BGHSt 45, 41 - Kinderpornographie
1. Pornographische Filme und Photographien haben den sexuellen Mißbrauch von Kindern auch dann zum Gegenstand, wenn die Aufnahmen zwar unmittelbar nur die Vornahme der sexuellen Handlungen der Kinder an sich selbst zeigen, sich aber aus dem Kontext der Aufnahme ergibt, daß das Kind von einem anderen, z.B. dem Photographen, hierzu aufgefordert worden ist.
2. Die Vervielfältigung von Videofilmen mittels zweier Videorecorder ist keine Herstellung in einem zur Massenherstellung geeigneten Vervielfältigungsverfahren im Sinne von § 7 Abs. 1 des nordrhein-westfälischen Landespressegesetzes, so daß die Tat nicht der kurzen presserechtlichen Verjährung des § 25 Abs. 1 Satz 1 NRWPresseG unterfällt.
StGB § 184 Abs. 3 und 4, § 176 Abs. 3 Nr. 2 F.: 26. Januar 1998; StGB § 176 Abs. 5 Nr. 2 F.: 1. Februar 1975; NRWPresseG § 7 Abs. 1, § 25 Abs. 1 Satz 1
3. Strafsenat
 
Urteil
vom 24. März 1999 g.Sch.
- 3 StR 240/98 -
Landgericht Mönchengladbach
 
Aus den Gründen:
Das Landgericht hat den Angeklagten S. des gemeinschaftlichen gewerbsmäßigen Unternehmens der Einfuhr pornographischer Schriften, die den sexuellen Mißbrauch von Kindern zum Gegenstand haben und ein tatsächliches Geschehen wiedergeben, in 18 Fällen sowie des gemeinschaftlichen Unternehmens der Einfuhr pornographischer Schriften im Wege des Versandhandels in fünf Fällen schuldig gesprochen und ihn zu einer Freiheitsstrafe verurteilt.
Die verbreiteten Videofilme sind pornographische Schriften (§ 11 Abs. 3 StGB), die den sexuellen Mißbrauch eines Kindes nach § 176 Abs. 1, 2 und 5 StGB in der zur Tatzeit geltenden Fassung zum Gegenstand haben und ein tatsächliches Geschehen wiedergeben.
Die Filme, in denen der Geschlechtsverkehr von Kindern mit Erwachsenen bzw. die Vornahme von Manipulationen und des Oralverkehrs von Kindern an Erwachsenen gezeigt wird, haben den sexuellen Mißbrauch von Kindern gemäß § 176 Abs. 1 StGB zum Gegenstand.
In den übrigen Fällen sind ausschließlich Kinder die Darsteller, die sich gegenseitig an ihren Geschlechtsteilen berühren, an ihnen manipulieren, teilweise sich auch gegenseitig befriedigen, bzw. an ihren eigenen Geschlechtsteilen manipulieren. Soweit die Kinder an anderen Kindern sexuelle Handlungen vornehmen, sind die Voraussetzungen des § 176 Abs. 2 StGB erfüllt, da die Kinder dazu bestimmt wurden, sexuelle Handlungen an einem Dritten vorzunehmen oder von einem Dritten an sich vornehmen zu lassen. Dritter kann auch ein anderes Kind sein (Tröndle, StGB 48. Aufl. § 176 Rdn. 5). In den Fällen II. 5. und 7. liegt ein sexueller Mißbrauch von Kindern gemäß § 176 Abs. 5 Nr. 2 StGB a.F. vor. Das Landgericht hat zwar in keinem Fall ausdrücklich festgestellt, daß die Kinder zur Vornahme der sexuellen Handlungen an sich bestimmt wurden. Der Senat entnimmt aber dem Gesamtzusammenhang der Feststellungen, daß die zum Teil erst sechs Jahre alten Kinder die gezeigten sexuellen Praktiken nicht aus eigenem Antrieb vorgenommen haben, sondern von dem Photographen oder sonst einer bei den Aufnahmen anwesenden erwachsenen Person zu den gezeigten sexuellen Praktiken aufgefordert wurden. Dies drängt sich schon aufgrund des Alters der Kinder jedem verständigen Betrachter auf (so auch OLG Koblenz NJW 1979, 1467, 1468).
Auch die in den Fällen II. 5. und 7. verbreiteten Videofilme haben den sexuellen Mißbrauch von Kindern zum Gegenstand im Sinne von § 184 Abs. 3 und 4 StGB. Eine Schrift im Sinne von § 11 Abs. 3 StGB hat nicht erst dann den sexuellen Mißbrauch eines Kindes zum Gegenstand, wenn außer den sexuellen Handlungen des Kindes an sich selbst auch der Bestimmungsakt der Darstellung unmittelbar zu entnehmen ist (so aber Lenckner in Schönke/Schröder, StGB 25. Aufl. § 184 Rdn. 55 zu § 176 Abs. 5 Nr. 2 StGB a.F.; ähnlich Horn in SK-StGB § 184 Rdn. 66 zu § 176 Abs. 3 Nr. 2 StGB n.F.), also die Aufforderung an das Kind zu sehen oder zu hören ist. Vielmehr reicht es aus, wenn die Aufnahmen - wie hier - klar zum Ausdruck bringen, daß das Kind von einem anderen zur Vornahme der sexuellen Handlungen aufgefordert worden ist. Diese Auslegung ist mit dem Wortsinn des Gesetzes vereinbar. Sie ist auch von der ratio legis her geboten. Die Norm dient nämlich auch dem Schutz des Kindes davor, als Modell für die Herstellung derartiger Filme mißbraucht zu werden (OLG Koblenz NJW 1979, 1467, 1468; OLG München OLGSt Nr. 1 zu § 184 StGB; KG NJW 1979, 1897; diese Auslegung liegt auch schon der Entscheidung des Senats in BGHSt 43, 366, 368 zugrunde). Der von Laufhütte zu § 184 Abs. 3 und 5 StGB geäußerten Auffassung (LK 11. Aufl. § 184 Rdn. 15 und 49), daß die Darstellung von Handlungen nach § 176 Abs. 5 StGB den Tatbestand nicht erfülle, weil die anderen Alternativen des § 184 Abs. 3 StGB auf Handlungen an Menschen oder an Tieren abstellen, ist der Senat nicht beigetreten (BGHSt a.a.O.).
Strafverfolgungsverjährung ist nicht eingetreten. Die Verjährung bestimmt sich nach § 78 Abs. 3 Nr. 4 StGB. Die hiernach geltende Frist von fünf Jahren ist in keinem der Fälle abgelaufen.
Zwar handelt es sich bei dem Verbreiten kinderpornographischer Schriften nach § 184 Abs. 3 Nr. 1, Abs. 4 StGB in der Regel um ein Presseinhaltsdelikt, dessen Verjährung sich nach dem einschlägigen Landespressegesetz richtet (BGH NJW 1976, 720; BGH NJW 1977, 1695 zu § 184 Abs. 3 Nr. 2; Tröndle a.a.O. § 184 Rdn. 48 und § 78 Rdn. 8; Lenckner a.a.O. § 184 Rdn. 69; Laufhütte a.a.O. § 184 Rdn. 47; Horn a.a.O. § 184 Rdn. 44 zu Abs. 1 Nr. 5 2. Alt.). Da sich die Presseverjährung wegen ihres jedenfalls auch prozessualen Charakters nach dem Recht des Gerichtsorts (BGHSt 2, 300, 308; BGHSt 28, 53, 56; BGHR PresseGBW § 24 Verjährung 1; BGH, Beschl. vom 29. Oktober 1998 - 5 StR 288/98) bestimmt, ist das nordrhein-westfälische Landespressegesetz anwendbar. Nach § 25 Abs. 1 Satz 2 NRWPresseG gilt die kurze presserechtliche Verjährung nicht für Vergehen nach § 184 Abs. 2 - 4 StGB. Diese Ausnahmevorschrift greift hier jedoch nicht ein, weil sie erst am 22. Februar 1995 in Kraft getreten ist und zu diesem Zeitpunkt die sechsmonatige Verjährungsfrist des § 25 Abs. 1 Satz 1 NRWPresseG bereits abgelaufen war. § 25 Abs. 1 Satz 1 NRWPresseG ist vielmehr deswegen nicht anwendbar, weil es sich bei den gelieferten Video-Kopien nicht um Druckwerke im Sinne des § 7 Abs. 1 NRWPresseG gehandelt hat. Druckwerke im Sinne dieses Gesetzes sind alle mittels der Buchdruckerpresse oder eines sonstigen zur Massenherstellung geeigneten Vervielfältigungsverfahrens hergestellten und zur Verbreitung bestimmten Schriften, besprochenen Tonträger, bildlichen Darstellungen mit und ohne Schrift, Bildträger und Musikalien mit Text oder Erläuterungen. Das Kopieren von Videofilmen mittels zweier Videorecorder ist keine Herstellung in einem zur Massenherstellung geeigneten Verfahren.
Vervielfältigungsverfahren sind Herstellungsmethoden technischer Art, die dazu geeignet sind, eine große Anzahl von vervielfältigten Verkörperungen des gleichen Stücks auf mechanische, chemische oder physikalische Weise anzufertigen (Sedelmeier in Löffler, Kommentar zu den Landespressegesetzen der Bundesrepublik Deutschland Band I 4. Aufl. § 7 LPG Rdn. 24). Es kommt nicht darauf an, ob im konkreten Fall auch eine Vielzahl von Exemplaren her gestellt wurde. Vielmehr genügt, daß das Verfahren generell für die Massenproduktion geeignet ist (Sedelmeier a.a.O. Rdn. 26 m.w.N. zur h.M.; Bullinger ebenda Einl. zu Bd. I Rdn. 22). Das Wesen der Massenvervielfältigung liegt darin, daß nicht bloß eine Mehrheit von Abschriften, sondern eine zwar nicht unbegrenzte, aber doch beliebig vermehrbare Vielzahl von Vervielfältigungen hergestellt werden kann. Als Druckwerke gelten deshalb auch die mit der Hand hergestellten Kopien eines Fotokopiergerätes und die Vervielfältigungen mit dem Drucker des Heimcomputers, bei denen Handarbeit zwar unterstützend mitwirkt, bei entsprechender Programmierung des Gerätes mit einem Knopfdruck aber eine Vielzahl von Exemplaren maschinell produziert werden kann. Im Gegensatz dazu stehen Vervielfältigungen, die vom Original etwa durch mehrfache Abschrift oder Kopieren mit der Hand gewonnen werden. Deshalb sind die Durchschriften einer Schreibmaschine keine Druckwerke, da die nichtmechanische Handarbeit überwiegt und nur eine geringe Anzahl gut lesbarer Durchschläge hergestellt werden kann (Ricker in Löffler/Ricker, Handbuch des Presserechts 3. Aufl. S. 68). Nach diesen Grundsätzen ist das Kopieren von Videofilmen mittels zweier handelsüblicher Videorecorder kein zur Massenvervielfältigung geeignetes Verfahren, da bei einem Zeitaufwand von ungefähr zwei Stunden für das Erstellen einer Kopie nur vier Kopien pro "Arbeitstag" hergestellt werden können und für jede Kopie erneut Handarbeit - nämlich das Herausnehmen der bespielten und Einlegen der unbespielten Kassette und das Bedienen des Geräts - erforderlich ist.
Daß die Videofilme zumindest in den abgeurteilten Fällen auf diese Art und Weise kopiert wurden, entnimmt der Senat dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe und dem für die Prüfung der Verjährung freibeweislich verwertbaren Akteninhalt. Bei dem von G. übernommenen W.-Material handelt es sich um von Privatleuten hergestellte Amateurvideos. Dieses Material vertrieb der rechtskräftig verurteilte T. nach dem Rückzug des Angeklagten aus dem aktiven Geschäft weiter. Aus der polizeilichen Beschuldigtenvernehmung des T. ergibt sich, daß er in der in V. gelegenen Wohnung am Anfang seiner Tätigkeit Videofilme mit zwei vom Angeklagten S. mitgebrachten Videorecordern der Marke Blaupunkt kopiert hat. Mit dieser Tätigkeit war von April bis August 1993 der Zeuge P. betraut, der pro Tag maximal vier Kassetten kopieren konnte. Mangels gegenteiliger Hinweise in den Akten ist der Senat auch davon überzeugt, daß diese Art der Vervielfältigung - zumindest soweit es die abgeurteilten Fälle betrifft - während des gesamten Tatzeitraums beibehalten wurde. Zwar ergibt sich aus den Protokollen der polizeilichen Vernehmungen des T., daß er während des Tatzeitraums auch Va.-fremde Materialien, u.a. mittels Computertechnik kopierte Videofilme, die er vom gesondert verfolgten Hu. erhalten hatte, vertrieben hat. Aus dem Umstand, daß der Angeklagte S. in allen abgeurteilten Fällen am Erlös beteiligt war, ergibt sich, daß nur Fälle des Vertriebs von Va.-Materialien abgeurteilt wurden. Filme aus dem W.-Bestand überließ T. erst ab Anfang 1995 - also nach dem hier abgeurteilten Tatzeitraum - dem Hu., so daß erst ab diesem Zeitpunkt eine andere Vervielfältigungsart nicht ausgeschlossen werden kann.