BGHSt 41, 206 - Holzschutzmittel
Anforderungen an die Feststellung eines wissenschaftlich noch ungeklärten Ursachenzusammenhanges zwischen chemischen Substanzen und Gesundheitsschäden.
StGB vor § 1, § 13, § 230; StPO § 261
2. Strafsenat
 
Urteil
vom 2. August 1995 g.S.u.H.
- 2 StR 221/94 -
Landgericht Frankfurt/Main
 
Gründe:
I.
Das Landgericht hat die Angeklagten wegen fahrlässiger Körperverletzung in Tateinheit mit fahrlässiger Freisetzung von Giften zu Freiheitsstrafen von je einem Jahr verurteilt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Gegen dieses Urteil haben sowohl die Angeklagten als auch die Staatsanwaltschaft Revision eingelegt.
Das Rechtsmittel der Angeklagten hat Erfolg, die Revision der Staatsanwaltschaft ist unbegründet.
II.
Der Angeklagte S. war in der Zeit vom 12. Oktober 1972 bis zum 1. April 1987 technischer Geschäftsführer der Firma D. (Firma D.). Der Angeklagte H. ist seit dem 1. April 1977 kaufmännischer Geschäftsführer dieser Firma. Diese befaßte sich im wesentlichen mit der Herstellung und dem Vertrieb von Holzschutzmitteln. Diese Produkte enthielten zunächst unter anderem die bioziden Inhaltsstoffe Pentachlorphenol (PCP) und Lindan.
Das Landgericht hat die Überzeugung gewonnen, daß durch Holzschutzmittel, die die Angeklagten nach dem 1. Januar 1978 in Verkehr brachten (so Xyladecor 200 mit dem Wirkstoff Lindan) oder die sie bereits vorher in Verkehr gebracht hatten und deren Verwendung im Innenbereich sie nicht verhinderten (so Xyladecor mit dem Wirkstoff PCP und Lindan) 29 Personen körperliche Schäden erlitten haben.
Das Landgericht hat nach Vernehmung verschiedener Sachverständiger einen Ursachenzusammenhang zwischen den bioziden Inhaltsstoffen der Holzschutzmittel und den Gesundheitsschäden festgestellt und wie folgt erklärt:
Die giftigen Stoffe unterlägen aufgrund des ihnen anhaftenden Dampfdrucks über Jahre hinweg der Ausgasung im Sinne einer dynamischen Nachdiffusion. Nach Verwendung in Innenräumen seien die Bewohner einer andauernden Schadstoffbelastung im Niedrigdosisbereich ausgesetzt. Die ausgasenden Giftstoffe würden in erster Linie inhalativ über Raumluft und Staubpartikel, kutan über die getragenen Textilien sowie auch oral über eine Sekundärverunreinigung der Lebensmittel aufgenommen. Sie würden im Körper in erheblichen Mengen angesammelt und in die dort vorhandenen Lipiddepots abgelagert. Lindan und PCP seien sogenannte lipophile Stoffe, die kein primäres Zielorgan schädigten, sondern sich in nahezu allen fetthaltigen Verteilungsräumen des Organismus ablagerten. Betroffen seien neben dem eigentlichen Fettgewebe auch die fettähnlichen Gewebe wie das Gehirn, das zentrale und das periphere Nervensystem. Die Substanzen veränderten die Zellstrukturen im gesamten Organismus. Sie gelangten auch in die Zellmembrane, da dort fettähnliche oder lipophile Bestandteile vorhanden seien. Es komme zu einer Hemmung der für den Stoffwechsel verantwortlichen Enzyme und einer Reduktion der Zellaktivität. PCP führe außerdem zu einem Zusammenbruch der Zellatmung und damit der Energieversorgung der betroffenen Zellen.
Die genannten Wirkungen würden durch körpereigene Entgiftungsvorgänge verstärkt. Für das Ausscheiden der Giftstoffe stelle der Organismus einen spezifischen Fremdstoffwechsel zur Verfügung, der die Gifte in wasserlösliche Stoffe umwandle. Die erste Phase des in zwei Stufen verlaufenden Entgiftungsprozesses diene dabei dazu, die Reaktionsfähigkeit der Fremdsubstanzen zu erhöhen, wobei häufig deren Toxizität zunehme. Erst in einer zweiten Phase komme es zur Entgiftung im eigentlichen Sinne. Während eine Substanz, die auf oralem Wege über den Magen-Darm-Trakt aufgenommen werde, schon in der Leber ohne nennenswerte Diffusion ins Gewebe in ausscheidbare Produkte umgewandelt und alsbald ausgeschieden werde, wanderten die inhalativ und kutan zugeführten toxischen Wirkstoffe ohne vorherige Passage der Leber über Lunge und Herzkammern zunächst in das Gehirn. Dies führe dazu, daß die Substanzen sich über den gesamten Organismus verteilten, längere Zeit in ihrer Ausgangsform bestehen blieben und so ihre beeinträchtigende Wirkung entfalteten. Die toxischen Belastungen bewirkten Disregulationen des Immunsystems. Es komme zu Defekten der "T- Zellen", den zentralen Instrumenten der Immunabwehr. Die immunsuppressive Wirkung der Gifte biete einen nachvollziehbaren Erklärungshorizont für die teilweise gravierenden, rezidivierenden Infekte, bei den Geschädigten. Die Vielzahl der im übrigen festgestellten Krankheitssymptome, insbesondere die Allgemeinbeschwerden, die endokrinologischen und neuralen Schädigungen fänden ihre Erklärung hingegen bereits darin, daß die Giftstoffe ihre zellschädigende Wirkung auf dem aufgezeigten Wege im gesamten Organismus entfalten. Das Verbleiben neuraler Schäden trotz Expositionsbeendigung beruhe darauf, daß geschädigte Nervenzellen nicht erneuert werden könnten.
Die Strafkammer stützt sich für den Nachweis eines Kausalzusammenhanges zwischen Holzschutzmittelexposition und Gesundheitsschädigung - ebenso wie die zu den Einzelfällen vernommenen Sachverständigen - vor allem auch auf folgende Indizien:
a) Die Erkrankungen traten bei den Bewohnern von Häusern auf, in denen das Holzschutzmittel in erheblichem Umfang im Innenbereich verstrichen worden war.
b) Vor der Verwendung der Holzschutzmittel und vor dem Einzug in die Wohnungen waren die Geschädigten gesund.
c) Erste Beeinträchtigungen traten bereits bei dem Verstreichen des Holzschutzmittels und alsbald nach dem Einzug auf. In der ersten Phase waren dies Bindehautentzündungen, Störungen im Hals- Nasen-Ohren-Bereich, verzögerte Wundheilung, Hautveränderungen, Durchfall, ständiges Unwohlsein und Kopfschmerzen. Bei fortgesetzter dauernder Exposition kam es im Lauf der Jahre zu systemischen Schäden. Betroffen waren das Immunsystem sowie endokrinologische und neurovegetative Funktionen. Die Betroffenen litten immer wieder an bakteriellen und viralen Erkrankungen sowie an allgemeiner Antriebs- und Leistungsschwäche, verbunden mit neuralen Störungen, die sich unter anderem in Gedächtnis- , Sprachfluß- und Wortfindungsstörungen äußerten. Von den gesundheitlichen Beeinträchtigungen waren besonders Kinder im Alter zwischen 2 und 8 Jahren betroffen, die seit ihrer Geburt der Wirkung des Holzschutzmittels ausgesetzt waren.
d) Nach Auszug aus den mit Holzschutzmitteln behandelten Wohnräumen oder nach Entfernung der Holzschutzmittel trat alsbald eine deutliche Besserung des Allgemeinbefindens bei den Geschädigten ein. Der Gesundheitszustand verbesserte sich dann allgemein. Bestehen blieben allerdings regelmäßig die neuralen Störungen. Wurde das Holzschutzmittel nur teilweise oder unzureichend entfernt, so trat eine Besserung nicht in gleicher Weise ein. Eine Sanierung der Räume wirkte sich auch erkennbar positiv auf Haustiere und Pflanzen aus, die vorher unter der Ausgasung der Holzschutzmittel gelitten hatten.
III.
Die Rechtsmittel der Angeklagten haben mit einer Verfahrensrüge Erfolg. Das angefochtene Urteil leidet zudem an einem sachlich-rechtlichen Mangel, der ebenfalls zur Urteilsaufhebung führen muß:
1. Verfahrensrüge
Die Revision beanstandet zu Recht die Zurückweisung eines Gesuchs, mit dem die Angeklagten den Sachverständigen Prof. Dr. Hu. wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt haben.
In der Hauptverhandlung vom 22. Juli 1992 haben die Angeklagten diesen Sachverständigen abgelehnt und ihren Antrag unter anderem damit begründet, der Sachverständige habe in einem Brief an die Staatsanwaltschaft vom 10. August 1990 seine "Betroffenheit" darüber geäußert, daß das Verfahren gegen die Angeklagten mit Beschluß vom 20. Juli 1990 nicht eröffnet worden war. Der Sachverständige habe die Staatsanwaltschaft in diesem Brief zur Fortführung der Ermittlungen ermutigt. Der genannte Brief hat folgenden Wortlaut:
"(...) betroffen habe ich über die Presse erfahren, daß die Anklage wegen giftiger Substanzen in Holzschutzmitteln gegen die Geschäftsführer gegen die beiden marktführenden Hersteller gescheitert ist und die Eröffnung des Hauptverfahrens abgelehnt wurde. Dies - so in der Frankfurter Rundschau vom 3.8.90 - mit der Begründung: "Nach dem derzeitigen Erkenntnisstand über schwerwiegende Gesundheitsstörungen durch Holzschutzmittel mit bioziden Stoffen sei keine Verurteilung wegen Körperverletzung zu erwarten. Ich möchte Sie aus meiner fachlichen Betroffenheit heraus ausdrücklich ermutigen, an diesem Verfahren nicht locker zu lassen. Aus meinen klinischen Beobachtungen von in der Zwischenzeit mehr als 80 Holzschutzmittel-Geschädigten kann ich die Begründung des Gerichts in keiner Weise nachvollziehen. Vielmehr möchte ich Ihnen einen von Professor G. und mir verfaßten Leserbrief, Stand 4/90 zusenden und Ihnen, sofern Sie dies wünschen, auch meine weitere fachliche Hilfe anbieten."
Das Landgericht hat die Ablehnungsanträge gegen den Sachverständigen zurückgewiesen und in dieser Entscheidung unter anderem ausgeführt:
Dem Schreiben, das aus einer Zeit vor der Bestellung als gerichtlicher Sachverständiger liege, fehle der Respekt vor gerichtlichen Entscheidungen, die der eigenen Meinung nicht entsprechen. Es enthalte eine Mißachtung des Beschlusses der Kammer, den der Sachverständige zum damaligen Zeitpunkt offenbar nicht vollständig gekannt habe.
Zwar sei die subjektive Sicht der Angeklagten verständlich, rate der Sachverständige doch dazu, an den sie betreffenden Verfahren nicht locker zu lassen. Aus der Sicht eines vernünftigen Angeklagten ergebe sich ein Ablehnungsgrund daraus gleichwohl nicht. Bei objektiver Würdigung könne nicht der Eindruck entstehen, daß es dem Sachverständigen aus einer irgendwie gearteten Voreingenommenheit auf die Verurteilung der Angeklagten ankäme.
Die Zurückweisung des Ablehnungsgesuchs durch das Gericht ist rechtsfehlerhaft.
Ein Sachverständiger kann gemäß § 74 Abs. 1 Satz 1 StPO aus denselben Gründen, die zur Ablehnung eines Richters berechtigen, abgelehnt werden. Bereits aus dieser Gleichstellung ergibt sich, daß an die Unparteilichkeit eines Sachverständigen hohe Anforderungen zu stellen sind. Das Gutachten eines Sachverständigen kann prozeßentscheidende Bedeutung erlangen.
Vom Sachverständigen, der auf seinem Fachgebiet ein besonderes, nicht allgemein verfügbares Wissen besitzt und mit dieser Sachkunde das Gericht bei der Wahrheitserforschung im zu entscheidenden Fall unterstützen soll, wird wie vom Richter - erwartet, daß er die ihm obliegende Aufgabe unparteiisch erfüllt. Deshalb kann auch er - wie der Richter - abgelehnt werden, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Mißtrauen hinsichtlich seiner Unparteilichkeit zu rechtfertigen.
Ein solcher Grund liegt in der Regel nicht vor, wenn sich der Sachverständige im Rahmen seiner Berufsausübung, etwa in Publikationen, bei Lehrveranstaltungen oder auf Fachtagungen, zu einer Frage aus seinem Fachgebiet allgemein äußert oder hierzu im Rahmen der Erstattung eines Gutachtens besonders Stellung nimmt. Innerhalb dieses Rahmens abgegebene Äußerungen rechtfertigen die Besorgnis seiner Befangenheit grundsätzlich nicht, mag der Sachverständige dabei auch eine wissenschaftliche Meinung vertreten, die sich in einem anhängigen Strafverfahren zum Nachteil des Angeklagten auswirken würde.
Anders verhält es sich aber dort, wo der Sachverständige außerhalb des beschriebenen Rahmens eine Initiative ergreift, mit der er eine für den Angeklagten günstige Entscheidung kritisiert und deren Abänderung anstrebt.
Für die Prüfung der Frage, ob der Tatrichter ein Ablehnungsgesuch gegen einen Sachverständigen rechtsfehlerfrei zurückgewiesen hat, gelten die Grundsätze des Revisionsverfahrens. Bei der Beurteilung, ob eine bestimmte Tatsache vom Standpunkt eines vernünftigen Angeklagten die Besorgnis der Befangenheit begründet, handelt es sich jedoch um die Entscheidung einer Rechtsfrage. Dem Tatrichter ist kein vom Revisionsgericht zu beachtender Ermessensspielraum eingeräumt (vgl. BGHSt 8, 226 f.).
Im vorliegenden Verfahren hat der Sachverständige nicht nur die Entscheidung des Landgerichts kritisiert, sondern die Staatsanwaltschaft ausdrücklich "ermutigt", das Verfahren gegen die Angeklagten weiterzubetreiben, und ihr dafür zudem seine Hilfe angeboten. Damit hat er - auch für einen verständigen Angeklagten - den Eindruck der Parteilichkeit erweckt. Unerheblich ist es, ob ihm an einer Verurteilung der Angeklagten gelegen war, oder ob er nur bestrebt war, seinen wissenschaftlichen Erkenntnissen in dem Strafverfahren Geltung zu verschaffen. Maßgebend ist, daß die Angeklagten den Eindruck haben mußten, der Sachverständige betreibe ihre Verurteilung und sei deshalb nicht mehr in seinem Urteil offen.
Das Landgericht hat in seinem Beschluß, mit dem es den Befangenheitsantrag der Angeklagten abgelehnt hat, die "subjektive Sicht" der Angeklagten von der Befangenheit des Sachverständigen denn auch als "verständlich" beschrieben. Wenn es dann dennoch zu dem Ergebnis kommt, aus der Sicht eines "vernünftigen" Angeklagten ergebe sich ein Ablehnungsgrund nicht und "bei objektiver Würdigung" könne nicht der Eindruck entstehen, dem Sachverständigen käme es auf eine Verurteilung der Angeklagten an, dann ist diese Begründung widersprüchlich und beruht auf einem rechtsfehlerhaften Verständnis von den Voraussetzungen der §§ 74, 24 StPO.
Auf der fehlerhaften Ablehnung des Befangenheitsgesuchs kann das angefochtene Urteil beruhen. Das Landgericht stützt sich bei der Beurteilung der Frage, ob die Erkrankungen der Geschädigten generell auf die in den Wohnräumen verwendeten Holzschutzmittel der Firma D. zurückgeführt werden können, im wesentlichen auch auf die Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. Hu. zu den Auswirkungen einer Holzschutzmittelexposition auf das Immunsystem. Darüberhinaus hat der Sachverständige Prof. Dr. Hu. in Einzelfallgutachten bei 16 Geschädigten einen Ursachenzusammenhang zwischen der Holzschutzmittelexposition und den Erkrankungen bejaht.
2. Sachrüge
Die Angeklagten beanstanden mit der Sachrüge vor allem die Beweiswürdigung zur allgemeinen Wirkungsweise der bioziden Inhaltsstoffe von Holzschutzmitteln.
Sie rügen, die Feststellungen des Landgerichts hierzu stünden im Widerspruch zu gesicherten naturwissenschaftlichen Erfahrungssätzen. Zumindest im Bereich der Giftexposition im Niedrigdosisbereich sei ein konkreter Wirkungszusammenhang zwischen den bioziden Inhaltsstoffen der Holzschutzmittel und den unter den Begriff "Holzschutzmittelsyndrom" zusammengefaßten Gesundheitsstörungen wissenschaftlich nicht geklärt, geschweige denn nachgewiesen.
Was das Landgericht unter Berufung auf die Sachverständigen Prof. Dr. W. und Prof. Dr. Hu. zu den Auswirkungen der bioziden Inhaltsstoffe der Holzschutzmittel auf die Zellfunktion bei Exposition im Niedrigdosisbereich festgestellt habe, werde in dieser Form nicht nur von keinem anerkannten Wissenschaftler aus den Bereichen der Toxikologie und Immunologie akzeptiert, sondern laufe den gesicherten Erkenntnissen dieser Wissenschaften kraß zuwider. Gehe es um die Klärung naturwissenschaftlicher Gesetzlichkeiten, so müsse die persönliche Überzeugung des Tatrichters auch dann zurücktreten, wenn eine abschließende naturwissenschaftliche Klärung der entsprechenden Fragen bisher noch nicht erfolgt sei. Ebenso wie in der Rechtsprechung anerkannt sei, daß gesicherten wissenschaftlichen Erfahrungssätzen eine Beweiskraft zukomme, die jeden Gegenbeweis im Einzelfall und jede entgegengesetzte tatrichterliche Beweiswürdigung ausschließe, könne in der betreffenden Naturwissenschaft ein Forschungsgegenstand noch so sehr als ungeklärt gelten, daß dieses "non liquet" auch für den Strafrichter gelten müsse.
Die Sachrüge ist im Ergebnis begründet.
Der Senat muß nicht entscheiden, ob sich das Landgericht bei der Feststellung eines Ursachenzusammenhanges zwischen der Verwendung biozider Inhaltsstoffe von Holzschutzmitteln und Gesundheitsbeeinträchtigungen auf Sachverständige gestützt hat, die in ihren Gutachten gesicherte wissenschaftliche Erfahrungssätze mißachtet haben. Die Sachrüge ist bereits deshalb begründet, weil das Landgericht sich auf "Erkenntnisse neuerer medizinischer Forschung" stützt, ohne die gegen diese Erkenntnisse in der Wissenschaft geäußerte Kritik in dem gebotenen Umfang darzustellen und sich mit ihr sachlich auseinanderzusetzen.
Der Senat vermag allerdings der Ansicht der Verteidigung nicht zu folgen, daß der Tatrichter unter Beachtung des Zweifelssatzes Kausalzusammenhänge dann nicht feststellen dürfe, wenn deren Existenz und Ablauf naturwissenschaftlich noch nicht geklärt, sondern umstritten ist.
Es ist nicht Aufgabe des Tatrichters, mit den Untersuchungsmethoden der Naturwissenschaften neue Erkenntnisse, insbesondere naturwissenschaftliche Erfahrungssätze zu gewinnen oder zu widerlegen. Der Tatrichter hat vielmehr nach den Regeln des Prozeßrechts und mit den dafür vorgesehenen Beweismitteln, zu denen zum Beispiel auch der Zeugenbeweis gehört, bestimmte Sachverhalte zu ermitteln und zu beurteilen. Die Feststellung der für das Strafverfahren bedeutsamen Tatsachen, insbesondere auch der Nachweis von Kausalzusammenhängen, verlangt keine absolute, von niemandem anzweifelbare Gewißheit; es genügt vielmehr ein mit den Mitteln des Strafverfahrens gewonnenes, nach der Lebenserfahrung ausreichendes Maß an Sicherheit, das keinen vernünftigen Zweifel bestehen läßt (st. Rspr., vgl. nur BGHR StPO § 261 Überzeugungsbildung 2).
Dieser Grundsatz gilt auch für die Erfassung und Deutung von Vorgängen, die Gegenstand naturwissenschaftlicher Forschung sein können. Absolut sicheres Wissen - auch von Ursachenzusammenhängen - dem gegenüber das Vorliegen eines gegenteiligen Geschehens mit Sicherheit auszuschließen wäre, gibt es nicht (vgl. RGSt 61, 202 [206]; RGSt 66, 163 f.; BGH GA 1954, 152; Herdegen StV 1992, 527, 530). Kann eine Feststellung allerdings allein mit Hilfe naturwissenschaftlicher Methoden getroffen werden, dann darf sich der Tatrichter nicht von wissenschaftlichen Standards lösen. An die richterliche Überzeugungsbildung sind dann keine geringeren Anforderungen zu stellen als an das Ergebnis wissenschaftlicher Untersuchungen selbst (vgl. BGHR StPO § 261 Sachverständiger 5).
Der Tatrichter ist aber aus Rechtsgründen nicht gehindert, sich nach Anhörung von Sachverständigen auf Untersuchungsergebnisse zu stützen, die Gegenstand eines wissenschaftlichen Meinungsstreites sind. Die Pflicht zu einer umfassenden Aufklärung kann ihm sogar gebieten, sich auch über Methoden und Verfahren zu unterrichten, die noch nicht allgemein anerkannt sind. Bei der Beweiswürdigung hat er dann aber die für und gegen die noch nicht allgemein anerkannten Methoden und Ergebnisse sprechenden Gesichtspunkte mitzuberücksichtigen (vgl. BGH, Beschl. v. 12. Januar 1994 - 5 StR 620/93 = StV 1994, 227). Im übrigen hat der Tatrichter die naturwissenschaftlichen Erkenntnisse und andere Indiztatsachen in einer Gesamtwürdigung zu beurteilen.
Er kann dabei zu Ergebnissen gelangen, die Vertreter der maßgeblichen naturwissenschaftlichen Fachrichtungen mit ihren Methoden allein nicht belegen könnten. Bei der Gesamtbetrachtung naturwissenschaftlicher Erkenntnisse und anderer Indiztatsachen ist zu berücksichtigen, daß ein Sachverständiger auch dann zur Wahrheitsfindung beitragen kann, wenn er zwar keine sicheren und eindeutigen Schlüsse zu ziehen.vermag, seine Schlußfolgerungen die zu beweisenden Tatsachen aber mehr oder weniger wahrscheinlich machen (BGHR StPO § 244 Abs. 3 Satz 2 Ungeeignetheit 2, 6). Die tatrichterliche Würdigung darf allerdings den Gesetzen der Logik und dem gesicherten wissenschaftlichen Erfahrungswissen nicht widersprechen (BGHR StGB vor § 1 Kausalität Unterlassen 1).
Für den vorliegenden Fall bedeutet dies: Selbst wenn unter den Naturwissenschaftlern keine Einigkeit darüber besteht, ob und auf welche Weise die Gifte, denen die Geschädigten hier ausgesetzt waren, eine Gesundheitsschädigung verursachen, kann der Tatrichter aufgrund einer Bewertung aller relevanten Indizien und der wissenschaftlichen Meinungen rechtsfehlerfrei zu der Überzeugung gelangen, daß die Holzschutzmittelexposition in bestimmten Fällen zu Gesundheitsschäden geführt hat. Ein Ursachenzusammenhang zwischen einer Holzschutzmittelexposition und einer Erkrankung ist nicht etwa nur dadurch nachweisbar, daß entweder die Wirkungsweise der Holzschutzmittelinhaltsstoffe auf den menschlichen Organismus naturwissenschaftlich nachgewiesen oder alle anderen möglichen Ursachen einer Erkrankung aufgezählt und ausgeschlossen werden. Ein Ausschluß anderer Ursachen kann vielmehr - ohne deren vollständige Erörterung - auch dadurch erfolgen, daß nach einer Gesamtbewertung der naturwissenschaftlichen Erkenntnisse und anderer Indiztatsachen die - zumindest - Mitverursachung des Holzschutzmittels zweifelsfrei festgestellt wird. Mit dieser Entscheidung würde der Tatrichter weder gegen "anerkannte wissenschaftliche Erfahrungssätze" verstoßen, noch würde er anstelle der dazu berufenen Fachkreise über die "Existenz eines zeitlosen Naturgesetzes befinden"; was ihm in der Tat nicht zustünde (vgl. Kaufmann JZ 1971, 569, 574; Bruns, Festschrift für Maurach S. 469, 478 f.; Maiwald, Kausalität und Strafrecht 1980 b. 108, 109).
Zwar enthält die für einen konkreten Fall aufgrund einer Gesamtwürdigung getroffene Feststellung über die Wirkung eines Stoffes inzidenter auch eine Aussage über dessen generelle Wirksamkeit. Trifft der Tatrichter eine derartige Feststellung, dann entscheidet er aber nicht die wissenschaftlich umstrittene Frage "über die Existenz eines Naturgesetzes", sondern er erfüllt lediglich seine Aufgabe, auch dann unter Würdigung aller relevanten Indizien den konkreten Rechtsfall auf der Grundlage des gegenwärtigen Wissensstandes zu entscheiden, wenn er sich dabei - wie in der ganz überwiegenden Zahl der von ihm zu entscheidenden Fälle - bei der Beweiswürdigung (noch) nicht auf wissenschaftlich gesicherte Erfahrungssätze berufen kann. Stützt sich der Tatrichter allerdings auch auf wissenschaftlich noch nicht allgemein anerkannte Methoden oder Erkenntnisse, so muß er das Revisionsgericht durch eine Darstellung des Streitstandes in die Lage versetzen, zu überprüfen, ob die Abwägung der für und gegen die Methoden oder Erkenntnisse sprechenden Gesichtspunkte rechtsfehlerfrei stattgefunden hat (vgl. BGH StV 1994, 227; BGHR StPO § 261 Erfahrungssatz 5).
Er hat in den Urteilsgründen alle Tatsachen mitzuteilen, die das Revisionsgericht benötigt, um die Schlüssigkeit des umstrittenen Gutachtens und seine Vereinbarkeit mit gesicherten Erkenntnissen der Wissenschaft zu überprüfen.
Diesen Anforderungen wird das angefochtene Urteil nicht gerecht.
Die Strafkammer stützt ihre Feststellungen zu der gesundheitsschädigenden Wirkung der bioziden Inhaltsstoffe der Holzschutzmittel, insbesondere die Annahme, daß diese eine immunsuppressive Wirkung entfalten, auch auf das Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. Hu.. Die Grundlagen dieses Gutachtens sind - worauf das angefochtene Urteil hinweist - vielfältiger wissenschaftlicher Kritik ausgesetzt.
Bei dieser Sachlage hätte das Landgericht die sachlichen Argumente der Kritiker wiedergeben und sich mit ihnen auseinandersetzen müssen. Das ist hier nicht in dem gebotenen Maße geschehen. Die Strafkammer führt nur aus, daß die "vielfältige wissenschaftliche Kritik" den Aussagegehalt der Studie (von Prof. Dr. Hu.) nicht erschüttern könne.
Die Urteilsgründe ergeben auch, daß der in der Hauptverhandlung vernommene Sachverständige Prof. Dr. P. das Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. Hu. als wissenschaftlich nicht fundiert bezeichnet hat. Das Landgericht stellt die Stellungnahme von Prof. Dr. P. nicht ausreichend dar, sondern erörtert nur punktuell einzelne Fragen. Es kommt zu dem Ergebnis, die Ansichten von Prof. Dr. P. zu den Folgen eines T-Zellen- Defektes entsprächen nicht dem Stand des medizinischen Wissens. Die Beobachtungen von Prof. Dr. Hu. dokumentierten hingegen die Erkenntnisse neuerer medizinischer Forschung.
Dem angefochtenen Urteil ist nicht zu entnehmen, worauf das Landgericht diese Wertung stützt. Es versteht sich auch nicht von selbst, daß Prof. Dr. Hu., der nach den Feststellungen des Urteils Nephrologe ist, auf dem Fachgebiet der Immunologie über neuere Erkenntnisse verfügt als der Immunologe Prof. Dr. P..
Die unzureichende Darstellung des wissenschaftlichen Streitstandes und die unzulängliche Auseinandersetzung des Landgerichts mit den gegen das Gutachten von Prof. Dr. Hu. erhobenen Bedenken läßt besorgen, daß die Strafkammer den Beweiswert dieses Gutachtens überschätzt hat.
IV.
Die Staatsanwaltschaft beanstandet, das Landgericht habe eine vorsätzliche Tatbegehung rechtsfehlerhaft verneint und die Angeklagten zu Unrecht nur wegen fahrlässiger Körperverletzung in Tateinheit mit fahrlässigem Freisetzen von Giften verurteilt.
Das Rechtsmittel ist nicht begründet.
Den Angeklagten wird zum einen vorgeworfen, noch nach Beginn des Jahres 1978 biozidhaltige Holzschutzmittel für die Verwendung im Innenbereich hergestellt und vertrieben zu haben. Zum anderen wird ihnen angelastet, schon ausgelieferte gefährliche Produkte nicht zurückgerufen und die Verbraucher, die diese Produkte bereits verwendet hatten, nicht gewarnt zu haben.
Den Vorwurf der Fahrlässigkeit begründet das Landgericht damit, den Angeklagten hätten beim Studium der toxikologischen Literatur auffallen müssen, daß es über chronische Langzeitexpositionen im Niedrigdosisbereich praktisch keinerlei wissenschaftlich fundierte Erkenntnisse gab. Trotz der seit Ende der 70er Jahre aktuellen Diskussion um den Einsatz biozider Wirkstoffe im Innenraum hätten sich weder industrielle Forschung noch private Initiativen der Beobachtung möglicher Folgen der inhalativen Aufnahme dieser Giftstoffe in Wohninnenräumen gewidmet. Diese Lücke hätten die Angeklagten, denen zur Erforschung der Schadensfälle die Forschungskapazitäten der damaligen Mitgesellschafterin, der Firma B., zur Verfügung standen, füllen müssen. Eine vorsätzliche Begehung sieht das Landgericht als nicht erwiesen an, weil die Angeklagten die Holzschutzmittel für unbedenklich hielten und in dieser Ansicht von Wissenschaftlern bestätigt wurden.
Diese tatrichterliche Wertung ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Nach den Feststellungen des Landgerichts waren die Angeklagten "bis in die Tage der Hauptverhandlung" davon überzeugt, daß in den mit Holzschutzmitteln behandelten Häusern nur niedrige Giftwerte anzutreffen seien und eine Gesundheitsschädigung nicht eintreten könne. Hiernach ist den Angeklagten lediglich der Vorwurf der unbewußten Fahrlässigkeit zu machen, der sich sowohl im "Wissenselement" als auch im "Wollenselement" von bedingtem Vorsatz unterscheidet. Feststellungen, die die Annahme eines bedingten Vorsatzes rechtfertigen könnten, hat das Landgericht nicht getroffen. Selbst wenn die Angeklagten aber ernsthaft in Erwägung gezogen haben sollten, daß die Verwendung der von ihnen vertriebenen Holzschutzmitteln zu Gesundheitsschäden führt, so spricht nach den gesamten Umständen die Interessenlage der Angeklagten dafür, daß sie schließlich auf die Unschädlichkeit der Produkte vertrauten. Sie hatten selbst ein großes Interesse daran, daß die Produkte der von ihnen vertretenen Firma nicht in Verruf gerieten und diese Firma keinen Schadensersatzforderungen ausgesetzt werden würde (vgl. auch BGHR StGB § 15 Vorsatz, bedingter 1, 6, 9; StGB § 306 Beweiswürdigung 6).