BVerfGE 91, 262 - Parteienbegriff I |
Zum Begriff der Partei im Sinne von Art. 21 GG und § 2 des Parteiengesetzes. |
Beschluß |
des Zweiten Senats vom 17. November 1994 |
-- 2 BvB 1/93 -- |
in dem Verfahren über den Antrag auf Feststellung der Verfassungswidrigkeit der "Nationalen Liste", Antragsteller: Senat der Freien und Hansestadt Hamburg, vertreten durch den Präses der Justizbehörde, Drehbahn 36, Hamburg, Antragsgegner: Nationale Liste, vertreten durch den Vorstand, dieser vertreten durch den Vorsitzenden Thomas Wulff, Korachstraße 5, Hamburg. |
Entscheidungsformel: |
Der Antrag wird als unzulässig zurückgewiesen. |
Gründe: |
A. |
Gegenstand des Verfahrens ist der Antrag des Senates der Freien und Hansestadt Hamburg auf Feststellung der Verfassungswidrigkeit der Nationalen Liste nach Art. 21 Abs. 2 GG, §§ 13 Nr. 2, 43 ff. BVerfGG.
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I. |
Die Nationale Liste (NL) wurde am 13. März 1989 in Hamburg gegründet. Organe der NL sind der Vorstand und der Parteitag, der als Mitgliederversammlung stattfindet. Nach ihrer Satzung versteht sich die NL als Landespartei mit Sitz in Hamburg. Sie besteht ausschließlich aus dem Landesverband; zur Gründung nachgeordneter Gebietsverbände (Kreis- oder Ortsgruppen) ist es bisher nicht gekommen. Die NL verfügt zur Zeit über rund 30 Mitglieder. Sie hat sich mit einer Landesliste mit vier, später fünf Personen an den Wahlen zur Hamburgischen Bürgerschaft am 2. Juni 1991 und 19. September 1993 beteiligt. Hierbei erreichte sie 1991 431 von 819.773 (0,05 v.H.), 1993 384 von 844.902 gültigen Stimmen (0,04 v.H.). Zur Bundestagswahl 1990 wurde die NL nicht zugelassen; der Bundeswahlausschuß erkannte in seiner 1. Sitzung am 26. Oktober 1990 die NL nicht als Partei an, "weil sie nach dem Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse, insbesondere nach Umfang und Festigkeit ihrer Organisation und nach der Zahl ihrer Mitglieder (20) keine ausreichende Gewähr für die Ernsthaftigkeit ihrer Zielsetzung bietet". Zur Bundestagswahl 1994 hat die NL keine Wahlzulassung beantragt.
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II. |
Mit dem am 6. September 1993 beim Bundesverfassungsgericht eingegangenen Antrag begehrt der Senat der Freien und Hansestadt Hamburg die Feststellung, daß die Nationale Liste im Sinne des Art. 21 Abs. 2 GG verfassungswidrig ist.
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1. Die NL sei nach ihrer Satzung eine organisatorisch auf die Freie und Hansestadt Hamburg beschränkte Landespartei. Sie erfülle alle Voraussetzungen, die nach § 2 Abs. 1 Satz 1 PartG an eine politische Partei gestellt würden. Sie sei eine Vereinigung, in der sich verschiedene natürliche Personen für längere Zeit freiwillig zur Verfolgung gemeinsamer politischer Ziele zusammengeschlossen hätten, die sich aus dem Programm, der Satzung und den Veröffentlichungen in der Parteizeitung "Index" ergäben. Die Antragsgegnerin wolle, wie ihre Teilnahme an den Wahlen zur Bürgerschaft in den Jahren 1991 und 1993 zeige, Einfluß auf die politische Willensbildung im Bereich der Freien und Hansestadt Hamburg nehmen. Sie biete auch eine ausreichende Gewähr für die Ernsthaftigkeit ihrer politischen Zielsetzung. Dies zeige nicht zuletzt ihre Wahlbeteiligung, durch die sie bewiesen habe, daß sie über die für eine aktive Mitwirkung an der politischen Willensbildung des Volkes notwendigen organisatorischen Voraussetzungen verfüge. Da die NL eine Landespartei sei, müsse die geringe Mitgliederzahl von etwa 30 Personen noch als ausreichend angesehen werden.
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2. Die Antragsgegnerin sei verfassungswidrig, da sie nach ihren Zielen darauf ausgehe, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beseitigen. Sie wolle Grundentscheidungen dieser Ordnung, vor allem das Mehrheitsprinzip und den Rechtsstaat sowie die Achtung der grundlegenden Menschenrechte, aufheben. Dieses Ziel verfolge sie mit Hilfe gezielter, verächtlich machender Agitation und Öffentlichkeitsarbeit.
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Die Antragsgegnerin strebe eine Beseitigung des Grundgesetzes und der von ihm geprägten Staatsstruktur der Bundesrepublik an. Sie propagiere einen neuen "Volksstaat", der in seinem Wesen erkennbar an die nationalsozialistische Unrechtsherrschaft anknüpfe. Die NL stehe in der Tradition des Dritten Reiches. In ihren Schriften verherrliche sie die nationalsozialistische Ideologie und deren führende Vertreter; die Verbrechen dieses Regimes würden verharmlost. Nach der Vorstellung der NL sei das Führerprinzip grundlegende Voraussetzung für den von ihr gewünschten neuen Staat, wobei es eines demokratischen Auswahlverfahrens nicht mehr bedürfe. Sie verwerfe das Mehrheitsprinzip und lehne grundlegende demokratische Strukturen ab. In einem Staatssystem, das ihren Vorstellungen entspreche, sei kein Raum für das Mehrparteien-prinzip und die Chancengleichheit aller politischen Parteien.
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Die Antragsgegnerin mißachte die im Grundgesetz konkretisierten und auf Freiheit und Gleichheit aufbauenden Menschenrechte. Sie sei rassistisch geprägt und polemisiere in unverantwortlicher Weise gegen Ausländer und Juden.
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Ton und Diktion der Verlautbarungen der Antragsgegnerin zeigten, daß sie zentrale Grundwerte der Verfassung angreife und demagogisch bekämpfe. Sie wolle in der Bevölkerung für eine der freiheitlichen Demokratie feindselige Haltung sorgen. In ihren Publikationen überschreite sie die Grenze zwischen politischer Kritik und feindseliger Agitation. Die pauschalen und diffamierenden Angriffe auf den demokratischen Staat und seine Repräsentanten seien Bestandteil einer gezielten Propaganda zur Beseitigung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Auch die Angriffe gegen Ausländer sowie die antisemitischen Äußerungen überschritten das von der Meinungsfreiheit und dem Parteienprivileg abgesteckte Maß.
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Der Senat der Freien und Hansestadt Hamburg beantragt,
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1. festzustellen, daß die Nationale Liste verfassungswidrig ist,
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2. die Antragsgegnerin aufzulösen,
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4. das Vermögen der Antragsgegnerin zugunsten der Freien und Hansestadt Hamburg zu gemeinnützigen Zwecken einzuziehen.
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III. |
Die Antragsgegnerin hält den Antrag für unzulässig. Der Antrag sei nicht geeignet, den angestrebten Zweck zu erfüllen, verstoße gegen Art. 3 Abs. 1 GG und verletze den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz.
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Angestrebter Zweck sei es nur vorgeblich, eine weitere Betätigung der NL als politischer Partei verbieten zu lassen. Tatsächliches Ziel sei der - hier ungeeignete, weil von vornherein zur Erfolglosigkeit verurteilte - Versuch, generell rechtsgerichtete Tendenzen im Bundesland Hamburg zu unterbinden. Der Antrag sei ersichtlich vor dem Hintergrund zunehmender Ausländerfeindlichkeit im vereinigten Deutschland gestellt worden. Diese Entwicklung habe die NL weder verursacht noch werde sie von ihr erkennbar beeinflußt, so daß das Vorgehen der Antragstellerin ein untaugliches Mittel zur Bekämpfung dieses letztlich gesamtgesellschaftlichen Phänomens sei.
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Der Antrag verletze den Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG, da es - abgesehen vom Verbot der KPD - gegen linksextremistische Parteien in der Vergangenheit keine Verfahren nach Art. 21 Abs. 2 GG gegeben habe; ein Vorgehen nur gegen "rechte" Parteien sei deshalb willkürlich.
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Der Zulässigkeit des Antrages stehe der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entgegen. Dieser Grundsatz gebiete es zu berücksichtigen, ob eine Partei, die sich vielleicht tatsächlich aggressiv-kämpferisch gegen den Bestand der freiheitlichen demokratischen Grundordnung richte, diesen überhaupt gefährden könne. Die bisher vom Bundesverfassungsgericht gegen SRP und KPD ausgesprochenen Verbote hätten sich gegen Parteien gerichtet, die über eine beachtliche Organisation, eine beträchtliche Mitgliederzahl und bedeutende finanzielle Mittel verfügten und auch in verschiedenen Parlamenten vertreten gewesen seien. Es habe sich um ernst zu nehmende Gruppierungen gehandelt, die vielleicht nicht zum Zeitpunkt der damaligen Verbotsanträge, wohl jedoch in absehbarer Zeit bestimmend auf die Geschicke der Bundesrepublik hätten einwirken können. Diese Voraussetzungen seien bei einer lediglich in einem Bundesland organisierten Partei mit rund 30 Mitgliedern ersichtlich nicht gegeben.
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Zu dem Vorwurf der Verfassungswidrigkeit hat die Antragsgegnerin nicht näher Stellung genommen.
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B. |
Die Anträge sind unzulässig.
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I. |
Über die Frage der Verfassungswidrigkeit einer Partei entscheidet das Bundesverfassungsgericht (Art. 21 Abs. 2 Satz 2 GG, §§ 13 Nr. 2, 43 ff. BVerfGG). Das Verbot politischer Vereinigungen, die nicht Parteien sind, ist Sache der vollziehenden Gewalt (Art. 9 Abs. 2 GG, §§ 3 ff. VereinsG). Ein Antrag festzustellen, ob eine Partei verfassungswidrig ist, ist mithin nur zulässig, wenn es sich bei der Antragsgegnerin um eine Partei handelt. Das Bundesverfassungsgericht beschließt im Rahmen eines Vorverfahrens unter anderem darüber, ob der Antrag unzulässig ist (§ 45 BVerfGG).
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II. |
1. Parteien sind Vereinigungen von Bürgern, die dauernd oder für längere Zeit für den Bereich des Bundes oder eines Landes auf die politische Willensbildung Einfluß nehmen und an der Vertretung des Volkes im Deutschen Bundestag oder einem Landtag mitwirken wollen, wenn sie nach dem Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse, insbesondere nach Umfang und Festigkeit ihrer Organisation, nach der Zahl ihrer Mitglieder und nach ihrem Hervortreten in der Öffentlichkeit eine ausreichende Gewähr für die Ernsthaftigkeit dieser Zielsetzung bieten (§ 2 Abs. 1 Satz 1 PartG).
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Das Bundesverfassungsgericht geht in ständiger Rechtsprechung davon aus, daß der Gesetzgeber den Parteienbegriff des Art. 21 Abs. 1 GG durch diese Legaldefinition in verfassungsmäßiger Weise konkretisiert hat (vgl. BVerfGE 89, 266 [269 f.] m.N.). Sie ist danach auch für die im vorliegenden Verfahren zu entscheidende Frage maßgeblich, ob die Antragsgegnerin eine Partei ist. § 2 PartG muß allerdings im Lichte des Art. 21 Abs. 1 GG ausgelegt und angewendet werden (vgl. BVerfGE 89, 266 [270]).
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2. Nach Art. 21 Abs. 1 GG wirken die Parteien bei der politischen Willensbildung des Volkes mit; ihre Gründung ist frei. Der Parteibegriff wird demnach maßgeblich geprägt durch die den Parteien von Verfassungs wegen zukommende Aufgabe der Mitwirkung an der politischen Willensbildung des Volkes, eine Funktion, die - zielend auf die Teilnahme an Parlamentswahlen auf der Ebene des Bundes oder eines Landes - das Wesentliche der Parteien ausmacht und ihre verfassungsrechtliche Sonderstellung gegenüber sonstigen politischen Vereinigungen erklärt (vgl. nur BVerfGE 2, 1 [73]; 20, 56 [100]; 24, 260 [264]; 44, 125 [145 f.]; 52, 63 [82 ff.]; 73, 40 [85]).
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Der Auftrag der Parteien, an der politischen Willensbildung teilzunehmen, weist auf die enge Beziehung hin, in der Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GG zu Art. 20 Abs. 2 GG steht. Danach geht alle Staatsgewalt vom Volke aus und wird von ihm in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt. Wahlen vermögen demokratische Legitimation im Sinne des Art. 20 Abs. 2 GG nur zu verleihen, wenn sie frei sind. Das erfordert nicht nur einen von Zwang und unzulässigem Druck freibleibenden Akt der Stimmabgabe, sondern auch, daß die Wähler ihr Urteil in einem freien, offenen Prozeß der Meinungsbildung gewinnen und fällen können. In der modernen parlamentarischen Demokratie setzt dies die Existenz politischer Parteien voraus (vgl. BVerfGE 44, 125 [145]; 73, 40 [85]), aber auch die Möglichkeit, jederzeit neue Parteien zu gründen, um so neuen politischen Vorstellungen die Chance zu eröffnen, im Prozeß der politischen Willensbildung des Volkes wirksam zu werden.
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3. Ist die Beteiligung an Wahlen somit von Verfassungs wegen wesentliches und unverzichtbares Element des Parteibegriffs (vgl. BVerfGE 24, 260 [264]; 24, 300 [361]) und sind Parteien in diesem Sinne Wahlvorbereitungsorganisationen (vgl. BVerfGE 8, 51 [63]; 20, 56 [113]), so erschöpft sich doch darin, was die Legaldefinition des § 2 Abs. 1 Satz 1 PartG zutreffend zum Ausdruck bringt, ihre Mitwirkung an der politischen Willensbildung nicht. Vielmehr sind die Parteien in der modernen Demokratie auch außerhalb der Wahlen wichtige Träger der ständigen Auseinandersetzung um die Festlegung der politischen Gesamtrichtung, Instrumente, durch die der Bürgerwille zwischen den Wahlen wirksam werden kann. Vornehmlich sind sie berufen, die Bürger freiwillig zu politischen Handlungseinheiten mit dem Ziel der Beteiligung an der Willensbildung in den Staatsorganen organisatorisch zusammenzuschließen und ihnen so Einfluß auf das staatliche Geschehen zu ermöglichen. Den Parteien obliegt es, politische Ziele zu formulieren und diese den Bürgern zu vermitteln sowie daran mitzuwirken, daß die Gesellschaft wie auch den einzelnen Bürger betreffende Probleme erkannt, benannt und angemessenen Lösungen zugeführt werden. Die für den Prozeß der politischen Willensbildung im demokratischen Staat entscheidende Rückkoppelung zwischen Staatsorganen und Volk ist auch Sache der Parteien. Willensbildung des Volkes und Willensbildung in den Staatsorganen vollziehen sich in vielfältiger und tagtäglicher, von den Parteien mitgeformter Wechselwirkung. Politisches Programm und Verhalten der Staatsorgane wirken auf die Willensbildung des Volkes ein und sind selbst Gegenstand seiner Meinungsbildung (vgl. BVerfGE 85, 264 [284 f.] m.N.).
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Um dieser Rolle im Prozeß politischer Willensbildung und staatlicher Entscheidungsfindung gerecht zu werden, müssen die Parteien nach außen tätig werden, im Wettbewerb mit anderen Parteien und sonstigen auf die Bildung der öffentlichen Meinung Einfluß nehmenden Einrichtungen und Verbänden die Bürger von der Richtigkeit ihrer Politik zu überzeugen versuchen. Die Parteien müssen darauf bedacht sein, die im Volk vorhandenen Meinungen, Interessen und Bestrebungen zu sammeln, in sich auszugleichen und zu Alternativen zu formen, unter denen die Bürger auswählen können, um ihren Willen gegenüber den Staatsorganen zur Geltung zu bringen; nur dadurch werden die Parteien ihrer Aufgabe gerecht, dem Volk Möglichkeiten zu bieten, auch zwischen den Wahlen Einfluß auf die Entscheidungen der obersten Staatsorgane zu gewinnen (vgl. BVerfGE 85, 264 [285 f.] m.N.).
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4. a) Die Erfüllung der so umschriebenen Aufgaben einer politischen Partei erfordert einen nicht unerheblichen Aufwand an persönlichen und sachlichen Mitteln, den, da er abhängig ist von ihrer Größe, nicht alle Parteien in gleicher Weise bereitzustellen vermögen. Vor allem aber kann von Parteien, die sich noch im Stadium der Gründung befinden und im Prozeß der politischen Willensbildung erst Fuß zu fassen beginnen, nur eine Wahrnehmung dieser Aufgaben in Ansätzen verlangt werden. Anderenfalls gerieten die Anforderungen an den Begriff der politischen Partei in einen Widerspruch zu der von Art. 20 GG gebotenen Offenheit des demokratischen Prozesses. Deswegen und um künftigen politischen Entwicklungen Raum zu geben und einer Erstarrung des Parteienwesens vorzubeugen, gewährleistet Art. 21 Abs. 1 Satz 2 GG jeder politischen Vereinigung die Chance, bei der politischen Willensbildung als Partei mitzuwirken.
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Aus dieser verfassungsrechtlich verbürgten Freiheit der Parteigründung und aus der Bedeutung der Parteien und des Mehrparteiensystems für die freiheitliche Demokratie folgt unmittelbar der Grundsatz der Chancengleichheit aller Parteien, vor allem im Bereich der Wahlen (st. Rspr; vgl. nur BVerfGE 82, 322 [337] m.N.). Die Entscheidung über die Möglichkeit einer politischen Partei, sich an der Bildung des Staatswillens tatsächlich zu beteiligen, hat das Grundgesetz dem Bürger und seiner in regelmäßigen Abständen neu zu treffenden Wahlentscheidung anvertraut. Dies steht einer Auslegung des Parteibegriffs entgegen, die die Parteieigenschaft auf "erfolgreiche" und vom Wähler in der Vergangenheit bereits "bestätigte" politische Vereinigungen beschränkt.
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b) Andererseits müssen Parteien auch in der Gründungsphase mindestens ansatzweise, mit wachsendem zeitlichen Abstand vom Gründungsdatum zunehmend in der Lage sein, die ihnen nach § 2 Abs. 1 Satz 1 PartG in Übereinstimmung mit dem Grundgesetz zugedachten Aufgaben wirksam zu erfüllen. Allein der Wille "Partei" zu sein, ist nicht ausreichend. Im Blick auf die bei der Zulassung zur Wahl zu stellenden Anforderungen hat der Senat festgestellt, sie sollten gewährleisten, daß sich nur ernsthafte politische Vereinigungen und keine Zufallsbildungen von kurzer Lebensdauer um Wähler bewerben (vgl. BVerfGE 89, 266 [270]). Daraus folgt im vorliegenden Zusammenhang, daß es gewisser objektiver, im Ablauf der Zeit an Gewicht gewinnender Voraussetzungen bedarf, um einer politischen Vereinigung den Status einer Partei zuerkennen zu können.
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c) Bei der näheren Bestimmung des in § 2 Abs. 1 Satz 1 PartG definierten Begriffs der politischen Partei ist demnach zu berücksichtigen, daß mit der Gründung einer politischen Partei eine ständige Mitwirkung an der politischen Willensbildung des Volkes ernstlich beabsichtigt ist. Während es in der Phase des Beginns mehr auf den sich in der Gründung als Partei artikulierenden Willen zur Mitwirkung an der politischen Willensbildung ankommt, muß sich mit fortschreitender Dauer des Bestehens der politischen Vereinigung, die Ernsthaftigkeit ihrer politischen Zielsetzung vor allem auch anhand objektiver Kriterien bestätigen, die ihre Fähigkeit zur Erfüllung der Aufgaben einer Partei erkennen lassen.
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Folgerichtig bestimmt deshalb § 2 Abs. 1 Satz 1 PartG, daß der Wille einer politischen Vereinigung zur Einflußnahme auf die politische Willensbildung und zur Mitwirkung an der Vertretung des Volkes in den Parlamenten allein nicht genügt. Vielmehr müssen hinter dem verbalen Anspruch einer als Partei gegründeten und sich entwickelnden Vereinigung, an der politischen Willensbildung des Volkes mitwirken zu wollen, gewisse Wirklichkeiten stehen, die es erlauben, sie als Ausdruck eines ernsthaften, in nicht zu geringem Umfang im Volke vorhandenen politischen Willens anzusehen (vgl. BVerfGE 3, 19 [27]). Die Parteieigenschaft ist daher auch nach äußeren Merkmalen zu beurteilen: die politische Vereinigung muß - wie es § 2 Abs. 1 Satz 1 PartG umschreibt - nach dem Gesamtbild ihrer tatsächlichen Verhältnisse, insbesondere nach Umfang und Festigkeit ihrer Organisation, nach der Zahl ihrer Mitglieder und nach ihrem Hervortreten in der Öffentlichkeit, eine ausreichende Gewähr für die Ernsthaftigkeit ihrer Zielsetzung bieten (vgl. auch BVerfGE 47, 198 [222]; 89, 291 [306]).
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5. a) Die objektiven Merkmale der sogenannten Ernstlichkeitsklausel des § 2 Abs. 1 Satz 1 PartG sind nach alledem im Blick auf die den Parteien in dieser Vorschrift - in Übereinstimmung mit Art. 21 Abs. 1 GG - zugewiesenen Aufgaben auszulegen.
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Wegen der den Parteien um der Offenheit des politischen Prozesses willen verfassungsrechtlich verbürgten Gründungsfreiheit ist bei politischen Vereinigungen, die am Beginn ihres Wirkens als Parteien stehen, zu berücksichtigen, daß der Aufbau einer Organisation, die sie zur Wahrnehmung ihrer Funktionen befähigt, eine gewisse Zeit erfordert. Entscheidend ist das "Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse". Die in § 2 Abs. 1 Satz 1 PartG angesprochenen, nicht trennscharf voneinander abzugrenzenden objektiven Merkmale - deren Aufzählung nicht erschöpfend ist (vgl. BVerfGE 89, 266 [270]), denen regelmäßig aber ein großes Gewicht zukommt (vgl. BVerfGE 89, 291 [306]) - sind Indizien für die Ernsthaftigkeit der politischen Zielsetzung. Keines ist für sich genommen ausschlaggebend, und nicht alle müssen von der Partei stets im gleichen Umfang erfüllt werden. Vielmehr bleibt es der Partei grundsätzlich überlassen, wie sie die Ernsthaftigkeit ihrer Zielsetzung unter Beweis stellt. Ihr ist es unbenommen, in ihrer politischen Arbeit Schwerpunkte zu setzen, sei es etwa im Bereich der Mitgliederwerbung und -aktivierung, der Öffentlichkeitsarbeit zwischen den Wahlen oder der Wahlteilnahme. Zurückhaltung in einem Bereich kann durch verstärkte Bemühungen auf anderen Gebieten in gewissen Grenzen ausgeglichen werden.
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Insgesamt kommt es darauf an, ob die Gesamtwürdigung der tatsächlichen Verhältnisse einer Partei - unter Einschluß der Dauer ihres Bestehens - den Schluß zuläßt, daß sie ihre erklärte Absicht, an der politischen Willensbildung des Volkes mitzuwirken, ernsthaft verfolgt. Daraus ergibt sich, daß Vereinigungen, die nach ihrem Organisationsgrad und ihren Aktivitäten offensichtlich nicht imstande sind, auf die politische Willensbildung des Volkes Einfluß zu nehmen, bei denen die Verfolgung dieser Zielsetzung erkennbar unrealistisch und aussichtslos ist und damit nicht (mehr) als ernsthaft eingestuft werden kann, nicht als Parteien anzusehen sind.
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b) Dem kann nicht etwa mit dem Hinweis auf § 2 Abs. 2 PartG begegnet werden. Die Vorschrift, nach der eine Vereinigung ihre Rechtsstellung als Partei verliert, wenn sie sechs Jahre lang weder an einer Bundestagswahl noch an einer Landtagswahl mit eigenen Wahlvorschlägen teilgenommen hat, besagt nicht, daß für die Eigenschaft einer Vereinigung als Partei allein die Teilnahme an Parlamentswahlen maßgeblich ist. Auch eine lückenhafte Teilnahme an Wahlen, bei der die Unterbrechung der Wahlteilnahme weniger als sechs Jahre beträgt, kann durchaus im Zusammenhang mit anderen Momenten die Ernsthaftigkeit der Zielsetzung als Partei in Frage stellen, etwa mit einer dauerhaft schwachen Organisation, mit deren Zerfall, der Unfähigkeit zur Verbreiterung der auf niedrigem Niveau verharrenden Mitgliederbasis, existenzgefährdendem Mitgliederschwund oder auch einem beständigen Fehlen finanzieller Mittel, das wirksames politisches Handeln ausschließt (vgl. BVerfGE 89, 266 [271]). Gleiches gilt, wenn aus solchen Momenten erkennbar wird, daß eine Wahlteilnahme nur zum Zwecke der bloßen Behauptung der Parteieigenschaft unternommen wird. Ebensowenig schließen § 2 Abs. 2 PartG und der Grundsatz, daß die Parteieigenschaft nicht auf "erfolgreiche" und vom Wähler in der Vergangenheit bereits "bestätigte" politische Vereinigungen beschränkt ist, es aus, einen anhaltend fehlenden Wahlerfolg im Rahmen der Gesamtwürdigung der tatsächlichen Verhältnisse als ein Moment mitzuberücksichtigen (vgl. BVerfG a.a.O., S. 272); das gilt jedenfalls dann, wenn sich die Abstimmungserfolge prozentual im Bagatellbereich bewegen und der Mißerfolg in Wahlen nur ein Spiegelbild der allgemein desolaten Situation der politischen Vereinigung darstellt.
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III. |
Gemessen an diesem Maßstab ist die Antragsgegnerin keine Partei.
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Zwar handelt es sich bei der NL um eine Vereinigung von Bürgern, die - nach ihrer Satzung und ihrem Programm - für längere Zeit auf die politische Willensbildung Einfluß nehmen und an der Vertretung des Volkes in den parlamentarischen Körperschaften Hamburgs mitwirken will. Jedoch bietet die NL nach dem Gesamtbild ihrer tatsächlichen Verhältnisse, wie es sich nach dem Vortrag der Verfahrensbeteiligten und dem vorliegenden Tatsachenmaterial darstellt, insbesondere nach Umfang und Festigkeit ihrer Organisation, nach der Zahl ihrer Mitglieder und nach ihrem Hervortreten in der Öffentlichkeit keine ausreichende Gewähr für die Ernsthaftigkeit dieser Zielsetzung.
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1. Die NL hat sich in der Zeit ihres Bestehens seit 13. März 1989 in organisatorischer Hinsicht nicht über den bereits zur Zeit ihrer Gründung erreichten Stand hinaus entwickelt. Es existiert zwar ein Vorstand, und es finden in unregelmäßigen Abständen in Form von Mitgliederversammlungen Parteitage statt. Ein irgendwie gearteter Ausbau der Organisation ist in den zurückliegenden Jahren jedoch nicht erfolgt; Untergliederungen in den Ortsteilen und Bezirken der Freien und Hansestadt Hamburg sind nicht gegründet worden. Eine organisierte Parteiarbeit in den einzelnen Stadtteilen findet nicht statt. Folgerichtig hat die NL sich bisher in Hamburg nur an den Bürgerschaftswahlen, nicht jedoch an den zeitgleich stattfindenden Wahlen zu den Bezirksversammlungen mit Kandidaten beteiligt.
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Das vereinsinterne Leben beschränkt sich im wesentlichen auf die in den Privatwohnungen zweier Vorstandsmitglieder abgehaltenen Mitgliederversammlungen, an denen - ausweislich der von der Antragsgegnerin beim Bundeswahlleiter nach § 6 Abs. 3 PartG eingereichten Unterlagen - nur wenige Personen (9 bis 16 Mitglieder) teilgenommen haben. Der Personenkreis, der in der Vergangenheit innerhalb der Vereinigung einzelne Aufgaben übernommen hat (Vorstand, Kassenwart, Schiedsgericht, Protokollführer und Versammlungsleiter bei Parteitagen, Kandidaturen für Wahlen, Schriftleitung der Zeitung "Index"), ist auf wenige (etwa 10) Mitglieder beschränkt, wobei die wesentlichen Funktionen von zwei Vorstandsmitgliedern ausgeübt wurden und werden. Über eine eingerichtete Geschäftsstelle verfügt die NL nicht. Der Schriftverkehr läuft über ein Postfach und die Privatanschriften der bereits erwähnten zwei Vorstandsmitglieder. Personal beschäftigt die Vereinigung nicht.
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2. Die Mitgliederzahl der NL ist unbedeutend. Die Anzahl reicht kaum aus, um die verschiedenen Ämter zu besetzen. Eine Partei besteht jedoch nicht nur aus Gründern und Funktionären; sie muß - jedenfalls in einem gewissen Umfang und bei längerem Bestehen - auch ein "Parteivolk" haben, das bei der NL fehlt. Es ist nicht ersichtlich, wie sie mit ihrer geringen Zahl, sei es auch nur auf Landesebene, auf die politische Willensbildung des Volkes Einfluß nehmen und einen Wahlkampf mit dem Ziel parlamentarischer Vertretung führen will.
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3. In der Öffentlichkeit tritt die NL kaum in Erscheinung. In der Antragsschrift wird insoweit im wesentlichen auf die Tätigkeit zweier Vorstandsmitglieder als Referenten bei anderen rechtsradikalen Gruppierungen und auf die Mitwirkung der NL an der Vorbereitung und Durchführung der von verschiedenen rechtsextremistischen Organisationen getragenen jährlichen Gedenkmärsche für Rudolf Heß hingewiesen. Ständige Aktivitäten entwickelt die NL nur im Zusammenhang mit der Herausgabe ihrer Publikation "Index". Eine größere Wirksamkeit in der Öffentlichkeit kommt dieser Zeitschrift, die bei einem Umfang von wenigen Seiten etwa achtmal im Jahr erscheint, schon aufgrund der geringen Auflage, die in der Antragsschrift mit 800 bis 1.000 angegeben wird, und der Art der Verteilung - Versendung an Mitglieder und bundesweit an Interessenten aus dem "nationalen Lager" - nicht zu. Weder den Äußerungen der Verfahrensbeteiligten noch dem Inhalt der laufenden Ausgaben der Zeitschrift lassen sich dauernde - über gelegentliche Aktionen hinausgehende - politische Betätigungen der NL vor allem auch in der Freien und Hansestadt Hamburg, wo sie sich nach ihrer Satzung um eine parlamentarische Vertretung bemüht, entnehmen. Im öffentlichen Leben Hamburgs ist die NL danach so gut wie nicht präsent.
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4. Wie die Ergebnisse der Bürgerschaftswahlen in den Jahren 1991 und 1993 zeigen, verfügt die NL über keinerlei Widerhall in der Bevölkerung. Die Zahl der auf sie entfallenden Stimmen liegt im Bereich absoluter Bedeutungslosigkeit. Es kann daher ersichtlich nicht davon gesprochen werden, daß hinter den verbalen Zielsetzungen dieser Vereinigung Wirklichkeiten stehen, die es erlauben, sie als Ausdruck eines ernsthaften, in nicht zu geringem Umfang im Volk vorhandenen politischen Willens anzusehen. Die Mißerfolge bei den bisherigen Wahlen sind nicht damit zu erklären, daß die NL erst seit März 1989 existiert. Vielmehr spiegeln sie nur die allgemeine, keinerlei Erfolg versprechende Situation der Antragsgegnerin wider und verstärken diese für die Zukunft. Sie hat sich angesichts ihrer schlechten Wahlergebnisse auch nicht bemüht, stärker als bisher zwischen den Wahlterminen politisch präsent zu sein; dazu reichen kurzfristige und nur gelegentliche Aktivitäten vor allem im unmittelbaren Vorfeld der jeweiligen Bürgerschaftswahlen ersichtlich nicht aus. All dies zeigt, daß die NL lediglich aus taktischen Gründen an Wahlen teilnimmt, jedoch nicht ernsthaft die von § 2 Abs. 1 PartG verlangte Zielsetzung verfolgt.
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5. Nach dem Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse bietet die Antragsgegnerin für die Ernsthaftigkeit des in ihrer Satzung und ihrem Programm geäußerten Willens zur Einflußnahme auf die politische Willensbildung und zur Mitwirkung an der parlamentarischen Vertretung des deutschen Volkes in der Freien und Hansestadt Hamburg keine ausreichende Gewähr. Die bekundete Zielsetzung findet keinerlei Entsprechung in der Wirklichkeit. Auch bei Beachtung des Umstandes, daß die NL sich in ihrer Satzung als Landespartei bezeichnet, läßt das fast sechs Jahre nach der Gründung vorhandene Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse nicht den Schluß zu, die Antragsgegnerin sei eine Partei im Sinne von Art. 21 GG, § 2 Abs. 1 PartG. Das besondere, wegen der herausgehobenen verfassungsrechtlichen Stellung der politischen Parteien beim Bundesverfassungsgericht monopolisierte, vom allgemeinen Vereinsrecht abweichende Verbotsverfahren findet deshalb auf sie keine Anwendung.
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Limbach, Böckenförde, Klein, Graßhof, Kruis, Kirchhof, Winter, Sommer |