BVerfGE 78, 165 - Reichsversicherungsordnung
1. Der verfassungsrechtliche Justizgewährungsanspruch fordert vom Richter, den Rechtsstreit nach Möglichkeit so zu behandeln, daß eine Verzögerung durch die Anrufung des Bundesverfassungsgerichts vermieden wird. Bei der Prüfung der Entscheidungserheblichkeit einer Vorlagefrage (Art. 100 Abs. 1 GG) ist daher ein strenger Maßstab anzulegen.
2. § 122 RVO ist in den Willen des nachkonstitutionellen Gesetzgebers aufgenommen worden.
 
Beschluß
des Ersten Senats vom 10. Mai 1988
– 1 BvL 8, 9/82 –
in den Verfahren zur verfassungsrechtlichen Prüfung der §§ 122, 182, 368 ff. und 507 RVO, soweit sie die selbständige und eigenverantwortliche Beteiligung psychotherapeutisch tätiger Psychologen an der gesundheitlichen Versorgung der Versicherten in der sozialen Krankenversicherung – speziell auf dem Gebiet der Verhaltenstherapie – ausschließen, – Aussetzungs- und Vorlagebeschlüsse des Landessozialgerichts Bremen vom 10. Juli 1980 (L 1 Kr 2/80 und L 1 Kr 3/80) und Ergänzungsbeschlüsse vom 10. September 1981 (L 1 Kr 2/80 und L 1 Kr 3/80) –.
 
Entscheidungsformel:
Die Vorlagen sind unzulässig.
 
Gründe:
 
A.
Die Vorlagen betreffen die Frage, ob der Ausschluß psychotherapeutisch tätiger Diplom-Psychologen von der selbständigen Teilnahme an der kassenärztlichen Versorgung verfassungsmäßig ist.
I.
Die in der Reichsversicherungsordnung – RVO – geregelte gesetzliche Krankenversicherung beruht im Gegensatz zu dem Erstattungsprinzip der Privatversicherung auf dem Sachleistungsprinzip, nach welchem den Versicherten die zur Erkennung, Linderung und Heilung der Krankheit notwendigen Dienstleistungen und sächlichen Mittel zu gewähren sind. Die "ärztliche Behandlung" ist Gegenstand verschiedener Regelungen des Gesetzes. Der seit 1924 unveränderte § 122 RVO stellt klar, daß eine solche Behandlung durch approbierte Ärzte geleistet wird und Hilfeleistungen anderer nur umfaßt, wenn der Arzt sie anordnet oder in dringenden Fällen kein approbierter Arzt zugezogen werden kann. Absatz 2 der Vorschrift ermächtigt die oberste Verwaltungsbehörde zu bestimmen, wieweit auch sonst Hilfspersonen innerhalb der staatlich anerkannten Befugnisse selbständig Hilfe leisten können. Die seit 1961 mehrfach geänderten Regelungen des § 182 RVO erläutern den Inhalt der von der gesetzlichen Krankenversicherung geschuldeten Leistungen. Danach umfaßt die Krankenpflege insbesondere die ärztliche und zahnärztliche Behandlung. Sie muß ausreichend und zweckmäßig sein und darf das Maß des Notwendigen nicht übersteigen (§ 182 Abs. 2 RVO). Die §§ 368 ff. RVO, die durch das Gesetz über das Kassenarztrecht aus dem Jahre 1955 grundlegend neu gefaßt und seither mehrfach geändert wurden, umschreiben die ärztliche Versorgung als gemeinsame Aufgabe der Ärzte und Krankenkassen. Sie regeln die organisatorische und rechtliche Abwicklung der nach § 182 RVO von den Krankenkassen zu gewährenden Heilbehandlung durch die in § 122 RVO genannten Personen. Das Gesetz selbst behandelt allerdings nur die Grundlinien des Kassenarztrechts. Ausgefüllt werden diese Bestimmungen durch die Richtlinien für die kassenärztliche Versorgung nach § 368 p RVO, die von den Bundesausschüssen der Ärzte und Krankenkassen sowie der Zahnärzte und Krankenkassen beschlossen werden, und durch Verträge zwischen den Kassenärztlichen Vereinigungen und den Verbänden der Krankenkassen. Der allgemeine Inhalt dieser Vereinbarungen ist nach § 368g Abs. 3 RVO Gegenstand des "Bundesmantelvertrags – Ärzte"; spezielle Regelungen werden auf Landesebene in den "Gesamtverträgen" getroffen (§ 368g Abs. 2 RVO).
Psychotherapeutische Leistungen wurden erstmals in den Psychotherapie-Richtlinien des Jahres 1967 erfaßt. Diese Richtlinien liegen inzwischen in der Neufassung vom 3. Juli 1987 vor. Während sie ursprünglich nur die Ausübung der Großen Psychotherapie (der tiefenpsychologisch fundierten und der analytischen Psychotherapie) regelten, erfassen sie jetzt auch die in den Vorlagebeschlüssen in Rede stehende Verhaltenstherapie (Kleine Psychotherapie). Allerdings entsprach es schon vor Aufnahme der Verhaltenstherapie in die Richtlinien der allgemeinen Rechtsüberzeugung, daß auch diese von den Ärzten im Rahmen der kassenärztlichen Versorgung erbracht und abgerechnet werden konnte.
Im Anschluß an die Psychotherapie-Richtlinien bestimmten die Partner des Bundesmantelvertrags-Ärzte in einer Vereinbarung des Jahres 1967, daß ausschließlich Ärzte zur Erbringung psychotherapeutischer Leistungen berechtigt seien. Nach der Neufassung dieser Vereinbarung aus dem Jahre 1972 konnten auch nichtärztliche Psychotherapeuten von einem leistungsberechtigten und überwiegend psychotherapeutisch tätigen Arzt zur Behandlung hinzugezogen werden (Delegationsverfahren). Die Verantwortung für die Durchführung der Psychotherapie blieb jedoch hinsichtlich ihrer Zweckmäßigkeit, Notwendigkeit und Wirtschaftlichkeit beim Arzt. So verhält es sich auch heute noch. Die Grundsätze des Delegationsverfahrens sind inzwischen in der genannten Neufassung der Psychotherapie-Richtlinien festgeschrieben. Eine neue Psychotherapie-Vereinbarung zu diesen Richtlinien ist bisher nicht geschlossen worden. Sie liegt jedoch bereits im Entwurf vor und soll am 1. Juli 1988 in Kraft treten.
Nach den §§ 504 ff. RVO sind auch die Ersatzkassen Träger der gesetzlichen Krankenversicherung. Sie dürfen ihren Mitgliedern nach § 508 RVO alle Leistungen gewähren, die das Gesetz den Krankenkassen erlaubt; sie müssen nach § 507 Abs. 1 RVO mindestens die Regelleistungen der Krankenkassen erbringen. Die von den Ersatzkassen für die Versorgung ihrer Mitglieder in Anspruch genommenen Ärzte sind die sogenannten Vertragsärzte. Die vertragsärztliche Tätigkeit ist nach § 525 c Abs. 1 RVO an die kassenärztliche Tätigkeit gebunden. Nach § 368 n Abs. 2 Satz 3 RVO können die Kassenärztlichen Vereinigungen mit Zustimmung der Aufsichtsbehörde Aufgaben der ärztlichen Versorgung im Sinne des § 368 Abs. 2 RVO, insbesondere für die Ersatzkassen und andere Sozialversicherungsträger, übernehmen. Davon ist Gebrauch gemacht worden, indem die Verbände der Ersatzkassen mit der Kassenärztlichen Bundesvereinigung einen Ersatzkassen-Arztvertrag geschlossen haben. Diesem Vertrag ist eine Vereinbarung vom 7. August 1980 als Anlage 5 a über die Anwendung von Verhaltenstherapie beigefügt worden. Danach gilt dort ein ähnliches Delegationsverfahren wie bei den gesetzlichen Krankenkassen.
II.
Die Klägerinnen der beiden Ausgangsverfahren sind bei einer Ersatzkasse krankenversichert. Sie beanspruchen jeweils die Erstattung der Kosten einer von einem Diplom-Psychologen durchgeführten Verhaltenstherapie, die sie beansprucht hatten, ohne zuvor ihre Kasse zu informieren. Diese lehnte ihre Anträge ab, weil Leistungen von Psychologen keine ärztliche Behandlung seien und die Verhaltenstherapie auch nicht im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung stattgefunden habe. Die Klagen vor dem Sozialgericht blieben erfolglos. Auf die Berufung der Klägerinnen hin hat das Landessozialgericht die Verfahren ausgesetzt und dem Bundesverfassungsgericht die Frage vorgelegt,
ob die §§ 122,182, 368 ff. und 507 RVO wegen Verstoßes gegen die Art. 2, 3 Abs. 1, 20 und 28 GG insoweit verfassungswidrig seien, als sie die selbständige und eigenverantwortliche Beteiligung psychotherapeutisch tätiger Psychologen an der gesundheitlichen Versorgung der Versicherten in der Sozialen Krankenversicherung – speziell auf dem Gebiet der Verhaltenstherapie – generell ausschlössen.
Das Landessozialgericht kommt in seinen umfangreichen Beschlüssen zu dem Ergebnis, daß die vorgelegten Regelungen mit dem Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip unvereinbar seien, weil sie zu einer Mangelsituation auf dem Gebiet der Verhaltenstherapie führten und somit den Versicherten eine ausreichende gesundheitliche Versorgung verweigerten. Daneben verstießen sie gegen die allgemeine Handlungsfreiheit der Versicherten (Art. 2 Abs. 1 GG), weil zum Persönlichkeitsschutz ein Mindestmaß an Gestaltungsfreiheit bei der Inanspruchnahme von Versicherungsleistungen gehöre. Schließlich verletzten sie den allgemeinen Gleichheitsgrundsatz (Art. 3 Abs. 1 GG), weil die unterschiedliche Behandlung der Leistungen von Diplom-Psychologen und Ärzten im Bereich der Psychotherapie nicht gerechtfertigt sei. Ob daneben auch Verstöße gegen Art. 12 Abs. 1 und Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG zu Lasten der Diplom-Psychologen vorlägen, könne dahingestellt bleiben.
Auf einen entsprechenden Hinweis hat das Landessozialgericht ergänzend ausgeführt, daß die Klägerinnen während der gesamten oder eines Teils der hier maßgeblichen Zeit versicherungspflichtig gewesen seien, ihre psychotherapeutische Behandlung notwendig gewesen sei, ein auf die Erstattung der Behandlungskosten gerichteter sozialrechtlicher Herstellungsanspruch in beiden Fällen nicht in Betracht komme und Ansprüche der Klägerinnen nicht bereits daran scheiterten, daß sie sich eigenständig in die Behandlung des Diplom-Psychologen begeben hätten.
III.
Zu den Vorlagen sind mehrere Stellungnahmen abgegeben worden.
Der Bundesverband der Betriebskrankenkassen, der Bundesverband der Landwirtschaftlichen Krankenkassen, die Kassenärztliche Bundesvereinigung und der Bundesverband der Ortskrankenkassen halten die Vorlagen für unzulässig. Die genannten Normen seien schon deshalb nicht entscheidungserheblich, weil Diplom-Psychologen ohne eine Erlaubnis nach dem Heilpraktikergesetz gar nicht zur Ausübung der Heilkunde berechtigt seien. Abgesehen davon ergebe sich ihr Ausschluß als selbständige Behandler im Rahmen der sozialen Krankenversicherung ausschließlich aus § 122 RVO. Diese Vorschrift sei jedoch vorkonstitutionelles Recht. Ihre Einbeziehung in die verfassungsrechtliche Überprüfung hält der Bundesverband der Ortskrankenkassen allenfalls wegen ihres engen Zusammenhangs mit den §§ 368 ff. RVO für möglich. Dieser Verband verneint die Entscheidungserheblichkeit der zur Prüfung gestellten Normen auch deswegen, weil es in beiden Fällen nahegelegen hätte, einen Kostenerstattungsanspruch der Versicherten wegen einer Verletzung der Aufklärungs- und Beratungspflicht der Krankenkasse zu bejahen.
In Übereinstimmung mit dem Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung und dem Verband der Angestellten-Krankenkassen e.V. sind die genannten Verbände darüber hinaus der Auffassung, daß die Vorlagefrage zu verneinen sei. Eine verfassungsrechtliche Pflicht, den Diplom-Psychologen für die Psychotherapie einen unmittelbaren Zugang zu der gesetzlichen Krankenversicherung zu verschaffen, bestehe nicht. Die Ausbildung zum Diplom-Psychologen vermittle nicht in ausreichendem Maße Kenntnisse und Fähigkeiten für die eigenverantwortliche Heilkundeausübung in der Psychotherapie, selbst wenn entsprechende Zusatzausbildungen und Weiterbildungen wahrgenommen würden. Deshalb sei der Beruf des Diplom-Psychologen, solange der Gesetzgeber ihn nicht als weiteren Heilberuf auf dem Gebiet der Psychotherapie ausgestaltet habe, nicht mit dem des Arztes vergleichbar. Schließlich geböten weder Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG noch das Sozialstaatsprinzip eine bestimmte Vorsorgeorganisation der gesetzlichen Krankenkassen zur Sicherstellung der Verhaltenstherapie.
Die Klägerinnen des Ausgangsverfahrens stehen zwar ebenfalls auf dem Standpunkt, daß die Vorlagefrage zu verneinen sei, jedoch deswegen, weil der aus ihrer Sicht bestehende verfassungswidrige Zustand durch verfassungskonforme Auslegung des § 182 Abs. 1 Nr. 1 RVO beseitigt werden könne. Es bestünden keine grundsätzlichen Hindernisse, die Durchführung einer nichtärztlichen Psychotherapie als Anwendung eines Heilmittels im Sinne von § 182 Abs. 1 Nr. 1b RVO anzusehen oder – wenn man dagegen Bedenken haben sollte – sie allgemein unter den nicht abschließenden Leistungskatalog des § 182 Abs. 1 Nr. 1 RVO zu subsumieren.
Der 8. Senat des Bundessozialgerichts hat mitgeteilt, daß er über die Gültigkeit der zur verfassungsgerichtlichen Prüfung anstehenden Rechtsvorschriften bislang nicht zu entscheiden gehabt habe. Der 6. und 3. Senat hätten sie jedoch im Hinblick auf Art. 3, Art. 12, Art. 20 Abs. 1 und Art. 28 Abs. 1 GG geprüft und für verfassungsmäßig befunden. Insoweit verweist der 8. Senat unter anderem auf das Urteil des 3. Senats vom 9. März 1982 (BSGE 53,144).
 
B.
Die Vorlagen sind unzulässig.
I.
Bedenken gegen ihre Zulässigkeit ergeben sich allerdings nicht daraus, daß es sich bei § 122 RVO um eine vorkonstitutionelle Norm handelt, wie in mehreren Stellungnahmen geltend gemacht wird.
Zwar besteht der Wortlaut dieser Norm seit 1924. Aber schon die zahlreichen Änderungen der Reichsversicherungsordnung seit Inkrafttreten des Grundgesetzes sprechen dafür, daß der zu den "Gemeinsamen Vorschriften" zählende § 122 RVO vom Willen des heutigen Gesetzgebers gedeckt ist. Eindeutig ergibt sich das jedoch daraus, daß sowohl § 182 RVO als auch die §§ 368 ff. RVO ihre derzeitige Gestalt erst unter der Geltung des Grundgesetzes bekommen haben. Wie oben dargelegt befassen sich § 182 RVO mit dem Inhalt des Leistungsanspruchs, zu dem auch die ärztliche Behandlung gehört, und die §§ 368 ff. RVO mit der organisatorischen Bewältigung der ärztlichen Versorgung der Versicherten, während § 122 RVO regelt, wer zur ärztlichen Behandlung berechtigt ist. Daraus ergibt sich ein enger Zusammenhang, der nur den Schluß zuläßt, daß der nachkonstitutionelle Gesetzgeber auch diese unverändert gebliebene Norm bestätigen wollte. Anders ist es auch nicht erklärlich, daß nach dem Kassenarztrecht die ärztliche Versorgung gemeinsame Aufgabe von Ärzten und Krankenkassen ist.
II.
Unzulässig sind die Vorlagen jedoch, weil die Darlegungen des Landessozialgerichts zur Entscheidungserheblichkeit der Vorlagefrage in mehrfacher Hinsicht unzureichend sind.
Nach § 80 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG muß die Begründung der Vorlage angeben, inwiefern von der Gültigkeit der Rechtsvorschrift die Entscheidung des Gerichts abhängt und mit welcher übergeordneten Rechtsnorm sie unvereinbar ist. Das Gericht muß die für seine Überzeugung von der Verfassungswidrigkeit der Norm maßgeblichen Erwägungen erschöpfend darlegen (vgl. BVerfGE 66, 265 [269 f.]; 68,311 [316]), sich eingehend mit der Rechtslage auseinandersetzen und die in der Literatur und Rechtsprechung entwickelten Rechtsauffassungen berücksichtigen, die für die Auslegung der in Frage stehenden Norm von Bedeutung sind (vgl. BVerfGE 47, 109 [114 f.]; 65, 308 [316]; 74, 236 [242]). Bei der Prüfung, ob eine Vorlage diesen Anforderungen genügt, ist das Bundesverfassungsgericht grundsätzlich an den Standpunkt des vorlegenden Gerichts gebunden (BVerfGE 2, 181 [190 f.]; st.Rspr.). Dies gilt allerdings nicht, wenn dessen Rechtsauffassung (BVerfGE 7,171 [175]; 72,51 [60]) oder Tatsachenwürdigung (BVerfGE 13,31 [35 f.]) offensichtlich unhaltbar ist oder die Beurteilung der Entscheidungserheblichkeit von der Beantwortung verfassungsrechtlicher Vorfragen abhängt (BVerfGE 46,268 [284]).
Bei Anlegung dieses Prüfungsmaßstabs durfte die Vorlagefrage nicht gestellt werden, weil das Landessozialgericht sich nicht hinreichend mit dem Sachleistungsprinzip der gesetzlichen Krankenversicherung und der dazu ergangenen Rechtsprechung auseinandergesetzt hat (1.), nicht hinreichend geklärt hat, welche Auswirkungen § 1 des Heilpraktikergesetzes – HPG – auf die abgeschlossenen Behandlungsverträge hat (2.), und den durch die Rechtsprechung geschaffenen sozialrechtlichen Herstellungsanspruch bei der Betrachtung der Versorgungssituation nicht hinreichend berücksichtigt hat (3).
1. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSGE 44, 41 ff.; 48, 258ff.) steht einem Versicherten keine Kostenerstattung zu, wenn er einen Arzt (dasselbe muß für einen anderen Heilbehandler gelten) privat, also außerhalb der kassenärztlichen oder vertragsärztlichen Verpflichtungen in Anspruch nimmt. Eine Möglichkeit der Privatbehandlung auf eigene Kosten mit nachfolgender Kostenerstattung ist dem System der deutschen gesetzlichen Krankenkasse fremd (BSGE 44, 41 [42] unter Berufung auf BSGE 42, 117 [119]). Schon aus diesem Grund stand den Klägerinnen von vornherein kein Anspruch zu, weil sie den Diplom-Psychologen aufgesucht hatten, ohne die Kasse zu informieren, und erst während der laufenden Behandlung Kostenerstattung beanspruchten. Etwas anderes würde allerdings gelten, wenn die Versicherung die Sachleistung zu Unrecht verweigert und die Klägerinnen dadurch gezwungen hätte, sie sich auf eigene Kosten zu verschaffen (BSGE 48,258 [260]). Diese Ausnahme kann in beiden Ausgangsfällen allerdings frühestens vom Zeitpunkt der Meldung der Behandlung an die Kasse gelten, weil eine unberechtigte Versagung der Kostenübernahme zumindest eine Kenntnis des Begehrens voraussetzt. Ob die Weigerung der Ersatzkasse die Klägerinnen in eine solche Zwangslage gebracht hat, verdeutlichen die Vorlagebeschlüsse nicht. Auch die Ergänzungsbeschlüsse geben darüber keine hinreichende Auskunft, obwohl das Landessozialgericht ausdrücklich darauf hingewiesen worden ist, daß konkrete Feststellungen dazu erforderlich seien, warum den Versicherten eine psychotherapeutische Behandlung durch einen Arzt nicht möglich oder nicht zumutbar gewesen sei.
Während sich das Landessozialgericht im Verfahren 1 BvL 9/82 noch mit der Entscheidung BSGE 44,41 ff. auseinandersetzt, unterläßt es dies in dem Ergänzungsbeschluß zu 1 BvL 8/82. Das Gericht legt dort sogar ausdrücklich dar, es könne nicht festgestellt werden, daß der Klägerin eine Behandlung durch einen ärztlichen Verhaltenstherapeuten nicht zuzumuten gewesen wäre; es seien keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, daß für sie nur eine Behandlung durch einen Diplom-Psychologen in Betracht gekommen sei. Bei Heranziehung der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts hätte diese Feststellung zwangsläufig zur Abweisung der Klage führen müssen, weil die Klägerin keineswegs gezwungen war, sich die gebotene Verhaltenstherapie, die auch eine ärztliche sein konnte, auf eigene Kosten zu beschaffen. Das Landessozialgericht bewältigt dieses Problem mit folgenden Erwägungen (S. 15 f. des Beschlußabdrucks):
    "Dennoch schließt die Tatsache, daß die Klägerin von der Möglichkeit der Beantragung einer ärztlichen Verhaltenstherapie keinen Gebrauch machte, eine verfassungsrechtliche Überprüfung nicht aus. Die Klägerin kann zwar nach geltendem Recht nur über einen solchen Antrag zu einer Kostenerstattung gelangen. Das bedeutet aber nicht, daß sie sich auch von Verfassungs wegen darauf verweisen lassen muß. Sie würde anderenfalls in eine Situation gezwungen werden, die die gegenwärtige Unterversorgung gerade manifestiert. Es kann der Klägerin nicht angesonnen werden, sich mit dem vom Gesetzgeber bewirkten Ausschluß der Wahlmöglichkeit unter mehreren Therapeutengruppen abzufinden, wenn dieser Weg insgesamt zu größeren Versorgungsschwierigkeiten führt als der andere, den die Klägerin beschreiten will."
Diese Ausführungen sind offensichtlich unhaltbar. Obwohl die Klägerin ihre individuellen Belange nach geltendem Recht hinreichend wahren konnte (Gegenteiliges wird nicht festgestellt), soll es ihr wegen der generellen Unterversorgung mit Verhaltenstherapeuten erlaubt gewesen sein, vom Sachleistungsprinzip abzuweichen. Soweit sich das Landessozialgericht auf die Verfassung beruft, ist seine Argumentation für das Bundesverfassungsgericht voll überprüfbar. Warum sich aus dem Grundgesetz ergeben soll, daß die Klägerin sich nicht mit einer Verhaltenstherapie durch einen approbierten Arzt begnügen mußte, ist nicht ersichtlich. Denkbar wäre eine entsprechende grundrechtlich geschützte und damit notwendigerweise individualrechtliche Position allenfalls dann, wenn sie selbst durch die Mangellage auf psychotherapeutischem Gebiet beschwert gewesen wäre. Gerade dazu fehlen aber Feststellungen. Zwar ist nicht von der Hand zu weisen, daß eine Verfassungswidrigkeit des Ausschlusses der Diplom-Psychologen als Behandler im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung zur Folge haben könnte, daß auch diese für selbständige psychotherapeutische Leistungen in Anspruch genommen werden könnten. Das berechtigt aber nicht zu dem Schluß, daß die Klägerin gleichsam im Vorgriff darauf vom Sachleistungsprinzip abweichen durfte, solange ihre individuelle Krankenversorgung nicht beeinträchtigt war.
Im Verfahren 1 BvL 9/82 stellt das Landessozialgericht zwar die erwähnte Rechtsprechung des Bundessozialgerichts dar und erläutert, daß die Klägerin danach eine Kostenerstattung eigentlich nicht verlangen könne. Dann führt esaber folgendes aus (S. 14 des Ergänzungsbeschlusses) :
    "Bliebe die nachträgliche Geltendmachung einer zunächst auf eigene Kosten beschafften Leistung unberücksichtigt, so würde sich die verfassungsrechtliche Überprüfung auf die Fälle beschränken, in denen die Versicherten von der gewünschten Behandlung durch Diplom-Psychologen Abstand genommen hätten. Letzteres war der Klägerin nicht zuzumuten, wie sich insbesondere aus den Stellungnahmen der Nervenärztin Dr. med. D... und des Vertrauensarztes Dr. med. Sch... zur Notwendigkeit einer Verhaltenstherapie bei dem Diplom-Psychologen Schw... ergibt."
Die Notwendigkeit der Verhaltenstherapie bei diesem Diplom-Psychologen soll sich aus folgendem Geschehensablauf ergeben: Die Klägerin begab sich auf ärztliche Empfehlung in die Behandlung des Diplom-Psychologen. Zwei Monate später bescheinigte ihr der Vertrauensarzt, daß eine Besserung eingetreten und eine Weiterführung dieser Behandlung angezeigt sei. Daraus schließt das Landessozialgericht, daß nur eine Behandlung durch diesen Diplom-Psychologen in Betracht gekommen sei. Das geht fehl. Es mag zwar sein, daß nach Aufnahme der Behandlung durch diesen Therapeuten wegen der erzielten Erfolge und des entstandenen Vertrauensverhältnisses zwischen Behandler und Patienten allein eine Weiterführung der Therapie durch diesen Diplom-Psychologen in Betracht kam. Diese ex-post-Betrachtung ist nicht zulässig. Sie verkennt, daß die Notwendigkeit der Weiterbehandlung durch diesen Therapeuten unter Mißachtung der kassenrechtlichen Vorschriften erst herbeigeführt wurde. Es geht nicht an, zunächst privat eine derartige Krankenhilfe in Anspruch zu nehmen, um dann aus dem Zwang, die angefangene Behandlung zu Ende zu führen, den Schluß zu ziehen, von Anfang an sei nur diese Behandlung in Frage gekommen. Möglicherweise hätte eine ärztliche Verhaltenstherapie bei der Klägerin zu denselben oder noch besseren Erfolgen geführt. Jedenfalls hat das Landessozialgericht nichts dafür dargetan, warum diese gezwungen gewesen sei, von vornherein einen nichtärztlichen Psychotherapeuten aufzusuchen. Die Ausführungen zur Unterversorgung mit ärztlichen Verhaltenstherapeuten in Bremen führen nicht weiter, solange Feststellungen dazu fehlen, daß sich dies auch im konkreten Fall ausgewirkt hätte, die Kasse der Klägerin also keinen zur Behandlung bereiten Arzt hätte benennen können.
2. Nicht hinreichend dargetan ist die Entscheidungserheblichkeit der Vorlagefrage auch im Hinblick auf § 1 Abs. 1 HPG, wonach die Ausübung der Heilkunde ohne Bestallung als Arzt der Erlaubnis bedarf.
Das Landessozialgericht bezeichnet den "Einwand des Fehlens einer Heilkundeerlaubnis" als gewichtig, bezieht ihn aber offenbar auf die Situation der Diplom-Psychologen allgemein. Auskunft darüber, ob der Therapeut, der die Klägerinnen behandelt hat, eine solche Erlaubnis besitzt, gibt es nicht. Vermutlich ging das Gericht davon aus, daß sie fehlt, weil sich andernfalls Ausführungen zu dieser Problematik erübrigt hätten. Jedenfalls haben sowohl die Kassenärztliche Bundesvereinigung als auch der Bundesverband der Ortskrankenkassen unwidersprochen vorgetragen, daß der Therapeut seiner Tätigkeit unerlaubt nachgehe. In diesem Fall könnten aber alle Heilbehandlungsverträge, die er schließt, nach § 134 BGB nichtig sein, weil sie gegen ein gesetzliches Verbot verstießen (so OLG München,NJW 1984, S. 1826 f.). Weitere Folge wäre, daß die Klägerinnen das geforderte Honorar nicht schuldeten und daher eine Erstattung der Kosten durch die Ersatzkasse nicht in Betracht käme.
Etwas anderes würde nur dann gelten, wenn die Vorschriften des Heilpraktikergesetzes auf psychotherapeutisch tätige Diplom-Psychologen keine Anwendung fänden. Obwohl dieses Problem vor einer Vorlage hätte geklärt werden müssen, läßt das Landessozialgericht es unentschieden. Es legt seine Zweifel an der Anwendbarkeit des Heilpraktikergesetzes dar, räumt ein, daß die gegenteilige Auffassung nach wie vor verbreitet vertreten werde, und stellt sich dann auf den Standpunkt, daß dem nicht weiter nachgegangen zu werden brauche; denn darauf komme es für die Frage der Verfassungsmäßigkeit des Ausschlusses der selbständig und eigenverantwortlich psychotherapeutisch tätigen Diplom-Psychologen von der Versorgung der Versicherten nicht an. Weiter führt es aus:
    "Die auf die gesundheitliche Versorgung der Versicherten abzielenden Vorschriften der RVO können verfassungsrechtlich nicht damit gerechtfertigt werden, daß Diplom-Psychologen zur Ausübung der Psychotherapie einer Erlaubnis nach § 1 HPG bedürfen. Das HPG ist in keiner Weise geeignet, einen Qualifikationsnachweis für psychotherapeutisch tätige Diplom-Psychologen zu erbringen, weil es sich mit diesem Tatbestand überhaupt nicht befaßt (...). Es ist deshalb bei der Prüfung der Bemühungen des Gesetzgebers auch kein verwertbares Ordnungsinstrument. Die Bundesregierung hat es demzufolge für wichtig gehalten, einen Gesetzentwurf über den Heilberuf des Psychotherapeuten vorzulegen. Damit steht hinreichend fest, daß die Ausübung von Verhaltenstherapie durch Diplom-Psychologen verfassungsrechtlich nicht an § 1 HPG gemessen werden kann."
Die Entscheidungserheblichkeit der Vorlagefrage ergibt sich aus diesen Ausführungen nicht. Es geht weder darum, ob der Ausschluß der Diplom-Psychologen durch die Vorschriften des Heilpraktikergesetzes gerechtfertigt werden kann, noch darum, diesen Ausschluß verfassungsrechtlich an § 1 HPG zu messen. Es geht vielmehr allein um die Frage, ob trotz Nichtbeachtung der Vorschriften des Heilpraktikergesetzes die geschlossenen Behandlungsverträge gültig sind. Das erfordert aber eine verbindliche Äußerung des Gerichts. Daß einem verfassungsrechtlichen Anspruch der Diplom-Psychologen auf Einbeziehung in die Versorgung der Versicherten eine widersprechende einfachrechtliche Norm des Heilpraktikergesetzes nicht entgegengehalten werden könnte, ist wegen des Vorrangs der Verfassung offenkundig. Dieses Problem stellt sich hier jedoch zunächst nicht. Von Belang ist vorrangig die Frage, ob der Erlaubniszwang des § 1 HPG Diplom-Psychologen an der Ausübung der Heilkunde hindert; erst wenn das zu bejahen wäre, würde sich die weitere Frage stellen, ob die Erlaubnispflichtigkeit als solche mit einer verfassungsrechtlich geforderten, selbständigen Tätigkeit im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung vereinbar wäre.
Es ist durchaus ein verfassungsrechtlich geschütztes Recht auf Teilnahme als Behandler an der gesetzlichen Krankenversicherung denkbar, ohne daß eine gleichzeitig bestehende Erlaubnispflicht nach dem Heilpraktikergesetz dem entgegenstehen und daher verfassungswidrig sein müßte.
3. Ebenfalls nicht hinreichend befaßt hat sich das Landessozialgericht mit der Frage, ob die Kosten einer Verhaltenstherapie durch Diplom-Psychologen im Wege eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs erstattet werden können. Zwar hat es sich, bezogen auf die individuelle Situation der Klägerinnen, damit auseinandergesetzt; es hat jedoch nicht erkannt, daß die grundsätzliche Möglichkeit solcher Ansprüche nicht unerhebliche Bedeutung für die gestellte Vorlagefrage hat. Gerade weil das Gericht die Verfassungswidrigkeit des Ausschlusses der Diplom-Psychologen im wesentlichen aus der psychotherapeutischen Unterversorgung in der gesetzlichen Krankenversicherung und einer dadurch beeinträchtigten Krankenversorgung herleitet, hätte es sich dazu äußern müssen, ob das von der Rechtsprechung anerkannte Recht der Betroffenen, in einer solchen Situation Herstellung und damit auch die Übernahme der Kosten einer selbständigen nichtärztlichen Psychotherapie zu verlangen, eine Verletzung des Grundrechts aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG und des Sozialstaatsprinzips ausschließt. Das lag um so näher, als der sozialrechtliche Herstellungsanspruch der Wahrung des Sozialstaatsprinzips dient.
III.
Die geschilderten Mängel der Beschlüsse lassen selbst bei großzügiger Handhabung des § 80 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG eine Beantwortung der Vorlagefrage nicht zu. Gefordert ist aber ein strenger Maßstab bei der Erheblichkeitsprüfung; denn mit der Aussetzung und Vorlage nach Art. 100 Abs. 1 GG verweigert der Richter zunächst eine Entscheidung zur Sache. Der verfassungsrechtliche Justizgewährungsanspruch fordert daher vom Richter, den Rechtsstreit so zu behandeln, daß eine Verzögerung durch die Anrufung des Bundesverfassungsgerichts nach Möglichkeit vermieden wird. Zu Recht weist Bettermann (Die konkrete Normenkontrolle und sonstige Gerichtsvorlagen, in: Bundesverfassungsgericht und Grundgesetz, Bd. I Verfassungsgerichtsbarkeit, S. 323 [362]) darauf hin, daß der Instanzrichter seine Funktion verkennt, wenn er nach Wegen zur Anrufung des Verfassungsgerichts statt nach solchen zur Sach- und Endentscheidung sucht.
IV.
Im weiteren Verfahren wird das Landessozialgericht das inzwischen ergangene Urteil des Bundessozialgerichts vom 9. März 1982 (BSGE 53,144) in seine Betrachtungen einbeziehen müssen, dessen verfassungsrechtliche Erwägungen ausdrücklich auf die Vorlagebeschlüsse eingehen. Allerdings läßt sich bezweifeln, ob das derzeit praktizierte Delegationsverfahren die Einbeziehung psychotherapeutischer Leistungen von Diplom-Psychologen in das System der gesetzlichen Krankenversicherung befriedigend löst.
(gez.) Herzog Niemeyer Henschel Seidl Grimm Söllner Dieterich