BVerfGE 4, 294 - Versetzung in den Ruhestand nach Art. 132 GG |
Beschluß |
des Ersten Senats vom 5. Oktober 1955 |
-- 1 BvR 103/52 -- |
in dem Verfahren über die Verfassungsbeschwerde des Dr. med. habil W. . |
Entscheidungsformel: |
Die Verfassungsbeschwerde wird zurückgewiesen. |
Gründe: |
I. |
1. Der Beschwerdeführer wurde im Jahre 1946 unter Berufung in das Beamtenverhältnis auf Lebenszeit zum leitenden Arzt des Pathologischen Instituts am Städtischen Krankenhaus in M. ernannt. Von den Vorschriften über die "Befreiung von Nationalsozialismus und Militarismus" ist er nicht betroffen. Durch Verfügung der Stadt M. vom 29. Dezember 1949 und Ergänzungsverfügung vom 1. März 1950 wurde er nach Art. 132 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 GG in den Ruhestand versetzt. Mit der gegen diese Maßnahme erhobenen Anfechtungsklage hatte der Beschwerdeführer beim Verwaltungsgericht in Karlsruhe zunächst Erfolg. Auf die Berufung der Stadt M. hat jedoch der Württemberg-Badische Verwaltungsgerichtshof -- Senat Karlsruhe -- unter Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils die Anfechtungsklage abgewiesen.
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2. Mit der am 16. Februar 1952 eingegangenen Verfassungsbeschwerde wendet sich der Beschwerdeführer gegen die Verfügungen der Stadt M. und gegen das -- an Verkündungsstatt am 17. Januar 1952 zugestellte -- Urteil des Württemberg-Badischen Verwaltungsgerichtshofs. Er macht geltend, seine Versetzung in den Ruhestand nach Art. 132 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 GG verletze seine durch Art. 33 Abs. 5 GG geschützten wohlerworbenen Beamtenrechte,
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b) weil Art. 132 GG zu Unrecht auf ihn angewandt worden sei; der Verwaltungsgerichtshof habe sowohl die Beweisaufnahme falsch gewürdigt als auch Art. 132 GG unzutreffend ausgelegt.
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Ergänzend beruft sich der Beschwerdeführer darauf, daß durch die von ihm beanstandeten Hoheitsakte gegen Art. 3 und 14 GG verstoßen worden sei.
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Auf mündliche Verhandlung hat der Beschwerdeführer verzichtet.
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II. |
1. Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig.
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Der Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde steht nicht entgegen, daß die neben dem Urteil des Verwaltungsgerichtshofs angefochtenen Verwaltungsakte bereits am 29. Dezember 1949 und am 1. März 1950 ergangen sind, d. h. vor dem Inkrafttreten des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht vom 12. März 1951; maßgebend für die Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde ist, daß die Verwaltungsakte erst mit der Rechtskraft des am 17. Januar 1952 zugestellten Urteils des Verwaltungsgerichtshofs formell unanfechtbar, also endgültig wirksam geworden sind (BVerfGE 3, 377 [379]).
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Da der Beschwerdeführer sich auf die Verletzung seiner Grundrechte aus Art. 3 und 14 GG beruft, kann im Rahmen des somit zulässigen Verfahrens auch geprüft werden, ob Art. 33 Abs. 5 GG i.V.m. Art. 132 GG verletzt ist (BVerfGE 1, 264 [271]), ohne daß entschieden werden muß, ob die Verfassungsbeschwerde zulässig wäre, wenn der Beschwerdeführer allein eine Verletzung des Art. 33 Abs. 5 GG gerügt hätte (vgl. hierzu BVerfGE 3, 58 [136] und Beschluß vom 7. Juli 1955 -- 1 BvR 635/52 --, BVerfGE 4, 205).
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a) Art. 132 Abs. 1 GG gab während einer beschränkten Geltungsdauer die Möglichkeit, Beamte und Richter -- ohne Vorliegen eines Verschuldens -- in den Ruhe- oder Wartestand oder in ein Amt mit niedrigerem Diensteinkommen zu versetzen, wenn ihnen die persönliche oder fachliche Eignung für ihr Amt fehlte. Doch fand nach Art. 132 Abs. 2 GG diese Bestimmung auf die von den Vorschriften über die "Befreiung von Nationalsozialismus und Militarismus" nicht Betroffenen und auf die Verfolgten des Nationalsozialismus nur Anwendung, sofern "ein wichtiger Grund in ihrer Person" vorlag. Eine -- in Art. 132 Abs. 4 GG vorbehaltene -- Verordnung der Bundesregierung vom 17. Februar 1950 (BGBl. S. 34) bestimmt diesen Begriff dahin, daß ein wichtiger Grund in der Person des Beamten dann vorliegt, wenn ihm die persönliche oder fachliche Eignung für sein Amt in solchem Maße fehlt, daß die ordnungsmäßige Erledigung seiner Aufgaben ausgeschlossen ist und das Verbleiben des Beamten in seinem Amt daher selbst unter Berücksichtigung seiner politischen Haltung in der Zeit des Nationalsozialismus nicht tragbar ist.
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b) Es kann dahingestellt bleiben, ob Maßnahmen, wie Art. 132 Abs. 1 GG sie vorsieht, ohne diese Bestimmung mit den hergebrachten Grundsätzen des Berufsbeamtentums (Art. 33 Abs. 5 GG) vereinbar wären; denn Art. 132 GG enthält jedenfalls mit Verfassungsrang eine Abweichung von diesen hergebrachten Grundsätzen. Das Bundesverfassungsgericht hat bereits ausgesprochen, daß der Verfassungsgeber von seinen eigenen Grundsatznormen Ausnahmen statuieren kann, es sei denn, er hätte die äußersten Grenzen der Gerechtigkeit überschritten (BVerfGE 3, 225 [232/233]). Davon kann hier keine Rede sein. Die Ansicht des Beschwerdeführers, Art. 132 GG selbst sei nichtig, ist daher unzutreffend.
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c) Unterstellt man, daß aus Art. 33 Abs. 5 GG subjektive Rechte hergeleitet werden könnten und daß zu ihnen auch das Recht des Beamten gehöre, nur bei dauernder Dienstunfähigkeit oder auf Grund eines Disziplinarverfahrens in den Ruhestand versetzt zu werden, so muß geprüft werden, ob das angegriffene Urteil sich im Rahmen des Art. 132 GG hält; denn von dieser Prämisse aus ist Art. 132 GG geeignet, den verfassungsrechtlichen Schutz aus Art. 33 Abs. 5 GG zu beschränken. Doch bleibt die Nachprüfung auf den verfassungsrechtlichen Gehalt des Urteils beschränkt. Insbesondere ist es nicht Aufgabe des Bundesverfassungsgerichts, die Würdigung der Beweisaufnahme und die tatsächlichen Feststellungen zu überprüfen, soweit hierbei -- wie im vorliegenden Fall -- keine Willkür erkennbar ist.
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Der Vorwurf, der Verwaltungsgerichtshof habe in Mißdeutung des Art. 132 GG die fehlende persönliche Eignung im Sinne von Absatz 1 zugleich als wichtigen Grund im Sinne von Absatz 2 verwertet und dadurch den in Absatz 2 gewährten besonderen Schutz praktisch beseitigt, ist nicht berechtigt. Zu Unrecht beanstandet der Beschwerdeführer die Ansicht des Gerichts, daß die Fragen nach dem wichtigen Grund und seiner persönlichen Eignung mehr oder weniger ineinander übergehen. Dies liegt vielmehr in der Natur der Sache. Absatz 1 spricht von dem Fehlen der persönlichen oder fachlichen Eignung für das Amt, Absatz 2 von einem wichtigen Grund in der Person des Beamten. Es liegt auf der Hand, daß Absatz 2 nicht das Vorliegen eines zusätzlichen, von Absatz 1 verschiedenen Tatbestandes erfordert, daß der Unterschied beider Bestimmungen vielmehr nur in dem Maß des Ungeeignetseins begründet sein kann. Das kommt in der Durchführungsverordnung der Bundesregierung zum Ausdruck und wird auch vom Beschwerdeführer nicht verkannt. Dabei gibt es kein Ungeeignetsein an sich, vielmehr sind die persönlichen oder fachlichen Mängel des Beamten an seinem Aufgabenkreis zu messen; denn nur dadurch kann die objektive Bedeutung der fehlenden Eignung für das Amt und zugleich die Wichtigkeit des Grundes ermittelt und demgemäß entschieden werden, ob die Weiterbeschäftigung auch einer ungeeigneten Kraft tragbar ist.
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Der Verwaltungsgerichtshof kommt nach umfangreicher Beweisaufnahme zu der Feststellung, dem Beschwerdeführer fehle die persönliche Eignung für sein Amt, da er eine im Umgang mit anderen so schwierige Persönlichkeit sei, daß die Stadt M. ihm die Stelle eines Leiters der Pathologischen Abteilung des Krankenhauses sicherlich nicht übertragen hätte, wenn ihr das bekannt gewesen wäre. Den wichtigen Grund in der Person des Beschwerdeführers bejaht der Verwaltungsgerichtshof, weil durch den Streit zwischen den Ärzten die Interessen des Krankenhauses -- praktisch der Patienten -- auf dem Spiel gestanden hätten, und weil die Einsichts- und Hemmungslosigkeit des Beschwerdeführers, sobald es sich um seine eigene Person handelte, und die offensichtliche Überbewertung seiner Stellung gezeigt hätten, daß er das eigentliche Hindernis für einen Ausgleich unter den Ärzten des Krankenhauses war.
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Von den getroffenen Feststellungen ausgehend, ist es aus dem Sinn des Art. 132 GG nicht zu beanstanden, daß der Verwaltungsgerichtshof angesichts der Eigenart und der Bedeutung des Aufgabengebietes des Beschwerdeführers für die Allgemeinheit und angesichts der über drei Jahre währenden Mißhelligkeiten zu dem Schluß kommt, es sei "der Anfechtungsgegnerin schlechthin nicht mehr zuzumuten (gewesen), den Anfechtungskläger gegenüber den begründeten Wünschen der großen Mehrzahl der übrigen Chefärzte weiterhin in dem ihm übertragenen Amt zu belassen". Wenn der Verwaltungsgerichtshof fortfährt: "Damit sind...alle Voraussetzungen des Art. 132 Abs. 2 GG erfüllt", so ergibt sich hieraus wie aus dem Gesamtzusammenhang des Urteils, daß der Verwaltungsgerichtshof die besondere Schutzwürdigkeit des Beschwerdeführers berücksichtigt hat. Der Verwaltungsgerichtshof hat somit den rechtlichen Gehalt des Art. 132 GG nicht verkannt.
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