BVerfGE 93, 362 - Postulationsfähigkeit |
Zur Regelung der Postulationsfähigkeit in Anwaltsprozessen vor Land- und Amtsgerichten der neuen Bundesländer. |
Beschluß |
des Ersten Senats vom 5. Dezember 1995 |
-- 1 BvR 2011/94 -- |
in dem Verfahren über die Verfassungsbeschwerde des Rechtsanwalts Dr. M... - Bevollmächtigte: Rechtsanwälte Dr. Hartmut Hiddemann und Partner, Günterstalstraße 31, Freiburg - gegen § 78 Abs. 1 und 2 ZPO in der Fassung des Gesetzes vom 20. Februar 1986 (BGBl. I S. 301) in Verbindung mit Art. 22 Abs. 2 des Gesetzes zur Neuordnung des Berufsrechts der Rechtsanwälte und der Patentanwälte vom 2. September 1994 (BGBl. I S. 2278). |
Entscheidungsformel: |
1. § 78 Absatz 1 und 2 der Zivilprozeßordnung in der Fassung des Gesetzes vom 20. Februar 1986 (Bundesgesetzblatt I S. 301) ist mit Artikel 12 Absatz 1 des Grundgesetzes unvereinbar und nichtig, soweit er die Vertretungsbefugnis von Rechtsanwälten, die bei einem Land- oder Amtsgericht der Länder Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen zugelassen sind, in Anwaltsprozessen vor den dortigen Land- und Amtsgerichten regelt. |
2. Bis zum Inkrafttreten einer neuen gesetzlichen Regelung, längstens bis zum 31. Dezember 2004, kann sich eine Partei oder ein am Verfahren beteiligter Dritter in Anwaltsprozessen vor einem Land- oder Amtsgericht der Länder Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen von jedem Rechtsanwalt vertreten lassen, der bei einem Amts- oder Landgericht eines dieser Länder zugelassen ist. |
3. Die Bundesrepublik Deutschland hat dem Beschwerdeführer die notwendigen Auslagen des Verfassungsbeschwerdeverfahrens zu erstatten. |
Gründe: |
A. |
Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Postulationsfähigkeit von Rechtsanwälten in den Ländern Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen- Anhalt und Thüringen. Sie richtet sich gegen die Erstreckung von § 78 Abs. 1 und 2 der Zivilprozeßordnung in der Fassung des Gesetzes vom 20. Februar 1986 (BGBl. I S. 301) - im folgenden: ZPO a.F. - auf die fünf neuen Bundesländer für den Zeitraum vom 1. Januar 1995 bis zum 31. Dezember 2004, soweit diese Vorschriften die Postulationsfähigkeit von Rechtsanwälten in Anwaltsprozessen vor Land- und Amtsgerichten - Familiengerichten - von ihrer Zulassung beim Prozeßgericht oder - in Familiensachen - beim übergeordneten Landgericht abhängig machen.
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I. |
1. Gemäß § 78 Abs. 1 ZPO a.F. müssen sich die Parteien in Zivilprozessen vor den Landgerichten und vor allen Gerichten den höheren Rechtszugs durch einen bei dem Prozeßgericht zugelassenen Rechtsanwalt als Bevollmächtigten vertreten lassen. § 78 Abs. 2 ZPO a.F. erstreckt diese Regelung auf die dort bezeichneten Familiensachen vor den Amtsgerichten - Familiengerichten -, wobei vor dem Familiengericht auch ein bei dem übergeordneten Landgericht zugelassener Rechtsanwalt zur Vertretung berechtigt ist. Die Absätze 1 und 2 enthalten zwei selbständige Regelungen: Zum einen wird vorgeschrieben, daß in Zivilprozessen vor diesen Gerichten nur Rechtsanwälte zur wirksamen Vornahme von Prozeßhandlungen befähigt sind; zum anderen wird diese Befähigung auf solche Rechtsanwälte beschränkt, die beim Prozeßgericht oder beim übergeordneten Landgericht zugelassen sind. Die Regelung verknüpft die Postulationsfähigkeit von Rechtsanwälten in Anwaltsprozessen mit der berufsrechtlichen Lokalisierung gemäß § 18 der Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO), wonach jeder Rechtsanwalt bei einem bestimmten Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit zugelassen sein muß.
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2. Durch den Einigungsvertrag (EV) wurde diese Rechtslage nur auf die östlichen Bezirke Berlins, nicht aber auf die fünf neuen Bundesländer erstreckt. Dort galt zunächst das Recht der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) fort.
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a) Das Recht der DDR kannte weder den Anwaltsprozeß noch eine Lokalisierung der Anwälte. Jeder Anwalt war vor jedem Gericht der DDR postulationsfähig (§ 4 des Gesetzes über die Kollegien der Rechtsanwälte der DDR vom 17. Dezember 1980 [GBl. I S. 1]). Dies wurde nach der Wende beibehalten (§ 4 Abs. 2 der Verordnung über die Tätigkeit und die Zulassung von Rechtsanwälten mit eigener Praxis vom 22. Februar 1990 [GBl. I S. 147]). Auch das kurz vor dem Beitritt erlassene Rechtsanwaltsgesetz vom 13. September 1990 (GBl. I S. 1504; im folgenden: RAG) sah keine Lokalisierung der Rechtsanwaltszulassung vor. Die Rechtsanwälte wurden durch die Landesjustizverwaltung allgemein zugelassen (§§ 4 ff. RAG).
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b) Der Einigungsvertrag ordnete für die fünf neuen Bundesländer die Fortgeltung des Rechtsanwaltsgesetzes anstelle der Bundesrechtsanwaltsordnung an (Anlage I Kapitel III Sachgebiet A Abschnitt I Nr. 7; Anlage II Kapitel III Sachgebiet A Abschnitt III Nr. 1). Da in den neuen Bundesländern die Gerichtsstruktur des Gerichtsverfassungsgesetzes nicht vorhanden war, sah der Einigungsvertrag die vorläufige Ausübung der ordentlichen streitigen Gerichtsbarkeit durch die Kreisgerichte anstelle der Amtsgerichte und der Landgerichte im ersten Rechtszug und durch die Bezirksgerichte anstelle der Landgerichte im zweiten Rechtszug und der Oberlandesgerichte vor (Anlage I Kapitel III Sachgebiet A Abschnitt III Nr. 1 Buchst. a, b, e Abs. 1, h Abs. 1). Die sogenannte ZPO-Maßgabe des Einigungsvertrages führte den Anwaltszwang vor den Bezirksgerichten ein (Anlage I Kapitel III Sachgebiet A Abschnitt III Nr. 5 Buchst. b). Weiterhin wurden aber die Rechtsanwälte in den neuen Bundesländern ohne Lokalisierung bei einem bestimmten Gericht zugelassen. Postulationsfähig war jeder Rechtsanwalt, der dort seine Kanzlei unterhielt.
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c) Mit dem Rechtspflege-Anpassungsgesetz - RpflAnpG - vom 26. Juni 1992 (BGBl. I S. 1147) wurde das Rechtsanwaltsgesetz der DDR weitgehend an die Bundesrechtsanwaltsordnung angepaßt und die berufsrechtliche Lokalisierung entsprechend § 18 Abs. 1 BRAO eingeführt (§ 21 RAG i.d.F. des § 23 Nr. 2 RpflAnpG). Die auf den Gerichtsaufbau der DDR zugeschnittene ZPO-Maßgabe des Einigungsvertrages trat in den neuen Bundesländern jeweils außer Kraft, sobald dort die im Gerichtsverfassungsgesetz vorgesehenen Gerichte der ordentlichen Gerichtsbarkeit eingerichtet worden waren (§§ 14, 17 Nr. 1 Buchst. d RpflAnpG). Insoweit galt dann ohne weiteren Rechtsakt § 78 Abs. 1 und 2 ZPO a.F. Indessen blieb nach der Übergangsvorschrift des § 22 RpflAnpG in Anwaltsprozessen vor Land- und Familiengerichten der neuen Bundesländer bis zum 31. Dezember 1994 jeder nach dem Rechtsanwaltsgesetz zugelassene und registrierte Rechtsanwalt postulationsfähig. Danach konnte jeder dort zugelassene Rechtsanwalt weiterhin vor jedem Land- und Amtsgericht der neuen Bundesländer auftreten. Dagegen besaß kein Rechtsanwalt mit Zulassung bei einem Gericht der alten Bundesländer oder Berlins die Postulationsfähigkeit in Anwaltsprozessen vor einem Gericht der neuen Bundesländer. Die Befristung war vorgesehen, weil das Rechtspflege-Anpassungsgesetz der angestrebten Neuordnung des anwaltlichen Berufsrechts für das gesamte Bundesgebiet nicht vorgreifen sollte (vgl. BTDrucks 12/2168, S. 19, 30).
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3. Nach der Berufsrechtsreform durch das Gesetz zur Neuordnung des Berufsrechts der Rechtsanwälte und der Patentanwälte vom 2. September 1994 (BGBl. I S. 2278; im folgenden: BRNOG) blieb der Umfang des Anwaltszwangs unverändert (§ 78 ZPO i.d.F. des Art. 3 Nr. 1 BRNOG). Dagegen wurde die Verknüpfung von Postulationsfähigkeit und berufsrechtlicher Lokalisierung für die Zivilprozesse vor den Land- und Familiengerichten bundesweit aufgegeben. Für diese Streitigkeiten erkennt § 78 Abs. 1 und 2 ZPO n.F. jedem Rechtsanwalt, der bei einem Land- oder Amtsgericht zugelassen ist, die Postulationsfähigkeit zu. Gemäß Art. 22 Abs. 2 BRNOG tritt die Neuregelung in den alten Bundesländern und in Berlin am 1. Januar 2000, in den neuen Bundesländern jedoch erst am 1. Januar 2005 in Kraft. Demnach gilt die beschränkte Postulationsfähigkeit in Zivilprozessen vor Land- und Familiengerichten der alten Bundesländer noch für eine Übergangszeit von fünf Jahren, während in den neuen Bundesländern infolge der Befristung der Übergangsregelung in § 22 RpflAnpG ab 1. Januar 1995 die beschränkte Postulationsfähigkeit für die Dauer von 10 Jahren neu eingeführt worden ist.
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Die vom Bundestag zunächst beschlossene Fassung des Gesetzes zur Neuordnung des Berufsrechts der Rechtsanwälte und der Patentanwälte sah ein sofortiges Inkrafttreten von § 78 ZPO n.F. im gesamten Bundesgebiet vor. Unter diesen Umständen wäre die Rechtslage in den neuen Bundesländern beibehalten und auf die alten Länder erstreckt worden (vgl. BTDrucks 12/4993). Der Bundesrat befürwortete demgegenüber die Beibehaltung des Rechtszustands der alten Bundesländer und dessen Erstreckung auf die neuen Länder (vgl. BTDrucks 12/7868).
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Als Kompromiß zwischen den widerstreitenden Positionen wurde die hier angegriffene Übergangsregelung geschaffen, die auf einen Vorschlag des Vermittlungsausschusses zurückgeht. Diesem lag erkennbar die Auffassung zugrunde, daß man der Rechtsanwaltschaft in den neuen Bundesländern mehr Zeit lassen müsse, sich auf die neue Situation und den verschärften Wettbewerb einzustellen.
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II. |
Der Beschwerdeführer ist Rechtsanwalt mit Kanzleisitz in Aschersleben im Bezirk des Landgerichts Magdeburg, bei dem er zugelassen ist. Er trägt vor, ein Teil seiner Klienten komme aus den benachbarten Bezirken der - jeweils etwa 50 km entfernten - Landgerichte Halle und Dessau. Erlange die beschränkte Postulationsfähigkeit gemäß § 78 Abs. 1 und 2 ZPO a.F. auch in den neuen Bundesländern Geltung, verlöre er die Mandate aus den angrenzenden Bezirken. Die damit verbundenen finanziellen Einbußen seien gravierend. Der in der Anordnung der beschränkten Postulationsfähigkeit liegende Eingriff in die Freiheit der Berufsausübung sei weder geeignet noch erforderlich, um die damit verfolgten Ziele zu erreichen. Dies werde auch dadurch verdeutlicht, daß die Regelung für allgemeine Zivilprozesse vor den Amtsgerichten und für die Verfahren vor den Fachgerichten nicht gelte, ohne daß dadurch Nachteile entstünden. Sachliche Gründe für die Erstreckung von § 78 Abs. 1 und 2 ZPO a.F. auf die neuen Bundesländer seien nicht erkennbar. Noch weniger sei zu begründen, warum die Regelung dort fünf Jahre länger als in den alten Ländern gelten solle.
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III. |
Im Wege der einstweiligen Anordnung hat das Bundesverfassungsgericht mit Beschlüssen vom 7. Dezember 1994 sowie vom 31. Mai und 21. November 1995 die Anwendung von § 78 Abs. 1 und 2 ZPO a.F. einstweilen ausgesetzt und § 22 RpflAnpG insoweit für weiterhin entsprechend anwendbar erklärt (BVerfGE 91, 328). Danach besitzen gegenwärtig alle Rechtsanwälte mit Kanzleisitz in einem neuen Bundesland noch die Postulationsfähigkeit für Anwaltsprozesse vor den dortigen Land- und Familiengerichten.
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IV. |
Zur Verfassungsbeschwerde haben die Landesregierungen von Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern, die Bundesrechtsanwaltskammer, die Hanseatische Rechtsanwaltskammer Hamburg und der Deutsche Anwaltverein e.V. Stellung genommen.
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1. Das Ministerium der Justiz und für Bundes- und Europaangelegenheiten des Landes Brandenburg hat namens der Landesregierung die Auffassung vertreten, die Erstreckung des § 78 Abs. 1 und 2 ZPO a.F. auf die neuen Bundesländer sei mit Art. 12 Abs. 1 GG vereinbar. Der Eingriff in die Berufsausübungsfreiheit der betroffenen Rechtsanwälte werde durch die damit verfolgte Zielsetzung gedeckt, ein flächendeckendes anwaltliches Dienstleistungsangebot aufzubauen und sicherzustellen. Diese Erwägung sei bislang stets herangezogen worden, um die horizontale Beschränkung der Postulationsfähigkeit verfassungsrechtlich zu rechtfertigen. In abgelegenen Regionen mit schwacher Wirtschaftsstruktur liege die Anwaltsdichte in den neuen Bundesländern ganz erheblich unter der durchschnittlichen Anwaltsdichte der alten Bundesländer. Um die Existenzgrundlage der Rechtsanwaltschaft in den neuen Bundesländern zu gewährleisten und die erforderliche Niederlassung weiterer Rechtsanwälte zu fördern, sei bis auf weiteres ein Schutz vor der Konkurrenz expansiver westdeutscher Sozietäten erforderlich. Dieses Ziel könne durch die Regelung des § 78 Abs. 1 und 2 ZPO a.F. erreicht werden.
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2. Die Bundesrechtsanwaltskammer hält die Verfassungsbeschwerde für zulässig und begründet. Die Erstreckung der beschränkten Postulationsfähigkeit gemäß § 78 Abs. 1 und 2 ZPO a.F. auf die neuen Bundesländer für die Dauer von 10 Jahren beeinträchtige die dort niedergelassenen Rechtsanwälte nachhaltig in ihrer Freiheit der Berufsausübung. Sie führe dazu, daß sich diese Rechtsanwälte innerhalb von 10 Jahren mehrfach auf neue Rahmenbedingungen für ihre Berufstätigkeit einstellen müßten. Bei der Beurteilung des Gewichts des Eingriffs sei zum einen zu berücksichtigen, daß sich viele Kanzleien in den neuen Ländern noch in der Aufbauphase befänden. Zum anderen dürfe nicht außer acht gelassen werden, daß diejenigen Rechtsanwälte, die bereits zur Zeit der DDR anwaltlich tätig gewesen seien, sich nach der Wende in einer völlig anderen Rechtsordnung hätten zurechtfinden müssen. Die Gemeinwohlerwägungen, die traditionell als verfassungsrechtlich ausreichende Rechtfertigung der horizontalen Lokalisierung angesehen worden seien, könnten nicht mehr herangezogen werden, nachdem sich der Bundesgesetzgeber entschieden habe, diese Beschränkung abzuschaffen.
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Auch die Hanseatische Rechtsanwaltskammer Hamburg hält die Verfassungsbeschwerde für zulässig und begründet. Die Beschränkung der Postulationsfähigkeit durch § 78 Abs. 1 und 2 ZPO a.F. verstoße generell gegen Art. 12 Abs. 1 GG. Die hierfür angeführten Erwägungen seien nicht mehr tragfähig.
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3. Der Deutsche Anwaltverein hält die Verfassungsbeschwerde ebenfalls für zulässig und begründet. Im Falle der Einführung des § 78 Abs. 1 und 2 ZPO a.F. würde den in den neuen Bundesländern zugelassenen Rechtsanwälten eine mehrfache Umstellung abverlangt. Insbesondere für die unterschiedliche Dauer des Übergangszeitraums in den alten und neuen Bundesländern gebe es keine vernünftigen Gründe. Würde daran festgehalten, so erführe der Markt für anwaltliche Dienstleistungen ab 1. Januar 2000 in den alten Bundesländern einen grundlegenden Strukturwandel, an dem die Rechtsanwälte in den neuen Bundesländern nicht teilhaben könnten. Dadurch erhielten die Rechtsanwälte in den alten Bundesländern einen Wettbewerbsvorsprung, den sie ab 1. Januar 2005 durch Ausweitung ihrer Tätigkeit auf die neuen Bundesländer ausnutzen könnten.
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B. |
Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig (BVerfGE 91, 328 [332 f.]) und begründet. Die Erstreckung des in den alten Bundesländern auslaufenden Rechts auf die neuen Bundesländer für die Dauer von 10 Jahren ist mit dem Grundgesetz nicht vereinbar und nichtig. Der Beschwerdeführer wird durch die Beschränkung seiner Postulationsfähigkeit gemäß § 78 Abs. 1 und 2 ZPO a.F. in seinem Grundrecht aus Art. 12 Abs. 1 GG verletzt.
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I. |
Durch die Einführung von § 78 Abs. 1 und 2 ZPO a.F. wird dem Beschwerdeführer ein Teil der beruflichen Betätigung verschlossen, der ihm nach bisherigem Recht eröffnet war. Er wird - wie alle in den neuen Bundesländern niedergelassenen Rechtsanwälte - gehindert, weiterhin Mandanten in Zivilprozessen zu vertreten, die dort an anderen Landgerichten als demjenigen, bei dem er zugelassen ist, und an anderen Familiengerichten als den im Bezirk dieses Landgerichts belegenen geführt werden.
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Gesetzliche Regelungen der Berufsausübung sind nach ständiger Rechtsprechung zulässig, wenn sie durch hinreichende Gründe des gemeinen Wohls gerechtfertigt werden, wenn das gewählte Mittel zur Erreichung den verfolgten Zwecks geeignet und auch erforderlich ist und wenn bei einer Gesamtabwägung zwischen der Schwere des Eingriffs und dem Gewicht der ihn rechtfertigenden Gründe die Grenze der Zumutbarkeit noch gewahrt ist (BVerfGE 71, 183 [196 f.]). Diesen Anforderungen genügt die angegriffene Regelung nicht.
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1. Herkömmlich ist die an der horizontalen Lokalisierung anknüpfende Einschränkung der Postulationsfähigkeit auf ein Bündel von Gemeinwohlerwägungen gestützt worden: Gewährleistung der regionalen flächendeckenden Verteilung des anwaltlichen Dienstleistungsangebots, zügige Durchführung von Zivilprozessen, Förderung der vertrauensvollen Zusammenarbeit von Gericht und Anwaltschaft, Verbesserung der anwaltlichen Beratung durch Kenntnis örtlicher Gepflogenheiten. Diese im Gesetzgebungsverfahren vom Bundesrat nochmals aufgegriffenen Belange (BTDrucks 12/7868, S. 2 f.) hat der Gesetzgeber im Zuge der Reform des anwaltlichen Berufsrechts nicht mehr für ausreichend erachtet, um eine Beschränkung der Postulationsfähigkeit zu rechtfertigen. Nach seiner Auffassung kommt die Regelung eher den eingeführten Kanzleien am Sitz der Landgerichte zugute. Auch eine Gefährdung des anwaltlichen Dienstleistungsangebots im ländlichen Raum sei aufgrund der hohen Anwaltsdichte und der verstärkten Bildung überörtlicher Sozietäten, die vom Bundesgerichtshof seit 1989 für zulässig erachtet wird (vgl. BGH, NJW 1989, S. 2890), nicht mehr zu besorgen. Im übrigen ließen sich die guten Erfahrungen aus den Fachgerichtsbarkeiten, die keine Einschränkung der Postulationsfähigkeit kennen, auf die Zivilgerichtsbarkeit übertragen.
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Auch die Einführung der alten Regelung über die beschränkte Postulationsfähigkeit in den neuen Bundesländern für die Dauer von 10 Jahren hat der Gesetzgeber nur noch begrenzt auf die früher verfolgten Gemeinwohlbelange gestützt. Er hat sie vor allem mit den in diesen Ländern bestehenden Besonderheiten gerechtfertigt. Die dortige Anwaltschaft sollte noch nicht dem vollen Wettbewerb mit westdeutschen und Berliner Kanzleien ausgesetzt werden. Dieses Ziel, dem bereits die Übergangsregelung des § 22 RpflAnpG dienen sollte, ist legitim. Allerdings ist Konkurrenzschutz grundsätzlich kein Gemeinwohlbelang, der Einschränkungen der Berufsfreiheit rechtfertigen kann. Hier geht es aber darum, Wettbewerbsnachteile zu kompensieren, die sich aus der besonderen Situation der Rechtsanwälte in den neuen Bundesländern nach dem Beitritt ergaben. Vor allem aber soll der flächenbezogene Konkurrenzschutz einer Verbesserung des anwaltlichen Dienstleistungsangebots dienen. In den neuen Bundesländern gab es zur Zeit des Beitritts nur sehr wenige Rechtsanwälte. Die Mehrzahl der dortigen Kanzleien bestand bei Inkrafttreten der angegriffenen Regelung weniger als fünf Jahre. Die Anwaltsdichte hatte sich westlichen Verhältnissen noch nicht angenähert. Im Interesse einer Verbesserung und Konsolidierung der Rechtsanwaltsdichte konnte der Gesetzgeber daher durch die Beibehaltung günstiger Bedingungen den weiteren Aufbau der Anwaltschaft in den neuen Bundesländern fördern und sie von westdeutscher Konkurrenz freihalten. Diese Gesichtspunkte haben die Länder Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern in ihrer Stellungnahme nochmals ausdrücklich bekräftigt.
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2. Die Regelung ist auch geeignet, dieses Ziel zu erreichen. Sie hindert westdeutsche Anwälte, vor den Gerichten der neuen Bundesländer aufzutreten, und verbessert insofern die beruflichen Rahmenbedingungen der Anwälte in den neuen Ländern.
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Gemessen an dem vom Gesetzgeber verfolgten Gemeinwohlbelang fehlt es jedoch an der Erforderlichkeit des Grundrechtseingriffs, weil das Ziel durch ein anderes, in gleicher Weise wirksames Mittel erreicht werden kann, bei dessen Einsatz das Grundrecht nicht oder weniger beeinträchtigt wird (vgl. BVerfGE 53, 135 [145]; 67, 157 [176 f.]; 68, 193 [218 f.]). Schon der bisherige zweigeteilte Rechtszustand war zur Erreichung des erstrebten Zwecks geeignet. Sein Fortbestand für eine gewisse Übergangszeit erspart als milderes Mittel den Rechtsanwälten in den neuen Bundesländern, die durch die Wende und nach dem Beitritt von vielfältigen Rechtsänderungen betroffen waren, zwei Umstellungen im Zeitraum von 10 Jahren und schützt sie gleichwohl vor westdeutscher Konkurrenz.
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Der Wahl dieses ersichtlich milderen Mittels einer Berufsausübungsbeschränkung zu Lasten der Rechtsanwaltschaft in den alten Bundesländern stehen auch Gründe der Rechtsvereinheitlichung nicht entgegen. Der Gesetzgeber hat deutlich gemacht, daß er dieses Ziel bis in das Jahr 2004 im Interesse des vorrangigen Gemeinwohlbelangs hintansetzt. Die vorübergehende Rechtsvereinheitlichung für die Zeit von 1995 bis Ende 1999 fällt demgegenüber nicht ins Gewicht. Denn insgesamt wird die Rechtsvereinheitlichung weder verbessert noch beschleunigt, wenn nur für einen Zwischenzeitraum einheitliches Recht gilt, als dann aber wieder Rechtsungleichheit zwischen den alten und den neuen Bundesländern eintritt. Die unterschiedliche Rechtslage ab dem Jahr 2000 könnte zudem, worauf der Deutsche Anwaltverein hingewiesen hat, zu neuen Wettbewerbsverzerrungen führen. In den alten Bundesländern wird sich der Markt für anwaltliche Dienstleistungen ab 1. Januar 2000 grundlegend wandeln. An dieser Veränderung könnten die Rechtsanwälte in den neuen Bundesländern zunächst nicht teilhaben. Dadurch erhielten die Rechtsanwälte in den alten Bundesländern einen Wettbewerbsvorsprung, den sie ab 1. Januar 2005 durch Ausweitung ihrer Tätigkeit auf die neuen Bundesländer ausnutzen könnten.
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II. |
Nach alledem verstößt die Erstreckung von § 78 Abs. 1 und 2 ZPO a.F. auf die neuen Länder gegen Art. 12 Abs. 1 GG, soweit darin die Vertretungsbefugnis von Rechtsanwälten in Anwaltsprozessen vor Land- und Amtsgerichten - Familiengerichten - auf das Landgericht ihrer Zulassung und auf die ihm nachgeordneten Familiengerichte beschränkt wird. In diesem Umfang ist die Nichtigkeit der Vorschrift festzustellen.
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Um eine Benachteiligung der Rechtsanwälte in den neuen Bundesländern zu vermeiden, die bei Fortgeltung der beschränkten Postulationsfähigkeit in den alten Bundesländern und unbeschränkter Postulationsfähigkeit in den neuen Bundesländern einträte, und um dem Ziel des Gesetzgebers, das anwaltliche Dienstleistungsangebot in den neuen Bundesländern durch einen begrenzten Konkurrenzschutz zu verbessern, in den Grenzen des verfassungsrechtlich Zulässigen Rechnung zu tragen, erscheint es geboten, gemäß § 35 BVerfGG eine Anordnung mit dem aus dem Urteilstenor unter 2. ersichtlichen Inhalt zu erlassen. Dem Gesetzgeber bleibt es unbenommen, den Zeitpunkt der vollständigen Rechtsvereinheitlichung anders zu bestimmen.
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Seidl, Grimm, Kühling, Seibert, Jaeger, Haas, Hömig, Steiner |