BVerfGE 82, 353 - Unterstützungsunterschriften
 
Beschluß
des Zweiten Senats vom 17. Oktober 1990
– 2 BvE 6, 7/90 –
in den Verfahren über die Anträge I. festzustellen: § 27 Abs. 1 Satz 2, 2. Halbsatz des Bundeswahlgesetzes ist verfassungswidrig und verletzt die Antragstellerin in ihrem Recht auf Chancengleichheit aus Art. 21 Abs. 1 und Art. 38 Abs. 1 des Grundgesetzes, soweit seine Geltung sich auch auf die erste gesamtdeutsche Wahl des Deutschen Bundestages erstreckt, Antragstellerin: Ökologisch-Demokratische Partei, (ÖDP), vertreten durch den Bundesvorstand, Kaiserplatz 17, Bonn l – Bevollmächtigter: Prof. Dr. Dietrich Murswiek, Hainbundstraße 12, Göttingen –, Antragsgegner: Deutscher Bundestag, vertreten durch die Präsidentin, Bundeshaus, Bonn l – Bevollmächtigter: Prof. Dr. Peter Lerche, Junkersstraße 13, Gauting – 2 BvE 7/90 –; II. festzustellen: 1. a) Der Deutsche Bundestag hat dadurch gegen die Rechte der Antragstellerin aus Art. 38 Abs. 1 des Grundgesetzes in Verbindung mit Art. 21 des Grundgesetzes verstoßen, daß er in Art. 1 des Gesetzes zu dem Vertrag vom 3. August 1990 zur Vorbereitung und Durchführung der ersten gesamtdeutschen Wahl des Bundestages zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik sowie zu dem Änderungsvertrag vom 20. August 1990 diesem Vertrag sowie dem Änderungsvertrag zugestimmt hat und in Art. 2 Nr. 2 des oben genannten Gesetzes § 5 Abs. 1 des Parteiengesetzes unverändert übernommen hat, in dem der verankerte Grundsatz der abgestuften Chancengleichheit festgehalten ist. Durch die Übernahme des § 5 Abs. 1 Parteiengesetz auf den Bereich der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik ist diese Norm nichtig geworden. Gleichzeitig wurde hierdurch Art. 3 des Grundgesetzes verletzt; b) Der Bundesrat hat durch die von ihm erklärte Zustimmung zu dem unter Ziffer 1 a) genannten Gesetz die Antragstellerin in dem aus Ziffer 1 a) des Tenors ersichtlichen Umfang in ihren Rechten auf Chancengleichheit nach Art. 21 Abs. 1 und Art. 38 Abs. 1 sowie Art. 3 des Grundgesetzes verletzt, c) die Bundesregierung hat durch die Ausführung der unter Ziffer 1 a) genannten Gesetze die Rechte der Antragstellerin auf Chancengleichheit nach Art. 21 Abs. 1 und Art. 38 Abs. 1 sowie Art. 3 des Grundgesetzes verletzt; 2. a) Der Deutsche Bundestag hat dadurch gegen die Rechte der Antragstellerin aus Art. 38 Abs. 1 des Grundgesetzes in Verbindung mit Art. 21 in Verbindung mit Art. 3 des Grundgesetzes verstoßen, daß er in Art. 1 des Gesetzes zu dem Vertrag vom 3. August 1990 zur Vorbereitung und Durchführung der ersten gesamtdeutschen Wahl des Bundestages zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik sowie zu dem Änderungsvertrag vom 20. August 1990 diesem Vertrag sowie dem Änderungsvertrag zugestimmt hat und das in §§ 20 und 27 Bundeswahlgesetz vorgesehene Unterschriftenquorum beibehalten hat, obwohl zur Vermeidung des Quorums anstatt früher fünf nunmehr lediglich noch ein Abgeordnetenmandat im Bundestag, der früheren Volkskammer oder im Landtag notwendig ist. Es wird festgestellt, daß diese Normen verfassungswidrig sind; b) Der Bundesrat hat die Antragstellerin dadurch in ihren Rechten aus Art. 38 Abs. 1 Grundgesetz in Verbindung mit Art. 21 Grundgesetz in Verbindung mit Art. 3 Grundgesetz verletzt, indem er dem unter Ziffer 2 a) aufgeführten Gesetz zugestimmt hat. c) Die Bundesregierung hat die Antragstellerin dadurch in ihrem Recht auf Chancengleichheit nach Art. 21 Abs. 1 und 38 Abs. 1 des Grundgesetzes verletzt, indem sie das unter Ziffer 2 a) genannte Gesetz ausführt, Antragstellerin: Nationaldemokratische Partei Deutschlands, NPD, Rötestraße 4, Stuttgart 1, vertreten durch den Parteivorsiztenden, Herrn Martin Mußgnug, Bahnhofstraße 87, Tuttlingen – Bevollmächtigte: Rechtsanwälte Dr. Oswald Seitter, Matthias Besserer und Uwe Hartmann, Werastraße 99, Stuttgart l –, Antragsgegner: 1. Deutscher Bundestag, vertreten durch die Präsidentin, Bundeshaus 1, Bonn 1, 2. Bundesrat, vertreten durch den Präsidenten, Bundeshaus 1, Bonn 1, 3. Bundesregierung, vertreten durch den Bundeskanzler, Bonn 1 – 2 BvE 6/90 –, hier: Anträge auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung.
 
Entscheidungsformel:
§ 20 Absatz 2 Satz 2 und § 27 Absatz 1 Satz 2 des Bundeswahlgesetzes sind bei der Wahl zum 12. Deutschen Bundestag mit der Maßgabe anzuwenden, daß auch
a) Parteien, ihnen gleichgestellte politische Vereinigungen und Listenvereinigungen in den Ländern Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen,
b) Parteien, die bei der Wahl zum 11. Deutschen Bundestag mindestens 75 000 Zweitstimmen erhalten haben, in den Ländern Baden-Württemberg, Bayern, Berlin, Bremen, Hamburg, Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Saarland und Schleswig-Holstein, für die Einreichung von Kreiswahlvorschlägen und von Landeslisten von der Pflicht zur Beibringung von Unterstützungsunterschriften befreit sind.
 
Gründe:
Die zur gemeinsamen Entscheidung verbundenen Verfahren betreffen die Frage, ob die Beibehaltung der Bestimmungen des Bundeswahlgesetzes, nach denen parlamentarisch nicht vertretene Parteien Wahlvorschläge nur einreichen können, wenn sie eine bestimmte Zahl von Unterstützungsunterschriften beibringen, die Antragstellerinnen unter den besonderen Bedingungen der ersten gesamtdeutschen Wahl in ihrem Recht auf Chancengleichheit bei der Wahl verletzt.
I.
1. § 18 Abs. 2 Satz 1 Bundeswahlgesetz – BWahlG – in der Fassung der Bekanntmachung vom 21. September 1990 (BGBl. I S. 2059), zuletzt geändert durch das Zehnte Gesetz zur Änderung des Bundeswahlgesetzes sowie zur Änderung des Parteiengesetzes vom 8. Oktober 1990 (BGBl. I S. 2141) bestimmt, daß parlamentarisch nicht vertretene Parteien dem Bundeswahlleiter ihre Beteiligung an der Wahl anzeigen müssen und legt für diese Anzeige eine Frist fest. Die Vorschrift lautet:
    Parteien, die im Deutschen Bundestag oder einem Landtag seit deren letzter Wahl nicht aufgrund eigener Wahlvorschläge ununterbrochen mit mindestens fünf Abgeordneten vertreten waren, können als solche einen Wahlvorschlag nur einreichen, wenn sie spätestens am 40. Tage vor der Wahl dem Bundeswahlleiter ihre Beteiligung an der Wahl schriftlich angezeigt haben und der Bundeswahlausschuß ihre Parteieigenschaft festgestellt hat.
Wahlvorschläge können diese Parteien nur bei Vorlage von Unterstützungsunterschriften einreichen. Für die Einreichung von Kreiswahlvorschlägen ist in § 20 Abs. 2 Satz 2 BWahlG insoweit bestimmt:
    Kreiswahlvorschläge der in § 18 Abs. 2 genannten Parteien müssen außerdem von mindestens 200 Wahlberechtigten des Wahlkreises persönlich und handschriftlich unterzeichnet sein; die Wahlberechtigung muß im Zeitpunkt der Unterzeichnung gegeben sein und ist bei Einreichung des Kreiswahlvorschlages nachzuweisen.
Für Landeslistenvorschläge findet sich die entsprechende Vorschrift in § 27 Abs. 1 S. 2 BWahlG. Sie lautet:
    Sie müssen ... bei den in § 18 Abs. 2 genannten Parteien außerdem von 1 v.T. der Wahlberechtigten des Landes bei der letzten Bundestagswahl, jedoch höchsten 2.000 Wahlberechtigten, persönlich und handschriftlich unterzeichnet sein. Die Wahlberechtigung der Unterzeichner eines Wahlvorschlages einer der in § 18 Abs. 2 genannten Parteien muß im Zeitpunkt der Unterzeichnung gegeben sein und ist bei Einreichung der Landeslisten nachzuweisen.
Durch den am 3. August 1990 unterzeichneten Vertrag zur Vorbereitung und Durchführung der ersten gesamtdeutschen Wahl des Deutschen Bundestages wurde der Geltungsbereich des Bundeswahlgesetzes für die erste gesamtdeutsche Wahl mit Wirkung vom 3. September 1990 auf das Gebiet der Länder Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg, Sachsen-Anhalt, Sachsen und Thüringen sowie Berlin (Ost) erstreckt (vgl. BGBl. II S. 868). Art. 2 Nr. 2 des Gesetzes vom 29. August 1990 zu dem Vertrag vom 3. August 1990 sowie dem Änderungsvertrag vom 20. August 1990 (BGBl. II S. 813 – Gesetz zum Wahlrechtsvertrag) trifft in § 53 eine Übergangsregelung für die Wahl zum 12. Deutschen Bundestag; Absatz 4 lautet:
    (4) § 18 Abs. 2 Satz 1 gilt mit der Maßgabe, daß auch die Vertretung in der Volkskammer zu berücksichtigen ist und die Wörter "mit mindestens fünf Abgeordneten" entfallen.
Art. 3 Nr. 7 des vorgenannten Gesetzes regelt:
    § 27 Abs. 1 Satz 2 gilt in den Ländern Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg, Sachsen-Anhalt, Sachsen und Thüringen mit der Maßgabe, daß die Zahl der Wahlberechtigten bei der Volkskammerwahl am 18. März 1990 zugrunde zu legen ist.
    In Berlin sind 2000 Unterschriften beizubringen.
Art. 1 Nr. 3 des Zehnten Gesetzes zur Änderung des Bundeswahlgesetzes sowie zur Änderung des Parteiengesetzes vom 8. Oktober 1990 (BGBl. I S. 2141) läßt im Anschluß an die Entscheidung des Senats vom 29. September 1990 in den Verfahren 2 BvE 1/90, 3/90, 4/90 und 2 BvR 1247/90 Listenvereinigungen für Parteien und andere politische Vereinigungen zu, die am 3. Oktober 1990 ihren Sitz in der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik hatten. Art. 1 Nr. 5 dieses Gesetzes sieht vor:
    Listenvereinigungen sind von der Pflicht zur Beibringung von Unterstützungsunterschriften nach § 20 Abs. 2 Satz 2 und § 27 Abs. 1 Satz 2 befreit, wenn mindestens die Hälfte der an ihr beteiligten Parteien und anderen politischen Vereinigungen in der Volkskammer vertreten waren oder in einem Landtag vertreten sind.
Die Unterstützungsunterschriften für die Kreiswahlvorschläge und Landeslisten sind auf amtlichen Formblättern zu leisten, die auf Anforderung vom Kreiswahlleiter oder Landeswahlleiter geliefert werden (§§ 34 Abs. 4; 39 Abs. 3 Satz 2 Bundeswahlordnung – BWO–).
Der Landeswahlleiter, sein Stellvertreter sowie die Kreiswahlleiter werden gemäß § 9 Abs. 1 BWahlG von der vom Bundesminister des Innern bestimmten Stelle ernannt. Diese teilt die Namen sowie die Anschriften der Dienststelle mit Fernsprech- und Fernschreibanschluß dem Bundeswahlleiter mit und macht sie öffentlich bekannt. Der Landeswahlleiter und sein Stellvertreter werden gemäß § 2 BWO auf unbestimmte Zeit ernannt. Die Ernennung der Kreiswahlleiter und ihrer Stellvertreter hat gemäß § 3 BWO spätestens alsbald nach der Bestimmung des Tages der Hauptwahl zu erfolgen.
Hinsichtlich der Aufforderung zur Einreichung von Wahlvorschlägen bestimmt § 32 Abs. 1 BWO, daß die Kreis- und Landeswahlleiter nach Bestimmung des Wahltages durch öffentliche Bekanntmachung zur möglichst frühzeitigen Einreichung aufzufordern und auf die Voraussetzungen für die Einreichung von Wahlvorschlägen nach § 18 Abs. 2 BWahlG hinzuweisen haben.
Gemäß Art. 3 Nr. 1b des Gesetzes vom 29. August 1990 zu dem Vertrag vom 3. August 1990 wurden die in § 9 Abs. 1 BWahlG festgelegten Zuständigkeiten der Landesregierungen bei der Bildung der Wahlorgane in den östlichen Bundesländern bis zum 3. Oktober 1990 vom Minister des Innern der Deutschen Demokratischen Republik oder der von ihm bestimmten Stelle wahrgenommen.
2. Die Antragstellerinnen sind Bundesparteien, die in der Vergangenheit an Kommunal-, Landtags- und Bundestagswahlen im bisherigen Gebiet der Bundesrepublik Deutschland, dagegen noch nicht an solchen im Bereich der früheren Deutschen Demokratischen Republik teilgenommen haben. Sie wollen sich an der Wahl zum 12. Deutschen Bundestag beteiligen, die durch Anordnung des Bundespräsidenten vom 13. August 1990 (BGBl. I S. 1713) auf den 2. Dezember 1990 festgesetzt worden ist; sie beabsichtigten auch in den Ländern Berlin, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen Kreiswahlvorschläge sowie Landeslisten einzureichen. Die Frist zur Einreichung von Kreiswahlvorschlägen und Landeslisten läuft am 29. Oktober 1990 um 18.00 Uhr ab (§ 19 BWahlG i.V.m. § 53 Abs. 3 Nr. 2 BWahlG). Da die Antragstellerinnen weder im Bundestag noch in einem Landtag vertreten sind, müssen sie Unterstützungsunterschriften gemäß § 27 Abs. 1 Satz 2, 2. Halbsatz, § 20 Abs. 2 Satz 2 BWahlG beibringen. Sie halten dies für unvereinbar mit den verfassungsrechtlichen Grundsätzen der Wahlrechtsgleichheit und der Chancengleichheit der Parteien. Das Unterschriftenquorum werde den durch die Sondersituation der deutschen Einigung entstandenen Gegebenheiten nicht gerecht, von der das Urteil des Senats vom 29. September 1990 ausgegangen sei. Die Beibringung der Unterstützungsunterschriften für die Beteiligung an der Wahl in den fünf neuen Bundesländern sei für sie um ein mehrfaches schwieriger als unter normalen Umständen. Es werde ein gewisser Organisations- und Bekanntheitsgrad vorausgesetzt, über den sie in den östlichen Bundesländern noch nicht verfügten. Eine Beeinträchtigung der Chancengleichheit liegt auch darin, daß Parteien und politische Vereinigungen mit Sitz in den östlichen Bundesländern im Verhältnis zu westdeutschen Parteien unter wesentlich leichteren Voraussetzungen von dem Erfordernis des Unterschriftenquorums befreit seien. Zum einen nähmen an der Sonderregelung für Listenvereinigungen nur die erstgenannten Gruppierungen teil. Zum anderen ergebe sich für die Parteien aus den östlichen Bundesländern eine weitere Erleichterung daraus, daß das eine Mandat in einem Parlament, das von dem Quorum befreie, in den östlichen Bundesländern leichter habe errungen werden können als im Bereich der bisherigen Bundesrepublik. An der Volkskammerwahl hätten sich Parteien und politische Vereinigungen beteiligen können, ohne Unterstützungsunterschriften beibringen zu müssen; vor allem habe keine Sperrklauselregelung gegolten. Hinzu komme, daß zwar die Zahl der für eine Befreiung von dem Quorum erforderlichen Mandate nunmehr von fünf auf eins herabgesetzt worden sei. Für Parteien aus dem Bereich der bisherigen Bundesrepublik bleibe diese Regelung aber praktisch bedeutungslos. Wegen der bisher für die Bundestags- und Landtagswahlen geltenden 5 v.H.-Sperrklausel sei nämlich der Einzug in ein Parlament mit nur einem Mandat – von einer regionalen Ausnahme im Land Bremen abgesehen – unmöglich gewesen.
Die fristgerechte Beibringung der Unterstützungsunterschriften sei auch aus technischen Gründen nicht möglich. Die vorgeschriebenen Formulare für die Unterstützungsunterschriften seien teilweise mit großer Verspätung – erst ab Anfang Oktober 1990 – ausgehändigt worden. Die rechtzeitige Einreichung der erforderlichen Anzahl von Unterschriften bei den Wahlämtern sei auch deshalb nicht möglich, weil in den östlichen Bundesländern der Aufbau der Wahlorganisation nach wie vor noch nicht abgeschlossen sei. Da ein erheblicher Teil der Kreiswahlleiter noch nicht ernannt sei, fehle häufig ein Ansprechpartner für die Anforderung der amtlichen Formblätter für die Unterstützungsunterschriften. Bei der erforderlichen Überprüfung der Wahlberechtigung der den Wahlvorschlag Unterstützenden komme es ebenfalls zu Verzögerungen, die in den bisherigen Ländern der Bundesrepublik nicht aufträten. Die Unterschriftenblätter für das Land Sachsen seien der Antragstellerin des Verfahrens zu 1) erst am 5. Oktober 1990, der Antragstellerin des Verfahrens zu 2) erst am 12. Oktober 1990 ausgehändigt worden. Diese habe für das Land Thüringen am 9. Oktober 1990 800 Unterschriftsformulare erhalten, d.h. noch nicht einmal die für die erforderliche Anzahl von 2000 Unterschriften notwendige Mindestmenge; im übrigen sei aus organisatorischen Gründen ein gewisser Überhang nötig. Hinzu komme als Erschwernis das für sie in der früheren Deutschen Demokratischen Republik bis zum April 1990 geltende politische Betätigungsverbot sowie das seit 20 Jahren durch die Alliierte Kommandatura auferlegte öffentliche Betätigungsverbot in Berlin (West).
Die Antragstellerinnen stellen die aus dem Rubrum ersichtlichen Anträge in der Hauptsache und beantragen, sie im Wege der einstweiligen Anordnung von dem Erfordernis des Unterschriftenquorums für das Gebiet der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik zu befreien. Die Antragstellerin des Verfahrens zu 2) erstrebt eine solche Befreiung auch für das Land Berlin.
3. Der Deutsche Bundestag und die Bundesregierung sind den Anträgen entgegengetreten. Die Bundesregierung hat indessen angeregt, eine etwa zu erlassende einstweilige Anordnung möge so beschaffen sein, daß sie rechtzeitg vor dem 40. Tag vor der Wahl unmittelbar anwendbares Recht schaffe und andererseits ausschließe, daß es trotz der Durchführung der Wahl auf der Grundlage dieser gerichtlichen Maßnahme aus verfassungsprozessualen Gründen später gleichwohl – etwa nach einer Hauptsacheentscheidung – zu Neuwahlen kommen müsse.
4. Der Senat hat bei dem Bundesminister des Innern und dem Bundeswahlleiter eine Auskunft u.a. dazu eingeholt, wann in den fünf neuen Bundesländern die Landes- und Kreiswahlleiter bestellt worden seien, wann die Mitteilung ihrer Ernennung an den Bundes- bzw. Landeswahlleiter erfolgt und die Ernennung öffentlich bekannt gemacht worden sei. Ferner hat der Senat erfragt, wieviele Formblätter den in § 18 Abs. 2 BWahlG genannten Parteien auf Anforderung zur Verfügung gestellt worden seien und ob es Defizite bei der Erfüllung der Anforderung gegeben habe oder gebe. Schließlich wurde auch um Auskunft darüber gebeten, ob es den Parteien gestattet sei, etwa fehlende amtliche Formblätter durch Ablichtung zu ersetzen und ob ihnen dies gegebenenfalls bekannt gewesen sei.
Die Fragen wurden am 16. Oktober 1990 im wesentlichen wie folgt beantwortet:
Die Landeswahlleiter seien mit Verfügung des Ministers des Innern der Deutschen Demokratischen Republik vom 6. September 1990, ihre Stellvertreter ebenfalls durch diesen mit Verfügung vom 17. September 1990 ernannt worden. Die Mitteilung der Namen sowie der Anschriften der Dienststellen mit Fernsprech- und Fernschreibanschluß an den Bundeswahlleiter sei am 18. September 1990 erfolgt. Die entsprechenden Angaben seien an den Ausgabetagen 14. September 1990 (Landeswahlleiter) und 21. September 1990 (Stellvertreter der Landeswahlleiter) im Gesetzblatt der Deutschen Demokratischen Republik veröffentlicht worden. Der Minister des Innern der Deutschen Demokratischen Republik habe mit Verfügung vom 18. September 1990 die Landeswahlleiter beauftragt, die Kreiswahlleiter und deren Stellvertreter zu ernennen.
Dem Bundeswahlleiter seien Mitteilungen über die Ernennung der Kreiswahlleiter bisher erst aus zwei der fünf neuen Bundesländer zugegangen. Nach einer Meldung vom 5. Oktober 1990 seien die Kreiswahlleiter in Sachsen-Anhalt bestellt und zugleich die Kreiswahlausschüsse berufen worden. Die öffentliche Bekanntmachung sei am 8. Oktober 1990 in der Zeitung "Volksstimme" erfolgt. Für das Land Mecklenburg-Vorpommern sei die Bestellung der Kreiswahlleiter und die Berufung der Kreiswahlausschüsse fernschriftlich am 5. Oktober 1990 mitgeteilt worden. Es sei nicht bekannt, wo die öffentliche Bekanntmachung erfolgt sei. In einer an das Bundesministerium des Innern gerichteten, dem Senat von dort übersandten Mitteilung des Wahlbüros Berlin vom 16. Oktober 1990 werden die vorbezeichneten Angaben dahin ergänzt, daß die Bestellung der Kreiswahlleiter in Sachsen-Anhalt sowie in Mecklenburg-Vorpommern am 1. Oktober 1990 erfolgt sei. Die öffentliche Bekanntmachung in Mecklenburg-Vorpommern sei durch Übergabe an die Nachrichtenagentur ADN am 2. Oktober 1990 erfolgt; die Angaben seien auf den Lokalseiten der Presse abgedruckt worden.
Der Bundesminister des Innern hat mitgeteilt, nach Auskunft des Wahlbüros in Berlin vom 16. Oktober 1990 seien inzwischen alle Kreiswahlleiter ernannt, die Angaben hätten jedoch dem Bundeswahlleiter noch nicht übermittelt werden können. In Thüringen sei die Liste der Kreiswahlleiter in der Bezirksverwaltungsbehörde ausgehängt und am 16. Oktober 1990 den Parteien schriftlich mitgeteilt worden; eine öffentliche Bekanntmachung in einer Zeitung sei eingeleitet. Diese Angaben werden durch die Auskunft des Wahlbüros vom 16. Oktober 1990 dahin ergänzt, daß die Ernennung der Kreiswahlleiter in Thüringen am 9. Oktober 1990 erfolgt sei. Der Aushang bei der Bezirksverwaltung bestehe seit dem 13. Oktober 1990. Eine Bekanntmachung in der Presse sei "noch vorgesehen". Das Wahlbüro berichtet ferner über die Situation in Sachsen und Brandenburg: In Sachsen seien sämtliche Kreiswahlleiter am 21. September 1990 ernannt worden. Die Veröffentlichung sei am 23. September 1990 durch Übergabe an ADN, "Aushang in den Landratsämtern" sowie Übergabe an alle Parteien und politischen Vereinigungen erfolgt. In Brandenburg seien die Kreiswahlleiter mit Ausnahme eines Wahlkreises am 11. Oktober 1990 ernannt worden. Die Veröffentlichung von Namen und Anschriften der Kreiswahlleiter solle erst nach Ernennung eines Nachfolgers für den in jenem Wahlkreis plötzlich zurückgetretenen Kreiswahlleiter veranlaßt werden. Insgesamt habe sich die Ernennung der Kreiswahlleiter verzögert, weil es schwierig gewesen sei, geeignete Personen zu finden.
Die Formblätter für die Unterstützungsunterschriften hätten weitgehend erst "ab Anfang Oktober" zur Verfügung gestanden. Mit der Aushändigung von amtlichen Formularen für Unterstützungsunterschriften betr. Landeslisten in insgesamt jeweils mehr als 10000 Exemplaren (Mecklenburg-Vorpommern: 10000; Brandenburg: 12000; Sachsen-Anhalt: 13000; Sachsen: 21000 und Thüringen: 12000) habe den Anforderungen entsprochen werden können. Formblätter für Unterstützungsunterschriften zu Kreiswahlvorschlägen seien den Landeswahlleitern in gleicher Zahl wie zu Listenwahlvorschlägen zur Verfügung gestellt, Beschwerden über Defizite bei der Versorgung seien insoweit nicht bekannt geworden. Über die Anzahl der von den einzelnen Parteien angeforderten Formblätter für Landeslisten und Kreiswahlvorschläge lägen mit Ausnahme der NPD keine Angaben vor. Die NPD habe im Land Thüringen für die Landesliste 10 000 Unterschriftenblätter beantragt und 2000 erhalten, davon zunächst 850 sowie später – nach Behebung technischer Schwierigkeiten – den Rest.
In der Staatspraxis werde die Verwendung von Fotokopien des amtlichen Formulars für Unterstützungsunterschriften betr. Landeslisten und Kreiswahlvorschläge zugelassen. Darauf werde in dem Kommentar zum Wahlrecht von Schreiber ausdrücklich hingewiesen. Es sei davon auszugehen, daß dies den bereits seit längerem in der Bundesrepublik Deutschland bestehenden Parteien bekannt sei.
II.
1. Nach § 32 Abs. 1 BVerfGG kann das Bundesverfassungsgericht im Streitfall einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist.
Wegen der meist weittragenden Folgen, die eine einstweilige Anordnung in einem verfassungsrechtlichen Verfahren auslöst, ist bei der Prüfung der Voraussetzungen des § 32 Abs. 1 BVerfGG ein strenger Maßstab anzulegen; das gilt besonders, wenn mit der einstweiligen Anordnung ein Gesetz außer Vollzug gesetzt werden soll (BVerfGE 3, 41 [44]; 81, 53 [54]). Dabei müssen die Gründe, welche für die Verfassungswidrigkeit der angegriffenen Vorschriften sprechen, außer Betracht bleiben, es sei denn, die in der Hauptsache begehrte Feststellung erwiese sich von vornherein als unzulässig oder offensichtlich unbegründet. Das Bundesverfassungsgericht muß vielmehr die Folgen, die eintreten würden, wenn die einstweilige Anordnung nicht ergeht, die angegriffene Regelung in dem Hauptsacheverfahren sich jedoch später als verfassungswidrig erwiese, gegen die Nachteile abwägen, die entstehen würden, wenn diese Regelung vorläufig außer Anwendung gesetzt würde, sie aber später als verfassungsgemäß erkannt würde (BVerfGE 3, 41 [44]; 81,53 [54 f.].
2. Es bedarf keiner Entscheidung, ob sämtliche Anträge in den Organstreitverfahren zulässig sind und die Antragstellerinnen mit ihrem gesamten Vorbringen gehört werden können. Eine einstweilige Anordnung kann auch dann ergehen, wenn nur ein Teil der Anträge in der Hauptsache weder unzulässig noch offensichtlich unbegründet ist und es insofern einer vorläufigen Regelung des Streitfalles bedarf. Das ist hier der Fall.
a) Allerdings kommt eine einstweilige Anordnung nicht im Hinblick auf die Rüge der Antragstellerinnen in Betracht, die Erstreckung des Unterschriftenquorums auf das Gebiet der Länder der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik verletze in der besonderen Situation der ersten gesamtdeutschen Wahl ihre verfassungsmäßigen Rechte schon deswegen, weil es ihnen aufgrund der kurzfristig vollzogenen Ausdehnung des Wahlgebiets nicht möglich sei, in dem neuen Teil des Wahlgebiets die erforderliche Organisation aufzubauen. Diese Rüge ist zwar zulässig, aber offensichtlich unbegründet. Sind die Antragstellerinnen an der Einreichung von Wahlvorschlägen nur deswegen gehindert, weil es ihnen aufgrund organisatorischer Schwierigkeiten in ihrem Bereich nicht gelingt, die erforderliche Zahl von Unterstützungsunterschriften beizubringen, so entspricht der Ausschluß ihrer Wahlbewerbung gerade dem Sinn des Unterschriftenquorums. Es soll insbesondere sicherstellen, daß nur solche Wahlvorschläge eingereicht werden, die ernst zu nehmen sind (vgl. BVerfGE 4, 375 [381]). Dieses Anliegen hat das Bundesverfassungsgericht in ständiger Rechtsprechung (BVerfGE 3, 383; 60, 162 [168]; 71, 81 [96 f.]) als einen zwingenden Grund anerkannt, wie er bei der Gestaltung des Wahlrechts zu politischen Körperschaften mit Blick auf den Grundsatz der formalen Chancengleichheit Voraussetzung jeder Differenzierung ist (st. Rspr.; vgl. zuletzt Urteil des Senats vom 29. September 1990 – 2 BvE 1/90, 3/90, 4/90 und 2 BvR 1247/90 – Urteilsumdruck S. 211). Im Interesse der Durchführbarkeit der Wahlen muß zumindest eine gewisse Vermutung dafür bestehen, daß hinter jedem Wahlvorschlag in dem jeweiligen Kreis oder Land eine politische Gruppe steht, die sich mit diesem Vorschlag am Wahlkampf zu beteiligen wünscht, oder daß politisch Interessierte ihm ernsthaft die Chance einräumen wollen, die in der Beteiligung am Wahlkampf liegt (vgl. BVerfGE 4, 375 [381 f.]). Diese Vermutung wäre zugunsten der Antragstellerinnen in den fünf neuen Bundesländern aber nicht begründet, wenn sie dort die vom Gesetz geforderte Zahl von Unterschriften nicht beibringen könnten. Diese Unterschriftenzahl ist eine Mindestvoraussetzung für die Beteiligung an der Wahl, die das geltende Recht nicht einheitlich für das ganze Wahlgebiet, sondern jeweils von Land zu Land festgesetzt hat; da sie dem Nachweis der Ernsthaftigkeit der Teilnahme am Wahlwettbewerb dient, stellt sei allein auf tatsächliche Verhältnisse ab. Im Blick hierauf ist die kurzfristige Ausdehnung des Wahlgebiets ohne rechtlichen Belang.
b) Etwas anderes gilt jedoch, soweit die Antragstellerinnen gegen den Deutschen Bundestag streiten und rügen, daß die Unterschriftenquoren nach §§ 20 Abs. 2 Satz 2,27 Abs. 1 Satz 2 BWahlG ihr Recht auf Chancengleichheit im Blick auf die in § 18 Abs. 1 in Verbindung mit § 53 Abs. 4 BWahlG getroffene Regelung verletzen. Diese Anträge sind in der Hauptsache zulässig und nicht offensichtlich unbegründet. Die beanstandete Gesetzesänderung bewirkt eine nicht unerhebliche Verschärfung der Differenzierung zwischen den Parteien, die vom Unterschriftenquorum befreit sind, und solchen, die Unterschriften beibringen müssen. Vom Unterschriftsquorum befreit sind danach alle Parteien, die im Deutschen Bundestag, in der Volkskammer der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik oder in einem Landtag mit mindestens einem Mandat vertreten (gewesen) sind. Da die Wahlen zur Volkskammer am 18. März 1990 ohne Sperrklausel – und ohne Unterschriftsquoren für die Einreichung von Wahlvorschlägen – durchgeführt wurden, bedeutet dies, daß alle Parteien in der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik , die gerade so viele Stimmen erreicht haben, daß ihnen ein Mandat zugefallen war, von dem Unterschriftsquorum befreit sind. Demgegenüber mußten Parteien in der Bundesrepublik, da für Bundestags- und Landtagswahlen die 5 v.H.-Klausel gilt, sieht man von der Sondersituation in Bremen/ Bremerhaven ab, mindestens 5 v.H. der abgegebenen Stimmen im Wahlgebiet erhalten, um zu einem Mandat – und dadurch zur Befreiung vom Unterschriftsquorum – zu gelangen. Damit werden Rechtsfragen aufgeworfen, die in der bisherigen Rechtsprechung noch nicht geklärt sind.
c) Keine Zulässigkeitsbedenken bestehen auch, soweit die Antragstellerinnen sich zur Begründung ihrer Anträge gegen den Deutschen Bundestag auf Schwierigkeiten berufen, die sich aus der Anwendung der gesetzlichen Regelungen des Unterschriftenquorums bei der Wahlvorbereitung in den fünf neuen Bundesländern ergeben, und behaupten, daß es ihnen unmöglich sei, die geforderte Zahl von Unterschriften beizubringen, weil ihnen die vorgeschriebenen amtlichen Formulare verspätet und in zu geringer Zahl zur Verfügung gestellt worden seien. Zwar braucht sich der Wahlgesetzgeber grundsätzlich Beeinträchtigungen der Chancen- und Wahlgleichheit nicht zurechnen zu lassen, die Folge von Entscheidungen, Maßnahmen und Unterlassungen der mit der Anwendung des Wahlgesetzes befaßten Wahlbehörden sind. Etwas anderes kann aber dann gelten, wenn er in einer im Hinblick auf den Inhalt der von ihm getroffenen Regelung durch besondere Umstände geprägten Situation verpflichtet ist, die ordnungsgemäße und fristgerechte Wahlvorbereitung zu überwachen, um durch geeignete Korrekturen auf Verzögerungen reagieren zu können, die die Wahl- und Chancengleichheit beeinträchtigen. Bei interessengerechter Auslegung ihres Vorbringens wollen die Antragstellerinnen dem Deutschen Bundestag die geltend gemachten faktischen Schwierigkeiten gerade unter diesem Gesichtspunkt der Nichterfüllung solcher Kontrollpflichten und des Unterlassens erforderlicher Reaktionen vorwerfen. Auch das Unterlassen von Maßnahmen kann nach § 64 Abs. 1 BVerfGG zulässiger Gegenstand einer Organklage sein.
Mit dieser Rüge sind die Anträge auch nicht offensichtlich unbegründet. Es erscheint jedenfalls möglich, daß den Deutschen Bundestag bezüglich der Wahlvorbereitung in den Ländern der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik eine Überwachungspflicht trifft, deren Wahrnehmung ihm Anlaß gegeben haben könnte, von dem Erfordernis des Unterschriftenquorums dort abzusehen oder es zu modifizieren.
Mit den Vorschriften der Art. 2 und 3 des Gesetzes zum Wahlrechtsvertrag hat der Deutsche Bundestag Übergangsregelungen für eine einmalige, so nicht wiederkehrende Situation getroffen. Er hat drei Monate vor dem Termin für die erste gesamtdeutsche Bundestagswahl das Bundeswahlgesetz auf das Gebiet der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik ausgedehnt und dessen Ausführung, soweit für sie nicht der Bundeswahlleiter zuständig ist, Behörden im Gebiet der Deutschen Demokratischen Republik anvertraut, die insofern über keine Erfahrungen verfügen. Bei dem Bundestagswahlrecht, dessen strikte Einhaltung wesentliche Bedingung für die Wahrung der verfassungsrechtlich verbürgten Chancengleichheit ist, handelt es sich um eine äußerst sensible Materie, deren Abwicklung innerhalb eines relativ knapp bemessenen Zeitgerüstes zu erfolgen hat. Legt der Gesetzgeber diese in die Hände einer Verwaltung, die eine reibungslose und fehlerfreie Wahlvorbereitung wegen ihres Organisationsstandes und angesichts insoweit fehlender Vollzugserfahrung nicht ohne weiteres gewährleistet, so geht er – mit Blick auf die folgenschweren Auswirkungen von Verletzungen der Chancengleichheit bei der Wahlvorbereitung – ein nicht unbeträchtliches Risiko ein, das zusätzlich wächst, wenn auftretende Mängel im Hinblick auf eine noch wenig leistungsfähige Infrastruktur nicht alsbald korrigiert werden können. Ein solches Vergehen kann – was allerdings noch der Klärung im Hauptsacheverfahren bedarf – Kontroll- und Überwachungspflichten des Gesetzgebers im Blick auf den zeitlichen Stand der Wahlvorbereitung begründen, damit er auf erkennbar werdende und schwer zu beseitigende Mängel notfalls durch zusätzliche gesetzgeberische Maßnahmen reagieren kann.
Geht man davon aus, daß im vorliegenden Fall der Gesetzgeber angesichts der von ihm in den §§ 20 Abs. 2 Satz 2 und 27 Abs. 1 Satz 2 BWahlG getroffenen rechtlichen Regelungen eine solche Kontrollaufgabe für den Bereich der fünf Länder auf dem Gebiet der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik hatte, so hätten ihm in Wahrnehmung der damit verbundenen Pflicht die mit der fristgerechten Beibringung von Unterstützungsunterschriften verbundenen Schwierigkeiten nicht verborgen bleiben können, auf die die Antragstellerinnen hinweisen.
Das erhellt schon daraus, daß die vom Senat erbetene Auskunft des Bundesministers des Innern über den Stand der Wahlvorbereitungen in den Ländern der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik diese faktischen Schwierigkeiten eindrucksvoll belegt. Danach standen die Vordrucke für die Unterschriften zur Unterstützung von Landeslisten und Kreiswahlvorschlägen in den fünf neuen Bundesländern erst "Anfang Oktober" zur Verfügung. Damit war zwar die umgehende Auslieferung der Vordrucke für die Landesliste möglich, weil die Landeswahlleiter zu diesem Zeitpunkt dem Bundeswahlleiter bekannt und ihre Namen auch veröffentlicht waren, so daß die Gewähr bestand, daß die betroffenen Parteien den Ansprechpartner für ihren Auslieferungswunsch erfahren konnten. Allerdings hätte allein schon die Auslieferung erst "Anfang Oktober" dem Gesetzgeber Veranlassung zu der Erwägung geben müssen, ob nicht die Chancen der betroffenen Parteien dadurch unangemessen und ungleich beschränkt werden, daß die erforderlichen Formulare nur knapp drei Wochen vor dem letzten Tag der Einreichungsfrist zur Verfügung stehen. Solche äußerst knappen Zeiträume mögen hinzunehmen sein, wenn sie – wie etwa bei vorzeitiger Auflösung des Bundestages – für alle betroffenen Parteien im gesamten Wahlgebiet in gleicher Weise gelten. Anlaß für Reaktionen des Gesetzgebers kann aber dann bestehen, wenn diese Belastungen die Wahlbewerber in unterschiedlicher Weise treffen. Hinsichtlich der Formulare für die Kreiswahlvorschläge war darüber hinaus noch nicht einmal am 16. Oktober gewährleistet, daß die betroffenen Parteien überall die Ansprechpartner für die Benennung ihres Kreiswahlvorschlags und für ihre Anträge auf Aushändigung der amtlichen Vordrucke kannten. An diesem Tag waren – mit einer Ausnahme – gerade erst alle Kreiswahlleiter ernannt worden, jedoch waren sie dem Bundeswahlleiter nur zu einem geringen Teil bekannt und ihre Namen im Gebiet der fünf neuen Bundesländer noch nicht vollständig veröffentlicht. Außerdem konnte nicht ohne weiteres davon ausgegangen werden, daß die Art und Weise der Veröffentlichung den betroffenen Parteien bekannt sein konnte oder mußte.
Diese Schwierigkeiten hätte der Gesetzgeber schon zu einem Zeitpunkt feststellen können, als ihm sachgerechte Reaktionen, gegebenenfalls auch durch Verzicht auf das Unterschriftenquorum für die erste gesamtdeutsche Wahl, möglich waren. Dann aber wäre er zu diesen Maßnahmen möglicherweise auch verfassungsrechtlich verpflichtet gewesen.
3. Die danach gebotene Abwägung ergibt folgendes:
a) Ergeht die einstweilige Anordnung nicht und erweist sich der Antrag zur Hauptsache später als begründet, drohen dem gemeinen Wohl schwere Nachteile. Die Wahl zum 12. Deutschen Bundestag wäre auf der Grundlage eines Gesetzes durchgeführt worden, das eine Teilnahme der Parteien von Voraussetzungen abhängig gemacht hat, die deren von der Verfassung garantierte Chancengleichheit nicht beachtet hätten. Die damit einhergehende Verfassungswidrigkeit der diese Chancengleichheit verletzenden gesetzlichen Regelungen hätte einen gravierenden Wahlfehler zur Folge, der die Wahl nicht nur in Teilen des Wahlgebiets, sondern womöglich insgesamt ungültig machen würde. Bereits dies bedeutete einen schweren Nachteil für das gemeine Wohl, und zwar in mehrfacher Hinsicht: Zum einen träfe das eintretende Legitimationsdefizit nicht nur den Bundestag selbst, sondern auch die Verfassungsorgane, die ihre demokratische Legitimatlion vom Bundestag ableiten. Zum anderen müßte mit einer erheblichen Einschränkung in bezug auf die Erfüllung der dem Bundestag obliegenden Tätigkeiten gerechnet werden, die sich insbesondere im Bereich der Gesetzgebung bis zum Zusammentritt des dann neu zu wählenden Bundestages zu einem Notstand verdichten könnte.
Hinzu kommt, daß der Wahl zum 12. Deutschen Bundestag eine herausgehobene staatspolitische Bedeutung zukommt. Sie ist die erste gesamtdeutsche Wahl; für sie ist daher besonders wesentlich, daß ihre Durchführung auf einer rechtlichen Grundlage erfolgt, die mit den demokratischen Wahlgrundsätzen in vollem Umfang vereinbar ist.
b) Ergeht die einstweilige Anordnung, ergibt die Entscheidung in der Hauptsache aber, daß die für die 12. Deutsche Bundestagswahl in den §§ 20 Abs. 2 Satz 2 und 27 Abs. 1 Satz 2 BWahlG getroffene Regelung die Chancengleichheit der Parteien nicht beeinträchtigt, so wögen die damit verbundenen Nachteile weniger schwer. In diesem Fall wäre die einstweilige Anordnung zwar mit einem Eingriff in die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers verbunden; es hätten sich dann womöglich an der Wahl Parteien mit Wahlvorschlägen beteiligt, die der Gesetzgeber im Hinblick auf deren Mangel an Ernsthaftigkeit ausschließen durfte. Dieser Eingriff ist jedoch, soweit die einstweilige Anordnung Parteien betrifft, die sich an der Wahl zum 11. Deutschen Bundestag beteiligt haben, nur von begrenztem Umfang und ordnet sich den Wertungen ein, die den gesetzlichen Regelungen für eine Befreiung der Wahlvorschläge von der Unterstützung durch Wahlberechtigte zugrunde liegen.
Im übrigen ist hier zu bedenken: Auch wenn den Gesetzgeber keine Pflicht zur Vollzugskontrolle des von ihm beschlossenen Wahlgesetzes für die hier in Rede stehenden gesetzlichen Regelungen träfe, müßte gleichwohl im Hinblick auf den tatsächlichen Stand der administrativen Wahlvorbereitung in einem Teil der Länder auf dem Gebiet der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik davon ausgegangen werden, daß die außer Vollzug gesetzten Vorschriften ihre Funktion, Kriterium für die Ernsthaftigkeit von Wahlvorschlägen zu sein, ohnehin nur eingeschränkt erfüllen könnten. Von daher wäre in großem Umfang mit – mutmaßlich aussichtsreichen – Wahlanfechtungen zu rechnen. Unter diesen Umständen hat es besonderes Gewicht, daß durch den Erlaß der einstweiligen Anordnung eine verfassungsrechtlich unangreifbare Rechtsgrundlage für die erste gesamtdeutsche Wahl herbeigeführt wird. Dem steht nicht entgegen, daß die Legitimationswirkung der einstweiligen Anordnung nicht über den Zeitraum bis zur Entscheidung der Hauptsache hinausreicht; denn eine während der Geltung der einstweiligen Anordnung durchgeführte Wahl behält auf ihrer Grundlage – unbeschadet der Entscheidung in der Hauptsache – rechtlichen Bestand. Nichts anderes besagt das Urteil des Senats vom 12. Oktober 1989 ((BVerfGE 81, 53 [56 ff.]).
4. Die im Tenor genannte Stimmenzahl entspricht annähernd der bei der Wahl zum 11. Deutschen Bundestag für die Zuteilung eines Sitzes notwendigen Zahl von Zweitstimmen. Damit werden die hierdurch begünstigten denjenigen Parteien gleichgestellt, die bei der Wahl zur Volkskammer am 18. März 1990 ein Mandat errungen haben und deshalb von der Beibringung von Unterschriften für Wahlvorschläge befreit sind.
III.
Die Entscheidungsformel ist im Bundesgesetzblatt zu veröffentlichen.
(gez.) Mahrenholz Böckenförde Klein Graßhof Kruis Franßen Winter
 
Abweichende Meinung des Richters Winter zum Beschluß des Zweiten Senats vom 17. Oktober 1990 – 2 BvE 6, 7/90 –
Die Entscheidung der Senatsmehrheit beruht auf einer unzutreffenden Beurteilung der Voraussetzungen und der Wirkungen der einstweiligen Anordnung. Ich kann ihr darum nicht zustimmen.
1. a) Wie schon der Wortlaut des § 32 Abs. 1 BVerfGG ergibt, kann das Bundesverfassungsgericht im Streitfall einen Zustand durch einstweilige Anordnung nur vorläufig regeln. Dem entspricht die ständige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, daß eine einstweilige Anordnung die Entscheidung der Hauptsache grundsätzlich nicht vorwegnehmen darf (vgl. BVerfGE 3, 41 [43]; 12, 276 [279]; 34,160 [162]; 67,149 [151] u.ö.). Davon weicht die hier getroffene Entscheidung ab, insbesondere wenn man die Auffassung der Senatsmehrheit über die Legitimationswirkung der einstweiligen Anordnung (Abschnitt II 3 b der Beschlußgründe) zugrunde legt. Die Entscheidung läßt zwar offen, ob die Vorschriften des Bundeswahlgesetzes über das Unterschriftenquorum unter den rechtlichen und tatsächlichen Verhältnissen, die bei der Wahl des 12. Deutschen Bundestages obwalten, die Antragstellerinnen in ihrem verfassungsrechtlichen Anspruch auf Chancengleichheit bei der Wahl verletzen. Sie trifft aber bereits eine Regelung, die allenfalls die Folge einer den Anträgen in der Hauptsache stattgebenden Entscheidung sein dürfte. Sie setzt nämlich die angegriffenen Vorschriften über die bevorstehende Wahl außer Kraft und ersetzt sie durch andere, die nach Auffassung der Senatsmehrheit selbst dann rechtlich fortwirken, wenn das Begehren der Antragstellerinnen in der Hauptsache keinen Erfolg haben sollte. Damit stellt die getroffene Entscheidung im Ergebnis für die bevorstehende Wahl, um die es in der Hauptsache allein geht, keine vorläufige sondern eine endgültige Regelung dar.
b) Eine Vorwegnahme der Hauptsache hat das Bundesverfassungsgericht nur ganz ausnahmsweise für zulässig erachtet, wenn unter den gegebenen Umständen eine Entscheidung in der Hauptsache zu spät gekommen wäre und dem Antragsteller in anderer Weise ausreichender Rechtsschutz nicht mehr hätte gewährt werden können (vgl. BVerfGE 34, 160 [162 f.]; 67, 149 [151]). Von diesen Voraussetzungen ist im vorliegenden Fall nur die erste erfüllt, das Vorliegen der zweiten nicht festgestellt. Regelmäßig gewährleisten die Vorschriften über die Wahlprüfung (Art. 41 GG; Wahlprüfungsgesetz; § 13 Nr. 3, § 48 BVerfGG) einen ausreichenden Rechtsschutz auch nach Durchführung einer Wahl (vgl. BVerfGE 34, 81 [94 f.]). Das verständliche Anliegen, Wahlanfechtungen wegen der besonderen staatspolitischen Bedeutung der bevorstehenden Bundestagswahl möglichst zu verhindern, kann es nicht rechtfertigen, über den in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts anerkannten Ausnahmefall – dem Fehlen anderer Rechtsschutzmöglichkeiten – hinaus entgegen § 32 Abs. 1 BVerfGG endgültige Regelungen durch einstweilige Anordnung zu treffen.
Das gilt um so mehr, als die Entscheidung hier unmittelbar in ein Gesetz eingreift. Wie auch die Senatsmehrheit anerkennt, sind bei Eingriffen in den Gesetzesvollzug besonders strenge Maßstäbe an die Prüfung der Voraussetzungen des § 32 Abs. 1 BVerfGG anzulegen. Die Entscheidungen, in denen das Bundesverfassungsgericht ausnahmsweise eine Vorwegnahme der Hauptsache für zulässig erachtet hat, betrafen überwiegend Verfahren gegen einzelne Maßnahmen der vollziehenden Gewalt. Unmittelbare Eingriffe in gesetzliche Regelungen wurden regelmäßig so gestaltet, daß sie keinen endgültigen Rechtszustand schufen. So wurde in dem Senatsbeschluß vom 5. Oktober 1960 – 2 BvR 536/60 – (BVerfGE 11, 306 ff.), der einen Streit über die Verfassungsmäßigkeit des Unterschriftenquorums in einem Kommunalwahlgesetz betraf, lediglich die Bestimmung des Wahltages aufgehoben. Auch die einstweilige Anordnung, durch die das Inkrafttreten der im Fünften Strafrechtsreformgesetz enthaltenen Vorschriften über die Fristenlösung beim Schwangerschaftsabbruch einstweilen verhindert und für die Zeit bis zur Hauptsacheentscheidung eine Ersatzregelung getroffen wurde, war so beschaffen, daß sich die gesetzliche Regelung im Falle ihrer Verfassungsmäßigkeit noch auf Schwangerschaftsabbrüche hätte auswirken können, die im zeitlichen Geltungsbereich der einstweiligen Anordnung vorgenommen worden waren (vgl. BVerfGE 37, 324 [325], insbesondere die Nrn. 3 und 4 der Urteilsformel). Daß demgegenüber mit der Außervollzugsetzung des Ausländerwahlrechts für die Kommunalwahlen in Schleswig-Holstein durch das Senatsurteil vom 12. Oktober 1989 (BVerfGE 81, 53 ff., insbesondere S. 56 f.) eine endgültige Rechtsänderung für die im März 1990 durchgeführte Wahl – unabhängig vom Ausgang des Hauptverfahrens – geschaffen werden sollte, ist erst durch die Begründung des vorliegenden Beschlusses klargestellt worden; die Entscheidung begegnet dann im Blick auf § 32 Abs. 1 BVerfGG denselben Bedenken wie die vorliegende.
2. Soweit nach dem vorstehend Gesagten ausnahmsweise eine einstweilige Anordnung in Betracht kommt, durch die die Hauptsache vorweggenommen wird, ist für ihren Erlaß mehr zu fordern als die Feststellung, die in der Hauptsache gestellten Anträge seien nicht offensichtlich unzulässig oder unbegründet, sowie eine Folgenabwägung. Diese von der Senatsmehrheit herangezogenen Kriterien genügen nur, wenn eine vorläufige Regelung getroffen werden soll. Soll dagegen – wie hier – die Hauptsache vorweggenommen werden, so sind nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts die Erfolgsaussichten der in der Hauptsache gestellten Anträge stärker in den Blick zu nehmen; es müssen dann erheblich überwiegende Gründe für die Annahme sprechen, die angegriffene Maßnahme werde sich als verfassungswidrig erweisen (vgl. BVerfGE 46,160 [164]; 63, 254; 67,149 [152]; siehe auch BVerfGE 77, 130 [135]). Eine dahingehende Feststellung ist im vorliegenden Fall nicht getroffen worden.
3. Sie wäre auch nicht gerechtfertigt. Nach den Erkenntnismöglichkeiten, die beim gegenwärtigen Verfahrensstande gegeben sind, sprechen die überwiegenden Gründe für die Verfassungsmäßigkeit der angegriffenen gesetzlichen Regelungen.
a) Ich teile die Ansicht der Senatsmehrheit, daß eine einstweilige Anordnung nicht im Hinblick auf die Rüge der Antragstellerinnen in Betracht kommt, die Erstreckung des Unterschriftenquorums auf das Gebiet der Länder der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik verletze in der besonderen Situation der ersten gesamtdeutschen Wahl ihre verfassungsmäßigen Rechte schon deswegen, weil es ihnen aufgrund der kurzfristig vollzogenen Ausdehnung des Wahlgebiets nicht möglich sei, in dem neuen Teil des Wahlgebiets die erforderliche Organisation aufzubauen (Abschnitt II 2 a der Beschlußgründe). Insoweit kann ich auf die Beschlußbegründung und die dazu zitierte Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts verweisen.
b) Die Grundsätze, nach denen das Bundesverfassungsgericht die Zulässigkeit eines Unterschriftenquorums beurteilt hat, sprechen auch gegen die Begründetheit der von den Antragstellerinnen erhobenen Rüge, die Unterschriftenquoren nach §§ 20 Abs. 2 Satz 2, 27 Abs. 1 Satz 2 BWahlG verletzten das Recht der Antragstellerinnen auf Chancengleichheit im Blick auf die in § 18 Abs. 2 in Verbindung mit § 53 Abs. 4 BWahlG getroffene Regelung (vgl. dazu Abschnitt II 2 b der Beschlußgründe).
aa) Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist ein Unterschriftenquorum grundsätzlich erlaubt, weil der Gesetzgeber die Zulassung von Parteien zur Wahl von dem Nachweis abhängig machen darf, daß eine ernstzunehmende Wahlbewerbung vorliegt, die in der Wählerschaft hinreichende Unterstützung findet. Bei Parteien, die in einem Parlament vertreten sind, liegt es nahe, bereits dadurch diesen Nachweis als erbracht anzusehen (vgl. BVerfGE 3, 19 [27]). Der Gesetzgeber kann sie daher von einem weiteren Nachweis befreien. Für Parteien, die nicht in einem Parlament vertreten sind, gilt diese Überlegung nicht. Sie befinden sich in dieser Hinsicht von vornherein in einer anderen Lage als die in einem Parlament vertretenen Parteien und sind darin jenen nicht vergleichbar. Von ihnen darf der Gesetzgeber daher einen anderen Nachweis für die Ernsthaftigkeit ihrer Kandidatur – etwa in Gestalt eines Unterschriftenquorums – fordern.
bb) Die danach grundsätzlich zulässige Differenzierung in den Zulassungsanforderungen an die im Parlament vertretenen und an die "neuen" Parteien darf allerdings ein gewisses Maß nicht überschreiten (vgl. BVerfGE 3, 19 [27]). Das zwingt indessen nicht dazu, die unterschiedlichen Zulassungsvoraussetzungen einem rein quantitativen Vergleich nach Stimmen- oder Unterschriftenzahlen zu unterziehen, der die qualitativen Unterschiede der Vergleichsgrößen außer Betracht läßt. Absolute Stimmenzahlen sind kein geeigneter Vergleichsmaßstab, wenn sie bei verschiedenen Wahlen in unterschiedlichen Wahlgebieten erzielt wurden; sie haben ein ganz unterschiedliches Gewicht je nach dem Verhältnis, in dem sie zur Gesamtzahl der Wahlberechtigten sowie zur Zahl der insgesamt abgegebenen gültigen Stimmen stehen. Darüber hinaus wirken Stimmen, die zum Erwerb eines Parlamentsmandats geführt haben, während der Dauer der Wahlperiode weiter; die politischen Rückwirkungen der parlamentarischen Tätigkeit einer Partei stabilisieren regelmäßig deren Wählerstamm. Stimmen, die für eine nicht in ein Parlament gelangte und somit bei Wahlen erfolglose Partei abgegeben wurden, haben diese Wirkungen nicht und sind deshalb weniger geeignet, als Nachweis der Ernsthaftigkeit einer neuen Kandidatur zu dienen. Es ist grundsätzlich Sache des Gesetzgebers zu entscheiden, welches Gewicht diesen qualitativen Unterschieden für die Regelung der Wahlzulassung zukommen soll. Das Bundesverfassungsgericht kann hier nur eingreifen, wenn die Zulässigkeitshürden für die nicht in einem Parlament vertretenen Parteien unzumutbar hoch sind.
Das trifft auf die Unterschriftenquoren, die das Bundeswahlgesetz für Wahlvorschläge von "neuen" Parteien vorsieht, nicht zu. Wer als Wahlkreisbewerber einer Partei in einem Wahlkreis mit weit über einhunderttausend Wahlberechtigten nicht einmal 200 Anhänger nachweisen kann, die bereit sind, seine Kandidatur mit ihrer Unterschrift zu unterstützen, kann schwerlich als ernsthafter Bewerber für ein Direktmandat in diesem Wahlkreis angesehen werden. Entsprechendes gilt für die Landesliste einer Partei, die in einem Bundesland mit einer nach Hunderttausenden oder gar nach Millionen zählenden Wahlbevölkerung nicht einmal das Quorum von höchstens zweitausend Unterschriften zu erreichen vermag.
Stellt das gesetzliche Unterschriftenerfordernis somit in einem Wahlkreis oder in einem Bundesland kein unzumutbares Zulassungshindernis dar, welches das Prinzip der gleichen Wahlchancen verletzt, dann kann es auch nicht dadurch grundgesetzwidrig werden, daß sich für eine Partei, die in mehreren oder gar allen Wahlkreisen oder Bundesländern Wahlvorschläge aufstellt, die Gesamtzahl der notwendigen Unterschriften entsprechend vervielfacht (vgl. BVerfGE 3, 383 [397]). Das Wahlsystem des Bundeswahlgesetzes ist durch eine Regionalisierung des Wahlvorgangs gekennzeichnet. Die Hälfte der Abgeordneten des Deutschen Bundestages wird nach den Grundsätzen der Persönlichkeitswahl in Wahlkreisen gewählt, die andere Hälfte aufgrund von Landeslisten der Parteien in den Bundesländern. Dem entspricht es, daß der Nachweis der Ernsthaftigkeit einer Kandidatur auf die jeweilige Wahlregion bezogen ist. Das Mitwirkungsrecht der Parteien an der politischen Willensbildung des Volkes (Art. 21 GG) setzt insoweit voraus, daß die Parteien in der jeweils in Betracht kommenden Wahlregion bereits als gesellschaftliche Gruppe existieren und sich hier nicht erst mit Hilfe des Wahlkampfes als ernsthafte politische Gruppe durchsetzen wollen (vgl. BVerfGE 3, 383 [393]).
cc) Die Senatsmehrheit zieht eine Verfassungswidrigkeit der Unterschriftenquoren des Bundeswahlgesetzes in Betracht, weil für die Wahl zum 12. Deutschen Bundestag auch alle Parteien in der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik vom Unterschriftenquorum befreit sind, die bei den Volkskammerwahlen vom 18. März 1990 ein Mandat gewonnen haben. Dabei wird darauf abgestellt, daß die Volkskammerwahlen ohne Sperrklausel und ohne Unterschriftenquoren für Wahlvorschläge durchgeführt wurden, während die Parteien in der Bundesrepublik Deutschland die 5 v.H.-Sperrklausel überwinden mußten, um zu einem Bundestags- oder Landtagsmandat – und damit zur Befreiung vom Unterschriftenerfordernis – zu gelangen. Abgesehen von den bereits oben angesprochenen grundsätzlichen Bedenken gegen einen derartigen Vergleich qualitativ unvergleichbarer Tatbestände ist dazu folgendes anzuführen:
Sieht man nur auf die unterschiedlichen Wahlgesetze, so erscheint freilich die Auffassung plausibel, den Parteien, die in der Volkskammer vertreten waren, werde im Vergleich zu den Parteien, die sich in der Bundesrepublik vergeblich um ein Bundestags- oder Landtagsmandat beworben haben, die Befreiung von den Unterschriftenquoren des Bundeswahlgesetzes unverhältnismäßig erleichtert. In eine vergleichende Bewertung der Zulassungsvoraussetzungen muß aber auch einbezogen werden, unter welchen politischen Rahmenbedingungen die Volkskammermandate errungen wurden. Die Volkskammerwahlen vom 18. März 1990 waren seit Jahrzehnten die ersten freien Wahlen in der früheren Deutschen Demokratischen Republik. Die dabei kandidierenden Parteien und politischen Vereinigungen hatten sich zum überwiegenden Teil erst wenige Monate vorher bilden können. Ihnen fehlten aufgrund langjähriger Unterdrückung freier Parteien nahezu alle Voraussetzungen zum kurzfristigen Aufbau einer gefestigten Organisation. Während der Wahlvorbereitungszeit, in der die alten Herrschaftsstrukturen im Bereich von Regierung und Verwaltung noch weiterwirkten, mußten in einer Bevölkerung, die freier politischer Betätigung entwöhnt war, Wähler gewonnen werden. Dabei hatten neu gegründete Parteien und politische Vereinigungen im Vergleich zu früheren Blockparteien auch erhebliche materielle Startnachteile zu überwinden.
Berücksichtigt man dies, so durfte der Gesetzgeber im Rahmen des ihm verfassungsrechtlich zukommenden Gestaltungsermessens davon ausgehen, daß die höheren wahlrechtlichen Hürden, die Parteien auf dem früheren Gebiet der Bundesrepublik Deutschland zum Gewinn eines Parlamentsmandats zu überwinden hatten, aufgewogen werden durch die schwierigen politischen Rahmenbedingungen, die die Parteien in der früheren Deutschen Demokratischen Republik für den Gewinn eines Volkskammermandats bewältigen mußten. Die für die Befreiung von den Unterschriftenquoren vorgenommene Differenzierung zwischen den Parteien, die im Deutschen Bundestag, einem Landtag oder der Volkskammer seit deren letzter Wahl mit mindestens einem Abgeordneten vertreten waren, und solchen, die bei vorangegangenen Parlamentswahlen gescheitert sind, überschreitet bei dieser Sicht nicht das verfassungsrechtlich zulässige Maß.
c) Die Senatsmehrheit hält es ferner für möglich, daß der Deutsche Bundestag durch Unterlassen gesetzgeberischer Maßnahmen das Recht der Antragstellerinnen auf Chancengleichheit bei der Wahlzulassung verletzt hat (Abschnitt II 2 c der Beschlußgründe). Die dazu angeführten Gründe überzeugen ebenfalls nicht.
aa) Nach den Feststellungen des Senats haben sich in den fünf neuen Bundesländern die Auslieferung der amtlichen Vordrucke für die Unterschriften zur Unterstützung von Wahlvorschlägen sowie die Bestellung von Kreiswahlleitern und deren öffentliche Bekanntmachung bis in den Oktober 1990 hinein verzögert. Ob und gegebenenfalls in welchem Umfange es den Antragstellerinen infolge dieser Versäumnisse der Wahlbehörden unmöglich gemacht worden ist, die vom Bundeswahlgesetz geforderten Unterschriftenquoren für Wahlvorschläge in den fünf neuen Bundesländern zu erfüllen, ist indessen nicht hinreichend aufgeklärt worden. Nach den bisherigen Feststellungen standen zur Sammlung von Unterschriften für Landeslisten rund drei Wochen zur Verfügung. Dieser Zeitraum war zu knapp bemessen; den Nachweis, daß er nicht ausgereicht hätte, hat die Senatsmehrheit indessen den Antragstellerinnen durch Erlaß der einstweiligen Anordnung erspart. Da das Unterschriftenquorum nur dem Nachweis einer bereits vorhandenen Anhängerschaft der kandidierenden Partei dienen soll, nicht aber deren Werbung, kommt es nur auf die Zeit an, die zur technischen Abwicklung der Unterschriftensammlung benötigt worden wäre. Daß die verfügbare Zeit dafür nicht ausgereicht hätte, drängt sich jedenfalls nicht auf. Das gilt vor allem im Blick darauf, daß die Parteien spätestens seit Abschluß des Wahlvertrags mit der Deutschen Demokratischen Republik im August 1990 mit kurzen Wahlvorbereitungszeiten rechnen und sich darauf schon im Vorfeld des amtlichen Wahlvorbereitungsverfahrens einstellen mußten.
Nicht aufgeklärt ist auch, wann und für welche Gebiete die Antragstellerinnen Wahlvorschläge in den fünf neuen Bundesländern aufgestellt hatten. Da sie mit der Sammlung von Unterschriften für die verschiedenen Wahlvorschläge jeweils erst nach deren Aufstellung beginnen konnten (vgl. § 34 Abs. 4 Nrn. 1 und 5, § 39 Abs. 3 BWahlO), hängt von entsprechenden Feststellungen die Beurteilung der Frage ab, inwieweit die Antragstellerinnen durch Versäumnisse der Wahlbehörden in ihren Wahlvorbereitungen beeinträchtigt sein können. Das gilt vor allem im Blick auf die verspätete Bestellung von Kreiswahlleitern. Die ÖDP hat das Unterschriftenquorum für Kreiswahlvorschläge nicht angegriffen; das läßt darauf schließen, daß sie in den fünf neuen Bundesländern keine Kreiswahlvorschläge aufgestellt hatte. Der Vortrag der NPD läßt ebenfalls keine konkreten Beeinträchtigungen in bezug auf beschlossene Kreiswahlvorschläge erkennen.
Die Entscheidung der Senatsmehrheit beruht daher in diesem Punkt auf einer nach meiner Ansicht ungenügenden Tatsachengrundlage. Sie begnügt sich im Ergebnis mit einer nur vermuteten Rechtsbeeinträchtigung.
bb) Grundsätzliche Bedenken begegnet die Auffassung, die festgestellten Versäumnisse von Wahlbehörden könnten dem Deutschen Bundestag als Wahlgesetzgeber zugerechnet werden. Es handelt sich um bloße Mängel im Gesetzesvollzug, die nach den §§ 13 Nr. 5, 63, 64 BVerfGG nicht im Organstreit geltend gemacht werden können, sondern nur durch Wahlanfechtung.
Die Senatsmehrheit gelangt zur Zulässigkeit des Organstreits aufgrund der Annahme, der Deutsche Bundestag könne aufgrund der besonderen Verhältnisse, die bei der bevorstehenden Bundestagswahl obwalten, verfassungsrechtlich verpflichtet sein, die Wahlvorbereitung in den Ländern der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik fortlaufend zu überwachen und auf dabei hervortretende Mängel, soweit erforderlich, mit gesetzgeberischen Maßnahmen zu reagieren. Damit würden indessen die verfassungsrechtlichen Pflichten des Deutschen Bundestages überspannt und die Verantwortung für den ordnungsmäßigen Gesetzesvollzug in unzulässiger Weise von der Exekutive auf die Legislative verlagert.
Das Bundesverfassungsgericht hat eine Pflicht des Gesetzgebers, die Wirkungen einer gesetzlichen Regelung zu überprüfen und das Gesetz erforderlichenfalls zu ändern, dann bejaht, wenn der Inhalt des Gesetzes selbst infolge einer bei seinem Erlaß nicht zuverlässig vorauszusehenden Entwicklung der tatsächlichen Verhältnisse verfassungswidrig werden konnte. Dabei handelt es sich um eine Auswirkung der Grundrechtsbindung (Art. 1 Abs.3 GG; vgl. z.B. BVerfGE 25, 1 [12 f.]; 49, 89 [130 ff.]; 50, 290 [335, 352]; 56, 54 [78 f.]) oder einer anderen verfassungsrechtlichen Bindung des Gesetzgebers, etwa an den Grundsatz der Wahlrechtsgleichheit bei der Wahlkreiseinteilung (vgl. BVerfGE 16, 130 [141 ff.]), an das Prinzip der Chancengleichheit der Parteien bei der Ordnung der Parteienfinanzierung (vgl. BVerfGE 73, 40 [94]) oder an die Finanzverfassung des Grundgesetzes (vgl. Senatsbeschluß vom 31. Mai 1990 – 2 BvL 12/88, 2 BvL 13/88, 2 BvR 1436/87 –, EuGRZ 1990, S. 377 [383]).
Darum geht es indessen im vorliegenden Falle nicht. Die rechtzeitige Beschaffung von amtlichen Vordrucken, die für die Wahlvorbereitung erforderlich sind, sowie die rechtzeitige Bestellung der Kreiswahlleiter und die Bekanntgabe ihrer Anschriften sind eindeutig Aufgaben des Gesetzesvollzuges. Fehlleistungen der dafür zuständigen Behörden können nicht zur Verfassungswidrigkeit des Wahlgesetzes führen. Auch unter den besonderen Voraussetzungen der ersten gesamtdeutschen Wahl durfte der Deutsche Bundestag davon ausgehen, daß die im Gesetz mit der Wahlvorbereitung und -durchführung betrauten Behörden zur Lösung der genannten Aufgaben in der Lage sein würden. Ein Anlaß, geschweige denn eine verfassungsrechtliche Pflicht, die Behörden beim Vollzug derart elementarer Verwaltungsvorgänge einer laufenden parlamentarischen Kontrolle zu unterwerfen, bestand nicht. Dabei kommt es nicht darauf an, ob der Deutsche Bundestag das Recht zu einer solchen begleitenden Kontrolle des Wahlverfahrens hat. Dem parlamentarischen Kontrollrecht entspricht jedenfalls keine allgemeine, von Dritten einklagbare Kontrollpflicht. Wie oben dargelegt wurde, bedarf es zur Bejahung einer Überwachungspflicht einer besonderen verfassungsrechtlichen Grundlage. Eine solche vermag ich hier nicht zu erkennen. Daß die Wahlbehörden im Gebiet der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik mit der Durchführung des Bundeswahlgesetzes vor Aufgaben gestellt wurden, mit denen sie möglicherweise nicht genügend vertraut waren, rechtfertigt es nicht, die auftretenden Vollzugsdefizite als verfassungsrechtlich erhebliche Mängel der gesetzlichen Regelung selbst anzusehen, die allein den Gesetzgeber zu einem Eingreifen verpflichten könnten. Auf die weitere Frage, ob der Deutsche Bundestag überhaupt die Möglichkeit zu einer rechtzeitigen Gesetzesänderung gehabt hätte, ist danach nicht weiter einzugehen.
4. Auch die Folgenabwägung der Senatsmehrheit beruht auf einer unzutreffenden Anschauung von den Folgen und Wirkungen der vorliegenden einstweiligen Anordnung. Die Nachteile, die bei einem Ergehen der einstweiligen Anordnung entstehen, falls die Entscheidung in der Hauptsache die Verfassungsmäßigkeit der angegriffenen Unterschriftenquoren ergibt, werden zu gering eingeschätzt.
An der Wahl beteiligen sich dann Parteien mit Wahlvorschlägen, die nach dem Gesetz nicht zugelassen werden dürften. Entfallen Stimmen auf diese Wahlvorschläge, so wird dadurch das Wahlergebnis insgesamt verändert. Selbst wenn diese Parteien kein Mandat erringen, kann das Auswirkungen auf die Zusammensetzung des Deutschen Bundestages in allen den Fällen haben, in denen die für diese Wahlvorschläge abgegebenen Stimmen einer anderen Partei zur Erlangung eines Mandats fehlen. Das kann der Fall sein, wenn diese Stimmen ihrer Zahl nach ausreichen würden, einem anderen Wahlkreiskandidaten die Mehrheit zu verschaffen; ebenso kann es liegen, wenn diese Stimmen einer anderen Partei zur Überwindung der 5 v.H.-Sperrklausel oder zum Gewinn eines weiteren Sitzes verhelfen könnten. Davon kann unter Umständen selbst die Entscheidung über die parlamentarische Mehrheit abhängen. Gründe für eine Wahlanfechtung wegen einer dem Gesetz widersprechenden Wahlzulassung wären danach auch bei Erlaß der einstweiligen Anordnung gegeben, falls sich die gesetzliche Regelung als verfassungsmäßig erweisen sollte. Die demokratische Legitimation des 12. Deutschen Bundestages könnte auch bei dieser Fallkonstellation in Frage gestellt sein.
Die Senatsmehrheit entgeht diesen Konsequenzen aufgrund ihrer Auffassung, eine während der Geltung der einstweiligen Anordnung durchgeführte Wahl behalte auf ihrer Grundlage – unbeschadet der Entscheidung in der Hauptsache – rechtlichen Bestand. Damit wird einer einstweiligen Anordnung die Kraft beigelegt, ein formell und materiell verfassungsmäßiges Gesetz – sei es auch nur für einen begrenzten Zeitraum – endgültig außer Kraft zu setzen und durch eine verfassungsgerichtliche Regelung zu ersetzen. Eine solche dauernde Legitimationswirkung kann jedoch einer einstweiligen Anordnung nach meiner Ansicht nicht zukommen.
Nach dem Grundsatz der Gewaltenteilung darf das Bundesverfassungsgericht in die Gesetzgebung nur insoweit eingreifen, als dies zur Erfüllung der ihm durch das Grundgesetz zugewiesenen Aufgaben gerechtfertigt ist. Zu diesen Aufgaben gehört es nicht, verfassungsmäßige Gesetze endgültig außer Kraft zu setzen. Ist die Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes umstritten und eine Entscheidung darüber nicht sofort möglich, so kann es freilich geboten sein, den Vollzug der Endentscheidung durch eine vorläufige Maßregel zu sichern. Dementsprechend ermächtigt § 32 BVerfGG das Bundesverfassungsgericht zu vorläufigen Regelungen auch in bezug auf Gesetze. Diese einstweiligen Anordnungen müssen jedoch so beschaffen sein, daß sich das in der Endentscheidung für verfassungsgemäß erkannte Gesetz letztlich durchzusetzen vermag. Auch wenn sich möglicherweise nicht mehr alle Wirkungen nachträglich beseitigen lassen, die von einer einstweiligen Anordnung ausgehen, so darf es doch nicht erklärtes Ziel der Anordnung sein, auch solche dem Gesetz widersprechende Rechtswirkungen fortdauern zu lassen, die nachträglich beseitigt werden könnten. Zur Sicherung der Rechtsprechungsaufgabe des Bundesverfassungsgerichts ist ein so weitgehender Eingriff in das Gesetz nicht notwendig und daher auch nicht zulässig.
Deshalb kann die vorliegende einstweilige Anordnung von Rechts wegen nicht die Wirkung äußern, eine Wahlanfechtung auch für den Fall auszuschließen, daß sich die angegriffenen Vorschriften des Bundeswahlgesetzes als verfassungsmäßig erweisen und die Zusammensetzung des 12. Deutschen Bundestages durch das abweichend vom Gesetz durchgeführte Wahlverfahren beeinflußt sein kann.
(gez.) Winter