG) noch den Zielen und Grundsätzen des Raumplanungsgesetzes (Art. 1 und 3 RPG) entsprochen.
Die raumplanerischen Ziele und Grundsätze verlangen unter anderem die Schaffung und Erhaltung wohnlicher Siedlungen (Art. 1 Abs. 2 lit. b RPG), die Erhaltung von Erholungsräumen (Art. 3 Abs. 2 lit. d RPG), die Ausgestaltung der Siedlungen nach den Bedürfnissen der Bevölkerung (Art. 3 Abs. 3 RPG), insbesondere durch Schutz vor Immissionen (Art. 3 Abs. 3 lit. b RPG), und die Förderung von Grünflächen innerhalb der Siedlungen (Art. 3 Abs. 3 lit. e RPG). Diese Grundsätze sind für die Beurteilung, ob die Zonenordnung von 1949/1955 bundesrechtskonform war, ebenso wichtig wie die Frage der Trennung von Baugebiet und Nichtbaugebiet.
Weshalb die "Hagnau" 1955 in die Wohnzone eingewiesen wurde, geht aus den Akten nicht mit Klarheit hervor. Immerhin ergibt sich aus dem Protokoll der Gemeindeversammlung vom 30. August 1955, an der die Zonenplanänderung traktandiert war, dass zu dieser Zeit mit dem Bau der Autobahn Basel-Liestal, die heute an das Gebiet grenzt, begonnen worden war, und der Vertrag mit dem Pächter, der die Parzelle Nr. 203 landwirtschaftlich nutzte, aufgelöst worden war. An der Gemeindeversammlung wurde verlangt, das Gebiet sei der Grünzone zuzuweisen bzw. mit dem Erlass von Zonenvorschriften sei zuzuwarten. Diese Begehren unterlagen indessen, obwohl offenbar kein konkreter Bedarf an neuen Wohnungen bestand, im Gegenteil die Einzonung lediglich als vorsorglich dargestellt wurde. Die Frage, ob es nach den raumplanungsrechtlichen Zielen und Grundsätzen (Art. 1 und Art. 3 RPG) richtig war, die "Hagnau" der Bauzone zuzuweisen, kann aber letztlich offenbleiben, da die Aufnahme in die Wohnzone jedenfalls gegen Art. 15 RPG verstiess. Trotzdem darf festgehalten werden, dass nach Art. 1 und 3 RPG in Gemeinden wie Birsfelden, die über kein Landwirtschaftsgebiet und über wenig Wald verfügen, die Schaffung von Erholungs- und Grünzonen besonders angebracht ist.
b) Zusammengefasst entsprach die Zonenordnung von 1949/1955 inhaltlich nicht dem eidgenössischen Raumplanungsgesetz.
Es braucht daher nicht geprüft zu werden, ob sie verfahrensmässig den Grundsätzen des Bundesrechts genügte, d.h. insbesondere, ob sie entsprechend den Demokratie- (Art. 4 RPG) und Rechtsschutzanforderungen (Art. 33 f. RPG) zustande gekommen ist, ob also das ordentliche (kommunale) Planungsorgan (vgl. Art. 25 Abs. 1 RPG) die Bauzone mit kantonaler Genehmigung (Art. 26 RPG) beschlossen hat.
c) Handelte es sich bei der Zonenordnung von 1949 und der Zuweisung der Parzelle Nr. 203 zur allgemeinen Wohnzone im Jahre 1955 nicht um raumplanerische Festlegungen nach den Grundsätzen des eidgenössischen Raumplanungsgesetzes, so stellt die Einweisung der Parzelle Nr. 203 in die Zone "Familiengärten" bzw. Grün- und Aussichtszone anstatt in eine Wohnzone nicht eine Auszonung, sondern eine Nichteinzonung dar. Zwar handelt es sich nicht um eine Nichteinzonung im Sinne einer Zuweisung zur Landwirtschaftszone, denn die Spezialzone "Familiengärten" ist nicht Teil der Landwirtschaftszone, sondern eine "weitere Nutzungszone" (Art. 18 Abs. 1 RPG), und die Grünzone mit überlagerter Aussichtszone ist entweder eine Schutzzone (Art. 17 RPG) oder ebenfalls eine kantonalrechtliche Nutzungszone (Art. 18 Abs. 1 RPG). Indessen ist für den Grundeigentümer die Wirkung der Zuweisung zu einer solchen Zone ähnlich wie diejenige einer Zuweisung zur Landwirtschaftszone, weil die Parzelle nicht für Privatbauten genutzt werden kann. Das Bundesgericht spricht deshalb auch von einer "Nichteinzonung", wenn eine erstmalige Zuweisung zu einer Zone für öffentliche Bauten und Anlagen erfolgt, d.h. zu einer Zone, die für öffentliche, nicht aber für private Bauten bestimmt ist (BGE 114 Ib 117 ff., E. 3 bis 5; BGE 114 Ib 292 E. 4; BGE 112 Ib 487 f. E. 4a).