BGHSt 16, 220 - Vermögensschaden beim Betrug
Fehlt der Kaufsache die vom Verkäufer fälschlich zugesicherte Eigenschaft, so kann der Käufer durch den Abschluß des Vertrags auch dann geschädigt sein, wenn die Sache - ohne die zugesicherte Eigenschaft - den vereinbarten Preis wert ist; er ist es jedoch nicht stets und unter allen Umständen.
StGB § 263
1. Strafsenat
 
Beschluß
vom 18. Juli 1961 g.R.
- 1 StR 606/60 -
I. Amtsgericht Reutlingen
II. Landgericht Tübingen
III. Oberlandesgericht Stuttgart
 
Gründe:
 
I.
Der Angeklagte, der einen Textilhandel betrieb, kündigte in der Zeitung den Verkauf von rein wollenen Gabardinehosen, das Paar zu 26,- DM an und verkaufte zu diesem Preis eine solche Hose unter der mündlich wiederholten Zusicherung, sie sei aus reiner Wolle gefertigt. Tatsächlich bestand die Hose, wie er wußte, aus Zellwolle. Der Käufer, selbst Textilfachmann, erkannte das. Gleichwohl erwarb er die Hose, weil es ihm darauf ankam, den Angeklagten des unlauteren Wettbewerbs zu überführen.
Amts- und Landgericht haben in diesem Sachverhalt - außer einem Vergehen gegen § 4 UnlWG - einen Betrugsversuch gefunden. Dabei haben beide Gerichte dem Umstand keine Bedeutung beigemessen, daß die Hose in ihrer tatsächlichen Beschaffenheit, ohne die zugesicherte Eigenschaft, den vereinbarten Preis wert war, weil zellwollene Gabardinehosen damals allgemein so viel kosteten. Dagegen erachtet das Oberlandesgericht in Stuttgart, das der Angeklagte mit der Revision angerufen hat, jenen Umstand als ausschlaggebend für die Frage, ob dem Käufer überhaupt ein Vermögensschaden entstanden ist. Es will sie verneinen, sieht sich daran jedoch gehindert durch das Urteil des Oberlandesgerichts in Köln NJW 1959, 1980 Nr. 18, in dem ausgesprochen ist, der Käufer einer Ware sei unabhängig von ihrem Wert und ohne Rücksicht auf die Verwendbarkeit für ihn - schon dann durch den Vertrag betrügerisch geschädigt, wenn der Ware die vom Verkäufer fälschlich zugesicherte Eigenschaft fehlt. Das Oberlandesgericht in Stuttgart hat daher die Sache dem Bundesgerichtshof zur Entscheidung vorgelegt.
 
II.
Die Vorlegung ist zulässig. Zwar kommt es, da es sich um keine vollendete Tat, sondern um einen Betrugsversuch handelt, nicht darauf an, ob dem Käufer tatsächlich ein Vermögensschaden entstand, sondern darauf, ob dies nach der Vorstellung des Angeklagten geschah. Das verlegt die Vorlegungsfrage indes bloß von der äußeren Tatseite auf die innere, läßt sie aber selbst unberührt.
 
III.
Der Senat tritt dem vorlegenden Gericht bei.
1. In der Rechtsprechung steht fest: Der Betrug ist kein bloßes Vergehen gegen die Wahrheit und das Vertrauen im Geschäftsverkehr, sondern eine Vermögensstraftat. Nicht die Täuschung an und für sich, sondern die vermögensschädigende Täuschung ist strafbar (RGSt 74, 167 ff; BGHSt 3, 99; BGH Urt. vom 9. Juni 1959 - 1 StR 4/58 - (S. 38), insoweit in BGHSt 13, 140 nicht abgedruckt).
Vermögen ist die Summe aller geldwerten Güter nach Abzug der Verbindlichkeiten. Vermögensschaden beim Betrug ist die Vermögensminderung infolge der Täuschung, also der Unterschied zwischen dem Wert des Vermögens vor und nach der Vermögensverfügung des Getäuschten (RGSt 16, 1). Beim Betrug durch Abschluß eines Vertrages, wie er hier in Rede steht, ergibt ein Vergleich der Vermögenslage vor und nach dem Vertragsschluß, ob ein Vermögensschaden eingetreten ist. Zu vergleichen sind demnach die beiderseitigen Vertragsverpflichtungen (RGSt 73, 382; RG HRR 1941, 169; BGH Urt. vom 22 April 1952 - 1 StR 384/51 - bei Dallinger MDR 1952, 409). Nur wenn der Anspruch auf die Leistung des Täuschenden in seinem Wert hinter der Verpflichtung zur Gegenleistung des Getäuschten zurückbleibt, ist dieser geschädigt. Entsprechen sich die beiden Werte, dann ist sein Vermögen nur in den Bestandteilen verändert, im Werte aber ausgeglichen (RGSt 28, 310; RG JW 1927, 615 Nr. 8; BGHSt 3, 99; BGH LM StGB § 263 Nr. 5 und 26).
Der Wert eines Vermögens bemißt sich nicht nach der persönlichen Einschätzung seines Inhabers (RGSt 73, 382; 76, 49; RG DR 1942, 1145 Nr. 15; BGH MDR 1952, 409 a.a.O.). Da es in seinen Bestandteilen ständigem Wechsel unterworfen ist, insbesondere auch solchem rechtsgeschäftlicher Art, beeinflußt es seinen Wert maßgeblich, wie ihn andere einschätzen, im Handel, im Gewerbe oder sonst im Rechtsverkehr. Mindestens für Umlaufvermögen, wie es hier in Betracht kommt, gilt, daß es nicht den verlangten, gebotenen oder vereinbarten, sondern den nachhaltig erzielbaren Preis wert ist.
Solche allgemeineren Maßstäbe bestimmen daher auch die Antwort auf die Frage, ob jemand durch einen Vertrag betrügerisch an seinem Vermögen geschädigt ist. Freilich entscheiden sie nicht allein. Nicht jeder Vermögensgegenstand hat gleichen Wert für jedermann. Vor allem kann der Gebrauchswert je nach den Lebensverhältnissen des einzelnen verschieden sein. Was für den einen von hohem Nutzen und dementsprechend wertvoll ist, kann für den anderen unbrauchbar und wertlos oder doch im Werte herabgesetzt sein. Solche besonderen Umstände darf die Bewertung gerechterweise nicht außer acht lassen. Daher kann der Käufer einer Sache, sofern Umstände dieser Art gegeben sind, trotz Gleichwertigkeit von Leistung und Gegenleistung geschädigt sein. Auch dabei entscheidet jedoch nicht die persönliche Einschätzung des Betroffenen, sondern das vernünftige Urteil eines unbeteiligten Dritten (RGSt 16, 1 [7 ff.]; 76, 49; RG JW 1927, 1693 Nr. 22; BGHSt 3, 99; BGH LM StGB § 263 Nr. 24 und 50; BGH MDR 1952, 409; BGH Urt. vom 4. Mai 1960 - 2 StR 367/59 - (S. 16), vom 14. Februar 1956 - 5 StR 15/56 - und vom 28. Februar 1961 - 5 StR 467/60-).
An diesen Rechtsgrundsätzen, die das Oberlandesgericht in Stuttgart in dem Vorlegungsbeschluß zutreffend dargelegt hat, hält der Senat fest. Danach wird zwar regelmäßig betrügerisch geschädigt sein, wer eine Sache auf die falsche Zusicherung einer bestimmten Eigenschaft hin käuflich erwirbt. Denn gewöhnlich wird die Sache, wenn ihr die zugesicherte Eigenschaft fehlt, in ihrer Brauchbarkeit und demgemäß in ihrem wirtschaftlichen Wert für ihn gemindert oder gar unverwendbar und deshalb überhaupt wertlos sein. Das kann selbst dann zutreffen, wenn die Sache in ihrer tatsächlichen Beschaffenheit, ohne die zugesicherte Eigenschaft, ihren Preis wert ist. Dann müssen aber besondere Gründe für eine solche Annahme gegeben sein. Schlechthin und unter allen Umständen, allein deswegen, weil der gekauften Sache eine vom Verkäufer betrügerisch zugesicherte Eigenschaft fehlt, kann der Käufer nicht als geschädigt angesehen werden, sofern die Sache ohne die zugesicherte Eigenschaft einen Wert hat, der dem Kaufpreis entspricht. In solchen Fällen besteht auch - unter dem Gesichtspunkt des Betruges - kein Strafbedürfnis, sei es, daß (wie hier) in anderer Weise hinreichender Strafschutz besteht, sei es, daß schon bürgerlich-rechtliche Regeln (§§ 123, 459 Abs. 2 BGB) den Getäuschten ausreichend sichern. Der Vorlegungsfall ist ein Beispiel dafür. Dem Käufer war es hier gerade darum zu tun, die Hose in ihrer tatsächlichen Beschaffenheit, ohne die zugesicherte Eigenschaft zu erwerben. Sonst wäre sein Vorhaben mißlungen, den Angeklagten des unlauteren Wettbewerbs zu überführen.
2. Die Ansicht des Oberlandesgerichts in Köln, die auch der Generalbundesanwalt der Sache nach verfochten hat, läuft auf eine Änderung des Straftatbestandes des § 263 StGB hinaus. Sie deutet das Merkmal der betrügerischen Vermögensschädigung in die Vereitelung einer Vermögensvermehrung um. Wie Reichsgericht und Bundesgerichtshof stets betont haben, genügt es jedoch für § 263 StGB nicht, daß sich der Käufer durch die Täuschung um den erwarteten Vorteil gebracht sieht. Vielmehr kommt es darauf an, ob er aus dem Bestand seines Vermögens durch den Vertrag mehr weggibt als zurückerhält (RGSt 9, 362; BGH Urt. vom 17. April 1958 - 5 StR 614/57). Das trifft in Fällen der hier vorliegenden Art nicht zu. Vor Abschluß des Vertrages stehen dem Käufer keine irgendwie gearteten Rechte auf Lieferung der Sache mit der zugesicherten Eigenschaft zu. Entgegen der Ansicht des Oberlandesgericht in Köln erwirbt er durch eine vorvertragliche "Zusicherung" der Eigenschaft auch keine rechtliche Anwartschaft auf eine solche Leistung. Er erlangt nicht einmal eine tatsächliche Anwartschaft auf sie. Jedenfalls wäre diese nicht von solcher Gewißheit, daß sie seinem Vermögen zugerechnet werden könnte, wie das das Reichsgericht in dem Urteil RGSt 73, 382 für einen in sicherer Aussicht stehenden ordnungsmäßigen Vertragsabschluß des Getäuschten mit einem Dritten angenommen hat; denn der Verkäufer sichert die Eigenschaft betrügerisch zu. Hiernach büßt der Käufer durch den Vertrag nichts von seinem Vermögensbestande ein. Dieser verändert sich bloß nicht in der erwarteten Weise; der etwa erhoffte Vermögenszuwachs bleibt aus.
Dabei führt auch die Erwägung nicht weiter, daß beim Handkauf (wie er hier gegeben ist) Verpflichtungsgeschäft und Erfüllungsgeschäft tatsächlich zusammenfallen. Denn die Täuschung und die sich bis zum Eintritt des Vermögensschadens anschließende Ursachenkette darf nicht vom Verpflichtungsgeschäft auf das Erfüllungsgeschäft verlegt werden. Das würde den Betrugstatbestand. verändern (RGSt 74, 129 [130]).
Der Senat kann ferner nicht der Ansicht des Generalbundesanwalts folgen, beim Betrug durch einen gegenseitigen Vertrag sei die Frage des Vermögensschadens nach dem Wertmaßstab zu beurteilen, den die Vertragsschließenden selbst kraft der Vertragsfreiheit festsetzten: daß nämlich Leistung und Gegenleistung einander entsprechen müßten. Immer, wenn dies nicht zutreffe, sei der betroffene Vertragsteil geschädigt. Diese Meinung führt einmal zu neuen Schwierigkeiten. Für nichtige, z.B. wucherische Verträge will der Generalbundesanwalt selbst die Wertvereinbarung der Parteien nicht gelten lassen; er hat offen gelassen, was für ein Maßstab dann angelegt werden soll. Es bestehen aber auch Bedenken, eine anfechtbare oder sonst rechtlich nicht einwandfreie Wertvereinbarung zum gültigen Wertmesser zu nehmen; dann würden die Fälle des Betruges nicht erfaßt, für die sie gerade gelten soll. Zum anderen kommt jene Ansicht darauf hinaus, den Preis einer Ware ihrem Wert gleichzusetzen. Das geht nicht an. Beide Begriffe haben zwar manches gemeinsam, sind aber verschieden und folgen auch nicht durchweg gleichen wirtschaftlichen Gesetzen. Willkürlicher Vereinbarung ist nur der Preis unterworfen; der Wert entzieht sich ihr. Er ist der Einzelvereinbarung vorgegeben und besteht unabhängig von ihr. Für dieselbe Ware gibt es billige, angemessene und teure Preise. Nicht selten wird eine Sache unter ihrem Wert veräußert, z.B. bei Not- oder Zwangsverkäufen. Häufig erbringt ein Verkauf unter Ausnutzung besonders günstiger Umstände einen Preis, der durch den Sachwert nicht gerechtfertigt ist. Daher ist die Parteivereinbarung kein gültiger Wertmesser. An ihr kann, ob ein Vermögensschaden eingetreten ist, ebensowenig abgelesen werden wie an dem Empfinden des getäuschten Vertragsteils, geschädigt zu sein. Unannehmbar wäre auch die Folge, daß der Käufer beim Fehlen der zugesicherten Eigenschaft selbst dann als geschädigt angesehen werden müßte, wenn die Sache weit mehr als den vereinbarten Preis wert ist.
Das Urteil vom 4. Dezember 1958 - 4 StR 312/58 - steht mit der hier vertretenen Auffassung im Einklang. Für die Ansicht des Generalbundesanwalts gibt es nichts her. Es geht davon aus, daß der eine Vertragsteil das Recht auf vertragsmäßige Erfüllung bereits erworben hatte, betrifft also, wie es auch ausdrücklich erwähnt, einen Erfüllungsbetrug und mithin einen anderen Fall als hier.
Demnach ist die Vorlegungsfrage im Sinne des Vorlegungsbeschlusses zu entscheiden. Damit stimmt der vom Generalbundesanwalt vorgeschlagene Entscheidungssatz sachlich überein.