BVerfGE 49, 280 - Zeugenentschädigung |
Beschluß |
des Zweiten Senats vom 10. Oktober 1978 |
-- 2 BvL 3/78 -- |
in dem Verfahren zur verfassungsrechtlichen Prüfung von § 2 Abs. 3 des Gesetzes über die Entschädigung von Zeugen und Sachverständigen in der Fassung des Gesetzes vom 20. August 1975 (BGBl. I S. 2189) - Aussetzungs- und Vorlagebeschluß des Amtsgerichts Würzburg vom 27. Juni 1978 - 2 OWi 117 Js 5033/78 -. |
Entscheidungsformel: |
§ 2 Absatz 3 des Gesetzes über die Entschädigung von Zeugen und Sachverständigen in der Fassung des Artikels 4 § 6 Nummer 1 Buchstabe a des Gesetzes zur Änderung des Gerichtskostengesetzes, des Gesetzes über Kosten der Gerichtsvollzieher, der Bundesgebührenordnung für Rechtsanwälte und anderer Vorschriften vom 20. August 1975 (Bundesgesetzbl. I S. 2189) ist, soweit er Hausfrauen eine höhere Entschädigung zubilligt als allen übrigen Zeugen, die keinen Verdienstausfall erleiden, mit dem Grundgesetz vereinbar. |
Gründe: |
A. |
Das Verfahren betrifft die Frage, ob § 2 Abs. 3 des Gesetzes über die Entschädigung von Zeugen und Sachverständigen in der Fassung des Gesetzes vom 20. August 1975 (BGBl. I S. 2189) -- ZuSEG --, der die Entschädigung von Zeugen ohne Verdienstausfall regelt, mit der Verfassung vereinbar ist.
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I. |
§ 2 ZuSEG lautet:
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(1) Zeugen werden für ihren Verdienstausfall entschädigt. Dies gilt auch bei schriftlicher Beantwortung einer Beweisfrage (§ 377 Abs. 3, 4 der Zivilprozeßordnung).
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(3) Ist ein Verdienstausfall nicht eingetreten, erhalten Zeugen die nach dem geringsten Satz bemessene Entschädigung, Hausfrauen 6 Deutsche Mark je Stunde, es sei denn, daß der Zeuge durch die Heranziehung ersichtlich keine Nachteile erlitten hat.
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(4) Gefangene, die keinen Verdienstausfall aus einem privatrechtlichen Arbeitsverhältnis haben, erhalten Ersatz einer entgangenen Zuwendung der Vollzugsbehörde.
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(5) Die Entschädigung wird für höchstens zehn Stunden je Tag gewährt.
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II. |
Der Antragsteller des Ausgangsverfahrens, ein Student der Medizin, wurde in einem Bußgeldverfahren vor dem Amtsgericht als Zeuge vernommen. Dadurch versäumte er zwei Pflichtvorlesungen an der Universität. Der Zeuge mußte die entgangenen Vorlesungen an Hand der Unterlagen eines anderen Studenten in den Abendstunden aufarbeiten. Er hat die richterliche Festsetzung seiner Entschädigung gemäß § 16 Zu- SEG beantragt und beansprucht wenigstens den einer Hausfrau zustehenden Stundensatz von 6 Deutsche Mark.
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Das Amtsgericht ist der Meinung, dem Antragsteller stehe nach dem eindeutigen Wortlaut des § 2 Abs. 3 ZuSEG nur ein Stundensatz von 2 Deutsche Mark zu. Es hält diese Regelung indes wegen Verstoßes gegen den Gleichheitssatz für verfassungswidrig und hat deshalb dem Bundesverfassungsgericht die Frage zur Entscheidung vorgelegt, ob § 2 Abs. 3 ZuSEG insoweit mit dem Grundgesetz vereinbar ist, als die Vorschrift es verbietet, einem Zeugen, der keinen Verdienstausfall erlitten hat und keine Hausfrau ist, einen höheren Entschädigungsbetrag als 2 Deutsche Mark je Stunde zuzusprechen. Es sei kein Grund erkennbar, der es rechtfertigen könne, Zeugen, die durch die Erfüllung ihrer Zeugenpflicht keinen Verdienstausfall erleiden, mit einem Stundensatz von 2 Deutsche Mark, Hausfrauen hingegen pauschal ohne Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles mit einem Satz von 6 Deutsche Mark je Stunde zu entschädigen. Eine Hausfrau, die durch die Inanspruchnahme als Zeugin an der Hausarbeit gehindert werde, hole diese in aller Regel zu anderer Zeit nach. Sie erleide mithin letztlich nur eine Einbuße an Freizeit. Insofern stehe sie aber genauso da wie ein Polizeibeamter, der in seiner Freizeit aussage, oder wie ein Student, der während der Vorlesungszeit aussage und Vorlesungslektüre und Studium in seiner Freizeit nachholen müsse. Auch von den tatsächlichen Gegebenheiten her sei eine Hausfrau in der Regel nicht schlechter gestellt als ein Student. Die Hausfrau, die fortlaufend ihre Arbeitszeit und die Art ihrer Tätigkeit selbst einteile und organisiere, könne leichter ihre Einteilung in einer Weise treffen, daß sie von der Wahrnehmung einer Zeugenpflicht wenig beeinträchtigt werde. Dies sei aber bei einem Studenten, der während der Vorlesungszeit als Zeuge herangezogen werde, nicht der Fall. Für ihn sei die Einbuße an Freizeit größer und bringe größere Erschwerungen mit sich als es üblicherweise bei einer Hausfrau der Fall sein möge.
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Eine derartig eklatante Ungleichbehandlung von Gleichem sei mit Art. 3 Abs. 1 GG nicht vereinbar.
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B. -- I. |
Die Vorlage ist zulässig.
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Die Entscheidungserheblichkeit der vorgelegten Frage ist vom Amtsgericht dargetan. Wenn § 2 Abs. 3 ZuSEG mit dem Grundgesetz vereinbar ist, muß das Gericht bei der Berechnung der Entschädigung einen Stundensatz von 2 Deutsche Mark zugrunde legen. Ist die Vorschrift verfassungswidrig, kann das Gericht nicht entscheiden, sondern muß abwarten, bis der Gesetzgeber eine neue Regelung getroffen hat (vgl. BVerfGE 23, 74 [78]; 23, 135 [142 f.]). Das wäre eine andere Entscheidung als im Falle der Gültigkeit des Gesetzes.
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II. |
§ 2 Abs. 3 ZuSEG ist in dem zur Nachprüfung gestellten Umfang mit dem Grundgesetz vereinbar.
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Durch diese Vorschrift werden aus der Gruppe derjenigen Personen, die durch ihre Inanspruchnahme als Zeuge keinen Verdienstausfall aber andere Nachteile erleiden, die Hausfrauen begünstigt. Während ihnen eine Entschädigung in Höhe von 6 Deutsche Mark je Stunde zugebilligt wird, erhalten die übrigen Zeugen lediglich eine Entschädigung in Höhe von 2 Deutsche Mark je Stunde. Diese Differenzierung ist mit dem Gleichheitssatz vereinbar.
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1. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts enthält der Gleichheitssatz für den Gesetzgeber die allgemeine Weisung, bei steter Orientierung am Gerechtigkeitsgedanken, Gleiches gleich, Ungleiches seiner Eigenart entsprechend verschieden zu behandeln. Er ist erst verletzt, wenn sich ein vernünftiger, sich aus der Natur der Sache ergebender oder sonstwie sachlich einleuchtender Grund für die gesetzliche Differenzierung oder Gleichbehandlung nicht finden läßt. Der Gesetzgeber hat hiernach weitgehende Gestaltungsfreiheit. Das gilt in noch höherem Maße bei einer rechtsgewährenden Regelung. Der Gesetzgeber besitzt im Bereich der gewährenden Staatstätigkeit größere Gestaltungsfreiheit als innerhalb der Eingriffsverwaltung (BVerfGE 11, 50 [60]; 17, 210 [216]; 22, 100 [103]; 23, 258 [264]; 36, 230 [235]) und ist in diesem Bereich in weitem Umfang zum Erlaß typisierender und generalisierender Regelungen berechtigt (BVerfGE 26, 16 [31]). Das gilt im Grundsatz auch dann, wenn der Gesetzgeber wie hier für Nachteile, die dem Bürger als Folge der Erfüllung allgemeiner staatsbürgerlicher Pflichten entstehen, einen Ausgleich gewährt, zu dem er verfassungsmäßig nicht verpflichtet ist (vgl. BVerfGE 29, 51 [56]). Ein Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz käme mithin nur in Betracht, wenn sich aus dem Gegenstand der Regelung für die Art der Differenzierung kein sachlich vertretbarer Grund anführen ließe oder wenn der Gesetzgeber die besonderen Wertentscheidungen der Verfassung außer acht gelassen hätte (vgl. BVerfGE 12, 354 [367]; 17, 122 [131]; 17, 210 [216 f.]; 36, 230 [235]). Davon kann nicht die Rede sein.
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2. Die Zeugenpflicht ist nach deutscher Rechtstradition eine allgemeine Staatsbürgerpflicht, für deren Erfüllung ein Entgelt nicht verlangt werden kann (vgl. dazu etwa die Begründung zum Gesetz betreffend die Änderung der Gebührenordnung für Zeugen und Sachverständige vom 10. Juli 1914 -- RGBl. S. 214 -- Drucksache Nr. 38 [1913] zu den Verhandlungen des Bundesrates des Deutschen Reiches sowie die Begründung zum Entwurf eines Gesetzes zur Änderung und Ergänzung kostenrechtlicher Vorschriften -- BTDrucks. II 2545, S. 212 f.). Unbeschadet dessen wird jedoch, neben dem für alle Zeugen in den §§ 9-11 ZuSEG vorgesehenen Ersatz der tatsächlich entstandenen Aufwendungen, dem Zeugen, dem ein Verdienstausfall entsteht, darüber hinaus aus Billigkeitsgründen eine -- allerdings der Höhe nach begrenzte (§ 2 Abs. 2 Satz 1 und Abs. 5 ZuSEG) -- Entschädigung dafür gewährt, daß er seine geldwerte Arbeitsleistung nicht hat erbringen können.
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Für die Fälle, in denen ein Verdienstausfall nicht entstanden oder nicht konkret nachweisbar ist, bestimmt § 2 Abs. 3 ZuSEG wiederum aus Billigkeitsgründen, daß ein Zeuge, der zwar keinen Verdienstausfall aber einen sonstigen Nachteil erleidet, die nach dem geringsten Satz bemessene Entschädigung in Höhe von 2 Deutsche Mark, eine Hausfrau indes eine Entschädigung in Höhe von 6 Deutsche Mark je Stunde erhalten. Auch dabei handelt es sich nicht um einen vollen Ausgleich von Nachteilen, sondern lediglich um die Gewährung einer pauschalierten teilweisen Entschädigung.
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Zu der Gruppe von Zeugen, die nur eine nach dem geringsten Satz bemessene Entschädigung beanspruchen können, gehörten nach früherem Recht auch die Hausfrauen. Im Gesetz über die Entschädigung von Zeugen und Sachverständigen vom 26. Juli 1957 (BGBl. I S. 902) traf der Gesetzgeber erstmals eine Sonderregelung für nicht erwerbstätige Hausfrauen und billigte ihnen eine höhere Entschädigung zu. Er trug damit auch in diesem Bereich einer im Grundgesetz enthaltenen Forderung Rechnung. Wie das Bundesverfassungsgericht bereits in anderem Zusammenhang hervorgehoben hat, ist es eine der wichtigsten Aufgaben des Art. 3 Abs. 2 GG, der rechtlichen Unterbewertung der Arbeit der Frau in Haushalt und Familie ein Ende zu setzen und ihr eine gerechte Berücksichtigung zu sichern (vgl. BVerf- GE 17, 1 [12 f.]). Die Ehefrau, der die Haushaltsführung überlassen ist, erfüllt ihre Verpflichtung durch Arbeit zum Unterhalt der Familie beizutragen, in der Regel durch die Führung des Haushalts (§ 1360 Satz 2 BGB) und leistet damit einen der Erwerbstätigkeit des Mannes gleichwertigen Beitrag zur Existenzsicherung der Familie. Unter diesem Blickpunkt steht die Hausfrau, die durch die Erfüllung der Zeugenpflicht ihrer -- nur beschränkt nachholbaren -- häuslichen Tätigkeit entzogen wird, dem Erwerbstätigen, der einen Verdienstausfall erleidet, näher, als dem Zeugen, der einen sonstigen -- meist in der Einbuße von Freizeit sich erschöpfenden -- Nachteil hinnehmen muß. Wenn der Gesetzgeber diese Besonderheit in § 2 Abs. 3 ZuSEG dadurch berücksichtigt, daß er den Hausfrauen einen höheren Entschädigungssatz zubilligt, so ist das jedenfalls nicht sachfremd und steht mit der vom Grundgesetz in Art. 3 Abs. 2 GG getroffenen Wertung in Einklang.
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Daß der Gesetzgeber sich bei der Entschädigung sonstiger Nachteile für Pauschbeträge entschieden hat, begegnet ebenfalls keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Der mit einer weiteren Differenzierung notwendig verbundene Verwaltungsaufwand ließe sich in Anbetracht der relativ geringen Höhe der Entschädigung schwerlich rechtfertigen.
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Ob die vom Gesetzgeber im Rahmen seiner Gestaltungsfreiheit gefundene Lösung im einzelnen die zweckmäßigste, vernünftigste oder gerechteste ist, hat das Bundesverfassungsgericht nicht zu prüfen.
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