BVerfGE 96, 44 - Durchsuchungsanordnung II |
1. Der Richter darf eine Durchsuchung nur anordnen, wenn er sich aufgrund eigenverantwortlicher Prüfung der Ermittlungen überzeugt hat, daß die Maßnahme verhältnismäßig ist. Seine Anordnung hat die Grundlage der konkreten Maßnahme zu schaffen und muß Rahmen, Grenzen und Ziel der Durchsuchung definieren. |
2. Der Zweck des Richtervorbehalts hat Auswirkungen auch auf den Zeitraum, innerhalb dessen die richterliche Durchsuchungsanordnung vollzogen werden darf. Spätestens nach Ablauf eines halben Jahres verliert ein Durchsuchungsbeschluß seine rechtfertigende Kraft. |
Beschluß |
des Zweiten Senats vom 27. Mai 1997 |
-- 2 BvR 1992/92 -- |
in dem Verfahren über die Verfassungsbeschwerde des Herrn Dr. D... [...] [...]. |
Entscheidungsformel: |
1. Der Beschwerdeführer ist in seinem Grundrecht aus Artikel 13 des Grundgesetzes dadurch verletzt, daß die Staatsanwaltschaft Essen am 26. August 1992 seine Praxisräume durchsucht und das Landgericht Essen mit Beschluß vom 15. Oktober 1992 -- 25 Qs 44/92 -- seine Beschwerde auch insoweit als unzulässig verworfen hat, als sie auf Feststellung der Unzulässigkeit der durchgeführten Durchsuchung gerichtet war. Die Sache wird zur Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens an das Landgericht zurückverwiesen. |
2. Im übrigen wird die Verfassungsbeschwerde verworfen. |
3. Das Land Nordrhein-Westfalen hat dem Beschwerdeführer die notwendigen Auslagen zu erstatten. |
Gründe: |
A. |
Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Gültigkeitsdauer richterlicher Durchsuchungsanordnungen in strafrechtlichen Ermittlungsverfahren.
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I. |
1. Auf eine durch Zeitungsmeldungen veranlaßte Anfrage teilte die Allgemeine Ortskrankenkasse, Landesverband Westfalen-Lippe (im folgenden: AOK), im Januar 1990 der Staatsanwaltschaft Essen mit, eine Auswertung von Quartalsabrechnungen verschiedener Ärzte habe im Falle des Beschwerdeführers zu Ergebnissen geführt, die zwar auffällig seien, aber noch keine Rückschlüsse auf eventuelle Manipulationen oder Betrügereien zuließen.
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Die Staatsanwaltschaft leitete daraufhin gleichwohl ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts des Abrechnungsbetrugs ein. Am 6. Juli 1990 erließ das Amtsgericht antragsgemäß einen Beschluß zur Durchsuchung der Praxisräume des Beschwerdeführers. Aufgrund der Umstände des Falles sei zu vermuten, daß die Durchsuchung zur Auffindung von Beweismitteln, insbesondere Patientenkarteikarten, Abrechnungsunterlagen, Laborbüchern, EKG-Büchern, Terminkalendern und Personalunterlagen, führen werde. Am 25. März 1991 fragte die Staatsanwaltschaft bei der zuständigen Kassenärztlichen Vereinigung an, ob ein Tagesprofil über das Abrechnungsverhalten des Beschwerdeführers erstellt worden sei. Die Kassenärztliche Vereinigung verneinte dies mit einem am 16. April 1991 bei der Staatsanwaltschaft eingegangenen Schreiben. Weitere Ermittlungsmaßnahmen lassen sich den Akten nicht entnehmen. Erst am 26. August 1992 wurde - gestützt auf den richterlichen Beschluß vom 6. Juli 1990 - die Praxis des Beschwerdeführers durchsucht. 100 Patientenkarteikarten sowie ein Aktenordner mit Rundschreiben der Kassenärztlichen Vereinigung wurden beschlagnahmt.
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Mit der Beschwerde beantragte der Beschwerdeführer festzustellen, daß die Durchsuchung unzulässig gewesen sei; auch sei der Staatsanwaltschaft die unverzügliche Herausgabe der beschlagnahmten Gegenstände aufzugeben. Der Durchsuchungsbeschluß sei im Zeitpunkt der Durchsuchung durch Zeitablauf rechtswidrig geworden; seine Vollstreckung mehr als zwei Jahre nach seinem Erlaß sei nicht mehr vom richterlichen Willen zur Durchsuchung getragen. Der Durchsuchungsbeschluß sei auch schon im Zeitpunkt seines Erlasses rechtswidrig gewesen, vor allem weil es bereits an konkreten Tatsachen gefehlt habe, die eine Straftat hätten als zumindest möglich erscheinen lassen. Die Staatsanwaltschaft machte demgegenüber u.a. geltend, eine frühere Vollstreckung des Beschlusses sei wegen der Überlastung der dafür zuständigen Abteilung nicht möglich gewesen.
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Das Landgericht verwarf die Beschwerde mit Beschluß vom 15. Oktober 1992. Bei einer Durchsuchung aufgrund richterlicher Anordnung - wie im vorliegenden Verfahren - sei eine Beschwerde nach Vollzug der Durchsuchung unzulässig; sie sei prozessual überholt.
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In der Folgezeit wurde das Verfahren zum Teil gemäß §§ 154, 154a StPO eingestellt, im übrigen zum erweiterten Schöffengericht angeklagt, welches das Verfahren gemäß § 153 Abs. 2 StPO insgesamt einstellte; die beschlagnahmten Unterlagen wurden herausgegeben.
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2. Mit seiner Verfassungsbeschwerde beantragt der Beschwerdeführer festzustellen, daß die Durchsuchung vom 26. August 1992 und auch der Durchsuchungsbeschluß des Amtsgerichts vom 6. Juli 1990 seine Grundrechte aus Art. 2 Abs. 1, Art. 13 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip verletzten. Der Durchsuchungsbeschluß sei als eine zeitlich unbefristete Blankoermächtigung gehandhabt worden. Damit werde das Grundrecht aus Art. 13 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 2 Abs. 1 GG und mit dem Rechtsstaatsprinzip grundsätzlich verkannt. Eine zeitliche Begrenzung sei zwingend erforderlich gewesen, da der Richter den Grundrechtseingriff auf das Notwendige zu beschränken habe. Nach zwei Jahren Wartezeit sei die Durchsuchung nicht mehr vom richterlichen Willen getragen.
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Die Ablehnung der Kontrolle durch das Landgericht nach Durchführung der Zwangsmaßnahmen versage im Ergebnis den Rechtsschutz, da gegen Durchsuchungen in aller Regel erst im nachhinein vorgegangen werden könne.
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II. |
Zu der Verfassungsbeschwerde haben das Bundesministerium der Justiz für die Bundesregierung, die Niedersächsische Staatskanzlei, der Generalbundesanwalt und der Bundesgerichtshof Stellung genommen.
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1. Das Bundesministerium der Justiz ist der Ansicht, daß mit zunehmendem zeitlichen Abstand zwischen Durchsuchungsanordnung und Durchsuchungshandlung der Zweck des Richtervorbehalts mehr und mehr verfehlt werde.
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2. Die Niedersächsische Staatskanzlei vertritt die Auffassung, auch wenn die Vollstreckung einer Durchsuchungsanordnung nicht grundsätzlich nach Ablauf einer bestimmten Frist unzulässig werde, könne im Hinblick auf das aus dem Rechtsstaatsprinzip folgende Beschleunigungsgebot unter bestimmten Umständen die Durchführung eines vor langer Zeit ergangenen Durchsuchungsbeschlusses trotz unveränderter Sachlage rechtswidrig werden.
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3. Der Generalbundesanwalt führt aus, es sei weithin anerkannt, daß die Vollstreckung eines richterlichen Beschlagnahme- oder Durchsuchungsbeschlusses (§ 36 Abs. 2 Satz 1 StPO) unzulässig werde, wenn sich die Ermittlungslage wesentlich geändert habe. Der Fall des ungewöhnlich langen Zeitraums zwischen der Anordnung einer Durchsuchung und ihrer Vollstreckung könne damit jedoch nur bedingt verglichen werden. Denn in diesem Fall werde die richterliche Entscheidung nach wie vor von derselben Tatsachenbasis getragen. Eine Vermutung spreche aber dafür, daß sich bei langem Zeitablauf zwischen Anordnung und Vollstreckung die tatsächlichen Verhältnisse geändert hätten. Bei Heranziehung dieses Gesichtspunktes seien die Fälle der wesentlichen Änderung der Sachlage und des ungewöhnlich langen Zeitraums zwischen Erlaß und Vollstreckung eines Durchsuchungsbefehls gleich zu behandeln.
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4. Die Vorsitzenden der Strafsenate des Bundesgerichtshofes sind übereinstimmend der Ansicht, der Richtervorbehalt des Art. 13 Abs. 2 GG werde berührt, wenn zwischen dem Erlaß des Durchsuchungsbeschlusses und seiner Vollstreckung ein sehr langer Zeitraum liege. Es sei allerdings schwer, ein genaues Zeitmaß anzugeben.
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Der 5. Strafsenat äußert unter dem Gesichtspunkt der Rechtswegerschöpfung Bedenken gegen die Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde. Das Begehren des Beschwerdeführers sei nämlich so zu verstehen, daß er sich gegen die verspätete Vollstreckung der richterlich angeordneten Durchsuchung durch die Staatsanwaltschaft wende, mithin gegen die Art und Weise der Vollziehung der Durchsuchung. Dafür sei aber nach Erledigung des Vollzugs der Rechtsweg nach §§ 23 ff. EGGVG gegeben, den der Beschwerdeführer nicht beschritten habe.
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B. |
1. Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig, soweit sie sich gegen die von der Staatsanwaltschaft vorgenommene Durchsuchung und die Verwerfung der dagegen erhobenen Beschwerde wendet. Dem Beschwerdeführer war es nicht zuzumuten, gegen die Durchsuchung - nach erfolgloser Durchführung des Beschwerdeverfahrens - noch gemäß § 98 Abs. 2 Satz 2 StPO analog das Amtsgericht oder gemäß §§ 23 ff. EGGVG das Oberlandesgericht anzurufen (§ 90 Abs. 2 Satz 2 BVerfGG).
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Bereits in seiner beim Amtsgericht eingereichten Beschwerdeschrift hat der Beschwerdeführer sich gegen die Durchsuchungsmaßnahme der Staatsanwaltschaft gewandt und in dieser Hinsicht gerügt, der Durchsuchungsbeschluß habe wegen des großen zeitlichen Abstandes keine ausreichende Rechtsgrundlage für diese Maßnahme liefern können. Das Amtsgericht konnte diese Rüge als Antrag verstehen, über die Bestätigung der Durchsuchung in entsprechender Anwendung des § 98 Abs. 2 StPO zu entscheiden. Daß es diese Rüge übergangen hat, darf dem Beschwerdeführer nicht zum Nachteil gereichen. Gleiches gilt für die Beschwerdeentscheidung, mit der sich das Landgericht der in der Nichtabhilfe-Entscheidung zutage getretenen Rechtsauffassung des Amtsgerichts anschloß.
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Von einer abermaligen - isolierten - Anrufung des Amtsgerichts konnte der Beschwerdeführer keinen Erfolg erwarten. Die rechtliche Erwägung, daß ein Durchsuchungsbeschluß durch Zeitablauf seine Gültigkeit verlieren könne, ist in der fachgerichtlichen Rechtsprechung bisher nicht anerkannt (vgl. Landgericht Osnabrück, NStZ 1987, S. 522 m. Anm. Kronisch). Entsprechendes gilt für die Kommentarliteratur (vgl. Kleinknecht/Meyer-Goßner, § 105 StPO Rn. 8; Amelung in: Alternativkommentar, § 105 StPO Rn. 18; G. Schäfer in: Löwe/Rosenberg, § 98 StPO Rn. 21). Die in der steuerstrafrechtlichen Literatur vereinzelt geäußerte Forderung, ein Durchsuchungsbeschluß müsse nach vier bis sechs Wochen unwirksam werden (vgl. Felix/Streck, wistra 1982, S. 161 [165]; Blumers, DB 1982, S. 1642 [1645]; Streck, Die Steuerfahndung, 2. Aufl., 1993, Rn. 300; Weyand, BB 1988, S. 1726 [1729]; Blumers/Göggerle, Handbuch des Verteidigers und Beraters in Steuerstrafsachen, 2. Aufl., 1989, Rn. 664), hat bisher keinen Widerhall gefunden.
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Dem Beschwerdeführer konnte auch nicht zugemutet werden, neben der bereits erhobenen Beschwerde noch einen Antrag an das Oberlandesgericht gemäß §§ 23 ff. EGGVG zu richten. Die Rechtsmittel gegen Durchsuchungsanordnungen und Durchsuchungsmaßnahmen sind nach geltendem Recht in schwer zu durchschauender Weise mehrfach gespalten und werden von den Fachgerichten uneinheitlich gehandhabt (vgl. z.B. Amelung, Rechtsschutz gegen strafprozessuale Grundrechtseingriffe, 1976, S. 13, 39, 62; Fezer, Jura 1982, S. 18 [19]; Roxin, Strafverfahrensrecht, 24. Aufl., § 29 D III; Schnarr, NStZ 1991, S. 209; Sommermeyer, NStZ 1991, S. 257 [258]). Grundsätzlich unterscheidet sich der Rechtsschutz danach, ob die Zwangsmaßnahme richterlich angeordnet war oder nicht. Gegen Anordnungen des Richters ist die Beschwerde zum Landgericht gemäß §§ 304 ff. StPO gegeben. Daß sie auch nach Abschluß der Durchsuchung von Verfassungs wegen zulässig bleibt, hat der Senat in seinem Beschluß vom 30. April 1997 (BVerfGE 96, 27 [27 ff.]) festgestellt.
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Bei einer nicht richterlich angeordneten Durchsuchung, die gemäß Art. 13 Abs. 2 GG lediglich bei Gefahr im Verzug zulässig ist, sieht die Strafprozeßordnung nur im Fall einer Beschlagnahme die Möglichkeit vor, den Richter, nämlich das Amtsgericht, anzurufen (§ 98 Abs. 2 Sätze 2, 3 StPO). Diese Norm ist nach herrschender Meinung für die Fälle der Überprüfung der Rechtmäßigkeit einer nicht richterlich angeordneten Durchsuchung analog anzuwenden. Entgegen der früher herrschenden Auffassung, nach Erledigung der Durchsuchung sei das Oberlandesgericht gemäß §§ 23 ff. EGGVG zuständig (vgl. z.B. Sommermeyer, a.a.O. [260 Fn. 39]; Fezer, a.a.O. [126 f.]), soll nach jetzt herrschender Meinung auch in diesem Fall § 98 Abs. 2 Satz 2 StPO analog angewendet werden (h. M. seit BGHSt 28, 57 [58]; 160 [161]). Für die vom Gesetzgeber 1960 durch § 179 VwGO eingeführte Regelung der §§ 23 ff. EGGVG bleibt somit als Anwendungsbereich nur noch die Art und Weise abgeschlossener Durchsuchungen, während vor deren Erledigung der Ermittlungsrichter analog § 98 Abs. 2 Satz 2 StPO auch für die Prüfung der Rechtmäßigkeit der Modalitäten der Durchsuchung zuständig sein soll (vgl. BGHSt 28, 206 [209]).
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Die Fachgerichte trifft daher eine besondere Verpflichtung, auslegungsfähige Anträge nicht daran scheitern zu lassen, daß die Rechtslage unübersichtlich ist. Eine solche Verpflichtung zu einer möglichst wirksamen gerichtlichen Kontrolle strafprozessualer Eingriffe ergibt sich aus Art. 19 Abs. 4 GG.
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2. Die Verfassungsbeschwerde ist unzulässig, soweit sie sich gegen den Durchsuchungsbeschluß vom 6. Juli 1990 richtet. Von der Durchsuchungsanordnung durfte nach so langer Zeit kein Gebrauch mehr gemacht werden. Mithin besteht kein Rechtsschutzbedürfnis an der Feststellung ihrer Verfassungswidrigkeit zum Zeitpunkt ihres Erlasses.
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C. |
Die Verfassungsbeschwerde ist in dem Umfang, in dem sie zulässig ist, auch begründet.
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I. |
1. Mit der Garantie der Unverletzlichkeit der Wohnung durch Art. 13 Abs. 1 GG erfährt die räumliche Lebenssphäre des Einzelnen einen besonderen grundrechtlichen Schutz. Diesem Schutz unterfallen auch beruflich genutzte Räume wie Arztpraxen (vgl. BVerfGE 32, 54 [69 ff.]; 42, 212 [219]; 44, 353 [371]; 76, 83 [88]). Die Gewährleistung wird dadurch verstärkt, daß Durchsuchungen nach Art. 13 Abs. 2 GG nur durch den Richter, bei Gefahr im Verzuge auch durch die in den Gesetzen vorgesehenen anderen Organe, angeordnet und nur in der dort vorgeschriebenen Form durchgeführt werden dürfen. Solche Maßnahmen enthalten einen erheblichen Eingriff in die grundrechtlich geschützte Lebenssphäre des Betroffenen. Sie bedürfen einer Rechtfertigung nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (vgl. BVerfGE 20, 162 [186 f.]). Die Durchsuchung muß im Blick auf den bei der Anordnung verfolgten gesetzlichen Zweck erfolgversprechend sein. Ferner muß gerade diese Zwangsmaßnahme zur Ermittlung und Verfolgung der Straftat erforderlich sein; dies ist nicht der Fall, wenn andere, weniger einschneidende Mittel zur Verfügung stehen. Schließlich muß der jeweilige Eingriff in angemessenem Verhältnis zu der Schwere der Straftat und der Stärke des Tatverdachts stehen.
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2. Der Richter darf die Durchsuchung nur anordnen, wenn er sich auf Grund eigenverantwortlicher Prüfung der Ermittlungen überzeugt hat, daß die Maßnahme verhältnismäßig ist. Er hat zudem durch geeignete Formulierungen des Durchsuchungsbeschlusses im Rahmen des Möglichen sicherzustellen, daß der Grundrechtseingriff angemessen begrenzt wird sowie meßbar und kontrollierbar bleibt (vgl. BVerfGE 42, 212 [220]). Mithin hat der richterliche Durchsuchungsbeschluß die rechtliche Grundlage der konkreten Maßnahme zu schaffen und muß Rahmen, Grenzen und Ziel der Durchsuchung definieren.
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3. Dieser Zweck des Richtervorbehalts hat Auswirkungen auch auf den Zeitraum, innerhalb dessen die richterliche Durchsuchungsanordnung vollzogen werden darf.
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a) Die vorbeugende richterliche Kontrolle der Durchsuchungen bietet nur dann einen wirksamen Grundrechtsschutz, wenn der Richter die geplante Maßnahme in ihren konkreten, gegenwärtigen Voraussetzungen beurteilt. Soll eine richterliche Anordnung als Rechtsgrundlage für eine erst in großem zeitlichen Abstand durchgeführte Maßnahme dienen, so ist diese Durchsuchung nicht mehr der Entscheidungsgegenstand, für den der Richter die Verantwortung übernimmt. Mit dem Zeitablauf entfernt sich die tatsächliche Entscheidungsgrundlage von dem Entscheidungsinhalt, den der Richter mit seiner Durchsuchungsanordnung verantwortet. Die Zuständigkeit für den weiteren Gang der Ermittlungen und den Vollzug der richterlichen Anordnung liegt zwar bei der Staatsanwaltschaft; sie findet aber in der richterlichen Anordnung ihre Rechtsgrundlage und Grenze (Art. 13 Abs. 2 GG). Zudem kann der lange Zeitraum zwischen Tat und Ahndung zur Verjährung führen oder als Milderungsgrund bei der Strafzumessung bedeutsam werden (vgl. Tröndle, StGB, 48. Aufl., 1997, § 46 Rn. 35 m.w.N.). Mit schwindendem Ahndungsbedürfnis kann die Durchsuchung, die zum Zeitpunkt ihrer Anordnung verhältnismäßig gewesen wäre, unverhältnismäßig werden. Deshalb verlangt der Grundrechtsschutz zwar nicht, daß die Staatsanwaltschaft die Akten dem Ermittlungsrichter bei jeder neuen Erkenntnis übersendet, damit dieser prüfe, ob er in ihrem Lichte seine Anordnung aufrechterhalten müsse. Einem solchen Verfahren stünden Praktikabilitätsgründe entgegen; oft wird auch die neue Erkenntnis für die Durchsuchungsanordnung bedeutungslos sein. Je mehr Zeit aber zwischen der richterlichen Anordnung einer Durchsuchung und deren Ausführung verstreicht, um so wahrscheinlicher wird es, daß die mittlerweile eingetretenen Ereignisse der richterlichen Entscheidung die Grundlage entziehen oder diese doch wesentlich verändern.
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Damit ist nicht mehr gewährleistet, daß die nunmehr geplante Durchsuchung vom Richter angeordnet ist. Der Richter beurteilt einen gegenwärtigen Sachverhalt, der derzeit eine Durchsuchung rechtfertigt, nicht aber eine noch offene Entwicklung, die in ihren unterschiedlichen Verlaufsalternativen von seiner Durchsuchungsanordnung gestützt würde. Könnte eine richterliche Durchsuchungsanordnung unbegrenzt oder doch für einen längeren Zeitraum spätere Grundrechtseingriffe rechtfertigen, so wäre im Ergebnis die konkrete richterliche Beschränkung des Grundrechtseingriffs zu einer Blankettermächtigung geworden, die letztlich die Anordnungsbefugnis an die Exekutive weitergibt. Art. 13 Abs. 2 GG behält die Anordnung von Durchsuchungen indes - mit Ausnahme einer Gefahr im Verzug - ausschließlich dem Richter vor. Er verbietet es damit, daß der Staatsanwalt eine Wohnungsdurchsuchung aufgrund eines richterlichen Durchsuchungsbefehls durchführt, der schon längere Zeit zurückliegt.
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b) Art. 13 Abs. 2 GG läßt es zu, von dem Vollzug einer Durchsuchungsanordnung vorläufig abzusehen, erlaubt es aber nicht, daß der Staatsanwalt sich eine Durchsuchungsanordnung gewissermaßen auf Vorrat besorgt oder diese doch vorrätig hält. Der Richter darf nicht zu einem Grundrechtseingriff ermächtigen, der im Zeitpunkt seiner Entscheidung noch nicht erforderlich und zumutbar und damit nicht verhältnismäßig oder im Zeitpunkt der Durchführung nicht mehr erforderlich und zumutbar und damit ebenfalls unverhältnismäßig sein würde.
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c) Die Befugnis der Staatsanwaltschaft, von der einmal erteilten Durchsuchungsanordnung nach ihrem Ermessen auch zu späterer Zeit Gebrauch zu machen, ist durch objektive Merkmale begrenzt. Wie lange eine richterliche Durchsuchungsanordnung die Durchführung einer konkreten Durchsuchungsmaßnahme trägt, richtet sich, solange es diesbezüglich an einer gesetzlichen Regelung fehlt, zunächst nach der Art des Tatverdachts, der Schwierigkeit der Ermittlungen insbesondere im Blick auf die Zahl der Beschuldigten und der Beweismittel und die sonstigen Besonderheiten des Falles, aber auch nach der Dauerhaftigkeit der tatsächlichen Grundlagen für die Beurteilung der Erforderlichkeit und Zumutbarkeit der Durchsuchungsmaßnahme. Es kann sich nach den gegebenen Umständen ein Verdacht rasch zur Gewißheit verdichten oder auch zerstreuen und damit eine Durchsuchungsmaßnahme erübrigen. Beweismittel, zu deren Sicherstellung die Durchsuchung dient, werden unter Umständen nicht mehr gebraucht oder sind nicht mehr an dem im Durchsuchungsbeschluß bezeichneten Ort zu vermuten. Spätestens nach Ablauf eines halben Jahres ist davon auszugehen, daß die richterliche Prüfung nicht mehr die rechtlichen Grundlagen einer beabsichtigten Durchsuchung gewährleistet und die richterliche Anordnung nicht mehr den Rahmen, die Grenzen und den Zweck der Durchsuchung im Sinne eines effektiven Grundrechtsschutzes zu sichern vermag. Ein Durchsuchungsbeschluß hat dann seine rechtfertigende Kraft verloren. Die Durchsuchungsermächtigung bedarf erneuter richterlicher Prüfung.
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d) Wird mit einer richterlich angeordneten Durchsuchung nicht innerhalb einer Frist begonnen, die den vorstehenden Festlegungen genügt, kann die richterliche Anordnung den Eingriff nicht mehr rechtfertigen. Sie tritt, wenn sie nicht richterlich bestätigt wird, außer Kraft und verliert damit ihre rechtfertigende Wirkung. Ein Außerkrafttreten der Anordnung eines Grundrechtseingriffs ist der Strafprozeßordnung nicht fremd, wenngleich es überwiegend bei staatsanwaltschaftlichen Eilanordnungen vorgesehen ist (vgl. § 98b Abs. 1 Satz 3, § 100 Abs. 2, § 100b Abs. 1 Satz 3, § 100d Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 100b Abs. 1 Satz 3, § 110b Abs. 1 Satz 2 2. Halbsatz und Abs. 2 Satz 4, § 111n Abs. 1 Satz 3, § 163d Abs. 2 Satz 3, § 163e Abs. 4 Satz 4 sowie § 443 Abs. 2 Satz 2 2. Halbsatz StPO). Es ist jedoch in § 100b Abs. 2 Sätze 4 und 5, § 100d Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 100b Abs. 2 Sätze 4 und 5, § 110b Abs. 2 Satz 5 i.V.m. Abs. 1 Satz 3, § 163d Abs. 3 Satz 4 sowie § 163e Abs. 4 Satz 5 StPO auch die Befristung richterlicher Anordnungen vorgesehen mit der Folge, daß die Anordnungen durch Zeitablauf ohne weiteres außer Kraft treten (vgl. Kleinknecht/Meyer-Goßner, § 100b Rn. 4, § 100d Rn. 2 und § 163e Rn. 15).
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e) Solange eine richterliche Durchsuchungsanordnung wirksam ist, bringt die Durchsuchung als solche in der Regel keine darüber hinausgehende Grundrechtsbeeinträchtigung mit sich; die Ermittlungsbehörden sind zur Vollstreckung gemäß § 36 Abs. 2 Satz 1 StPO befugt. Wenn die Strafverfolgungsbehörden aber nach dem Außerkrafttreten der richterlichen Durchsuchungsanordnung zur Durchsuchung schreiten, stellt sich das als eigenständiger, nicht mehr auf die richterliche Gestattung zurückführbarer Grundrechtseingriff dar, der den Behörden durch Art. 13 Abs. 2 GG nur bei Gefahr im Verzug gestattet ist.
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II. |
1. Das Landgericht hat den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung (Art. 13 GG) dadurch verletzt, daß es seine Beschwerde als unzulässig verworfen hat. Diese Beschwerde richtete sich ausdrücklich nicht nur gegen die richterliche Anordnung der Durchsuchung vom 6. Juli 1990, sondern auch gegen die am 26. August 1992 durchgeführte Durchsuchung selbst. Die Staatsanwaltschaft hatte die Durchsuchung vom 26. August 1992 nicht auf Gefahr im Verzuge gestützt, sondern auf den über zwei Jahre alten Durchsuchungsbeschluß. Dieser aber war zu diesem Zeitpunkt nicht mehr wirksam und konnte den Grundrechtseingriff folglich nicht mehr rechtfertigen.
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Das Landgericht hat bei seiner Entscheidung die aus Art. 13 Abs. 2 GG abzuleitende zeitliche Begrenzung der Wirkkraft einer richterlichen Durchsuchungsanordnung nicht erkannt. Damit ist ihm verborgen geblieben, daß sich die von der Staatsanwaltschaft vorgenommene Durchsuchung nicht auf die vor mehr als zwei Jahren ergangene richterliche Durchsuchungsanordnung hatte stützen lassen. Mit seiner Annahme, die Durchsuchung vom 26. August 1992 sei gleichwohl von einer richterlichen Anordnung gedeckt gewesen, hat das Gericht sich auch den Blick dafür verstellt, daß die Staatsanwaltschaft ohne verfassungsrechtlich ausreichende Ermächtigung den Beschwerdeführer in seinem Recht aus Art. 13 GG verletzt hat.
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2. Gemäß § 95 Abs. 1 BVerfGG ist festzustellen, daß das Landgericht das Grundrecht des Beschwerdeführers aus Art. 13 GG verletzt hat. Damit ist notwendig die weitere Feststellung verbunden, daß der Beschwerdeführer auch durch die von der Staatsanwaltschaft vorgenommene Durchsuchung in seinem Grundrecht aus Art. 13 GG verletzt worden ist.
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3. Der Beschluß des Landgerichts ist aufzuheben. Die Zurückverweisung beschränkt sich auf die Kostenentscheidung. Im übrigen hat es mit der Feststellung, daß der Beschwerdeführer durch die Staatsanwaltschaft und das Landgericht in seinen Grundrechten aus Art. 13 GG verletzt worden ist, sein Bewenden.
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D. |
Da der Beschwerdeführer mit seiner Verfassungsbeschwerde im wesentlichen durchdringt, erscheint die Anordnung der vollen Auslagenerstattung angemessen (§ 34a Abs. 2 und 3 BVerfGG).
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Limbach, Kruis, Kirchhof, Winter, Sommer, Jentsch, Hassemer |