BVerfGE 41, 29 - Simultanschule |
1. Art. 7 GG überläßt es dem demokratischen Landesgesetzgeber, den religiös-weltanschaulichen Charakter der öffentlichen Schulen unter Berücksichtigung des Grundrechts aus Art. 4 GG zu bestimmen. |
2. Das Grundrecht aus Art. 4 Abs. 1 GG und Art. 4 Abs. 2 GG schließt das Recht der Eltern ein, ihrem Kind die von ihnen für richtig gehaltene religiöse oder weltanschauliche Erziehung zu vermitteln. |
3. Es ist Aufgabe des demokratischen Landesgesetzgebers, das im Schulwesen unvermeidliche Spannungsverhältnis zwischen "negativer" und "positiver" Religionsfreiheit nach dem Prinzip der "Konkordanz" zwischen den verschiedenen verfassungsrechtlich geschützten Rechtsgütern zu lösen. |
4. Eine Schulform, die weltanschaulich-religiöse Zwänge soweit wie irgend möglich ausschaltet sowie Raum für eine sachliche Auseinandersetzung mit allen religiösen und weltanschaulichen Auffassungen - wenn auch von einer christlich bestimmten Orientierungsbasis her - bietet und dabei das Toleranzgebot beachtet, führt Eltern und Kinder, die eine religiöse Erziehung ablehnen, nicht in einen verfassungsrechtlich unzumutbaren Glaubenskonflikt und Gewissenskonflikt. |
5. Die christliche Gemeinschaftsschule badischer Überlieferung im Sinne von Art. 15 Abs. 1 VerfBW ist als Schulform mit dem Grundgesetz vereinbar. |
Beschluß |
des Ersten Senats vom 17. Dezember 1975 |
-- 1 BvR 63/68 -- |
in dem Verfahren über die Verfassungsbeschwerden der Beschwerdeführer 1-7 - Bevollmächtigter: Rechtsanwalt Erwin Fischer, Ulm, Hirschstraße 24 - gegen Artikel I Nr. 2 Absatz 1 des Gesetzes zur Änderung der Verfassung des Landes Baden-Württemberg und zur Ausführung von Artikel 15 Absatz 2 der Verfassung vom 8. Februar 1967 - GBl. S. 7 -. |
Entscheidungsformel: |
Die Verfassungsbeschwerden werden zurückgewiesen. |
Gründe: |
A. -- I. |
Gegenstand des Verfahrens ist die Verfassungsmäßigkeit der Simultanschule mit christlichem Charakter im überlieferten badischen Sinn, die als einheitliche Schulform für die öffentlichen Volksschulen in Baden-Württemberg durch die Verfassungsnovelle vom 8. Februar 1967 eingeführt worden ist.
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1. Bis dahin war in der Verfassung des Landes Baden-Württemberg vom 11. November 1953 (GBl. S. 173) über die Erziehung und den Unterricht in der Schule u. a. folgendes bestimmt:
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"Artikel 15
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(1) Die Formen der Volksschule bleiben in den einzelnen Landesteilen nach den Grundsätzen und Bestimmungen erhalten, die
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am 9. Dezember 1951 gegolten haben.
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(2) Das natürliche Recht der Eltern, die Erziehung und Bildung ihrer Kinder mitzubestimmen, muß bei der Gestaltung des Erziehungs- und Schulwesens berücksichtigt werden. Das Nähere regelt ein Schulgesetz, das einer Zweidrittelmehrheit bedarf.
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Artikel 16
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(1) In christlichen Gemeinschaftsschulen werden die Kinder auf der Grundlage christlicher und abendländischer Bildungs- und Kulturwerte erzogen. Der Unterricht wird mit Ausnahme des Religionsunterrichts gemeinsam erteilt.
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(2) Bei der Bestellung der Lehrer an den Volksschulen ist auf das religiöse und weltanschauliche Bekenntnis der Schüler nach Möglichkeit Rücksicht zu nehmen. Bekenntnismäßig nicht gebundene Lehrer dürfen jedoch nicht benachteiligt werden.
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(3) Ergeben sich bei der Auslegung des christlichen Charakters der Volksschule Zweifelsfragen, so sind sie in gemeinsamer Beratung zwischen dem Staat, den Religionsgemeinschaften, den Lehrern und den Eltern zu beheben.
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Artikel 17
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(1) In allen Schulen waltet der Geist der Duldsamkeit und der sozialen Ethik.
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(2) bis (4) ...
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Artikel 18
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Der Religionsunterricht ist an den öffentlichen Schulen ordentliches Lehrfach. Er wird nach den Grundsätzen der Religionsgemeinschaf-deren Beauftragten erteilt und beaufsichtigt. Die Teilnahme am Religionsunterricht und an religiösen Schulfeiern bleibt der Willenserklärung der Erziehungsberechtigten, die Erteilung des Religionsunterrichts der des Lehrers überlassen."
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An dem nach Art. 15 Abs. 1 a.F. maßgebenden Stichtag vom 9. Dezember 1951 bestanden in den einzelnen Landesteilen verschiedene Formen der öffentlichen Volksschulen. Für das damalige Land Württemberg-Baden, in dessen Gebiet die Kinder der Beschwerdeführer schulpflichtig sind oder waren, enthielt die Verfassung für Württemberg-Baden vom 28. November 1946 (RegBl. S. 277) folgende Regelung:
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"Artikel 37
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(1) und (2) ...
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(3) Die öffentlichen Volksschulen sind christliche Gemeinschaftsschulen. In ihnen sollen in Erziehung und Unterricht auch die geistigen und sittlichen Werte der Humanität und des Sozialismus zur Geltung kommen. Ergeben sich bei der Auslegung des christlichen Charakters der Volksschulen Zweifelsfragen, so liegt, unbeschadet der Rechte der Religionsgemeinschaften in der Erteilung und Beaufsichtigung des Religionsunterrichts, die Klärung und Entscheidung bei den staatlichen Organen. Der Unterricht wird sämtlichen Schülern gemeinsam erteilt mit Ausnahme des Religionsunterrichts, wenn die Schüler verschiedenen religiösen Bekenntnissen angehören. Bei der Bestellung der Lehrer soll auf das religiöse und weltanschauliche Bekenntnis der Schüler möglichst Rücksicht genommen werden, jedoch dürfen die nicht bekenntnismäßig gebundenen Lehrer nicht benachteiligt werden.
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(4) In der Schule waltet der Geist der Duldsamkeit und der sozialen Ethik.
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(5) ..."
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2. Um das Volksschulwesen zu vereinheitlichen und seine Reform zu ermöglichen, ist Art. 15 der Verfassung des Landes Baden-Württemberg durch Art. I Nr. 2 des Gesetzes zur Änderung der Verfassung des Landes Baden-Württemberg und zur Ausführung von Art. 15 Abs. 2 der Verfassung vom 8. Februar 1967 (GBl. S. 7) geändert und wie folgt neu gefaßt worden:
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(1) Die öffentlichen Volksschulen (Grund- und Hauptschulen) haben die Schulform der christlichen Gemeinschaftsschule nach den Grundsätzen und Bestimmungen, die am 9. Dezember 1951 in Baden für die Simultanschule mit christlichem Charakter gegolten haben.
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(2) Öffentliche Volksschulen (Grund- und Hauptschulen) in Südwürttemberg-Hohenzollern, die am 31. März 1966 als Bekenntnisschulen eingerichtet waren, können auf Antrag der Erziehungsberechtigten in staatlich geförderte private Volksschulen desselben Bekenntnisses umgewandelt werden. Das Nähere regelt ein Gesetz, das einer Zweidrittelmehrheit bedarf.
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(3) Das natürliche Recht der Eltern, die Erziehung und Bildung ihrer Kinder mitzubestimmen, muß bei der Gestaltung des Erziehungs- und Schulwesens berücksichtigt werden."
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Die Änderung des Art. 15 Abs. 1 ist mit Zustimmung aller Abgeordneten ergangen (vgl. Verh. LT BadWürtt., 4. Wp., Prot.- Bd. V, S. 4433 und 4441).
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Die Grundsätze und Bestimmungen, die am 9. Dezember 1951 in Baden für die Simultanschule mit christlichem Charakter gegolten haben und nach denen die Schulform der christlichen Gemeinschaftsschule im Sinne der angegriffenen Verfassungsnovelle ausgerichtet ist, werden in erster Linie durch die am Stichtag geltenden Bestimmungen der Verfassung des ehemaligen Landes Baden vom 18. Mai 1947 (Regierungsblatt der Landesregierung Baden S.129) festgelegt. Art. 28 der badischen Verfassung von 1947 (BadVerf.) bestimmte:
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"Artikel 28
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Die öffentlichen Schulen sind Simultanschulen mit christlichem Charakter im überlieferten badischen Sinn. An allen Schulen sind beim Unterricht die religiösen Empfindungen aller zu achten. Der Lehrer hat in jedem Fach auf die religiösen und weltanschaulichen Empfindungen aller Schüler Rücksicht zu nehmen und die religiösen und weltanschaulichen Auffassungen sachlich darzulegen.
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Der Religionsunterricht ist ordentliches Lehrfach in allen Volksschulen, Berufsschulen, mittleren und höheren Lehranstalten. Er wird in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der betreffenden Religionsgemeinschaft erteilt und von dieser beaufsichtigt. Kein Lehrer darf gezwungen oder gehindert werden, Religionsunterricht zu erteilen; aus seiner Entscheidung dürfen ihm keine Nachteile erwachsen. Die Lehrer für den Religionsunterricht bedürfen der Bevollmächtigung durch ihre Religionsgemeinschaft. Soweit der Religionsunterricht von den Religionsgemeinschaften selbst erteilt wird, sind ihnen die erforderlichen Schulräume zur Verfügung zu stellen. Das Nähere bestimmt das Schulgesetz.
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Die Teilnahme am Religionsunterricht und an kirchlichen Veranstaltungen bleibt der Willenserklärung der Erziehungsberechtigten überlassen. Für Schüler, die nicht am Religionsunterricht teilnehmen, ist ein Sittenunterricht einzurichten.
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Lehrpersonen darf aus ihrer Zugehörigkeit oder Nichtzugehörigkeit zu einem religiösen Bekenntnis kein Nachteil für ihren beruflichen Aufstieg erwachsen."
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Ferner war nach Art. 26 BadVerf. die Jugend "in der Ehrfurcht vor Gott, in der Liebe zu Volk und Heimat, im Geiste der Friedens- und Nächstenliebe und der Völkerverständigung zu sittlicher und politischer Verantwortung, zu beruflicher und sozialer Bewährung und zu freiheitlicher demokratischer Staatsgesinnung zu erziehen".
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3. Mit der Simultanschule christlichen Charakters im überlieferten badischen Sinn meinte Art. 28 Abs. 1 Satz 1 BadVerf. die Volksschule nach den Bestimmungen und Rechtsgrundsätzen des Schulgesetzes vom 7. Juli 1910 (Bad. GVBl. S. 386). Zwar ist dieses Gesetz durch das nationalsozialistisch geprägte Gesetz über die Grund- und Hauptschulen vom 29. Januar 1934 (Bad. GVBl. S. 25) ersetzt worden, das nie förmlich aufgehoben wurde. Sowohl bei der Beratung des Art. 28 Abs. 1 BadVerf. (vgl. Verhandlungen der beratenden Versammlung des Landes Baden, 13. Sitzung vom 14. April 1947, S. 16 ff. und S. 36) als auch bei den Beratungen über die angegriffene Verfassungsnovelle vom 8. Februar 1967 (vgl. Verh. LT BadWürtt., 4. Wp., Prot.- Bd. IV, S. 3955, 3971, 4143, und Bd. V, S. 4376) ging man aber übereinstimmend davon aus, daß das Schulgesetz von 1910 maßgeblich sei. Auch der badische Staatsgerichtshof stellte in seinem Urteil vom 23. Januar 1950 (Bad. GVBl. S. 105 = KirchE 1, 75 [78 f.]) fest, daß sich der Hinweis in Art. 28 Abs. 1 Satz 1 BadVerf. auf die badische Rechtsüberlieferung gemäß diesem Gesetz von 1910 beziehe. Dies wird schließlich dadurch bestätigt, daß das Schulgesetz von 1910 den Charakter der badischen Simultanschule nicht neu festlegte, sondern lediglich die Grundsätze neu bekanntmachte, die bereits seit der Einführung des obligatorischen gemeinschaftlichen Volksschulunterrichts durch das Gesetz vom 18. September 1876 (Bad. GVBl. S. 305) bestanden.
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Die einschlägigen Bestimmungen des badischen Schulgesetzes vom 7. Juli 1910 (Bad. GVBl. S. 386) in der Fassung des Gesetzes vom 30. März 1926 (Bad. GVBl. S. 63) lauten:
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"§ 34
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Bei Besetzung von Lehrerstellen an Volksschulen soll auf das religiöse Bekenntnis der die Schule besuchenden Kinder tunlichst Rücksicht genommen werden.
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Insbesondere wird bestimmt:
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1. An Schulen, die nur Kinder eines Bekenntnisses zu unterrichten haben, sollen nur Lehrer des betreffenden Bekenntnisses angestellt werden.
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2. Gehören die Schulkinder verschiedenen Bekenntnissen an, und ist nach deren Gesamtzahl nur ein Lehrer erforderlich (§ 26 dieses Gesetzes), so wird dieser dem Bekenntnis der Mehrheit der Schüler entnommen.
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Wenn eine Volksschule mit mehr als einem Lehrer von Schülern verschiedener Bekenntnisse besucht wird, so soll, wenn die Zahl der Schulkinder des Bekenntnisses der Minderheit dauernd über 40 beträgt, eine dieser Lehrerstellen, und wenn an der Schule mehrere Hauptlehrerstellen errichtet sind, eine Hauptlehrerstelle mit einem Lehrer aus dem Bekenntnis der Minderheit besetzt werden.
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§ 35
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Der Unterricht in der Volksschule soll die Kinder zu verständigen, religiös-sittlichen Menschen und dereinst tüchtigen Mitgliedern des Gemeinwesens heranbilden.
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Er hat sich auf folgende Gegenstände zu erstrecken:
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Religion,
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Lesen und Schreiben,
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Deutsche Sprache,
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Rechnen,
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...
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...
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§ 40
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Für den Religionsunterricht werden für jede getrennt unterrichtete Abteilung der Schüler in den Lehrplan der Volksschule wöchentlich 3 Stunden aufgenommen.
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Der Religionsunterricht wird durch die betreffenden Kirchen- und Religionsgemeinschaften besorgt und überwacht. Sie werden bei Erteilung desselben durch den gemäß § 44 Absatz 3 als befähigt erklärten Lehrer unterstützt. Zu diesem Zwecke sollen aus dem wöchentlichen Stundendeputat eines Lehrers, soweit erforderlich, je sechs Stunden verwendet werden. Im übrigen geschieht die Verteilung der Religionsstunden zwischen dem Geistlichen und dem Lehrer im Einverständnis der beiderseitigen Behörden.
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Der gesamte Lehrplan für den Religionsunterricht in den einzelnen Stufen und Klassen der Volksschule wird von der oberen geistlichen Behörde aufgestellt, welche die Ausführung desselben durch ihre Beamten überwachen und Prüfungen über den Religionsunterricht vornehmen lassen kann.
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Die Kirchen- und Religionsgemeinschaften haben bei ihren Verfügungen in Betreff des Religionsunterrichts in den Volksschulen die bestehende Schulordnung zu achten. Diese Verfügungen verkünden auf Mitteilung der geistlichen Behörden die oberen Schulbehörden an die Lehrer zur Nachachtung.
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Die Verkündung kann nicht versagt werden, wenn die Verfügungen nichts mit den allgemeinen Schulordnungen Unvereinbares enthalten. Die Geistlichen sind als Religionslehrer in den Volksschulen an die Schulordnung gebunden.
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Den staatlichen sowohl als den geistlichen Behörden bleibt vorbehalten, die Erteilung des Religionsunterrichts durch den Lehrer abzustellen.
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§ 44
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(1) Die Volksschullehrer(innen) erhalten ihre Ausbildung in einem zweijährigen erziehungswissenschaftlichen Lehrgang an Lehrerbildungsanstalten, in denen der Unterricht unentgeltlich erteilt wird. Insoweit ein Bedürfnis hierfür vorhanden ist, werden für Unterkunft und Verpflegung der Studierenden Heime errichtet.
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(2) Am Schlusse des zweijährigen Lehrgangs findet eine Prüfung statt, deren Bestehen zur Verwendung im öffentlichen Schuldienst als Schulgehilfe(in) befähigt. Zu dieser Prüfung sind auch solche Bewerber(innen) zuzulassen, die auf einem anderen als dem in Absatz 1 bezeichneten Wege sich ihre Ausbildung angeeignet haben. Die planmäßige Anstellung ist von der erfolgreichen Ablegung einer zweiten Prüfung abhängig.
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(3) Bei beiden Prüfungen sind die als Körperschaften des öffentlichen Rechtes anerkannten Religionsgesellschaften durch Beauftragte vertreten, welche in Religionslehre prüfen. Die Entscheidung über die Befähigung zur Erteilung des Religionsunterrichts steht den Religionsgesellschaften zu und wird den Befähigten durch die oberste Schulbehörde eröffnet."
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Das Kultusministerium Baden-Württemberg hat am 9. November 1967 (Kultus und Unterricht, Amtsblatt des Kultusministeriums Baden-Württemberg, S. 1260) "den wesentlichen Inhalt dieser Rechtsgrundsätze und die dazu erforderlichen Bestimmungen" bekanntgemacht und die sich hieraus nach Ansicht des Kultusministeriums für die Schulorganisation ergebenden Folgen näher dargelegt; es hat dabei zum Ausdruck gebracht, daß der christliche Charakter der öffentlichen Volksschulen im ganzen Land durch die Übernahme der Regeln und Sicherungen des badischen Simultanschulrechts verstärkt werde.
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II. |
Die Beschwerdeführer wenden sich mit den Verfassungsbeschwerden gegen die Änderung des Art. 15 Abs. 1 der Verfassung des Landes Baden-Württemberg durch die Novelle vom 8. Februar 1967. Sie sehen durch die Einführung der christlichen Gemeinschaftsschule badischer Überlieferung für das ganze Land den christlichen Charakter der Schule unzulässig betont und verstärkt.
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Die Beschwerdeführer rügen die Verletzung ihrer Grundrechte aus Art. 4 und Art. 6 GG und machen geltend:
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1. Die Verfassungsbeschwerden unmittelbar gegen Art. 15 Abs. 1 n. F. seien zulässig, da die Beschwerdeführer als Eltern schulpflichtiger Kinder durch die neue Regelung in ihren Grundrechten unmittelbar und gegenwärtig betroffen seien. Die Ehefrauen der Beschwerdeführer zu 1) und 5) schlössen sich zwar den Verfassungsbeschwerden nicht an. Jedoch könnten die Beschwerdeführer zu 1) und 5) als Mitinhaber der elterlichen Gewalt allein Verfassungsbeschwerde erheben.
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2. Die Festlegung der öffentlichen Volksschulen in Baden- Württemberg auf die Schulform der Gemeinschaftsschule mit christlichem Charakter im überlieferten badischen Sinn beeinträchtige ihr Recht, als Eltern ihre Kinder nach ihren religiösen oder weltanschaulichen Vorstellungen zu erziehen. Dieses Recht sei ihnen durch das Grundgesetz verbürgt, wobei offenbleiben könne, ob es aus der in Art. 4 GG gewährleisteten Religionsfreiheit oder aus dem elterlichen Erziehungsrecht in Art. 6 GG abzuleiten sei.
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Zwar ermächtige dieses Recht die Eltern nicht dazu, über die Gestaltung der öffentlichen Schulen zu befinden. Jedoch müsse der Staat im Schulwesen dem Grundrecht auf Religionsfreiheit in Art. 4 GG Rechnung tragen. Die negative Religionsfreiheit, die durch diese Grundgesetznorm geschützt sei, berechtige die Eltern, eine Erziehung ihrer Kinder im Geiste einer bestimmten Religion oder Weltanschauung abzulehnen. Darüber hinaus sei dem Staat durch Art. 4 Abs. 1 GG sowie durch die Wertentscheidungen in Art. 3 Abs. 3, Art. 7 Abs. 2 und Abs. 3 Satz 3, Art. 33 und Art. 140 GG in Verbindung mit Art. 136 Abs. 1 und 4, Art. 137 WRV ein Neutralitätsgebot auferlegt, das ihm jede institutionelle Verbindung zur Kirche untersage, soweit nicht das Grundgesetz ausdrücklich Ausnahmen von diesem Grundsatz zulasse. Deshalb dürfe der Staat seinen Einrichtungen nicht christliche Anschauungen zugrunde legen.
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Der Staat könne von Verfassungs wegen als öffentliche Regelschulen nur Gemeinschaftsschulen errichten, die am ethischen Standard des Grundgesetzes orientiert seien. Daraus folge, daß diese Schulen frei von religiösen Einflüssen sein müßten, soweit es sich nicht um den nach Bekenntnissen getrennten, aber weder für Schüler noch für Lehrer verbindlichen Religionsunterricht handele. Das ergebe sich auch aus Art. 7 Abs. 3 GG, der davon ausgehe, daß nur solche öffentlichen Schulen zugelassen seien, denen - abgesehen vom Religionsunterricht - jedes religiöse Moment fehle. Das religiöse Bekenntnis der Lehrer und Schüler dürfe für Schulform und -inhalt keine Bedeutung haben.
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Dem Staat sei es durch das Grundgesetz untersagt, einen Zwang zum Besuch von Bekenntnisschulen auszuüben. Art. 15 Abs. 1 n. F. der Verfassung des Landes Baden-Württemberg erhebe jedoch eine Schulart zur Regelschule, für die ebenso wie für eine Bekenntnisschule Glaubens-(Dogmen-)werte eines bestimmten Bekenntnisses verbindlich seien und die deshalb gegen die Religionsfreiheit und das Neutralitätsgebot des Staates verstoße. Die christliche Gemeinschaftsschule im Sinne dieser Vorschrift sei nicht mit der christlichen Gemeinschaftsschule des Art. 16 Abs. 1 a.F. der Verfassung des Landes Baden-Württemberg identisch, in der die Kinder auf der Grundlage christlicher und abendländischer Bildungs- und Kulturwerte erzogen worden seien. Diese Schule sei ebensowenig wie die Gemeinschaftsschule unter der Geltung der Weimarer Reichsverfassung und in der Nachkriegsgesetzgebung anderer Länder der Bundesrepublik eine christliche Schule im materiellen Sinn gewesen, da sie sich nicht an Glaubenswerten orientiert und anerkannt habe, daß die abendländische Kultur neben christlichen Werten auch andere Komponenten aufweise.
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Die Simultanschule mit christlichem Charakter im überlieferten badischen Sinn sei demgegenüber in stärkerem Maße christlich geprägt. Demgemäß habe das Kultusministerium durch die Bekanntmachung vom 9. November 1967 unter Hinweis auf den verstärkten christlichen Charakter und das christlich bestimmte Erziehungsziel der öffentlichen Volksschulen u. a. angeordnet, die Schulräume mit christlichen Symbolen auszurüsten, die bestehenden Einrichtungen und Maßnahmen der religiösen Bildung und Schulseelsorge, insbesondere den Schulgottesdienst und den Schülergottesdienst zu garantieren, im Unterricht und bei der Gestaltung der Bildungspläne die christlichen Güter auf der beiden Bekenntnissen gemeinsamen Grundlage zu beachten, das christliche Schulgebet und im Musikunterricht mindestens während einer halben Wochenstunde das gemeinsame Kirchenliedgut zu pflegen. Eine solche Schule verstoße in gleicher Weise wie die staatliche Bekenntnisschule, der sie dem Geist und Charakter nach gleichstehe, gegen die Religionsfreiheit und entspreche nicht dem in religiöser und weltanschaulicher Hinsicht neutralen Staat.
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Der Erziehungsberechtigte, der eine christliche Erziehung ablehne, könne nicht auf die Möglichkeit verwiesen werden, das Kind eine bekenntnisneutrale Privatschule besuchen zu lassen, da er von dem zu religiöser und weltanschaulicher Neutralität verpflichteten Staat verlangen könne, daß die öffentliche Schule als Regelschule am ethischen Standard des Grundgesetzes und nicht an einem religiösen Bekenntnis oder einer Weltanschauung orientiert sei. Die bloße Erwähnung der Bekenntnisschule in Art. 7 Abs. 5 GG sage nichts über deren Verfassungsmäßigkeit aus. Die Vorschrift habe nur deklatorische Bedeutung; das ergebe sich u. a. aus ihrer Entstehungsgeschichte. Im übrigen sei in Art. 7 Abs. 5 GG die christliche Gemeinschaftsschule badischer Prägung im Sinne der angegriffenen gesetzlichen Regelung nicht aufgeführt.
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Ebensowenig ergebe sich die Zulässigkeit der Einrichtung solcher Schulen als Pflichtschulen aus der Tatsache, daß der Staat hinsichtlich der Schulart nicht alle Elternwünsche berücksichtigen könne. Vielmehr müsse die Pflichtschule ungeachtet dieses Umstandes so beschaffen sein, daß durch sie die Religionsfreiheit nicht verletzt werde. Der Schüler, der gegen seine religiöse oder weltanschauliche Überzeugung eine christliche Gemeinschaftsschule im Sinne des Art. 15 Abs. 1 n. F. der Verfassung des Landes Baden-Württemberg besuchen müsse, werde einem Gewissenskonflikt ausgesetzt. Der Hinweis auf das Toleranzgebot in Art. 17 der Landesverfassung versage, weil die Schule nicht christlich geprägt und zugleich tolerant sein könne. Das Recht der Eltern aus Art. 4 oder Art. 6 GG auf eine Erziehung ihrer Kinder in einer bekenntnisneutralen öffentlichen Schule werde auch nicht durch Grundrechte Andersgläubiger auf Betätigung ihres Glaubens eingeschränkt. Art. 4 GG sei auf den Konflikt gegensätzlicher religiöser und weltanschaulicher Überzeugungen nicht zugeschnitten. Dieser Konflikt werde im gesellschaftlichen Bereich ausgetragen, während sich Art. 4 GG auf das Verhältnis des Einzelnen zum Staat beziehe. Die Vorschrift verbiete dem Staat, in das freie Spiel gegensätzlicher Kräfte auf dem Gebiet der Religion und Weltanschauung einzugreifen; der Staat habe in diesem Bereich lediglich zu verhindern, daß die auseinanderstrebenden Kräfte der pluralistischen Gesellschaft zu einer Auflösung der politischen Ordnung führen. Deshalb dürfe der Staat seine Schulen, die im Interesse der staatlichen Einheit eine wichtige Funktion auszuüben hätten, auf dem Gebiet von Religion und Weltanschauung nicht zur Stätte von Auseinandersetzungen machen. Die öffentliche Schule müsse genauso wie der Staat, der sie trage, in religiöser und weltanschaulicher Hinsicht neutral sein.
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Die Verantwortlichkeit der Eltern für die Pflege und Erziehung des Kindes auch in religiöser Hinsicht könne sich im Rahmen der Familie als eines geschlossenen eigenständigen Lebensbereichs ungehindert auswirken. Zudem stehe es den Eltern frei, ihre Kinder der Obhut der Kirchen anzuvertrauen. Mit Ausnahme des Religionsunterrichts sei die öffentliche Schule der falsche Adressat für Erziehungswünsche in religiöser Beziehung.
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III. |
1. Der Ministerpräsident des Landes Baden-Württemberg, dessen Stellungnahme die Bundesregierung im Ergebnis folgt, hat namens der Landesregierung erklärt, er halte die Verfassungsbeschwerden zwar im wesentlichen für zulässig, jedoch für unbegründet.
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Da Art. 7 Abs. 5 GG die Gemeinschaftsschule, die Bekenntnisschule und die Weltanschauungsschule als mögliche Schularten ausdrücklich erwähne, müsse von der Verfassungsmäßigkeit dieser Schulformen ausgegangen werden. Gemeinschaftsschulen in diesem Sinne seien entsprechend dem aus der Weimarer Zeit überlieferten Begriff der "christlichen Simultanschule" Schulen, bei denen Unterricht und Erziehung zwar überkonfessionell seien, aber auf dem Christentum beruhten.
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Weder aus Art. 4 noch aus Art. 6 GG lasse sich ein Recht der Eltern herleiten, die Form der öffentlichen Schule zu bestimmen. Der Elternwille finde insoweit nur bei der Zulassung von Privatschulen Berücksichtigung. Die verfassungsmäßigen Beschränkungen für den Staat hinsichtlich der bekenntnismäßigen Gestaltung des öffentlichen Schulwesens seien durch Art. 7 GG abschließend geregelt.
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Abgesehen davon sei das Recht der Eltern aus Art. 4 und Art. 6 GG jedenfalls dann nicht verletzt, wenn in Anbetracht der bestehenden gegensätzlichen religiösen und weltanschaulichen Überzeugungen über die richtige Erziehung für alle öffentlichen Schulen derjenige Schultyp gewählt werde, der die Mitte zwischen den in Frage kommenden Erziehungsvorstellungen halte und am ehesten geeignet sei, der Überzeugung aller Eltern gerecht zu werden. Es sei faktisch unmöglich, für eine konfessionell gemischte und in ihren Erziehungsvorstellungen heterogene Bevölkerung einen einheitlichen Schultyp zu schaffen, der die Spannung zwischen der religiös-weltanschaulichen Überzeugung und der Ausgestaltung der öffentlichen Schule restlos auszugleichen vermöge. Das müßten die Eltern im Blick auf ihre Gemeinschaftsgebundenheit hinnehmen.
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Die christliche Gemeinschaftsschule badischer Prägung sei keine Bekenntnisschule im weiteren Sinne, in ihr werde der Unterricht nicht im Geist eines bestimmten Bekenntnisses erteilt. Ihre hauptsächlichen Kriterien seien Gemeinsamkeit des Unterrichts mit Ausnahme des Religionsunterrichts, tunlichste Rücksichtnahme auf das religiöse Bekenntnis der Schüler bei der Besetzung der Lehrerstellen, Festlegung von drei Wochenstunden des durch die Kirchen und Religionsgemeinschaften besorgten und überwachten Religionsunterrichts, auf den aus dem wöchentlichen Stundendeputat eines Lehrers erforderlichenfalls 6 Stunden verwendet werden sollen, grundsätzlich obligatorische Ausbildung der Volksschullehrer in Religionslehre sowie das Recht der anerkannten Religionsgemeinschaften, Volksschullehrer in beiden Dienstprüfungen im Fach Religionslehre zu prüfen. Art. 15 Abs. 1 n. F. der Verfassung des Landes Baden-Württemberg werde durch das Gebot in Art. 17 Abs. 1 ergänzt, wonach in allen Schulen der Geist der Duldsamkeit und der sozialen Ethik zu walten habe.
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Die christliche Gemeinschaftsschule badischer Prägung verstoße auch nicht gegen das verfassungsrechtliche Neutralitätsgebot. Das staatskirchenrechtliche System des Grundgesetzes verwehre den Ländern nicht, bei der Ordnung des sozialen Lebens der Erkenntnis Rechnung zu tragen, daß die christlichen und abendländischen Kulturwerte nach der geschichtlichen Entwicklung unverzichtbare Bestandteile einer nicht als bloße Wissensvermittlung begriffenen Erziehung und Bildung darstellten.
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2. Das Erzbischöfliche Ordinariat in Freiburg, das Bischöfliche Ordinariat in Rottenburg a. N. und der Evangelische Oberkirchenrat Karlsruhe halten die Verfassungsbeschwerden ebenfalls für unbegründet. Sie haben sich hierzu im wesentlichen auf gutachtliche Stellungnahmen der Professoren Dr. Friedrich Müller, Heidelberg, und Dr. Ulrich Scheuner, Bonn, bezogen.
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B. |
Die Verfassungsbeschwerden sind zulässig.
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Die Beschwerdeführer waren bei Einlegung der Verfassungsbeschwerden durch die angegriffene Regelung des Art. 15 Abs. 1 n. F. der Verfassung des Landes Baden-Württemberg selbst, unmittelbar und gegenwärtig betroffen (vgl. BVerfGE 29, 83 [93 f.] mit weiteren Nachweisen). Das galt auch für den Beschwerdeführer zu 1), dessen Sohn damals noch nicht schulpflichtig war, da feststand, daß dieser nach einer verhältnismäßig kurzen Zeit die Grundschule werde besuchen müssen.
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Als Erziehungsberechtigte sind die Beschwerdeführer für die geltend gemachte Verletzung ihrer Grundrechte aus Art. 4 und 6 GG beschwerdebefugt. Daß die Ehefrauen der Beschwerdeführer zu 1) und 5) sich den Verfassungsbeschwerden nicht angeschlossen haben, berührt die Beschwerdebefugnis dieser Beschwerdeführer nicht.
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Die Rechtspflicht der Beschwerdeführer, dafür Sorge zu tragen, daß ihre schulpflichtigen Kinder am Unterricht und an den übrigen verbindlichen Veranstaltungen der Schule regelmäßig teilnehmen und sich der Schulordnung fügen (vgl. § 52 Abs. 1 Satz 1 des baden-württembergischen Gesetzes zur Vereinheitlichung und Ordnung des Schulwesens [SchVOG] vom 5. Mai 1964 - GBl. S. 235 -), wurde durch die Festlegung der Schulform in der angegriffenen Bestimmung mit Verfassungskraft inhaltlich unmittelbar konkretisiert.
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Für die Zulässigkeitsprüfung kann ferner von dem Vortrag der Beschwerdeführer ausgegangen werden, daß die christliche Simultanschule badischer Prägung im Vergleich zu der christlichen Gemeinschaftsschule im Sinne von Art. 37 Abs. 3 der Verfassung für Württemberg-Baden vom 28. November 1946 (Reg. Bl. S. 277) einen verstärkten christlichen Charakter aufweist und daher die Rechtsstellung der Beschwerdeführer, die religiöse Elemente in der Kindererziehung ablehnen, nachteilig verändert hat.
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Auch für die Beschwerdeführer, deren Kinder inzwischen die Volksschule durchlaufen haben oder auf eine andere Schule übergegangen sind, ist ein schutzwürdiges Interesse an der Feststellung einer etwaigen Grundrechtswidrigkeit der beanstandeten Schulform nicht entfallen. Gerade im religiös-weltanschaulichen Bereich können die Auswirkungen eines solchen Grundrechtsverstoßes besonders tiefgreifend und folgenschwer sein. Würde man in diesen Fällen das Rechtsschutzinteresse verneinen, so würde der Grundrechtsschutz der Beschwerdeführer in unzumutbarer Weise verkürzt (vgl. BVerfGE 34, 165 [180] - hessische Förderstufe).
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C. |
Die Verfassungsbeschwerden sind unbegründet.
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Die Beschwerdeführer erblicken eine Beeinträchtigung ihrer verfassungsmäßigen Rechte darin, daß die angegriffene Regelung auch Kinder, deren Eltern keine religiöse Erziehung wünschen, zum Besuch einer öffentlichen Schule mit christlichem Charakter nötigt, weil diese Schulform zur Regelschule bestimmt worden ist. Sie nehmen das Recht für sich in Anspruch, nach ihrer Vorstellung ihre Kinder in religiöser und weltanschaulicher Hinsicht unbeeinträchtigt durch eine anders geprägte Schulbildung zu erziehen.
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Durch die Einführung der Gemeinschaftsschule mit christlichem Charakter im überlieferten badischen Sinn, wie sie in Art. 15 Abs. 1 n. F. der Verfassung des Landes Baden-Württemberg vorgesehen ist, werden jedoch keine Grundrechte der Beschwerdeführer verletzt. Unter Berücksichtigung der für das Schulwesen geltenden verfassungsrechtlichen Vorschriften hat der Gesetzgeber bei der ihm obliegenden Gestaltung dieses Bereichs die Grenzen des verfassungsrechtlich Zulässigen nicht überschritten.
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I. |
1. a) Art. 6 Abs. 2 GG gewährleistet den Beschwerdeführern das Recht zur Erziehung ihrer Kinder in jeder, also auch in weltanschaulich-religiöser Hinsicht. Jedoch enthält diese Vorschrift keinen ausschließlichen Erziehungsanspruch der Eltern. Eigenständig und in seinem Bereich gleichgeordnet neben den Eltern übt der Staat, dem nach Art. 7 Abs. 1 GG die Aufsicht über das gesamte Schulwesen übertragen ist, in der Schulerziehung einen eigenen Erziehungsauftrag aus (vgl. BVerfGE 34, 165 [183]).
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Dabei geht das Grundgesetz, wie das Bundesverfassungsgericht im Konkordatsurteil (BVerfGE 6, 309 [355]) des näheren ausgeführt hat, von der Gestaltungsfreiheit der Länder im Schulwesen aus. In Art. 7 Abs. 2, Abs. 3 und Abs. 5 GG sind Grundsätze für die bekenntnismäßige Gestaltung der Schulen festgelegt. Danach haben die Erziehungsberechtigten das Recht, über die Teilnahme des Kindes am Religionsunterricht zu bestimmen (Art. 7 Abs. 2 GG), der in den öffentlichen Schulen mit Ausnahme der bekenntnisfreien Schulen als ordentliches Lehrfach gewährleistet ist (Art. 7 Abs. 3 Satz 1 GG). Auf Antrag von Erziehungsberechtigten ist eine private Volksschule als Gemeinschaftsschule, als Bekenntnis- oder Weltanschauungsschule zuzulassen, wenn eine öffentliche Volksschule dieser Art in der Gemeinde nicht besteht (Art. 7 Abs. 5 GG). Eine weitergehende Einflußnahme der Eltern auf die bekenntnismäßige Gestaltung der öffentlichen Schulen ergibt sich aus Art. 7 GG nicht. Insoweit weicht diese Norm des Grundgesetzes wesentlich von dem sogenannten Schulkompromiß in der Weimarer Reichsverfassung (WRV) ab. Dort bestimmte Art. 146 Abs. 2, daß innerhalb der Gemeinden auf Antrag von Erziehungsberechtigten Volksschulen ihres Bekenntnisses oder ihrer Weltanschauung einzurichten seien, soweit hierdurch ein geordneter Schulbetrieb nicht beeinträchtigt werde, und daß der Wille der Erziehungsberechtigten möglichst zu berücksichtigen sei.
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b) Die Entstehungsgeschichte des Art. 7 GG zeigt, daß die weitgehende Selbständigkeit der Länder in bezug auf die weltanschaulich-religiöse Ausprägung der öffentlichen Schulen beabsichtigt war. Hier setzte sich vor allem das föderalistische Prinzip durch. Anträge, die ein weitergehendes Elternrecht ("konfessionelles Elternrecht") und eine grundgesetzliche Sicherstellung der Bekenntnisschulen erstrebten, wurden bereits in den Vorberatungen zu Art. 7 GG abgelehnt. Wiederholt wurde betont, die Länder dürften in ihrer Zuständigkeit, die schulpolitischen Fragen zu regeln, nicht geschmälert werden (vgl. hierzu ausführlich BVerfGE 6, 309 (356) mit weiteren Nachweisen; ferner JöR N. F. Bd. 1, S. 101 ff.). Dem Bund wurde diese Regelungsmaterie nicht zugewiesen, weil die religiöse und weltanschauliche Ausprägung der Schulerziehung umstritten war, die Erfahrungen der Weimarer Zeit, in welcher der Verfassungsauftrag einer einheitlichen Form der Schule vor allem wegen der Unterschiede in den Schultraditionen der verschiedenen deutschen Gebiete nicht erfüllt werden konnte, dagegen sprachen und weil sich die Schulgesetzgebung in den Ländern nach 1945 eigenständig weiterentwickelt hatte (vgl. Erwin Stein, Religionsfreiheit und Schulsystem, in: Pädagogische Forschung und pädagogischer Fortschritt, 1970, S. 155 [169 f.]). Deshalb ist der demokratischen Entscheidung der Landesgesetzgebung weitgehende Freiheit bei der Ausgestaltung der Schulsysteme eingeräumt worden.
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Demgemäß enthält Art. 7 Abs. 3 GG keine Festlegung der Schulformen; er setzt vielmehr die verschiedenen Schultypen religiös-weltanschaulicher Art als rechtlich möglich voraus. Ebenso geht Art. 7 Abs. 5 GG davon aus, daß öffentliche Volksschulen als Gemeinschaftsschulen, Bekenntnis- oder Weltanschauungsschulen eingerichtet sein können. Nach dieser Vorschrift ist eine private Volksschule als Gemeinschaftsschule, als Bekenntnis- oder Weltanschauungsschule nur zuzulassen, wenn eine öffentliche Volksschule dieser Art in der Gemeinde nicht besteht; das Grundgesetz geht also von der Zulässigkeit der genannten Schulformen als öffentliche Volksschule aus.
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Daraus folgt, daß der Landesgesetzgeber dem Grundsatz nach bei der Wahl der Schulform für die öffentliche Volksschule in der Entscheidung für eine der genannten Formen oder auch für mögliche Zwischenformen frei ist. Ein positives Bestimmungsrecht, aufgrund dessen die Eltern vom Staat die Einrichtung von Schulen bestimmter religiöser oder weltanschaulicher Prägung verlangen könnten, ergibt sich weder aus dem Elternrecht in Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG noch aus anderen Vorschriften des Grundgesetzes und wird auch von den Beschwerdeführern, wie sie ausdrücklich erklären, nicht in Anspruch genommen. Das Grundgesetz verweist die Eltern insofern auf Privatschulen. Grundsätzlich überläßt es den Ländern die Entscheidung darüber, inwieweit sie den Eltern über den durch Art. 7 GG gezogenen Rahmen hinausgehende positive Mitwirkungs- und Bestimmungsrechte bei der bekenntnismäßigen Gestaltung der öffentlichen Schulen einräumen wollen.
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2. Wenn es danach in erster Linie der demokratischen Mehrheitsentscheidung des Landesgesetzgebers anheimgegeben ist, welche Schulform er einführen will, so darf Art. 7 GG doch nicht als Spezialvorschrift in dem Sinne verstanden werden, daß diese Norm allein, isoliert von allen übrigen Vorschriften des Grundgesetzes, die verfassungsrechtlichen Bindungen des Landesgesetzgebers im Schulorganisationsrecht bestimme. Die im Rahmen des Art. 7 GG erlassenen landesrechtlichen Bestimmungen über die religiös-weltanschauliche Gestaltung des Schulwesens müssen im Einklang mit den übrigen Verfassungsrechtssätzen, namentlich den Grundrechten des Grundgesetzes stehen. Insbesondere müssen die Gewährleistungen in Art. 4 Abs. 1 und 2 GG beachtet werden.
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a) Soweit die bekenntnismäßige Ausprägung der öffentlichen Volksschule in die Religionsfreiheit eingreift, ist in erster Linie die grundrechtliche Stellung des Kindes betroffen, das eine solche Schule besuchen muß. Auch die Eltern können jedoch in ihrer grundrechtlichen Stellung durch den Zwang betroffen sein, ihr schulpflichtiges Kind einer Schulerziehung aussetzen zu müssen, die ihren Erziehungsvorstellungen in religiöser und weltanschaulicher Hinsicht nicht entspricht. Die von den Beschwerdeführern beanspruchte weltanschauliche Erziehung ihrer Kinder ist untrennbarer Bestandteil der Eltern-Kind-Beziehung, die das Grundgesetz durch die Gewährleistung der Familie (Art. 6 Abs. 1 GG) und das elterliche Erziehungsrecht (Art. 6 Abs. 2 GG) besonders schützt. Bei dem besonderen Gewicht, das dem weltanschaulich-religiösen Element in der elterlichen Erziehung jedenfalls bis zur Religionsmündigkeit des Kindes zukommt, kann eine bekenntnismäßig anders geprägte Schulerziehung das gesamte Eltern-Kind-Verhältnis belasten. Diese Belastung bringt den Erzieher wegen der nicht lösbaren Verbindung von Erziehungsarbeit und weltanschaulich-religiöser Grundhaltung in Konflikt mit seiner religiösen oder weltanschaulichen Überzeugung und betrifft damit den Schutzbereich des Grundrechts auf Religionsfreiheit in Art. 4 GG. Deshalb schließt dieses Grundrecht auch das Recht der Eltern ein, ihren Kindern die von ihnen für richtig gehaltene religiöse oder weltanschauliche Überzeugung zu vermitteln. Daraus entspringt zwar kein Anspruch gegenüber dem Staat, daß die Kinder in der Schule in der gewünschten weltanschaulichen Form erzogen werden; dieses Recht kann aber durch die Verpflichtung der Erziehungsberechtigten, ihre Kinder einem ihrer Überzeugung widersprechenden weltanschaulich-religiösen Einfluß aussetzen zu müssen, beeinträchtigt werden. Die Erziehungsberechtigten können kraft ihres Freiheitsrechts aus Art. 4 GG staatliche Maßnahmen abwehren, die beeinträchtigend in ihren persönlichen, grundrechtlich geschützten Bereich hineinwirken. Dieses Individualrecht steht jedem einzelnen Erziehungsberechtigten zu und gewinnt seine besondere Bedeutung als Minderheitenschutz, wenn der Einzelne durch den Staat ohne die Möglichkeit des Ausweichens mit einer weltanschaulich ausgerichteten öffentlichen Einrichtung konfrontiert wird (vgl. BVerfGE 35, 366 (375 f.) - Kreuz im Gerichtssaal). Die Entscheidung über die religiös-weltanschauliche Gestalt der Pflichtschule darf daher grundsätzlich nicht allein durch demokratische Mehrheitsentscheidung getroffen werden; denn die Religionsfreiheit soll gerade auch das Bekenntnis (die Weltanschauung) der Minderheit vor Beeinträchtigung durch die Mehrheit schützen. Je nach der konfessionellen oder weltanschaulichen Haltung der beteiligten Elternschaft kann sich daher ergeben, daß die Länder einzelne der nach Art. 7 Abs. 3 bis 5 GG zulässigen Schulformen nicht oder nur bei Sicherstellung ausreichender Ausweichmöglichkeiten zur öffentlichen Regelschule erklären dürfen.
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b) Die Beschwerdeführer sind der Auffassung, daß das Grundrecht der Religionsfreiheit dem Staat jeden religiösen und weltanschaulichen Bezug in der Gestaltung des Schulwesens (mit Ausnahme des in Art. 7 Abs. 3 GG ausdrücklich garantierten Religionsunterrichts) verbiete (vgl. dazu Erwin Fischer, Trennung von Staat und Kirche, 2. Aufl. 1971, S. 40, 53, 172, 177 ff.; v. Zezschwitz, JZ 1971, S. 13 ff.; G. Scheffler, Staat und Kirche, 2. Auflage 1973, S. 310). Art. 4 GG gewährleiste, daß sich die religiöse und weltanschauliche Betätigung des Einzelnen im staatsfreien Raum abspielen könne; damit sei dem Staat insoweit strikte Zurückhaltung auferlegt.
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Die Glaubens- und Bekenntnisfreiheit umfaßt indessen nicht nur die (innere) Freiheit, zu glauben oder nicht zu glauben, sondern auch die äußere Freiheit, den Glauben in der Öffentlichkeit zu manifestieren, zu bekennen und zu verbreiten. Dazu gehört auch das Recht des Einzelnen, sein gesamtes Verhalten an den Lehren des Glaubens auszurichten und seiner inneren Glaubensüberzeugung gemäß zu handeln (BVerfGE 32, 98 [106] - Gesundbeter). In diesem Sinne enthält Art. 4 Abs. 1 und 2 GG nicht nur ein individuelles Abwehrrecht, das dem Staat die Einmischung in den höchstpersönlichen Bereich des Einzelnen verbietet, sondern es gebietet auch in positivem Sinn, Raum für die aktive Betätigung der Glaubensüberzeugung und die Verwirklichung der autonomen Persönlichkeit auf weltanschaulich-religiösem Gebiet zu sichern.
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Art. 4 GG schützt die negative wie die positive Äußerungsform der Religionsfreiheit gleichermaßen gegen Beeinträchtigung durch den Staat. Das wirkt sich besonders für die Gestaltung solcher Lebensbereiche aus, die aufgrund sozialer Notwendigkeit oder politischer Zielsetzungen nicht dem freien Spiel der gesellschaftlichen Kräfte allein überlassen, sondern vom Staat in Vorsorge genommen worden sind. Für den Besuch der Pflichtschule kommt hinzu, daß es hier um die Erziehung Jugendlicher und damit um einen Bereich geht, für den seiner Natur nach religiöse und weltanschauliche Vorstellungen von jeher relevant waren. Hier muß das auf Art. 4 Abs. 1 und 2 GG gegründete Begehren der Beschwerdeführer, die Erziehung ihrer Kinder von allen religiösen Einflüssen freizuhalten, zwangsläufig kollidieren mit dem ebenfalls aus Art. 4 GG hergeleiteten Verlangen anderer Staatsbürger, ihren Kindern eine religiöse Erziehung angedeihen zu lassen. "Negative" und "positive" Religionsfreiheit stehen hier in einem Spannungsverhältnis. Die Ausschaltung aller weltanschaulich-religiösen Bezüge würde die bestehenden weltanschaulichen Spannungen und Gegensätze nicht neutralisieren, sondern diejenigen Eltern in ihrer Glaubensfreiheit benachteiligen, die eine christliche Erziehung ihrer Kinder wünschen und von Staats wegen gezwungen würden, diese in eine laizistische Schule zu schicken, wie sie etwa den Vorstellungen der Beschwerdeführer entsprechen würde.
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Das Grundgesetz legt auch nicht etwa einen "ethischen Standard" im Sinne eines Bestandes von bestimmten weltanschaulichen Prinzipien fest, etwa "nach den Maximen, die sich bei den heutigen Kulturvölkern auf dem Boden gewisser übereinstimmender sittlicher Grundanschauungen im Laufe der geschichtlichen Entwicklung herausgebildet haben", und nach denen der Staat den von ihm gestalteten Schulbereich auszurichten hätte (vgl. insbesondere Obermayer, Gemeinschaftsschule - Auftrag des Grundgesetzes, 1967, S. 5 ff.). Der "ethische Standard" des Grundgesetzes ist vielmehr die Offenheit gegenüber dem Pluralismus weltanschaulich-religiöser Anschauungen angesichts eines Menschenbildes, das von der Würde des Menschen und der freien Entfaltung der Persönlichkeit in Selbstbestimmung und Eigenverantwortung bestimmt ist. In dieser Offenheit bewährt der freiheitliche Staat des Grundgesetzes seine religiöse und weltanschauliche Neutralität.
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c) Da es in einer pluralistischen Gesellschaft faktisch unmöglich ist, bei der weltanschaulichen Gestaltung der öffentlichen Pflichtschule allen Elternwünschen voll Rechnung zu tragen, muß davon ausgegangen werden, daß sich der Einzelne nicht uneingeschränkt auf das Freiheitsrecht aus Art. 4 GG berufen kann. In der Ausübung seines Grundrechts wird er insoweit durch die kollidierenden Grundrechte andersdenkender Personen begrenzt (vgl. dazu BVerfGE 28, 243 [260 f.]). Das im Bereich des Schulwesens unvermeidliche Spannungsverhältnis zwischen negativer und positiver Religionsfreiheit zu lösen, obliegt dem demokratischen Landesgesetzgeber, der im öffentlichen Willensbildungsprozeß unter Berücksichtigung der verschiedenen Auffassungen einen für alle zumutbaren Kompromiß zu suchen hat. Er kann sich bei seiner Regelung daran orientieren, daß einerseits Art. 7 GG im Bereich des Schulwesens weltanschaulich-religiöse Einflüsse zuläßt, daß andererseits Art. 4 GG gebietet, bei der Entscheidung für eine bestimmte Schulform weltanschaulich-religiöse Zwänge soweit wie irgend möglich auszuschalten. Beide Vorschriften sind zusammen zu sehen und in der Interpretation aufeinander abzustimmen, weil erst die "Konkordanz" der in den beiden Artikeln geschützten Rechtsgüter der Entscheidung des Grundgesetzes gerecht wird. Keiner dieser Normen und Grundsätze kommt von vornherein ein Vorrang zu, wenn auch die einzelnen Gesichtspunkte in ihrer Bedeutung und ihrem inneren Gewicht verschieden sind. Eine Lösung läßt sich nur unter Würdigung der kollidierenden Interessen durch Ausgleich und Zuordnung der dargelegten verfassungsrechtlichen Gesichtspunkte unter Berücksichtigung des grundgesetzlichen Gebots der Toleranz (vgl. auch Art. 3 Abs. 3, Art. 33 Abs. 3 GG) sowie unter Wahrung der Selbständigkeit der Länder auf dem Gebiet der Schulorganisation finden. Dies schließt ein, daß die einzelnen Länder zu verschiedenen Regelungen kommen, weil bei dem zu findenden Mittelweg auch Schultraditionen, die konfessionelle Zusammensetzung der Bevölkerung und ihre mehr oder weniger starke religiöse Verwurzelung berücksichtigt werden können.
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3. Aus den vorstehenden Ausführungen ergibt sich, daß dem Landesgesetzgeber die Einführung christlicher Bezüge bei der Gestaltung der öffentlichen Volksschule nicht schlechthin verboten ist, mag auch eine Minderheit der Erziehungsberechtigten, die bei der Erziehung ihrer Kinder dieser Schule nicht ausweichen kann, keine religiöse Erziehung wünschen. Voraussetzung hierfür ist jedoch, daß die gewählte Schulform, soweit sie auf die Glaubens- und Gewissensentscheidungen der Kinder Einfluß gewinnen kann, nur das Minimum an Zwangselementen enthält. Die Schule darf daher keine missionarische Schule sein und keine Verbindlichkeit christlicher Glaubensinhalte beanspruchen; sie muß auch für andere weltanschauliche und religiöse Inhalte und Werte offen sein. Das Erziehungsziel einer solchen Schule darf - außerhalb des Religionsunterrichts, zu dessen Besuch niemand gezwungen werden kann - nicht christlich-konfessionell fixiert sein. Die Bejahung des Christentums in den profanen Fächern bezieht sich in erster Linie auf die Anerkennung des prägenden Kultur- und Bildungsfaktors, wie er sich in der abendländischen Geschichte herausgebildet hat, nicht auf die Glaubenswahrheit, und ist damit auch gegenüber dem Nichtchristen durch das Fortwirken geschichtlicher Gegebenheiten legitimiert. Zu diesem Faktor gehört nicht zuletzt der Gedanke der Toleranz für Andersdenkende. Deren Konfrontation mit einem Weltbild, in dem die prägende Kraft christlichen Denkens bejaht wird, führt jedenfalls solange nicht zu einer diskriminierenden Abwertung der dem Christentum nicht verbundenen Minderheiten und ihrer Weltanschauung, als es hierbei nicht um den Absolutheitsanspruch von Glaubenswahrheiten, sondern um das Bestreben nach Verwirklichung der autonomen Persönlichkeit im weltanschaulichreligiösen Bereich gemäß der Grundentscheidung des Art. 4 GG geht. Eine solche Schule, die Raum für eine sachliche Auseinandersetzung mit allen weltanschaulich-religiösen Auffassungen, wenn auch von einer bestimmten weltanschaulichen Orientierungsbasis her bietet, führt Eltern und Kinder nicht in einen verfassungsrechtlich unzumutbaren Glaubens- und Gewissenskonflikt. Für die elterliche Erziehung bleibt in jeder weltanschaulichreligiösen Hinsicht genügend Raum, dem Kind den individuell für richtig erkannten Weg zu Glaubens- und Gewissensbindungen oder auch zu deren Verneinung zu vermitteln.
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4. Im Vergleich zu den vorstehend erörterten spezifischen verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Gestaltung des Schulwesens durch die Länder hinsichtlich der religiös-weltanschaulichen Ausprägung öffentlicher Schulen geben die in Art. 140 GG in Verbindung mit Art. 136 Abs. 1, 3 und 4, Art. 137 Abs. 1 WRV niedergelegten institutionellen Grundsätze des Staat-Kirchen-Verhältnisses (vgl. dazu BVerfGE 19, 206 [216]; 24, 236 [246] mit weiteren Nachweisen) keinen primären Maßstab ab. Soweit sich aus diesen kirchenpolitischen Bestimmungen in Verbindung mit weiteren Verfassungsnormen ein Prinzip der "Nichtidentifikation" herleiten lassen sollte, könnte dieses angesichts der bestehenden ausdrücklichen verfassungsrechtlichen Regelungen jedenfalls nicht die Gestaltung des Schulwesens bestimmen, wenn dieses den vorstehenden spezifischen Anforderungen entspricht.
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II. |
1. Die religiöse und weltanschauliche Ausgestaltung des Schulwesens war seit der Weimarer Zeit Gegenstand lebhafter politischer Auseinandersetzungen. Zwar sah Art. 146 Abs. 1 Satz 2 WRV die Gemeinschaftsschule als Regelschule vor. Da indessen ein Reichsschulgesetz nie zustande kam, blieben gemäß Art. 174 WRV die verschiedenen Schultypen der Länder bestehen (vgl. W. Land , Die Schule in der Reichsverfassung, 1929, S. 96 ff.).
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Nach 1945 knüpften die meisten Länder bei der Ordnung ihres Schulwesens zunächst weitgehend an die Zeit vor 1933 an. Bei Inkrafttreten des Grundgesetzes bestand die Gemeinschaftsschule als einzige oder als Regel-Schulform in den Ländern Baden (Art. 28 Abs. 1 der Verfassung des Landes Baden vom 18. Mai 1947 - RegBl. S. 129 -), Bremen (Art. 32 Abs. 1 und 3 der Landesverfassung der Freien Hansestadt Bremen vom 21. Oktober 1947 - GBl. S. 251 -), Hamburg (§ 35 des Gesetzes betr. das Unterrichtswesen vom 11. November 1870 - GS I S. 117 -), Hessen (Art. 56 Abs. 2, 156 Abs. 1 der Verfassung des Landes Hessen vom 1. Dezember 1946 - GVBl. S. 229 -) und Württemberg- Baden (Art. 37 Abs. 3 der Verfassung für Württemberg-Baden vom 28. November 1946 - RegBl. S. 277 -). Heute ist die Gemeinschaftsschule in allen Ländern der Bundesrepublik als Schulform für die öffentliche Schule ausdrücklich anerkannt. Mit Ausnahme von Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen ist sie für Grund- und Hauptschule die einzige Schulform
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(Baden-Württemberg [Art. 15 Abs. 1 der Verfassung des Landes Baden-Württemberg in der Fassung vom 8. Februar 1967 - GBl. S. 7]; Bayern [Art. 135 der Verfassung des Freistaates Bayern in der Fassung vom 22. Juli 1968 - GVBl. S. 235]; Berlin [§§ 1, 4, 7 und 20 des Schulgesetzes für Berlin in der Fassung vom 29. Januar 1975 - GVBl. S. 634]; Bremen [Art. 32 Abs. 1 und 3 der Landesverfassung der Freien Hansestadt Bremen vom 21. Oktober 1947 - GBl. S. 251]; Hamburg [§ 8 des Gesetzes über das Schulwesen der Freien und Hansestadt Hamburg in der Fassung vom 9. Dezember 1966 - GVBl. S. 257]; Hessen [Art. 56 Abs. 2 und Art. 156 Abs. 1 der Verfassung des Landes Hessen vom 1. Dezember 1946 - GVBl. S. 229]; Rheinland-Pfalz [Art. 29 der Verfassung für Rheinland-Pfalz in der Fassung vom 8. Juli 1970 - GVBl. S. 217]; Saarland [Art. 27 Abs. 3 der Verfassung des Saarlandes in der Fassung vom 5. November 1969 - ABl. S. 765]; Schleswig-Holstein [Art. 6 Abs. 3 der Landessatzung für Schleswig-Holstein in der Fassung vom 15. März 1962 - GVBl. S. 123]).
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In Niedersachsen sind die Hauptschulen stets und die Grundschulen im allgemeinen Gemeinschaftsschulen (§§ 3, 109 und 118 des Niedersächsischen Schulgesetzes vom 30. Mai 1974 - GVBl. S. 289). In Nordrhein-Westfalen ist die Gemeinschaftsschule für die Grundschule neben der Bekenntnisschule die gleichberechtigte, praktisch jedoch bevorzugte (vgl. hierzu im einzelnen den Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom heutigen Tage - BVerfGE 41, 88) und für die Hauptschule die regelmäßige Schulform (Art. 12 Abs. 3 bis 7 der Verfassung für das Land Nordrhein- Westfalen in der Fassung vom 5. März 1968 - GVBl. S. 36).
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Ausschlaggebend für diese Entwicklung, die verstärkt seit den sechziger Jahren einsetzte, waren die schulpolitischen Bestrebungen zur Bildung größerer und damit leistungsfähigerer Schuleinheiten (Einrichtung von Mittelpunktsschulen usw.), durch die das Bildungsgefälle zwischen Stadt und Land ausgeglichen, Chancengleichheit gewährt und das Bildungsniveau allgemein erhöht werden sollte. Hinzu kamen zunehmende verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Zulässigkeit der Bekenntnisschule als Pflichtschule. Schließlich mag auch eine nachgiebigere Haltung der Kirchen im Interesse einer leistungsfähigeren Schule eine Rolle gespielt haben (vgl. Scheuner, Verfassungsrechtliche Fragen der christlichen Gemeinschaftsschulen, in: Festgabe für Theodor Maunz, 1971, S. 307 [315 f.]; Gottfried Niemeier, Evangelische Gedanken und Gesichtspunkte zur Kultur- und Bildungspolitik, in: Streitfragen der Bildungspolitik, hrsg. v. Gamm und Pöggeler, 1967, S. 57, insbes. S. 64 ff.).
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2. Die Bestimmungen der meisten Länder über die Gemeinschaftsschulen weisen mit verschiedenen Formulierungen mehr oder weniger starke Bezüge zum Christentum auf.
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Die im vorliegenden Verfahren angegriffene Regelung bezeichnet die Gemeinschaftsschule in Baden-Württemberg als "christliche Gemeinschaftsschule", die ihren christlichen Charakter aus den am 9. Dezember 1951 maßgeblichen Grundsätzen und Bestimmungen für die badische Simultanschule erhält.
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In Bayern sind die öffentlichen Volksschulen gemeinsame Schulen, in denen die Schüler nach den Grundsätzen der christlichen Bekenntnisse unterrichtet und erzogen werden (Art. 135 der Verfassung des Freistaates Bayern in der Fassung vom 22. Juli 1968 - GVBl. S. 235).
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In Berlin soll in den Schulen auch "das Christentum... (seinen) Platz finden" (§ 1 Satz 4 des Schulgesetzes für Berlin in der Fassung vom 13. September 1966 - GVBl. S. 1485).
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In Bremen wird in den Gemeinschaftsschulen allen Kindern "bekenntnismäßig nicht gebundener Unterricht in Biblischer Geschichte auf allgemein christlicher Grundlage" erteilt (Art. 32 Abs. 1 der Landesverfassung der Freien Hansestadt Bremen vom 21. Oktober 1947 - GBl. S. 251).
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In Hessen sind die Gemeinschaftsschulen Schulen auf "christlicher Grundlage" (Art. 15 Abs. 1 des Vertrags des Landes Hessen mit den evangelischen Landeskirchen in Hessen vom 18. Februar 1960 - GVBl. S. 54; Drei-Fraktionen-Erklärung vom 30. März 1966 im Hessischen Landtag [Hess.LT., 5. Wp., Sten- Ber., Bd. 4, S. 2297]).
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In Niedersachsen soll die Schule "die Persönlichkeit der Schüler auf der Grundlage des Christentums, des europäischen Humanismus und der Ideen der liberalen, demokratischen und sozialen Freiheitsbewegungen weiterentwickeln" (§ 2 des Niedersächsischen Schulgesetzes vom 30. Mai 1974 - GVBl. S. 289).
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In den Gemeinschaftsschulen des Landes Nordrhein-Westfalen "werden Kinder auf der Grundlage christlicher Bildungs- und Kulturwerte in Offenheit für die christlichen Bekenntnisse und für andere religiöse und weltanschauliche Überzeugungen gemeinsam unterrichtet und erzogen" (Art. 12 Abs. 6 der Verfassung für das Land Nordrhein-Westfalen in der Fassung vom 5. März 1968 - GVBl. S. 36).
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In Rheinland-Pfalz sind die öffentlichen Grund-, Haupt- und Sonderschulen "christliche Gemeinschaftsschulen" (Art. 29 der Verfassung von Rheinland-Pfalz in der Fassung vom 8. Juli 1970 - GVBl. S. 217).
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Im Saarland erfolgt der Unterricht in gemeinsamen Schulen "auf der Grundlage christlicher Bildungs- und Kulturwerte" (Art. 27 Abs. 3 der Verfassung des Saarlandes in der Fassung vom 5. November 1969 - ABl. S. 765).
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In Schleswig-Holstein kommt der Gemeinschaftsschule ein "christlicher Grundcharakter" zu (Art. 6 des Vertrags zwischen dem Land Schleswig-Holstein und den evangelischen Landeskirchen in Schleswig-Holstein vom 23. April 1957 - GVBl. S. 73).
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Hinzu kommen landesrechtliche Einzelvorschriften verschiedenen Inhalts. Die Vielfalt dieser Bestimmungen zeigt, daß der Begriff der christlichen Gemeinschaftsschule nicht eindeutig ist. Diese Schulart ist von Land zu Land in den gesetzlichen Vorschriften verschieden umschrieben (zur Multivalenz des Begriffs "christliche Gemeinschaftsschule" vgl. Erwin Stein, a.a.O. [166 f., 169]; Geiger, Kirchen und staatliches Schulsystem, in: Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, Zweiter Band, 1975, S. 483 [493 ff.]; Scheuner, Verfassungsrechtliche Fragen der christlichen Gemeinschaftsschulen, in: Festgabe für Theodor Maunz, 1971, S. 307 [320]). Sinn und Bedeutung der mit dem Begriff "christlich" umschriebenen religiös-weltanschaulichen Bezüge der Schulform müssen daher für jede landesrechtliche Regelung gesondert ermittelt werden.
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III. |
Prüft man die Grundsätze und Bestimmungen, die für die christliche Gemeinschaftsschule badischer Überlieferung im Sinne des Art. 15 Abs. 1 n. F. der Verfassung von Baden-Württemberg maßgeblich sind, anhand der oben (A.I.3) aufgestellten Maßstäbe, so ergibt sich, daß diese Schulform im Spannungsfeld der Konfessionen und Weltanschauungen zwischen negativer und positiver Bekenntnisfreiheit eine bewährte Schule des Ausgleichs darstellt, die als öffentliche Pflichtschule Grundrechte der Beschwerdeführer nicht verletzt.
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1. Die Entstehungsgeschichte der badischen Simultanschule weist deutlich auf die liberalen Züge hin, die diese Schulform von Anfang an als eine "offene" Gemeinschaftsschule gekennzeichnet haben.
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Die politischen und territorialen Veränderungen zu Beginn des 19. Jahrhunderts, der einsetzende Säkularisationsprozeß und die Bildung konfessioneller "Mischbevölkerungen" sind die Entstehungsursachen für die Gemeinschaftsschulen in einzelnen der bis dahin konfessionell geschlossenen Länder. Ihren Ausgang nahm die Gemeinschaftsschule im Herzogtum Nassau, wo das Schuledikt betreffend die öffentlichen Unterrichtsanstalten vom März 1817 die obligatorische Gemeinschaftsschule "für die jedem Menschen ohne Unterschied des Geschlechts, der Religion, des Standes und der künftigen Bestimmung notwendige allgemeine Bildung" einführte (vgl. dazu Friedrich Hahn, Bekenntnisschule - christliche Gemeinschaftsschule - freie Schule, in: Heydorn-Simonsohn- Hahn-Hertz [Hrsg.], Bildung und Konfessionalität, 1967, S. 59 [62 f.]).
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Auch im Großherzogtum Baden lenkte das Vorhandensein einer konfessionell stark gemischten Bevölkerung fast zwangsläufig auf die Einführung einer gemeinsamen Schule hin. Nachdem verschiedene Ansätze zur Einführung einer "gemischten" Volksschule in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts noch ohne nachhaltigen Erfolg geblieben waren, brachte der Eintritt liberaler Politiker in die badische Regierung zu Beginn der zweiten Jahrhunderthälfte die entscheidende Wende. Damit konnte der Geist des pädagogischen Liberalismus in der Gestaltung des Schulwesens wirksam werden. Er war das Fundament, auf dem die badische Simultanschule entstand.
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Gegen den Widerstand der katholischen Kirche (vgl. hierzu Hirt, Staat und Kirche in der Badischen Volksschulgesetzgebung 1860-1868, 1931, insbesondere S. 101 ff.) legte der liberale Minister des Innern Jolly im Jahre 1867 den Entwurf eines umfassenden neuen Schulgesetzes vor. Er brachte allerdings noch nicht den vollen Übergang zur simultanen Pflichtschule. Immerhin wurde die Entwicklung zu der gesetzlich festgelegten obligatorischen Gemeinschaftsschule durch das Gesetz, den Elementarunterricht betreffend, vom 8. März 1868 (RegBl. S. 251) wesentlich gefördert. Zwar blieben die konfessionellen Schulen zunächst bestehen. Gemäß § 10 des Gesetzes wurde jedoch die fakultative Errichtung von Simultanschulen gestattet. Die großen Unsicherheiten, die das damit verbundene Abstimmungsverfahren mit sich brachte, veranlaßten die zweite badische Kammer, die Umwandlung aller Volksschulen in gemischte Schulen zu verlangen. Den Schlußstein in dieser Entwicklung setzte schließlich das Gesetz vom 18. September 1876, "die Änderung einiger Bestimmungen des Gesetzes vom 8. März 1868 über den Elementarunterricht betreffend" (Bad.GVBl. S. 305), dessen § 6 bestimmte:
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"Der Unterricht in der Volksschule wird sämtlichen schulpflichtigen Kindern gemeinschaftlich erteilt, mit Ausnahme des Religionsunterrichtes, soferne die Kinder verschiedenen religiösen Bekenntnissen angehören."
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Damit war anstelle der bis dahin noch bestehenden Konfessionsschulen in den Gebieten mit konfessionell gemischter Schulbevölkerung die obligatorische Simultanschule eingeführt. Diese Vorschrift wurde unverändert in das spätere Schulgesetz vom 7. Juli 1910 (§ 11 Abs. 1 dieses Gesetzes) übernommen. So führte die historische Entwicklung in Baden Schritt für Schritt zur Einrichtung der obligatorischen gemeinsamen Volksschule, in der alle Kinder - mit Ausnahme des Religionsunterrichts - gemeinsam unterrichtet wurden.
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Diese badische Simultanschule wurde immer als eine Art "weltliche Schule" beurteilt. Auf der Badischen Landesschulkonferenz vom 10. bis 13. Februar 1920 in Karlsruhe äußerte Generalvikar Dr. Fritz, die Simultanschule entspreche nicht der Auffassung der katholischen Kirche vom Wesen und den Aufgaben der Schule; in ihr sei die religiöse Unterweisung und Erziehung nicht hinreichend gesichert. Der Vertreter des Landesausschusses sozialdemokratischer Geistesarbeiter Badens, Hauptlehrer Häbler, nannte die Simultanschule eine Form der weltlichen Schule, weil in ihr das Erziehungsziel nicht wie bei der Konfessionsschule konfessionell, sondern kulturell bestimmt sei; die Religion stelle in der Simultanschule lediglich einen Teil der Gesamtkultur dar (vgl. Föhr, Fünf Jahre Schulpolitik und Schulkampf in Baden 1918 bis 1923, 1923, S. 42 f.).
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2. Für die Beurteilung des Charakters der Schulform im Sinne von Art. 15 Abs. 1 n. F. der Verfassung des Landes Baden-Württemberg ist im wesentlichen von den im obengenannten badischen Schulgesetz vom 7. Juli 1910 in der Fassung des Gesetzes vom 30. März 1926 niedergelegten Grundsätzen auszugehen. Dabei ist jedoch zu beachten, daß auf das Schulgesetz von 1910 nur aufgrund des Art. 28 Abs. 1 der Verfassung des ehemaligen Landes Baden zurückgegriffen werden kann; denn es ist nach seiner Aufhebung im Jahre 1934 nicht mehr als solches in Kraft gesetzt worden. Die Schulform hat daher nicht nur dem "christlichen Charakter im überlieferten badischen Sinn" zu entsprechen, sondern es müssen auch die Toleranzgebote in Art. 28 Abs. 1 Satz 2 und 3 BadVerf. beachtet werden, da auch diese Bestimmungen an dem maßgebenden Stichtag den Charakter der Badischen Simultanschule geprägt haben. Ferner sind diese Vorschriften im Zusammenhang zu sehen mit den anderen Normen der Verfassung des Landes Baden-Württemberg über Erziehung und Unterricht, insbesondere mit Art. 17, der bestimmt, daß in allen Schulen der Geist der Duldsamkeit und der sozialen Ethik zu walten habe.
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a) Die Schulform wird zunächst durch Einzelgewährleistungen charakterisiert, die vor allem den Religionsgesellschaften einen unmittelbaren Einfluß auf die religiöse Erziehung durch ihre Anerkennung als verantwortliche Erziehungsträger im Religionsunterricht (vgl. § 40 SchulG von 1910) und auf die Lehrerausbildung (vgl. § 44 SchulG von 1910) sowie mittels eines ausgeprägten christlich-konfessionellen Lehrer-Schüler-Proporzes (vgl. § 34 SchulG von 1910) eine größere bekenntnismäßige Geschlossenheit sichern sollen. Diese Gewährleistungen halten sich im Rahmen des dem Landesgesetzgeber nach Art. 7 GG eingeräumten Gestaltungsbereichs und verletzen die Beschwerdeführer nicht in ihrem Recht auf Selbstbestimmung der weltanschaulichen Erziehung ihrer Kinder gemäß Art. 4 Abs. 1 und 2 GG. Der Landesgesetzgeber kann der Tatsache, daß die Mehrzahl aller Staatsbürger einer christlichen Kirche angehört, Rechnung tragen. Es ist ihm nicht verwehrt, die Übereinstimmung von Schule und Elternhaus in religiöser Beziehung soweit als möglich aufrechtzuerhalten. Zwar beziehen sich die Gewährleistungen in erster Linie auf die christlichen Konfessionen. Dadurch werden aber andere Religionen und Weltanschauungen einschließlich des Laizismus nicht aus dem Schulleben verdrängt. Bei der Auslegung und Anwendung dieser organisatorischen Einzelgewährleistung ist zu beachten, daß schon nach Art. 28 Abs. 4 der früheren badischen Verfassung und ferner gemäß Art. 16 Abs. 2 Satz 2 der Verfassung des Landes Baden-Württemberg bekenntnismäßig nicht gebundene Lehrer nicht benachteiligt werden dürfen. Diesem ausdrücklichen Benachteiligungsverbot gebührt - auch im Hinblick auf Art. 33 Abs. 3 GG - im Zweifelsfall der Vorrang bei der Stellenbesetzung.
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b) Ein christlich-konfessionell geprägtes Erziehungsziel hat in den Schulgesetzen keinen Ausdruck gefunden. § 35 Abs. 1 SchulG von 1910 bestimmte nur, daß der Unterricht in der Volksschule die Kinder zu verständigen, religiös-sittlichen Menschen und dereinst tüchtigen Mitgliedern des Gemeinwesens heranbilden solle. Der christliche Charakter der Schule wird danach weniger durch das Erziehungsprogramm als vielmehr durch die angeführten Einzelgewährleistungen gekennzeichnet.
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In Art. 16 Abs. 1 Satz 1 der Verfassung des Landes Baden- Württemberg ist festgelegt, daß "in christlichen Gemeinschaftsschulen ... die Kinder auf der Grundlage christlicher und abendländischer Bildungs- und Kulturwerte erzogen" werden. Nach Ansicht der Beschwerdeführer ist diese Vorschrift nicht auf die Gemeinschaftsschule der Verfassungsnovelle anzuwenden, weil die christliche Gemeinschaftsschule badischer Überlieferung nach dem Willen des Verfassunggebers einen gegenüber der Gemeinschaftsschule im Sinne von Art. 16 Abs. 1 Satz 1 herausgehobenen christlichen Charakter haben solle. Dem steht entgegen, daß Art. 16 Abs. 1 Satz 1 schon in der Zeit bis zum Inkrafttreten der Neufassung des Art. 15 Abs. 1 auf die damals nach Art. 15 Abs. 1 a.F. in Baden-Württemberg nebeneinander bestehenden christlichen Gemeinschaftsschulen verschiedener Ausprägung allgemein anzuwenden war (vgl. Spreng-Birn-Feuchte, Die Verfassung des Landes Baden-Württemberg, 1954, Art. 16 Anm. 2), folglich auch für die im Gebiet des früheren Landes Baden bereits bestehende christliche Gemeinschaftsschule badischer Überlieferung galt. Die Verfassungsnovelle sollte das öffentliche Schulwesen auf der Basis der im Gebietsteil Baden bereits eingeführten Schulreform vereinheitlichen und nicht eine neue weitere Form der christlichen Gemeinschaftsschule schaffen.
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c) Bei den Beratungen der angegriffenen Verfassungsnovelle im Landtag von Baden-Württemberg bestanden verschiedene Vorstellungen über die christliche Prägung der Schule. Die Erklärungen der Abgeordneten spiegeln die Weite des Begriffs "christliche Gemeinschaftsschule" wider und bestätigen, daß die badische Simultanschule nicht auf eine bestimmte Vorstellung des Christlichen in der Schule festgelegt ist, sondern Raum für verschiedene Auffassungen bietet, wie sie auch bei der Schaffung der Verfassung des ehemaligen Landes Baden zum Ausdruck gekommen sind (vgl. dazu BadStGH, KirchE a.a.O. [79 ff.]).
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Der Abgeordnete Wurz (CDU) erklärte, daß die Schule gegenüber der "einfachen" christlichen Gemeinschaftsschule in Nordwürttemberg mit christlicher Substanz angereichert sei (Verh. LT BadWürtt., 4. Wp., Prot.-Bd. IV, S. 3971). Der Abgeordnete Dr. Person (CDU) interpretierte das christliche Element in der Schule als "nicht ein Allerweltschristlich, sondern (als) das klare Bekennen zu einer christlichen Religion" (a.a.O., S. 4167).
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Demgegenüber verstand der Abgeordnete Dr. Schwarz (SPD) als "christlich... das alle Menschen unseres Volkes über Gruppen und Parteien hinweg verbindende Element unserer gemeinsamen Geschichte, das nach dem Wollen unserer Landesverfassung als Bildungsgut an die folgenden Generationen weitervermittelt werden soll" (a.a.O., S. 3953).
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Der Abgeordnete Dr. Erbe (FDP/DVP) betonte ebenfalls das kulturchristliche Element der Gemeinschaftsschule stärker als das konfessionelle (a.a.O., S. 4143) und erklärte: "Es gibt in unseren beiden christlichen Konfessionen so viel Gemeinsames, daß die Betonung dieser Gemeinsamkeit, unbeschadet der Tatsache, daß es Christentum nur in konfessioneller Ausprägung gibt, den Grundcharakter einer Schule durchaus bestimmen kann, unter Vorbehalt des Trennenden für den Religionsunterricht. Im Sinne dieser Gemeinsamkeit sprechen wir von einer abendländisch-christlichen Kultur und nicht von einer katholischen und evangelischen Kultur. Die christliche Gemeinschaftsschule ist eine Schule der Gemeinschaft und nicht eine bikonfessionelle Schule" (a.a.O., Bd. V, S. 4371 f.).
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d) Die christliche Gemeinschaftsschule badischer Überlieferung im Sinne von Art. 15 Abs. 1 n. F. der Verfassung von Baden- Württemberg legt danach Lehrinhalte und Erziehungsziel nicht auf ein Glaubenschristentum fest. Das gemeinsame christliche Leitbild, welches das Schulleben bestimmt, ist geprägt durch die Anerkennung der Glaubensverschiedenheiten der beiden christlichen Konfessionen und die Offenheit sowie Toleranz gegenüber nichtchristlichen Religionen und Weltanschauungen. Eine Isolierung nichtchristlicher oder das Christentum nicht praktizierender Minderheiten verbietet außer dem die Schule beherrschenden Gemeinschaftsgedanken bereits die Anordnung in Art. 28 Abs. 1 Satz 2 BadVerf., im Unterricht die religiösen Empfindungen aller zu achten und "in jedem Fach auf die religiösen und weltanschaulichen Empfindungen aller Schüler Rücksicht zu nehmen und die religiösen und weltanschaulichen Auffassungen sachlich darzulegen". Dieses Toleranzgebot wird durch Art. 17 der Verfassung von Baden-Württemberg noch verstärkt. Es verhindert ein Absolutsetzen christlicher Glaubensinhalte außerhalb des Religionsunterrichts, ebenso wie es eine angemessene Mitberücksichtigung anderer religiöser und weltanschaulicher Auffassungen gewährleistet, für welche die Schule offenzubleiben hat. Das Gebot zur Versachlichung religiöser und weltanschaulicher Auffassungen besteht ungeachtet des konfessionellen Lehrer-Schüler-Proporzes. Durch das Toleranzgebot wird die Rücksichtnahme auf andere religiöse und weltanschauliche Auffassungen gewährleistet und einer Isolierung andersdenkender Minderheiten vorgebeugt, wie sie etwa in einer rein bikonfessionellen Schule befürchtet werden könnte. Christlich bezeichnet hier nicht einen auf die christliche Glaubenslehre ausgerichteten Unterricht in den Profanfächern. Nach dem Lehrverständnis der christlichen Kirchen lassen sich ohnehin die christlichen Konfessionen nicht zu einer gemeinsamen Lehre vereinigen.
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Ob die badische christliche Simultanschule vor dem ersten Weltkrieg eine der Konfessionsschule angenäherte Schule mit Rücksicht auf die konfessionelle Geschlossenheit der Schulgemeinde, die lebendige Verwurzelung der Bevölkerung in der Religion und die überwiegend konfessionell geprägte Lebenshaltung der Lehrer gewesen sein mag, ist für die Schule des Art. 15 Abs. 1 n. F. der Verfassung des Landes Baden-Württemberg unbeachtlich, da allein die Ausprägung der Schule am Stichtag, dem 9. Dezember 1951, maßgebend ist, zu dem diese Faktoren bereits seit langem nicht mehr wirksam waren.
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Die Bejahung des Christentums bezieht sich in erster Linie auf die Anerkennung des prägenden Kultur- und Bildungsfaktors, nicht auf die Glaubenswahrheit und ist damit im oben beschriebenen Sinn auch gegenüber Nichtchristen durch die Geschichte des abendländischen Kulturkreises gerechtfertigt. Der Rahmen, den diese Schulform abgibt, ist - im ganzen gesehen - auf Mit- und Gegeneinander pluralistischer Kräfte zugeschnitten. Ihr christlicher Charakter wird zwar von den Auffassungen der in ihr wirkenden Kräfte der konkreten Schulwirklichkeit bestimmt. Das kann unter Umständen bei einer entsprechenden Konstellation dazu führen, daß der Unterricht im Geiste des überwiegend vertretenen Bekenntnisses erteilt wird. Jedoch wird dem durch das Gebot der Rücksichtnahme auf die Empfindungen Andersdenkender und zur Versachlichung des Unterrichts im Vortrag der weltanschaulich-religiösen Auffassungen eine rechtliche Grenze gezogen, bei deren Innehaltung auch nichtchristliche Minderheiten nicht in eine Isolierung gedrängt werden. Das Miteinander mit Andersgesinnten bedeutet nicht Verleugnung der eigenen Überzeugung. Es bietet vielmehr die Chance zur Erkenntnis und Festigung des eigenen Standpunktes und zur Toleranz, die sich nicht als nivellierender Ausgleich, sondern als Anerkennung der Freiheit der Persönlichkeit versteht.
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Die Möglichkeit, daß bestimmte Gestaltungen der Schulpraxis mit den vorstehenden, die Schulform prägenden Grundsätzen nicht übereinstimmen, ist für die Beurteilung der Verfassungsmäßigkeit dieser Schulform ohne Bedeutung. Deshalb ist auf die verfassungsrechtliche Zulässigkeit der von dem Kultusministerium Baden-Württemberg in der Bekanntmachung vom 9. November 1967 getroffenen Anordnungen im vorliegenden Verfahren nicht einzugehen.
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Dr. Benda, Dr. Haager, Rupp-v.Brünneck, Dr. Böhmer, Dr. Simon, Dr. Faller, Dr. Hesse, Dr. Katzenstein |