BVerfGE 14, 288 - Selbstversicherung
 
Beschluß
des Ersten Senats vom 11. Oktober 1962
- 1 BvL 22/57 -
in dem Verfahren wegen verfassungsrechtlicher Prüfung des Artikels 2 § 4 Absatz 1 Satz 1 des Gesetzes zur Neuregelung des Rechts der Rentenversicherung der Arbeiter vom 23. Februar 1957 (BGBl. I S. 45) auf die Vorlage des Sozialgerichts München (Beschluß vom 24. Juli 1957 - S 1024/JV/57).
Entscheidungsformel:
Artikel 2 § 4 Absatz 1 Satz 1 des Gesetzes zur Neuregelung des Rechts der Rentenversicherung der Arbeiter vom 23. Februar 1957 (Bundesgesetzbl. I S. 45) ist, soweit er die Fortführung der nach dem 31. Dezember 1955 in der Rentenversicherung der Arbeiter begonnenen Selbstversicherungen ausschließt, mit dem Grundgesetz vereinbar.
 
Gründe:
 
A.
Die deutsche Sozialversicherung ist gekennzeichnet durch die gesetzliche Versicherungspflicht einer Solidargemeinschaft von bestimmten Gruppen der Bevölkerung - Arbeitern und Angestellten. Doch war von Anfang an in gewissen Grenzen auch eine freiwillige Versicherung gegen Invalidität und Alter vorgesehen, und zwar in den Formen der Höherversicherung, der Weiterversicherung und schließlich der Selbstversicherung, um die es sich hier handelt. War diese Möglichkeit, der Sozialversicherung beizutreten, ohne der Versicherungspflicht zu unterliegen, ursprünglich auf wenige Gruppen beschränkt, so wurde sie - nach mehrfachen Erweiterungen - schließlich 1937 für die Arbeiter- wie für die Angestelltenversicherung dahin ausgedehnt, daß alle deutschen Staatsangehörigen im In- und Ausland, die nicht versicherungspflichtig waren, bis zum vollendeten 40. Lebensjahr das Recht zum freiwilligen Eintritt in die Sozialversicherung erhielten (Gesetz über den Ausbau der Rentenversicherung vom 21. Dezember 1937, RGBl. I S. 1393, § 10 und § 62). Ein Mindestalter war nicht erforderlich. Voraussetzung für den Empfang der Renten war, daß bei Eintritt des Versicherungsfalles die Wartezeit erfüllt und die Anwartschaft erhalten war. Die Wartezeit war erfüllt, wenn eine Beitragszeit von mindestens 60 Monaten bei der Invalidenrente und von mindestens 180 Monaten bei der Altersrente zurückgelegt war (§ 1262 der Reichsversicherungsordnung, ebenso § 31 des Angestelltenversicherungsgesetzes, beide in der bis zum Inkrafttreten der Rentenversicherungs-Neuregelungsgesetze geltenden Fassung, im folgenden RVO a.F., AVG). Um die Anwartschaft auf die Versicherungsleistung zu erhalten, mußten grundsätzlich für jedes Kalenderjahr mindestens 26 Wochenbeiträge entrichtet sein; andernfalls erlosch die Anwartschaft aus den für die Zeit bis zum Beginn des laufenden Kalenderjahres entrichteten Beiträgen (§ 1264 RVO a.F., entsprechend § 32 Abs. 1 AVG). Doch konnten die Beiträge, solange der Versicherungsfall nicht eingetreten war, innerhalb von zwei Jahren nachentrichtet werden (§§ 1442, 1443 RVO a.F., ebenso § 190 AVG).
Die Gesetze zur Neuregelung des Rechts der Rentenversicherung der Arbeiter und der Angestellten (ArVNG und AnVNG) vom 23. Februar 1957 (BGBl. I S. 45 und S. 88) haben alle entgegenstehenden oder gleichlautenden Vorschriften des alten Rechts mit Wirkung zum 1. Januar 1957 außer Kraft gesetzt (Art. 3 §§ 2 und 8 ArVNG, ebenso Art. 3 §§ 2 und 7 AnVNG). Ein der Selbstversicherung entsprechender freiwilliger Beitritt zur Rentenversicherung ist für die Zukunft nicht mehr vorgesehen; die Fortsetzung einer in der Vergangenheit bereits begonnenen Selbstversicherung ist in der zu überprüfenden Übergangsbestimmung des Art. 2 § 4 ArVNG (entsprechend Art. 2 § 5 AnVNG) geregelt; sie lautet:
    (1) Wer durch Entrichtung eines Beitrages vor dem 1. Januar 1956 die Selbstversicherung (§ 1243 der Reichsversicherungsordnung alter Fassung) begonnen oder bis zum Inkrafttreten dieses Gesetzes von dem Recht der Weiterversicherung (§ 1244 der Reichsversicherungsordnung alter Fassung) Gebrauch gemacht hat, kann die Versicherung fortsetzen,... (betr. Weiterversicherung).
    (2) ... (betr. Weiterversicherung).
    (3) Wer die Selbstversicherung nach dem 31. Dezember 1955 begonnen hat, erhält die zur Selbstversicherung entrichteten Beiträge in voller Höhe zurückgezahlt, wenn er dies bis zum 31. Dezember 1957 beantragt.
Die Fortführung einer nach altem Recht eingegangenen Selbstversicherung ist also nur unter der Voraussetzung zugelassen, daß sie "durch Entrichtung eines Beitrages vor dem 1. Januar 1956" begonnen worden ist; eine Nachentrichtung gemäß § 1442 RVO a.F. genügt nach dem klaren Wortlaut der Bestimmung hierfür nicht. Wer - wie die Klägerin des Ausgangsverfahrens - die Selbstversicherung dadurch begonnen hat, daß er zwar vor Verkündung der Neuregelungsgesetze am 23. Februar 1957, aber nicht vor dem Stichtag, dem 1. Januar 1956, den ersten Beitrag entrichtet hat, kann sonach die Versicherung nicht fortsetzen; sein Recht, durch Leistung freiwilliger Beiträge die Voraussetzung für den künftigen Erwerb von Rentenansprüchen zu schaffen, die sogenannte "Erwerbsberechtigung", ist erloschen. Die bereits geleisteten Beiträge kann der Versicherte entweder zurückfordern oder stehenlassen; dann können sie mit etwaigen späteren Pflichtbeiträgen als Grundlage eines Rentenanspruchs dienen (§§ 1249, 1250, 1258 der Reichsversicherungsordnung, ebenso §§ 26, 27 und 35 des Angestelltenversicherungsgesetzes, jeweils in der Fassung der Neuregelungsgesetze, im folgenden RVO n.F., AnVG); auch bleibt dann bei Invalidität oder Tod durch Arbeitsunfall oder durch sonstige außergewöhnliche Ereignisse wie Kriegseinwirkung und ähnliches der Versicherungsschutz erhalten, der für diese Sonderfälle - ebenso wie bei Pflichtversicherten - ohne Rücksicht auf eine Wartezeit schon mit der ersten Beitragszahlung erworben wurde (§ 1263 RVO a.F., ebenso § 31 AVG; vgl. jetzt § 1252 RVO n.F., ebenso § 29 AnVG).
 
B. - I.
Die 1928 geborene Klägerin des Ausgangsverfahrens ist eine Hausfrau; sie erwarb 1956 zwei Wochenbeitragsmarken (Aufdruck 56), die sie, das Recht auf Nachentrichtung gebrauchend, mit der Aufschrift 1955 versah; Anfang 1957 klebte sie weitere 52 Wochenbeitragsmarken mit der Aufschrift 1956. Der Gesamtwert der verwendeten Marken beträgt 61,60 DM. Als die Versicherte ihre Quittungskarte bei der Gemeindeverwaltung zum Umtausch in eine neue Karte vorlegte, lehnte diese den Umtausch mit der Begründung ab, daß nach dem Arbeiterrentenversicherungs-Neuregelungsgesetz eine Selbstversicherung nicht mehr vorgesehen sei. Die Landesversicherungsanstalt Oberbayern bestätigte das und wies den gegen ihre Entscheidung erhobenen Widerspruch zurück. Auf die gegen den Widerspruchsbescheid erhobene Klage hat das Sozialgericht München (S 1024/JV/57) mit Beschluß vom 24. Juli 1957 das Verfahren ausgesetzt, um die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts darüber einzuholen, ob Art. 2 § 4 Abs. 1 ArVNG gegen das Grundgesetz verstößt.
Das Sozialgericht hält diese Übergangsbestimmung für unvereinbar mit dem Rechtsstaatsprinzip und dem Gleichheitssatz.
II.
In dem Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht hat die Bundesregierung sich - ohne dem Verfahren beizutreten - durch den Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung geäußert; dieser hält die beanstandete Regelung für vereinbar mit dem Grundgesetz.
Der Präsident des Bundessozialgerichts hat eine Äußerung des im Falle einer Revisionseinlegung zuständigen 3. Senats vorgelegt, der die streitige Regelung in Übereinstimmung mit dem vorlegenden Gericht für grundgesetzwidrig hält. In Parallelverfahren, die bei dem Bundesverfassungsgericht anhängig sind, haben der 1. und 4. Senat des Bundessozialgerichts die gleiche Ansicht vertreten. Die Landesversicherungsanstalt Oberbayern hat sich ebenfalls dieser Ansicht angeschlossen.
 
C.
Die zur Nachprüfung gestellte Norm ist für die Entscheidung des Sozialgerichts nur insoweit erheblich, als sie die Selbstversicherung regelt. Auf die in der Norm gleichfalls enthaltene Regelung der Weiterversicherung kommt es hier dagegen nicht an. Die Vorlagefrage geht also, richtig verstanden, dahin,
    ob die Übergangsbestimmung in Art. 2 § 4 Abs. 1 Satz 1 ArVNG mit dem Grundgesetz vereinbar ist, soweit sie die Fortführung einer nach dem 31. Dezember 1955 begonnenen Selbstversicherung nicht zuläßt.
 
D.
In dem zu prüfenden Umfang ist die Norm mit dem Grundgesetz vereinbar.
Neben der Verletzung des Rechtsstaatsprinzips und des allgemeinen Gleichheitssatzes, die im Vorlagebeschluß genannt ist, wird auch Verletzung des Sozialstaatsprinzips sowie der Gewährleistung des Eigentums und der allgemeinen Handlungsfreiheit geltend gemacht. Ein Teil dieser verfassungsrechtlichen Argumente ist schon im Gesetzgebungsverfahren (BT II/1953 Sitz. vom 18. Januar 1957 Prot. S. 10 447 B, C, D, Begr. der Änderungsanträge von FDP - Umdr. 889 Ziff. 69, SPD - Umdr. 893 Ziff. 101, 102 - und GB/BHE - Umdr. 896 Ziff. 27, 28) und später in den Vorlagen mehrerer Sozialgerichte und den Stellungnahmen des Bundessozialgerichts sowie in der Literatur erörtert worden. Alle Bedenken reichen jedoch nicht aus, um die Unvereinbarkeit der zur Prüfung vorgelegten Norm mit dem Grundgesetz festzustellen. Nur das steht zur Entscheidung, nicht aber die Frage, ob eine bessere, gerechtere oder billigere gesetzliche Lösung möglich wäre (vgl. z.B. BVerfGE 3, 162 [182]). Deshalb kann es hier keine Rolle spielen, ob der Gesetzgeber in anderen Übergangsbestimmungen des Rentenneuregelungsrechts den Schutz des Besitzstandes nach anderen, möglicherweise gerechteren Prinzipien geordnet hat.
I.
Die grundgesetzliche Gewährleistung des Eigentums ist nicht verletzt, weil die beeinträchtigte Rechtsposition der Selbstversicherten nicht "Eigentum" im Sinne von Art. 14 GG ist. Das ergibt sich aus der Zugehörigkeit der Rechtsposition zum öffentlichen Recht und aus dem besonderen Übergewicht, das hier die staatliche Gewährung gegenüber der eigenen Leistung des Versicherten hat.
1. Das Bundesverfassungsgericht hat bereits ausgesprochen, daß auch bei freiwilliger Beteiligung an der Sozialversicherung "der Anspruch auf die Versicherungsleistung bei Eintritt des Versicherungsfalles und die als Anwartschaft bezeichnete Position bis zu diesem Zeitpunkt ... zu den öffentlich-rechtlichen Vermögenspositionen (gehören), für die der Schutz des Art. 14 GG nicht schlechthin, sondern nur dann in Anspruch genommen werden kann, wenn sie die konstituierenden Merkmale des Eigentumsbegriffes tragen" (BVerfGE 11, 221 [226]; vgl. auch BVerfGE 1, 264 [278 f.]; 2, 380 [402]; 4, 219 [241]). Was dort für bestehende Versicherungsansprüche und für Anwartschaften gesagt worden ist, gilt naturgemäß auch für die jetzt in Rede stehende, vor dem Ablauf der Wartezeit liegende Position der Selbstversicherten.
2. Die Gewährleistung des Eigentums ergänzt die Handlungs- und Gestaltungsfreiheit. Demgemäß ist in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. schon BVerfGE 1, 264 [277/278]) ausgesprochen, daß, was der einzelne durch eigene Leistung erworben hat, in besonderem Sinne als sein Eigentum anzuerkennen und gegenüber Eingriffen als schutzwürdig anzusehen ist. Hiernach hängt die Bewertung der beeinträchtigten Rechtsposition der Selbstversicherten als Eigentum davon ab, wie weit sie sich als Äquivalent eigener Leistung erweist oder auf staatlicher Gewährung beruht (vgl. BVerfGE 2, 380 [399 ff.]).
3. Die hier in Rede stehende Position der Selbstversicherten ist dadurch gekennzeichnet, daß ihnen bei Eintritt des Versicherungsfalles - von dem seltenen Fall des § 1263 RVO a.F. abgesehen - noch keine Rentenansprüche zugestanden hätten, ja daß angesichts der Ungewißheit, ob und wie viele Beiträge bei Fortführung der Selbstversicherung entrichtet worden wären, sogar dahinstand, ob sie je solche Ansprüche erworben haben würden. Ihre Rechtsposition umfaßt drei verschiedene Elemente: den engbegrenzten Versicherungsschutz aus § 1263a RVO a.F., die Berücksichtigung der geleisteten Beiträge bei einem etwaigen künftigen Rentenverfahren und die "Erwerbsberechtigung". Freilich können diese Elemente nicht derart losgelöst voneinander behandelt werden, als wären sie selbständige Ansprüche; vielmehr muß die gesamte Rechtsposition gewürdigt werden (vgl. BVerfGE 11, 221 [226 ff.]; in gleichem Sinne das Bundessozialgericht z.B. in BSGE 5, 40 [44]; 3, 77 [81 f.]; 14, 133 [137]). Das schließt aber nicht aus, daß die Richtung des gerügten gesetzlichen Eingriffs auf das eine oder andere ihrer Elemente in Verbindung mit deren Rechtsgrund und Bedeutung im Rahmen der Gesamtposition entscheidend sein kann. Dabei ist unter Berücksichtigung der Auffassungen und Interessen der Beteiligten zu ermitteln, wo der Schwerpunkt der Rechtsposition liegt.
4. Für die Frage, ob die beeinträchtigte Rechtsposition "Eigentum" ist, können der Versicherungsschutz aus § 1263a RVO a.F. und die Berücksichtigung geleisteter Beiträge bei künftiger Rentenberechnung vernachlässigt werden. Beide Positionen bleiben erhalten, falls die Beiträge nicht zurückgefordert werden. Sie sind aber auch für die Versicherten ohne irgend wesentliches Interesse. Schon der Eintritt eines der in § 1263a RVO a.F. vorgesehenen Versicherungsfälle ist verhältnismäßig selten. Zudem wurde die Rente aus § 1263a RVO a.F. nur nach den entrichteten Beiträgen und anzurechnenden Ersatzzeiten berechnet. Der Ablauf der Wartezeit von 60 Monaten wurde nach altem Recht nur für die Entstehung des Rentenanspruchs, nicht aber bei der Berechnung der Rente als rentensteigernd fingiert. Die entrichteten Beiträge aber konnten bei einer Laufzeit von höchstens 14 Monaten (1. Januar 1956 bis 23. Februar 1957) nur bescheiden sein und auf die Höhe einer etwaigen künftigen Rente keinen nennenswerten Einfluß haben. Um einer nach Entstehung und Höhe so geringen Rentenchance willen würde eine Selbstversicherung nicht eingegangen worden sein.
5. Den Schwerpunkt der Rechtsposition sehen die Selbstversicherten wie die Versicherungsträger in der Erwerbsberechtigung. Die Chance, durch Entrichtung weiterer Beiträge die Voraussetzungen für den künftigen Erwerb von Anwartschaften und Rentenansprüchen zu schaffen, bestimmt also den Charakter der beeinträchtigten Rechtsposition.
Die Erwerbsberechtigung aber beruhte nicht auf eigener Leistung der Versicherten, sondern auf staatlicher Gewährung.
Die Möglichkeit freiwilliger Selbstvorsorge im Rahmen der Sozialversicherung war vom Staat allen Deutschen eingeräumt, die das 40. Lebensjahr noch nicht vollendet hatten. Sie hing nicht davon ab, ob und wie viele Beiträge geleistet waren. Die Unterscheidung der Erwerbsberechtigung vor und nach Begründung der Selbstversicherung gibt für das Problem der Enteignung nichts her; denn das Recht, eine Selbstversicherung durch den ersten freiwilligen Beitrag zu beginnen, und das Recht, sie durch weitere Beitragsleistungen fortzusetzen, sind inhaltlich gleich. Man kann in diesem Zusammenhang nicht in Parallele zum privaten Versicherungsvertrag die Bedeutung der Erwerbsberechtigung vor und nach "Vertragsabschluß" differenzieren; denn die Privatversicherungsträger unterliegen keinem Kontrahierungszwang, so daß vor Vertragsabschluß von einer Erwerbsberechtigung überhaupt keine Rede sein kann, während es den Sozialversicherungsträgern nicht freisteht, ob, mit wem und zu welchen Bedingungen sie ein Versicherungsverhältnis eingehen wollen. Auch "erkauft" sich der Versicherungswillige in der Privatversicherung die Aussicht auf Versicherungsleistungen durch eine einklagbar Verpflichtung zu regelmäßiger Prämienzahlung, während es ihm in der sozialen Selbstversicherung freistand, ob, wie viele und wie hohe Beiträge er in Zukunft leisten wollte. Die Erwerbsberechtigung der Selbstversicherten ist der Sache nach auch nach der ersten Beitragszahlung kein Recht aus der Versicherung, sondern vorher wie nachher nichts anderes als ein Recht zur Selbstvorsorge in der Sozialversicherung, ein Recht zur Selbstversicherung. Der Beginn der Selbstversicherung ändert also nichts daran, daß die Erwerbsberechtigung auf staatlicher Gewährung beruht.
II.
Auch das Rechts- und Sozialstaatsprinzip ist nicht verletzt.
Was die Selbstversicherung vor und nach ihrem Beginn unterscheidet, ist nicht eine Inhaltsänderung der Erwerbsberechtigung, sondern der im Vertrauen auf das Gesetz gefaßte und durch Beitragsleistung bekräftigte Entschluß des Versicherten, Vorsorge gerade auf dem Wege der freiwilligen Selbstversicherung zu treffen und andere Möglichkeiten der Vorsorge ungenützt zu lassen. Das wirft die Frage nach einer Verletzung des Verfassungsprinzips der Rechts- und Sozialstaatlichkeit (vgl. z.B. BVerfGE 3, 225 [237]; 3, 377 [381]; 6, 32 [41]; 7, 89 [92 f.]) auf, die auch in den Stellungnahmen aus der Sozialgerichtsbarkeit und der Wissenschaft im Mittelpunkt steht. Der Gesichtspunkt, unter dem vor allem das Rechtsstaatsprinzip vielfach als verletzt angesehen wird, ist die Rückwirkung von Gesetzen in Verbindung mit dem Vertrauensschutz des Bürgers.
1. Für die Beurteilung der Rückwirkung kann außer acht bleiben, daß die am 23. Februar 1957 verkündeten Neuregelungsgesetze bereits mit Wirkung ab 1. Januar 1957 in Kraft getreten sind; denn die Frage, ob die Fortführung einer nach dem 31. Dezember 1955 begonnenen Selbstversicherung versagt werden durfte, würde sich genauso stellen, wenn die Neuregelungsgesetze erst mit oder nach ihrer Verkündung in Kraft getreten wären.
2. Eine echte Rückwirkung, d.h. ein gesetzlicher Eingriff in abgewickelte, der Vergangenheit angehörende Tatbestände (BVerfGE 11, 139 [145/146]), liegt nicht vor. Die Rechtsposition der seit dem 1. Januar 1956 der Selbstversicherung Beigetretenen wird lediglich für die Zukunft dahin geändert, daß sie die Selbstversicherung nicht fortsetzen können. Eine echte Rückwirkung kann auch nicht darin gesehen werden, daß in Art. 2 § 4 ArVNG (ebenso Art. 2 § 5 AnVNG) die nach altem Recht gegebene Möglichkeit, Beiträge für Zeiträume vor dem 1. Januar 1956 nachzuentrichten, unberücksichtigt geblieben ist. Die Möglichkeit, Beiträge nachzuentrichten, ist nicht - rückwirkend - beseitigt worden; sie ist vielmehr auch dem neuen Recht nicht fremd (vgl. § 1418 Abs. 1 RVO n.F., § 140 Abs. 1 AnVG). Auch die vom alten Recht den nachentrichteten Beiträgen beigelegte Wirkung ist nicht berührt worden. Der Gesetzgeber hat lediglich für die Frage der Abgrenzung des Kreises der nach Art. 2 § 4 ArVNG (ebenso Art. 2 § 5 AnVNG) zur Fortsetzung der Selbstversicherung Berechtigten allein auf die tatsächliche Beitragsentrichtung vor dem Stichtag abgestellt. Damit ist nicht die im alten Recht vorgesehene Beitragsnachentrichtung rückwirkend beseitigt, sondern nur bei Regelung einer neu aufgetretenen Frage nicht in den Tatbestand der Gesetzesvorschrift mit aufgenommen worden.
3. Aus dem rechtsstaatlichen Prinzip der Rechtssicherheit ergeben sich jedoch verfassungsrechtliche Grenzen auch bei "unechter Rückwirkung" (BVerfGE 11, 139 [145/146]), d.h. für Normen, die zwar unmittelbar nur auf gegenwärtige, noch nicht abgeschlossene Sachverhalte für die Zukunft einwirken, damit aber zugleich die betroffene Rechtsposition nachträglich im ganzen entwerten. Für den Bürger bedeutet Rechtssicherheit in erster Linie Vertrauensschutz (BVerfGE 13, 261 [271] und 13, 215 [224]), und es ist auch in Fällen unechter Rückwirkung durchaus denkbar, daß der Vertrauensschutz verletzt wird, wenn das Gesetz einen entwertenden Eingriff vornimmt, mit dem der Staatsbürger nicht rechnen, den er also bei seinen Dispositionen nicht berücksichtigen konnte (vgl. BVerfGE 1, 264 [280]; 2, 237 [266]; 8, 274 [304]; 13, 274 [278]; 13, 279 [283]).
4. Bei dem gerügten Eingriff handelt es sich um einen Fall unechter Rückwirkung. Die Versicherten haben die Selbstversicherung begonnen, weil sie darauf vertrauten, das Versicherungsverhältnis bis zum Erwerb von Rentenansprüchen, zumindest bis zum Erwerb der Anwartschaften auf Invaliditäts- und Altersrenten fortführen zu dürfen. Dadurch, daß diese Möglichkeit beseitigt worden ist, wird den Selbstversicherten der für sie entscheidende Teil ihrer - öffentlich-rechtlichen - Rechtsposition genommen; sie verlieren in aller Regel nachträglich jedes Interesse an der Selbstversicherung überhaupt.
5. Diese unechte Rückwirkung kann nicht damit gerechtfertigt werden, daß die betroffenen Versicherten bei Aufnahme der Selbstversicherung mit ihrer nachträglichen Beseitigung hätten rechnen können. Zwar mag die interessierte Öffentlichkeit schon im Laufe des Jahres 1956 aus Berichten über den Regierungsentwurf und über die Arbeit des Sozialpolitischen Ausschusses haben entnehmen können, daß mit der Rentenreform auch die Tendenz verfolgt wurde, die freiwillige Versicherung stark einzuschränken. Das Bundesverfassungsgericht hat jedoch wiederholt den Grundsatz ausgesprochen, daß das Vertrauen des Bürgers in den Bestand des geltenden Rechts erst von dem Zeitpunkt ab nicht mehr schutzwürdig ist, in dem der Bundestag ein in die Vergangenheit zurückwirkendes Gesetz beschlossen hat (vgl. insbesondere BVerfGE 13, 261 [273]; ferner 8, 274 [304/305]; 13, 206 [213]). Im vorliegenden Fall ist die Beschlußfassung des Bundestages am 21. Januar 1957 erfolgt. Nicht nur bei der Klägerin des Ausgangsverfahrens, sondern auch in allen dem Bundesverfassungsgericht bekanntgewordenen Parallelfällen liegt dieser Tag nach der Begründung der Selbstversicherung.
6. Es muß deshalb davon ausgegangen werden, daß in der Tat das Vertrauen der betroffenen Selbstversicherten auf den Bestand ihrer Rechtsposition enttäuscht worden ist. In Einzelfällen mag dies als besondere Härte empfunden worden sein, namentlich dann, wenn die Aufnahme in eine Privatversicherung nicht mehr möglich war. Abgesehen davon aber, daß es sich hier um Ausnahmefälle handelt, verlieren solche Erwägungen für die verfassungsrechtliche Beurteilung auch dadurch an Gewicht, daß die Selbstversicherung in ein umfassendes soziales System eingebettet ist, das für große Gruppen der Selbstversicherten in anderer Weise Vorsorge getroffen hat. Vor allem aber ist zu berücksichtigen, daß die beeinträchtigte Rechtsposition ihren Schwerpunkt in der staatlich gewährten Erwerbsberechtigung hat und daß der verfassungsrechtliche Vertrauensschutz nicht so weit geht, dem Staatsbürger jegliche Enttäuschung zu ersparen.
7. Davon geht auch das Bundessozialgericht in der Äußerung zu diesem Verfahren aus. Doch müßten, so führt es aus, die Versicherten sich darauf verlassen dürfen, daß ihnen aus der gutgläubigen Benutzung einer von der Rechtsordnung bereitgestellten öffentlichen Einrichtung wenn schon nicht der in Aussicht gestellte Vorteil, so doch jedenfalls kein unvorhersehbarer Nachteil erwachse. Das geschehe hier: denn wer sich erst nach Beseitigung der Selbstversicherung privat versichern wolle, müsse nun unter Umständen schlechtere Bedingungen hinnehmen, als wenn er das früher getan hätte. Hier komme hinzu, daß die Selbstversicherten im allgemeinen wirtschaftlich schwachen und deswegen besonders schutzwürdigen Bevölkerungsschichten angehörten, so daß die beanstandete Gesetzesvorschrift auch gegen das Prinzip der Sozialstaatlichkeit verstoße.
Der Gesetzgeber selbst hat solchen Erwägungen insoweit Rechnung getragen, als er für die vor dem 1. Januar 1956 begonnenen Selbstversicherungen die Fortsetzung zuließ. Nur für die seitdem, also in den letzten 14 Monaten vor Verkündung des Gesetzes begonnenen Selbstversicherungen hat er den Bestandsschutz versagt.
Dem Gedanken, daß um der Rechtssicherheit willen für den Bürger durch unvorhergesehene Gesetzesänderung jedenfalls kein Nachteil erwachsen dürfe, ist grundsätzlich zuzustimmen. Dennoch bildet die hier gerügte Vertrauensverletzung keine ausreichende Basis für die Feststellung einer Verletzung des Rechts- und Sozialstaatsprinzips. Der Staatsbürger kann sich auf Vertrauensschutz als Ausprägung des Rechtsstaatsprinzips nicht berufen, wenn sein Vertrauen auf den Fortbestand einer bestimmten gesetzlichen Regelung eine Rücksichtnahme durch den Gesetzgeber billigerweise nicht beanspruchen kann. Hierfür ist einerseits das Ausmaß des Vertrauensschadens, andererseits die Bedeutung des gesetzgeberischen Anliegens für das Wohl der Allgemeinheit maßgeblich. Sie sind gegeneinander abzuwägen.
8. Bei der Beseitigung der Selbstversicherung griff der Gesetzgeber auf Bedenken zurück, die von Anfang an gegen diese Einrichtung vorgebracht worden waren. Schon in den Kommissionsberatungen des Jahres 1889 wurde geltend gemacht, daß durch die Selbstversicherung ein äußerst unsicheres Element in die Invalidenversicherung eingeführt würde und die Versicherungsanstalt ein Risiko übernehmen müßte, für das sie wahrscheinlich keine genügende Deckung finden würde; was man den freiwillig Versicherten zuwenden würde, müßten die Zwangsversicherten tragen, "und die Arbeiter zu belasten zugunsten der selbständigen Gewerbetreibenden erscheine in der Tat unmöglich" (RT 1888/89 Drucks. Nr. 141 S. 978). Erst in der zweiten Beratung nahm der Reichstag einen Änderungsantrag an, der die Selbstversicherung für engbegrenzte Ausnahmefälle zuließ (RT 1888/89 Prot. S. 1158 ff. [1162 ]).
In den Neuregelungsgesetzen hat sich jetzt die Ansicht durchgesetzt, "daß die Selbstversicherung ein Fremdkörper innerhalb der Versichertengemeinschaft der unselbständigen Arbeitnehmer sei. Die Rentenversicherung der Arbeiter ist in ihrem Aufbau und in ihren Leistungen auf die Verhältnisse der unselbständigen Arbeitnehmer zugeschnitten. Personen, die nicht zu den Arbeitnehmern gehören und deren Versicherungsbedürfnisse weitgehend anders geartet sind, können deshalb nicht in eine solche Versichertengemeinschaft einbezogen werden. Zudem würde die Beibehaltung der Selbstversicherung zu einer Häufung der 'schlechten Risiken' führen und einen Nachteil der Pflichtversicherten bedeuten" (BT II/1953, zu Drucks. 3080, Bericht des Sozialpolitischen Ausschusses - Abg. Dr. Berg - S. 2; vgl. auch Drucks. 2437, Reg.Entwurf zu den Neuregelungsgesetzen, S. 64 und aus der Bundestagsdebatte z.B. die Äußerung des Abg. Schneider, BT II/ 1953 Prot. S. 10 200 f.). Allerdings war diese Ansicht im Bundestag nicht unbestritten. Der Abg. Dr. Schellenberg hat die Abschaffung der Selbstversicherung vor Einrichtung einer Rentenversicherung für Selbständige und Hausfrauen geradezu als Verschlechterung des bisherigen Rechtszustandes bezeichnet (BT II/1953 Prot. S. 10 201 C). Das Bundesverfassungsgericht hat die sozialpolitische Entscheidung des Gesetzgebers hinzunehmen, solange seine Erwägungen - wie hier - weder offensichtlich fehlsam noch mit der Wertordnung des Grundgesetzes unvereinbar sind (vgl. BVerfGE 13, 97 [107 und 110]). Es ist also davon auszugehen, daß an der möglichst weitgehenden Ausschaltung der Selbstversicherung mit ihren "schlechten Risiken" nicht nur die Gemeinschaft der Pflichtversicherten, sondern darüber hinaus die Allgemeinheit interessiert ist, der an einer möglichst homogenen und leistungskräftigen Versichertengemeinschaft schon im Hinblick auf die Bundeszuschüsse zur Sozialversicherung (§§ 1382, 1389 RVO n.F., ebenso §§ 109, 116 AnVG) gelegen sein muß.
Nun ist geltend gemacht worden, daß diese Erwägungen wohl die Beseitigung der Selbstversicherung für die Zukunft rechtfertigen könnten, nicht aber die Beseitigung der nach dem 31. Dezember 1955 bereits begonnenen; denn zahlenmäßig wären diese nicht ins Gewicht gefallen, hätten also keine nennenswerte finanzielle Mehrbelastung der Versicherungsträger mit sich gebracht; dies um so mehr, als der Gefahr, daß im Verhältnis zu geringem Beitragsaufwand hohe Rentenleistungen erzielt würden, durch die neue Rentenformel zum Teil begegnet werde, da sie - mehr als die frühere Berechnungsweise - auf die Beitragsleistung abstelle (so z.B. Äußerung des 4. Senats des Bundessozialgerichts zu dem Parallelverfahren 1 BvL 9/62). Demgegenüber wird von anderer Seite zur Rechtfertigung der Übergangsregelung gesagt, es sei zu erwarten gewesen, daß die frühzeitig bekanntgewordene Tendenz zur Abschaffung der Selbstversicherung viele angereizt habe, noch vor dem Inkrafttreten der Neuregelungsgesetze der Sozialversicherung beizutreten, so daß die unbeschränkte Anerkennung der bereits begonnenen Selbstversicherungen auf eine Vereitelung des mit ihrer Abschaffung verfolgten Zweckes hinausgelaufen wäre (so z.B. Jantz/Zweng, Das neue Recht der Rentenversicherung der Arbeiter und der Angestellten, S. 283; Rohwer/ Kahlmann, SGb. 1958 S. 145, 173 [176]). Der schriftliche Bericht des Ausschusses für Sozialpolitik zu Drucks. 3080 S. 22 besagt zwar hierzu lediglich:
    Der Ausschuß vertrat mit Mehrheit den Standpunkt, daß derjenige, der bereits vor dem 1. Januar 1956 in die Selbstversicherung eingetreten war, diese fortsetzen könne, nicht dagegen derjenige, der sich erst im abgelaufenen Jahre 1956 selbstversichert habe.
Es liegt jedoch auf der Hand, daß die Sorge vor einem unverhältnismäßig großen Zustrom von Selbstversicherten kurz vor Toresschluß den Gesetzgeber zu der gerügten Bestimmung veranlaßt hat. Auch die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte geht in ihrer Äußerung zu dem Parallelverfahren 1 BvL 14/58 mit Selbstverständlichkeit davon aus, daß der Gesetzgeber sich aus diesem Grunde zu der Übergangsregelung entschlossen hat.
Nun war das Ausmaß solcher Zugänge naturgemäß ziffernmäßig nicht zu überblicken. Ob sie wirklich ins Gewicht fallen und die Versichertengemeinschaft beträchtlich belasten würden oder nicht, war zur Zeit der Beratung des Gesetzes nicht abzusehen. Immerhin beruhte diese Besorgnis auf verständigen Erwägungen. Bei der Bewertung eines solchen Zustromes ist zu bedenken, daß die Selbstversicherungsverhältnisse ihrer Natur nach häufig eine sehr lange Laufzeit haben und daß beim Eintritt von Rentenfällen die Solidargemeinschaft möglicherweise noch in vielen Jahren über die eingezahlten Beiträge der Selbstversicherten hinaus erhebliche Mittel aufwenden müßte, die nun für die Pflichtversicherten verfügbar sind. Die neue Rentenformel mag diese Gefahr mindern, schließt sie aber - dem Wesen der Versicherung entsprechend - nicht aus.
Das Bundessozialgericht hat weiter darauf hingewiesen, daß der Gesetzgeber einer unerwünschten Häufung freiwilliger Beitritte "kurz vor Toresschluß" auch durch das mildere Mittel einer vorläufigen Beitrittssperre hätte entgegenwirken können. Auch eine solche Maßnahme hätte aber nur durch Gesetz erfolgen können. Da nicht feststeht, daß es in kurzer Zeit hätte erlassen werden können, wären vermutlich die gleichen unerwünschten Auswirkungen eingetreten. Auch konnte der Gesetzgeber mit Recht von einer vorläufigen Regelung absehen, solange die endgültige Rechtsgestaltung gerade in diesem Punkte noch völlig offen war. Angesichts dieser Unsicherheiten lassen sich gegen das Vorgehen des Gesetzgebers durchgreifende verfassungsrechtliche Einwendungen nicht erheben.
Die strittige Übergangsbestimmung dient demnach dem gemeinen Wohl, indem sie sich dem legitimen Bestreben des Gesetzgebers einfügt, eine homogene Versichertengemeinschaft zu schaffen, der die von ihr aufgebrachten Mittel in voller Höhe auch wieder zugute kommen.
9. Der Vertrauensschaden der seit dem 1. Januar 1956 der Selbstversicherung Beigetretenen hat bei der in der Sozialversicherung gebotenen generalisierenden Betrachtung, insbesondere angesichts der bisherigen kurzen Beitragszeit, kein erhebliches Gewicht.
Die gezahlten Beiträge werden auf Antrag zurückerstattet. Für die Abschätzung des Vertrauensschadens kommt es also allein darauf an, ob sich der Versicherungswillige durch den Beitritt zur Sozialversicherung in seinen Dispositionen so sehr festgelegt hatte, daß er andere ihm zur Zeit des Beitritts offenstehende Möglichkeiten der Selbstvorsorge nicht mehr oder nur unter finanziell unzumutbar erhöhten Opfern ausnutzen könnte. Dabei kommt wiederum dem Zeitablauf eine entscheidende Bedeutung zu; denn die Wahrscheinlichkeit eines Vertrauensschadens wird naturgemäß um so größer, je länger das Selbstversicherungsverhältnis andauert. Die Grenze dafür, von wann ab das Vertrauensinteresse eines Selbstversicherten erhebliches Gewicht erlangt, wird schon im Einzelfall meist nicht eindeutig sein und ist bei dem zur verfassungsrechtlichen Beurteilung erforderlichen Blick auf die Vielzahl der Versicherungsverhältnisse jedenfalls schwer bestimmbar. Das gab dem Gesetzgeber bei der Festsetzung der Zeitgrenze, bis zu der er dem möglichen Vertrauensschaden durch Bestandsschutz Rechnung tragen wollte, einen beträchtlichen Spielraum.
Nach der beanstandeten Gesetzesbestimmung waren vom Beitritt in die Selbstversicherung bis zur Verkündung der Neuregelungsgesetze im ungünstigsten Fall knapp 14 Monate verstrichen; meist wird eine erheblich kürzere Zeitspanne anzusetzen sein; im vorliegenden Fall sind es 2 Monate und 17 Tage. Von der Gefahr des Eintritts eines irgend beträchtlichen Vertrauensschadens in dem oben bezeichneten Sinne kann hiernach - auf die Gesamtheit der in Frage kommenden Selbstversicherungen bezogen - nicht ernstlich gesprochen werden. Bei einem Alter von weniger als 40 Jahren ist im Laufe von 14 Monaten in aller Regel nicht mit einer Gesundheitsverschlechterung zu rechnen, die eine Privatversicherung erschwert. Auch kann die Erhöhung der Versicherungsprämie durch den Ablauf von höchstens 14 Monaten nur unbedeutend sein; zudem kann der Versicherungspflichtige sie vermeiden, wenn er unter Zuhilfenahme der zurückerstatteten Sozialversicherungsbeiträge die Prämien der Privatversicherung für die Zeit seit Abschluß der Selbstversicherung nachzahlt. Das Bedürfnis nach einem Vertrauensschutz ist daher in der konkreten Lage nur sehr gering zu bewerten.
10. Wenn der Gesetzgeber dem Allgemeininteresse gegenüber der Gefahr eines jedenfalls nur unbeträchtlichen Vertrauensschadens der erst kurzfristig Selbstversicherten den Vorrang eingeräumt hat, so liegt das im Rahmen seiner Gestaltungsfreiheit, auch wenn man in Rechnung stellt, daß viele der Selbstversicherten sozial schutzbedürftigen Schichten der Bevölkerung angehören. Eine Verletzung des Rechts- und Sozialstaatsprinzips kann daher nicht festgestellt werden.
III.
Art. 3 Abs. 1 GG ist ebenfalls nicht verletzt. Weder das vom Gesetzgeber gewählte Differenzierungsprinzip noch der konkrete Stichtag geben unter dem Blickwinkel des allgemeinen Gleichheitssatzes zu Beanstandungen Anlaß. Der Gesetzgeber hat bei dem Schutz des Besitzstandes der Selbstversicherten nach der Dauer der bisherigen Versicherungszugehörigkeit differenziert. Diese Differenzierung ist sachgerecht; denn bei kürzerer Zugehörigkeit zur Versichertengemeinschaft ist es eher vertretbar und angezeigt, die Fortführung der Selbstversicherung auszuschließen, als bei einer längeren Zugehörigkeit.
Die Abgrenzung nach der Dauer des Versicherungsverhältnisses erfordert naturgemäß die Bestimmung eines Stichtags. Dabei sind in jedem Fall gewisse Härten unvermeidbar (vgl. BVerfGE 3, 58 [148]; 3, 288 [340]). Schon der Aufdruck der Jahreszahl auf den Beitragsmarken, aber auch die gesamte Organisation der Sozialversicherung legte es nahe, den Stichtag auf einen Jahresbeginn zu legen. Mit einer Festlegung auf den 1. Januar 1957, der nur wenige Wochen vor der Beschlußfassung des Bundestages lag, wäre dem Gesetzeszweck nicht gedient gewesen. Ein anderer Stichtag als der 1. Januar 1956, der nächste zurückliegende Jahresbeginn, kam praktisch nicht in Betracht. Der Gesetzgeber hat sich also bei der Differenzierung von sachgerechten Erwägungen leiten lassen.
IV.
Schließlich ist auch Art. 2 Abs. 1 GG nicht verletzt.
Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist ein Verstoß gegen die Garantie der allgemeinen Handlungsfreiheit dann zu verneinen, wenn die zu prüfende Norm als Bestandteil der verfassungsmäßigen Ordnung angesehen werden kann, die jene Freiheit begrenzt. Die Frage, ob die Übergangsregelung für die Selbstversicherung in Art. 2 § 4 (§ 5) Abs. 1 Satz 1 ArVNG (AnVNG) als Bestandteil der verfassungsmäßigen Ordnung anzusehen ist, ist nach den vorausgegangenen Darlegungen zu bejahen, weil die Übergangsbestimmung "keinem Satz der geschriebenen Verfassung, aber auch keinem der sie übergreifenden und durchdringenden allgemeinen Rechtsgrundsätze, namentlich nicht dem Grundsatz der Rechtsstaatlichkeit und dem Sozialstaatsprinzip widerspricht" (BVerfGE 10, 354 [363]).