BVerfGE 10, 264 - Gerichtskostenvorschuß |
Eine Vorschrift, nach der im verwaltungsgerichtlichen Verfahren von dem Antragsteller ein Vorschuß für die Gerichtskosten erhoben werden kann mit der Folge, daß bei Nichtzahlung des Vorschusses der Antrag als zurückgenommen gilt, ist mit dem Grundgesetz vereinbar. |
Beschluß |
des Ersten Senats vom 12. Januar 1960 |
-- 1 BvL 17/59 -- |
in dem Verfahren wegen verfassungsrechtlicher Prüfung des Art. 24 des bayerischen Kostengesetzes vom 17. Dezember 1956 (GVBl. S. 361) auf Antrag des Bundesverwaltungsgerichts (Vorlagebeschluß vom 17. April 1959 -- BVerwG VII C 83. 58). |
Entscheidungsformel: |
Art. 24 des bayerischen Kostengesetzes vom 17. Dezember 1956 (GVBl. S. 361) ist mit dem Grundgesetz vereinbar. |
Gründe: |
I. |
Das bayerische Kostengesetz (KG) vom 17. Dezember 1956 (GVBl. S. 361; BayBS III S. 442) stellt in Art. 1 den Grundsatz auf, daß die Behörden des Staates für ihre Amtshandlungen Kosten (Gebühren und Auslagen) erheben. Im ersten Abschnitt des Gesetzes, der die Vorschriften über die Kosten bei den Verwaltungsbehörden enthält, ist bestimmt, daß Gebühren mit der Beendigung der Amtshandlung, Auslagen sofort nach ihrer Entstehung fällig werden. Für Amtshandlungen, die auf Antrag vorzunehmen sind, hat der Antragsteller jedoch einen Kostenvorschuß zu leisten; die Behörde soll die Vornahme der Amtshandlung grundsätzlich von der Zahlung eines angemessenen Vorschusses abhängig machen (Art. 14,15).
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Im zweiten Abschnitt ("Verwaltungsgerichtskosten") ist allgemein angeordnet (Art. 23), daß bis zum Erlaß eines einheitlichen Gerichtskostengesetzes für die Verwaltungsgerichtsbarkeit die Vorschriften des ersten Abschnitts auch für das Verfahren vor den Verwaltungsgerichten entsprechend gelten. Weiter bestimmt
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Dem Antragsteller kann durch Gerichtsbeschluß eine Frist zur Zahlung des Kosten Vorschusses gesetzt werden; auf Antrag des Vertreters des öffentlichen Interesses hat das Gericht über die Vorschußpflicht zu entscheiden. Wird der Kostenvorschuß nicht binnen der Zahlungsfrist eingezahlt, dann gilt der Antrag als zurückgenommen. Hat der Antragsteller vor Ablauf der Frist die Bewilligung des Armenrechts beantragt, so endet die Zahlungsfrist mit dem Ablauf von zwei Wochen nach Rechtskraft des den Armenrechtsantrag ganz oder teilweise ablehnenden Beschlusses.
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II. |
1. In einem Verwaltungsstreitverfahren wegen Erlasses rückständiger Grundsteuer hat der Bayerische Verwaltungsgerichtshof der Anfechtungsklägerin, die gegen das klagabweisende Urteil des Verwaltungsgerichts Berufung eingelegt hatte, gemäß Art. 24 in Verbindung mit Art. 23,15 KG auferlegt, binnen einer bestimmten Frist einen Kostenvorschuß zu entrichten. Das Armenrechtsgesuch der Klägerin wurde abgelehnt, weil die Berufung keine hinreichende Erfolgsaussicht biete. Da der Vorschuß nicht gezahlt wurde, beschloß der Verwaltungsgerichtshof nach Ablauf der Frist des Art. 24 Satz 3 lediglich, daß die Klägerin die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen habe. Auf weitere Vorstellungen der Klägerin bestätigte er diese Entscheidung durch Urteil, ließ jedoch die Revision zum Bundesverwaltungsgericht zu, damit geklärt werde, "ob nach Eintritt der Fiktion der Klagerücknahme bei Streit hierüber durch Beschluß oder durch Urteil zu entscheiden ist (§ 53 Abs. 2 Buchst. a BVerwGG)".
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Auf die Revision der Klägerin hat der VII. Senat des Bundesverwaltungsgerichts das Verfahren gernäß Art. 100 Abs. 1 GG ausgesetzt und die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts darüber erbeten, ob Art. 24 KG mit dem Grundgesetz vereinbar sei; werde diese Frage verneint, so müsse das Urteil des Verwaltungsgerichtshofs aufgehoben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen werden; werde sie bejaht, so könne die Revision keinen Erfolg haben. Das Bundesverwaltungsgericht hält Art. 24 KG für verfassungswidrig. Dem Unbemittelten, dessen Armenrechtsgesuch mangels hinreichender Erfolgsaussicht abgelehnt sei, werde der Rechtsweg versperrt, wenn man von ihm die Vorleistung von Kosten verlange, deren endgültiger Schuldner erst nach rechtskräftigem Abschluß des Verfahrens feststehe. Er werde außerdem gegenüber dem Bemittelten ungerecht benachteiligt, denn die Fiktion der Zurücknahme des Antrags oder Rechtsmittels gelte auch, wenn der gegenteilige Wille des Antragstellers feststehe und er lediglich wegen seiner Mittellosigkeit den Vorschuß nicht leisten könne. Die Regelung widerspreche mithin sowohl dem Art. 19 Abs. 4 als auch dem Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes.
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2. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hat berichtet, daß mehrere seiner Senate in Entscheidungen die Verfassungsmäßigkeit des Art. 24 KG ausdrücklich bejaht haben. Auch der Bayerische Ministerpräsident und der Bayerische Landtag sind der Ansicht, daß die Bestimmung mit dem Grundgesetz vereinbar sei; sie verstoße weder gegen Art. 19 Abs. 4, da auch ein Armenrechtsgesuch zur Prüfung der materiellen Rechtslage führe, noch gegen Art. 3 Abs. 1, da nicht "willkürlich" Gleiches ungleich behandelt werde, noch endlich gegen das Sozialstaatsprinzip.
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Der Bundesminister der Justiz, der sich für die Bundesregierung geäußert hat, ist der Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts in eingehenden Ausführungen entgegengetreten, die den gesamten Bereich des Gerichtskostenrechts in die Betrachtung einbeziehen. Er kommt zu dem Ergebnis, daß nicht nur die herkömmliche Regelung, wonach gerichtliche Verfahren kostenpflichtig sind, mit dem Grundgesetz im Einklang stehe, sondern daß darüber hinaus die gerichtliche Tätigkeit von der Einzahlung eines Kosten Vorschusses abhängig gemacht werden dürfe und daß es schließlich auch zulässig sei, den Antragsteller, der den Vorschuß nicht leiste, seiner prozessualen Rechte für verlustig zu erklären.
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III. |
Die Vorlage ist zulässig.
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Die verfassungsrechtlichen Bedenken des Bundesverwaltungsgerichts richten sich nicht nur gegen die Fiktion der Zurücknahme des Antrags oder Rechtsmittels bei Nichtleistung des Kostenvorschusses (Art. 24 Satz 2), sondern gegen das Prinzip der Vorschußpflicht im verwaltungsgerichtlichen Verfahren (Art. 24 Satz 1, erster Halbsatz). Damit ist der wesentliche Inhalt des Art. 24 zur Prüfung gestellt; auf ihn kommt es für die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts an. Die übrigen Vorschriften (Satz 1, zweiter Halbsatz und Satz 3) haben keine selbständige Bedeutung; sie werden von der Gültigkeit oder Ungültigkeit der Sätze, an die sie sich sachlich anschließen, ohne weiteres mitergriffen. Die Entscheidung kann daher auf den Art. 24 im ganzen erstreckt werden.
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IV. |
Art. 24 KG ist mit dem Grundgesetz vereinbar.
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1. Die Bedeutung des Art. 19 Abs. 4 GG liegt vornehmlich darin, daß er die "Selbstherrlichkeit" der vollziehenden Gewalt im Verhältnis zum Bürger beseitigt; kein Akt der Exekutive, der in Rechte des Bürgers eingreift, kann richterlicher Nachprüfung entzogen werden. Der Rechtsweg, d. h. der Weg zu den Gerichten, steht aber nicht schrankenlos "offen". Wenn Art. 19 Abs. 4 dem Bürger umfassenden Rechtsschutz gegenüber der öffentlichen Gewalt gewährt, so ist damit nicht gemeint, daß alle herkömmlichen Grundsätze des Prozeßrechts, die rechtlich oder tatsächlich eine Erschwerung des Zugangs zu den Gerichten bewirken, außer Kraft gesetzt würden; die meisten dieser Grundsätze sollen Rechtssicherheit und geordneten Gang der Rechtspflege verbürgen und dienen damit in weiterem Sinne ebenfalls dem Rechtsschutz des Bürgers. Deshalb ist nie bezweifelt worden, daß Art. 19 Abs. 4 GG den Rechtsweg nur im Rahmen der jeweils geltenden Prozeßordnungen gewährleistet, daß mithin die Anrufung der Gerichte von der Erfüllung der hier bestimmten formalen Voraussetzungen abhängig gemacht werden darf, wie etwa die Einhaltung bestimmter Fristen, der ordnungsmäßigen Vertretung usw. (BVerfGE 9, 194 [199 f.]). Erst wenn durch solche Normen der Weg zu den Gerichten in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschwert würde, wären sie mit Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG unvereinbar.
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So ist es nach wie vor selbstverständlich zulässig, daß der Staat für die Inanspruchnahme seiner Gerichte Kosten erhebt; ebensowenig sind gegen die herkömmliche Form des Armenrechts verfassungsrechtliche Bedenken zu erheben, namentlich auch insoweit nicht, als seine Bewilligung von der Prüfung der Erfolgsaussichten abhängig gemacht wird (BVerfGE 7, 53 [55 f.]; 9, 256 [257]).
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Aus diesen Erwägungen folgt, daß es auch nicht zu beanstanden ist, wenn nach Art. 24 in Verbindung mit Art. 23, 15 KG von dem Antragsteller im verwaltungsgerichtlichen Verfahren grundsätzlich die Einzahlung eines Kostenvorschusses gefordert wird. Vorschriften dieser Art, die übrigens auch für andere Verfahren gelten (vgl. besonders § 111 des Gerichtskostengesetzes, § 8 der Kostenordnung), rechtfertigen sich daraus, daß sie einerseits dem Antragsteller das Kostenrisiko des Verfahrens deutlich vor Augen führen und so unnötige Prozesse verhindern helfen, andererseits das Kostenerhebungsverfahren vereinfachen und der Sicherung des Kostenanspruchs der Staatskasse dienen. Dem Unbemittelten, der sich durch die öffentliche Gewalt in seinem Recht verletzt fühlt, wird dadurch die Anrufung der Gerichte nicht unbillig erschwert: er kann das Armenrecht beantragen und ist, wenn er es erhält, von der Vorschußpflicht befreit; wird es ihm (trotz "Armut") versagt, so setzt das voraus, daß das Gericht (gegebenenfalls in zwei Instanzen) auf Grund einer zwar noch nicht erschöpfenden, aber doch eingehenden Prüfung seines Antrags festgestellt hat, daß er keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet. Gerade dann aber ist es berechtigt, durch die Aufforderung zur Vorschußzahlung den Antragsteller nochmals eindringlich von der Durchführung des Verfahrens abzumahnen, übrigens auch die Staatskasse vor wahrscheinlichen Ausfällen zu bewahren. Es kann nicht der Sinn des Art. 19 Abs. 4 GG sein, Unbemittelten nutzloses Prozessieren auf Kosten der Allgemeinheit zu ermöglichen.
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Das Bundesverwaltungsgericht nimmt vor allem daran Anstoß, daß nach Art. 24 Satz 2 KG bei Nichtzahlung des Vorschusses der Antrag (d. h. praktisch meist die Klage oder das Rechtsmittel) kraft Gesetzes als zurückgenommen gilt. In der Tat handelt es sich hier um einen fühlbaren Rechtsnachteil. Trotzdem kann für das verwaltungsgerichtliche Verfahren eine solche Regelung verfassungsrechtlich nicht beanstandet werden. Wenn, wie dargelegt, die Erhebung eines Vorschusses zulässig ist, müssen an die Nichtzahlung Sanktionen geknüpft werden können, vorausgesetzt, daß sie nicht sachfremd und unzumutbar sind. Die sonst übliche Folge, das Verfahren ruhen zu lassen (vgl. § 111 Abs. 1 bis 3 GKG, § 8 Abs. 2 KostO), konnte dem Gesetzgeber hier aus triftigen Gründen nicht ausreichend erscheinen; denn im verwaltungsgerichtlichen Verfahren hat die Klage grundsätzlich aufschiebende Wirkung (§ 51 VGG), der Kläger hätte also bei bloßem Ruhen des Verfahrens jedenfalls im Regelfalle erreicht, daß der von ihm angegriffene Verwaltungsakt zunächst nicht wirksam würde. Es ist nicht zu beanstanden, daß der Gesetzgeber von diesem Hauptanwendungsfall des Art. 24 ausgegangen ist und die Folge der Nichtzahlung des Vorschusses in der für diesen Fall sachgemäßen Weise geregelt hat. Die Bestimmung ist übrigens nicht ohne Parallele im Bundesrecht (§ 42 Abs. 1 Patentgesetz); das praktische Ergebnis ist kein anderes, wenn vorgeschrieben ist, daß das Gericht nach fruchtlosem Ablauf der Zahlungsfrist den Antrag als unzulässig zu behandeln hat (so §§ 379 a, 390 Abs. 4 StPO).
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Die Schärfe der Sanktion, die in der Fiktion der Zurücknahme des Antrags liegt, wird übrigens sowohl durch die Gestaltung der Vorschrift wie durch ihre praktische Handhabung, über die der Bayerische Verwaltungsgerichtshof berichtet hat, fühlbar gemildert. Zwar scheint noch keine einheitliche Rechtsprechung darüber zu bestehen, ob in jedem Verfahren ein Vorschuß erhoben werden muß oder ob die Fassung des Art. 24 ("kann") in Verbindung mit dem entsprechend anwendbaren Art. 15 Abs. 2 KG es ermöglicht, in geeigneten Fällen -- etwa wenn nach besonderer Vorschrift die aufschiebende Wirkung der Klagerhebung nicht eintritt -- von der Erhebung abzusehen; die letztgenannte Auffassung wird immerhin von mehreren Senaten des Verwaltungsgerichtshofs vertreten, und ein Senat hat sogar berichtet, daß er vom Inkrafttreten des Gesetzes bis zum 1. August 1959 nur in etwa 20 % aller Verfahren einen Vorschuß eingefordert habe. Auf jeden Fall stellt aber die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs an den Beschluß des Gerichts, der die Erhebung des Vorschusses anordnet und der allein die Fiktion der Zurücknahme des Antrags auslösen kann, strenge Anforderungen: sowohl die Frist wie die Höhe des Vorschusses müssen angemessen sein und der Antragsteller muß auf die Rechtsfolgen der Nichtzahlung sowie auf die Möglichkeit der Armenrechtsgewährung genau hingewiesen werden. Außerdem kann nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs die Zahlungsfrist -- auch mehrmals -- verlängert werden, und gegen ihre unverschuldete Versäumung ist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand möglich. So ist weitgehend sichergestellt, daß der Weg zu den Verwaltungsgerichten nicht in unbilliger und rechtsstaatswidriger Weise erschwert wird. Art. 24 KG ist daher mit der Rechtsweggarantie des Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG vereinbar.
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2. Die vorstehenden Darlegungen zeigen bereits, daß die Bestimmung auch weder dem Gleichheitssatz noch dem Sozialstaatsprinzip widerspricht. Diese Grundsätze verlangen eine weitgehende Angleichung der Situation von Bemittelten und Unbemittelten im Bereich des Rechtsschutzes (BVerfGE 9, 124 [130 f.]). Dem genügt der Gesetzgeber, wenn er den Unbemittelten demjenigen Bemittelten gleichstellt, der bei gleichen Prozeßchancen vernünftigerweise den Rechtsweg beschreiten würde, also dem verständig rechnenden Bemittelten, der auch die Tragweite des Kostenrisikos mitberücksichtigt. Soweit hierin für den Unbemittelten eine tatsächliche Erschwerung des Zugangs zu den Gerichten liegt, handelt es sich nicht um eine Ungleichbehandlung im Rechtssinne.
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