BVerfGE 96, 68 - DDR-Botschafter |
1. Die Regeln des Diplomatenrechts stellen eine in sich geschlossene Ordnung, ein sog self-contained régime dar, das die möglichen Reaktionen auf Mißbräuche der diplomatischen Vorrechte und Immunitäten grundsätzlich abschließend umschreibt. |
2. Staatenimmunität und diplomatische Immunität sind verschiedene Institute des Völkerrechts mit jeweils eigenen Regeln, so daß von etwaigen Beschränkungen in einem Bereich nicht auf den anderen geschlossen werden kann. |
3. Es besteht keine allgemeine Regel des Völkerrechts, nach der die in Art. 39 Abs. 2 Satz 2 des Wiener Übereinkommens über diplomatische Beziehungen kodifizierte, fortwirkende Immunität über die Bestimmungen dieses Abkommens hinaus erga omnes, also auch gegenüber Drittstaaten wirkte. |
4. Es besteht keine allgemeine Regel des Völkerrechts, nach der die Bundesrepublik Deutschland verpflichtet wäre, die fortwirkende Immunität eines ehemals in der DDR akkreditierten Botschafters von strafrechtlicher Verfolgung nach Art. 39 Abs. 2 Satz 2 Wiener Übereinkommens über diplomatische Beziehungen aus Gründen der Staatennachfolge zu beachten, wenn die Bundesrepublik Deutschland bereits vor der Wiedervereinigung zur Strafverfolgung nach bundesdeutschem Recht befugt gewesen ist. |
Beschluß |
des Zweiten Senats vom 10. Juni 1997 |
-- 2 BvR 1516/96 -- |
in dem Verfahren über die Verfassungsbeschwerde des Herrn S... -- Bevollmächtigter: Rechtsanwalt Andreas Hagenkötter, Steifensandstraße 7, Berlin -- gegen a) den Beschluß des Kammergerichts vom 5. Juli 1996 -- 1 Js 3/94 -- 5 Ws 93/95 --, b) den Beschluß des Kammergerichts vom 10. April 1995 -- 1 Js 3/94 -- 5 Ws 93/95 --, c) den Haftbefehl des Amtsgerichts Berlin-Tiergarten vom 21. Juli 1994 -- 352 Gs 2865/94 --. |
Entscheidungsformel: |
Die Verfassungsbeschwerde wird zurückverwiesen. |
Gründe: |
A. |
Die Verfassungsbeschwerde betrifft einen Haftbefehl wegen Beihilfe zum Mord und zur Herbeiführung einer Sprengstoffexplosion, der gegen einen ehemals in der DDR akkreditierten Botschafter eines ausländischen Staates erlassen ist.
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I. |
1. Der Beschwerdeführer war von 1981 bis 1989 als Botschafter eines ausländischen Staates, dessen Staatsangehöriger er ist, in der DDR akkreditiert. Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen ihn im Zusammenhang mit einem 1983 verübten Sprengstoffanschlag in Berlin (West).
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Nach dem Ergebnis der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen wurde der Sprengstoffanschlag von einer Terroristengruppe geplant und ausgeführt. Der Entsendestaat des Beschwerdeführers habe seine Botschaft in Berlin (Ost) in einem Telegramm angewiesen, der Gruppe jede mögliche Hilfe zu leisten. Mitte August 1983 sei ein Mitglied der Terroristengruppe in Abwesenheit des Beschwerdeführers in der Botschaft erschienen und habe den damaligen Dritten Sekretär der Botschaft um die Erlaubnis gebeten, in der Botschaft eine Tasche deponieren zu dürfen. Im Hinblick auf das ihm bekannte Telegramm habe der Dritte Sekretär das gestattet.
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Später sei das Mitglied der Terroristengruppe erneut in die Botschaft gekommen, habe den Dritten Sekretär gefragt, ob er die Tasche für ihn in einem Auto der Botschaft nach Berlin (West) transportieren wolle; dabei habe er ihm offenbart, daß sich in der Tasche Sprengstoff befinde. Der Dritte Sekretär habe den Beschwerdeführer von dem Ansinnen unterrichtet. Dieser habe sich zunächst das Telegramm bringen lassen, den Text nochmals genau durchgelesen und dann entschieden, daß der Dritte Sekretär den Transport ablehnen könne. Als der Dritte Sekretär zurückgekehrt sei und ihn entsprechend informiert habe, habe der Terrorist die Tasche genommen, die Botschaft verlassen und den Sprengstoff auf unbekanntem Wege nach Berlin (West) geschafft.
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2. Aufgrund dieses Verdachts erließ das Amtsgericht gegen den Beschwerdeführer Haftbefehl wegen Beihilfe zum Mord und zur Herbeiführung einer Sprengstoffexplosion (§§ 211, 311 Abs. 1 bis 3, 27, 52 StGB). Das Landgericht hob den Haftbefehl mangels dringenden Tatverdachts auf.
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3. Mit Beschluß vom 10. April 1995 hob das Kammergericht den Beschluß des Landgerichts auf und setzte den Haftbefehl wieder in Kraft. Zur Begründung führte es aus, das Verfahrenshindernis der Immunität bestehe nicht, obwohl der Beschwerdeführer zur Tatzeit Botschafter in der DDR und Tatort auch der ehemalige Ostteil Berlins gewesen sei. Der insoweit einschlägige § 18 Satz 1 GVG habe gemäß § 1 EGGVG bis zur Wiedervereinigung nicht im Ostteil Berlins gegolten. Zudem gelte die Immunität nach Beendigung des diplomatischen Status nur noch für Handlungen fort, die in Ausübung dienstlicher Tätigkeit als Mitglied der Mission vorgenommen worden seien. Die Förderung eines Sprengstoffanschlages gehöre jedoch nicht zu den Aufgaben, die der Beschwerdeführer in seinem Amt als Botschafter seines Landes in der ehemaligen DDR wahrzunehmen gehabt habe.
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Der Beschwerdeführer habe den Anschlag durch Unterlassen gefördert. Er habe nichts unternommen, um die Mitnahme des vorher im Botschaftsgebäude aufbewahrten Sprengstoffs zu unterbinden. Die entsprechende Handlungspflicht ergebe sich nicht allein aus dem Hausrecht des Beschwerdeführers in Verbindung mit der Sachherrschaft über die in der Botschaft deponierten Gegenstände. Vielmehr sei der Anschlag durch die Aufbewahrung des Sprengstoffs in dem Botschaftsgebäude auch wesentlich gefördert worden (Ingerenz). Der zunächst von der DDR beschlagnahmte Sprengstoff sei zwar durch das Ministerium für Staatssicherheit freigegeben worden. Dennoch sei die Aufbewahrung im streng überwachten Ostteil Berlins schwierig gewesen. Nachdem der Beschwerdeführer von der Aufbewahrung des Sprengstoffs in dem Botschaftsgebäude Kenntnis erlangt habe, sei er verpflichtet gewesen, die darin liegende Förderung des bevorstehenden Anschlages rückgängig zu machen.
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II. |
1. Nachdem die 1. Kammer des Zweiten Senats mit Beschluß vom 18. März 1996 (2 BvR 1504/95) eine gegen Haftbefehl und Beschluß des Kammergerichts eingelegte Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen hatte, beantragte der Beschwerdeführer beim Kammergericht, die zuvor unterbliebene Anhörung gemäß § 33a StPO nachzuholen und den Haftbefehl aufzuheben. Zur Begründung führte er unter Vorlage zweier gutachterlicher Stellungnahmen der Professoren Dr. Doehring und Dr. Ress aus, nach Art. 39 Abs. 2 Satz 2 des Wiener Übereinkommens über diplomatische Beziehungen vom 18. April 1961 (BGBl. II 1964 S. 959; im folgenden: WÜD) sowie universellem Völkergewohnheitsrecht bestehe die Immunität eines Botschafters für amtliches Handeln auch nach Beendigung seines Amtes fort.
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Der Beschwerdeführer habe in Ausübung dienstlicher Tätigkeit gehandelt. Der kriminelle Charakter allein könne amtliches Handeln nicht ausschließen. Denn anderenfalls wäre jedes kriminelle Handeln privat, so daß eine Befreiung von der Strafgerichtsbarkeit bei amtlichem Handeln gegenstandslos bliebe. Der Beschwerdeführer sei um Anweisungen ersucht worden und habe sie erteilt. Ihm sei sogar von seiner Regierung aufgegeben worden, die Terroristengruppe zu fördern. Er habe also amtlich entschieden. Ein persönliches Interesse an der Abwicklung der Angelegenheit sei weder erkennbar noch nachweisbar. Im übrigen gebe die Staatenpraxis keinerlei Anhaltspunkte dafür, amtliches von nichtamtlichem Verhalten danach abzugrenzen, ob offen oder verdeckt gehandelt werde.
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Die Regel, daß die sog. Immunität ratione materiae, also für dienstliche Handlungen, auch nach dem Ausscheiden aus dem Amt fortbestehe, beruhe auf der Auffassung, daß das amtliche Handeln dem Entsendestaat zuzurechnen sei. Obwohl für die diplomatische Immunität ein vorrangiges Sonderregime bestehe, gehe es also in der Sache um die Immunität des Entsendestaates. Diese aber sei von allen Mitgliedern der Staatengemeinschaft zu respektieren. Für eine solche Wirkung der diplomatischen Immunität erga omnes sprächen auch deren Sinn, friedliche Beziehungen zwischen den Staaten zu ermöglichen, sowie der Grundsatz der Gleichheit der Staaten.
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Die Eingliederung der DDR in die Bundesrepublik Deutschland habe an der - bereits bestehenden - Verpflichtung der Bundesrepublik nichts geändert, für Amtsakte des Beschwerdeführers in der untergegangenen DDR Immunität zu gewähren. Selbst wenn die Pflicht zur Gewährung der Immunität sich aber nur aus einer Rechtsbeziehung zwischen dem Entsendestaat und der DDR ergäbe, sei die Bundesrepublik als Nachfolgestaat doch jedenfalls an solche Pflichten des Vorgängerstaates gebunden, die grundlegende Normen im völkerrechtlichen Verkehr darstellten. Die diplomatische Immunität bestehe zudem auch im Interesse von Drittstaaten, wie hier dem Entsendestaat, gelte sogar im Fall von Krieg oder Besatzung fort und sei Teil des universell geltenden Völkergewohnheitsrechts.
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Die herrschende Lehre von der unbeschränkten Immunität für amtliches Handeln begegne Bedenken, auch wenn äußerst zweifelhaft sei, ob insoweit schon eine rechtlich beachtliche Praxis vorliege. Es gebe Ansätze in der Lehre, nach denen die Immunität bei Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit sowie in Fällen der Verletzung von Normen des zwingenden Völkerrechts (ius cogens), insbesondere bei Verletzung des menschenrechtlichen Mindeststandards - auch im Zusammenhang mit Maßnahmen des internationalen Terrorismus - verwirkt werden könne. Die Verletzung der Pflicht, den Sprengstoff weiter in der Botschaft aufzubewahren oder der DDR zurückzugeben, stelle aber keinen Exzess dar und liege nicht völlig außerhalb der äußersten Grenzen des diplomatischen Verkehrs. Auch gehe es nicht um die Verletzung von ius cogens. Denn selbst wenn weitere erhebliche Rechtsverletzungen vorhersehbar gewesen sein sollten, bestehe keine Parallele zu den angeführten Ausnahmetatbeständen, bei denen es sich stets entweder um die vorsätzliche Tötung eines Menschen oder um ein Ergreifen auf frischer Tat handele.
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Im übrigen rügte der Beschwerdeführer, bei der Vernehmung eines Zeugen sei weder ihm noch seinem Verteidiger ein Anwesenheitsrecht eingeräumt worden. Zudem sei zwar die Beurteilung nach dem zur Tatzeit geltenden Recht der Bundesrepublik Deutschland nicht zu beanstanden, da der tatbestandliche Erfolg in der Bundesrepublik Deutschland eingetreten sei, § 6 Nr. 2 und § 9 StGB. Jedoch lasse sich eine Garantenstellung ohne Verstoß gegen das verfassungsrechtliche Bestimmtheitsgebot weder aus der Übernahme amtlicher Pflichten noch aus einer verantwortlichen Stellung in bestimmten Räumen oder aus Ingerenz herleiten.
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2. Mit Beschluß vom 5. Juli 1996 hielt das Kammergericht seinen Beschluß vom 10. April 1995 aufrecht.
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Der Beschwerdeführer sei zur Tatzeit nur von der Strafgerichtsbarkeit der DDR befreit gewesen. Die Immunität wirke nicht erga omnes. Die gegenteilige Auffassung werde zwar im völkerrechtlichen Schrifttum vertreten, gebe aber keine allgemeine Regel des Völkerrechts wieder. Dies ergebe sich vor allem aus Art. 40 WÜD, demzufolge Immunität in Drittstaaten nur unter engen, hier nicht erfüllten Voraussetzungen bestehe.
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Die Bundesrepublik sei auch nicht nach den Regeln über die Staatensukzession verpflichtet, die Immunität nunmehr selbst zu respektieren, die seinerzeit von der DDR zu beachten gewesen sei. Eine dahingehende allgemeine Regel des Völkerrechts bestehe nicht. Bis zur Wiedervereinigung sei die strafrechtliche Verfolgung des Beschwerdeführers durch die Bundesrepublik Deutschland möglich gewesen. Für die Annahme, daß die Verfolgbarkeit mit dem Beitritt der ehemaligen DDR zur Bundesrepublik Deutschland entfallen sei, fehle ein vernünftiger Grund.
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Im übrigen erscheine es weiterhin zumindest zweifelhaft, ob die Tat in Ausübung der dienstlichen Tätigkeit des Beschwerdeführers begangen worden sei. Der Beschluß vom 10. April 1995 beruhe nicht auf der Auffassung, daß eine dienstliche Tätigkeit allein wegen des kriminellen Charakters der Handlungsweise ausscheide. Es könne aber immerhin naheliegen, eine dienstliche Tätigkeit dann zu verneinen, wenn die Handlungsweise - wie hier - mit den einem Diplomaten zugewiesenen Aufgaben nach allgemeiner Überzeugung nicht einmal mehr in einem entfernten Zusammenhang stehe.
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Auch die Garantenstellung des Beschwerdeführers sei weiterhin zu bejahen. Die dafür neben Hausrecht und Sachherrschaft erforderlichen besonderen Umstände lägen hier in der Tatsache, daß das Botschaftsgebäude zur Aufbewahrung des Sprengstoffs durch einen Botschaftsangehörigen, der unter der Aufsicht und Verantwortung des Beschwerdeführers gestanden habe, mißbraucht worden sei.
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III. |
Der Beschwerdeführer rügt mit seiner Verfassungsbeschwerde die Verletzung seiner Rechte aus Art. 2 Abs. 1, Abs. 2 Satz 2, 20 Abs. 3, 101 Abs. 1 und 103 Abs. 2 GG. Zur Begründung stützt er sich auf weitere gutachterliche Stellungnahmen der Professoren Dr. Doehring und Dr. Ress und führt aus, das Kammergericht verkenne in bezug auf die Wirkung der diplomatischen Immunität erga omnes die Natur des Völkergewohnheitsrechts, das auf der Staatenpraxis beruhe und zu dessen Nachweis nach Art. 38 Abs. 1 lit. d des Statuts des Internationalen Gerichtshofs vom 26. Juni 1945 (BGBl. 1973 II S. 505; im folgenden: IGH-Statut) die Lehrmeinungen namhafter Juristen des Völkerrechts dienten. Das Kammergericht habe seine Auffassung nicht anhand dieser Rechtsquellen nachgewiesen.
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Den Vorschriften der Art. 31 und 40 WÜD ließen sich - wie aufgrund des Zusammenhangs der diplomatischen Immunität ratione materiae mit der Staatenimmunität nicht anders zu erwarten - Erkenntnisse über eine Erstreckung der Immunitätswirkungen auf Drittstaaten nicht entnehmen. Eine Reihe von Äußerungen in der Literatur, die scheinbar gegen die erga omnes These sprächen, beträfen in Wahrheit nur die Immunität ratione personae, während Art. 39 Abs. 2 Satz 2 WÜD nur die diplomatische Immunität ratione materiae gegenüber dem Empfangsstaat regele. Die Stellung des Diplomaten in Drittstaaten richte sich nicht nach dieser Vorschrift, sondern nach den allgemeinen Regeln des Völkergewohnheitsrechts. Gegen die erga omnes These könne auch nicht eingewandt werden, daß Drittstaaten gegenüber der Tätigkeit des Diplomaten in einem anderen Staat schutzlos seien. Denn sie seien nicht verpflichtet, einen Diplomaten außerhalb der Regelung des Art. 40 Abs. 1 WÜD einreisen zu lassen.
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Bei der diplomatischen Immunität ratione materiae und der Staatenimmunität handele es sich nach der Staatenpraxis und der völkerrechtlichen Literatur um getrennte Rechtsinstitute mit verschiedenen Schutzobjekten und unterschiedlicher Reichweite. Dennoch seien beide Rechtsinstitute insofern vergleichbar, als sie dem Schutz der Souveränität des Entsendestaates dienten. Es wäre widersinnig, wenn die Staatenimmunität unterlaufen werden könnte, indem der Diplomat persönlich strafrechtlich zur Verantwortung gezogen und so als Vorfrage seiner Strafbarkeit doch ein Verdikt über das Verhalten des Entsendestaates ausgesprochen werden könnte.
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Das Kammergericht habe auch nicht bedacht, daß die Regeln der Staatensukzession den Nachfolgestaat allenfalls von früheren Vertragsbindungen befreiten, nicht aber von der Einhaltung der Normen des allgemeinen Völkerrechts.
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Zumindest hätte das Kammergericht die entscheidungserhebliche Frage nach der Reichweite der fortdauernden Wirkung der diplomatischen Immunität gemäß Art. 100 Abs. 2 GG dem Bundesverfassungsgericht zur Entscheidung vorlegen müssen. Zweifel im Sinne des Art. 100 Abs. 2 GG seien objektiv, also auch unter Berücksichtigung der in der Rechtswissenschaft geäußerten Meinungen zu verstehen.
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IV. |
Das Bundesverfassungsgericht hat dem Senat von Berlin, der Staatsanwaltschaft bei dem Kammergericht sowie Bundesregierung, Bundestag und Bundesrat Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben.
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Auf Anfrage hat das Auswärtige Amt die Kopie einer Rundnote vom 24. August 1990 an die in Bonn akkreditierten fremden Missionen zu den gesandtschaftsrechtlichen und protokollarischen Auswirkungen der Vereinigung der beiden deutschen Staaten übersandt. Danach erloschen die diplomatischen Beziehungen der DDR mit dem Beitritt und verloren die bisherigen Akkreditierungen ihre Gültigkeit. Bisherige diplomatische Vertretungen fremder Staaten in der DDR konnten jeweils nach Zustimmung der Bundesrepublik Deutschland nur als Büro der Bonner Botschaft oder als konsularische Vertretung fortgeführt werden. Anderenfalls war das Auswärtige Amt bereit, die im Wiener Übereinkommen über diplomatische Beziehungen vorgesehenen Vorrechte und Immunitäten für einen Zeitraum von bis zu drei Monaten nach Wirksamwerden des Beitritts der DDR fortgelten zu lassen. Nach Auskunft des Auswärtigen Amtes sind Proteste gegen dieses Verfahren nicht bekannt.
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B. |
Die Verfassungsbeschwerde ist unbegründet.
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I. |
Das den Tatverdacht begründende Verhalten war bereits zur Zeit der Begehung 1983 für die Bundesrepublik Deutschland eine Inlandstat im Sinne von §§ 3, 9 StGB. Nach diesen Vorschriften ist die Beihilfe u.a. dann nach bundesdeutschem Recht strafbar, wenn die Haupttat im Inland begangen wurde (zur Inlandstat vgl. Eser, in: Schönke/Schröder, StGB, 25. Aufl., 1997, § 9, insbesondere Rn. 12). Eine Inlandstat lag hier vor, weil der Erfolg des Sprengstoffanschlages im Westteil Berlins eingetreten, im übrigen auch die Tathandlung dort begangen worden ist. Die Behörden der Bundesrepublik Deutschland waren also bereits vor der Vereinigung zur Strafverfolgung nach bundesdeutschem Recht befugt.
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Diese Rechtslage hat sich durch die Wiedervereinigung nicht geändert. Das materielle Strafrecht der Bundesrepublik ist nicht rückwirkend in Kraft getreten.
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II. |
Die Rüge des Beschwerdeführers, in seinem Grundrecht aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG verletzt zu sein, weil das Kammergericht entgegen Art. 100 Abs. 2 GG nicht die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über das Bestehen oder Nichtbestehen einer allgemeinen Regel des Völkerrechts eingeholt habe, greift nicht durch. Die angegriffenen Entscheidungen beruhen nicht auf einem Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2, 100 Abs. 2 GG. Das Bundesverfassungsgericht wäre nämlich im Verfahren nach Art. 100 Abs. 2 GG zu dem Ergebnis gelangt, daß die fortwirkende Immunität nach Art. 39 Abs. 2 Satz 2 WÜD nicht auch gegenüber Drittstaaten besteht und daß eine zunächst nur die DDR verpflichtende Immunität im vorliegenden Fall nicht im Wege der Staatennachfolge von der Bundesrepublik Deutschland zu beachten ist.
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1.a) Grundsätzlich kann allerdings der Betroffene seinem gesetzlichen Richter auch durch die Unterlassung einer nach Art. 100 Abs. 2 GG gebotenen Vorlage entzogen werden (vgl. BVerfGE 64, 1 [12 f.] m.w.N.). Eine Vorlage an das Bundesverfassungsgericht nach Art. 100 Abs. 2 GG ist bereits dann geboten, wenn das erkennende Gericht bei der Prüfung der Frage, ob und mit welcher Tragweite eine allgemeine Regel des Völkerrechts gilt, auf ernstzunehmende Zweifel stößt, mag das Gericht selbst auch keine Zweifel haben (vgl. BVerfGE 23, 288 [316]; 64, 1 [14]; 75, 1 [11]). Nicht das erkennende Gericht, sondern nur das Bundesverfassungsgericht hat die Befugnis, vorhandene Zweifel selbst aufzuklären. Ernstzunehmende Zweifel bestehen dann, wenn das Gericht von der Meinung eines Verfassungsorgans oder von den Entscheidungen hoher deutscher, ausländischer oder internationaler Gerichte oder von den Lehren anerkannter Autoren der Völkerrechtswissenschaft abweichen würde (vgl. BVerfGE 23, 288 [319]).
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b) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts verletzt ein Gericht Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG nicht schon bei jeder irrtümlichen Überschreitung der ihm vom Gesetz gezogenen Grenzen. Die Grenze zur Verfassungswidrigkeit ist erst überschritten, wenn die fehlerhafte Auslegung und Anwendung einfachen Rechts schlechthin unvertretbar ist, die Handhabung dieses Rechts deshalb außerhalb der Gesetzlichkeit steht (vgl. BVerfGE 87, 282 [284 f.] m.w.N.).
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Das gilt grundsätzlich auch für die Vorlagepflicht aus Art. 100 Abs. 2 GG (vgl. BVerfGE 23, 288 [320]). Liegen jedoch hinsichtlich des Bestehens oder der Tragweite einer allgemeinen Regel des Völkerrechts objektiv ernstzunehmende Zweifel vor, so verstößt das Fachgericht bei Nichtvorlage in der Regel gegen das Recht auf den gesetzlichen Richter. Art. 100 Abs. 2 GG soll im Interesse sowohl der staatenübergreifenden Einheitlichkeit und Verläßlichkeit der allgemeinen Regeln des Völkerrechts als auch der innerstaatlichen Rechtssicherheit eine divergierende Handhabung dieser Rechtssätze in Deutschland verhindern und der Gefahr ihrer Verletzung durch deutsche Gerichte vorbeugen. Deshalb hat das Fachgericht hier nicht - wie bei der ihm anvertrauten Anwendung und Auslegung des Gesetzesrechts - einen Vertretbarkeitsspielraum bei der Würdigung ernstzunehmender Zweifel. Für lediglich rechtsirrtümliche Verstöße gegen die Vorlagepflicht, die nicht Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG verletzen, bleibt hiernach nur ein geringer Raum (BVerfGE 64, 1 [21]).
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c) Gegenstand des Zweifels sind im vorliegenden Fall nur die Ausführungen des Kammergerichts zur Staatensukzession und zur erga omnes Wirkung der fortwirkenden diplomatischen Immunität nach Art. 39 Abs. 2 Satz 2 WÜD. Der Beschluß des Kammergerichts vom 5. Juli 1996 beruht in seinen völkerrechtlichen Entscheidungsgrundlagen allein auf der Rechtsauffassung über die Wirkung erga omnes und die Staatennachfolge. Die Frage, ob der Beschwerdeführer in Ausübung seiner dienstlichen Tätigkeit gehandelt hat, läßt das Kammergericht hingegen im Ergebnis offen, so daß seine insofern im Beschluß vom 10. April 1995 getroffene Entscheidung nicht mehr fortwirkt.
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d) Zweifel am Bestehen allgemeiner Regeln des Völkerrechts liegen sowohl im Hinblick auf die Wirkung der fortwirkenden diplomatischen Immunität erga omnes als auch auf die Bindung der Bundesrepublik Deutschland an eine durch die DDR zu beachtende Immunität nach den Regeln über die Staatennachfolge vor.
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Das Kammergericht legt dar, daß eine Wirkung der diplomatischen Immunität erga omnes in der Literatur und in dem vom Beschwerdeführer vorgelegten Gutachten vertreten werde. Die Behauptung des Beschwerdeführers wird also von ernstzunehmenden völkerrechtlichen Argumenten gestützt, objektive Zweifel sind demnach gegeben (vgl. dazu auch BVerfGE 23, 288 [319]). Mit der vom Beschwerdeführer angeführten völkerrechtlichen Ansicht hat sich das Gericht sodann begründet auseinandergesetzt und ist so zu einer eigenen Auffassung vom Nichtbestehen der Regel gekommen. Die Entscheidung über das Bestehen oder Nichtbestehen allgemeiner Regeln des Völkerrechts aber ist nach Art. 100 Abs. 2 GG dem Bundesverfassungsgericht vorbehalten. Die Entscheidung des Kammergerichts kann daher die Zweifel an der nach Völkergewohnheitsrecht gegebenen Wirkung der diplomatischen Immunität nicht ausräumen.
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Nichts anderes gilt für die Ansicht des Kammergerichts, nach der eine allgemeine Regel des Völkerrechts zur Staatensukzession im konkreten Fall nicht feststellbar sei. Denn das Recht der Staatennachfolge stellt einen der umstrittensten und unsichersten Teile des gesamten Völkerrechts dar (vgl. Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht, 3. Aufl., 1984, S. 608; Brownlie, Principles of Public International Law, 4. Aufl., 1990, S. 655). Auch hier hat das Gericht die dem Bundesverfassungsgericht vorbehaltene Entscheidung selbst getroffen, ohne dadurch die Rechtssicherheit zu schaffen, deretwegen Art. 100 Abs. 2 GG eine Vorlage vorsieht.
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2. Eine Vorlagepflicht nach Art. 100 Abs. 2 GG setzt weiter voraus, daß die Zweifel auch entscheidungserheblich sind (vgl. nur BVerfGE 75, 1 [12]). Auch diese Voraussetzung ist erfüllt. Der Beschwerdeführer handelte in Ausübung seiner dienstlichen Tätigkeit als Mitglied der Mission und erfüllte damit die Anforderungen des Art. 39 Abs. 2 Satz 2 WÜD für eine fortwirkende Immunität (a), ohne daß eine ungeschriebene Ausnahme davon bestünde (b).
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a) Art. 39 Abs. 2 WÜD lautet:
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"Die Vorrechte und Immunitäten einer Person, deren dienstliche Tätigkeit beendet ist, werden normalerweise im Zeitpunkt der Ausreise oder aber des Ablaufs einer hierfür gewährten angemessenen Frist hinfällig; bis zu diesem Zeitpunkt bleiben sie bestehen, und zwar auch im Fall eines bewaffneten Konflikts. In bezug auf die von der betreffenden Person in Ausübung ihrer dienstlichen Tätigkeit als Mitglied der Mission vorgenommenen Handlungen bleibt jedoch die Immunität auch weiterhin bestehen."
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aa) Die Frage, ob der Beschwerdeführer in Ausübung seiner dienstlichen Tätigkeit gehandelt hat und deshalb seine Immunität (Art. 29 Satz 2, 31 Abs. 1 Satz 1 WÜD) fortbesteht, stellt sich im Rahmen der Auslegung des Art. 39 Abs. 2 Satz 2 WÜD, also des Völkervertragsrechts. Für die verfassungsgerichtliche Nachprüfung von Völkervertragsrecht gelten grundsätzlich dieselben Regeln wie für die Nachprüfung einfachen Rechts. Seine Auslegung und Anwendung obliegt in erster Linie den Fachgerichten (vgl. BVerfGE 58, 1 [34]; 59, 63 [89]). Eine Überprüfung durch das Bundesverfassungsgericht ist im vorliegenden Fall jedoch möglich und geboten, weil die diplomatische Immunität, deren völkergewohnheitsrechtliche Wirkung gegenüber allen Staaten im Zweifel steht, nach Beendigung des Amtes nur für die in Ausübung dienstlicher Tätigkeit vorgenommenen Handlungen fortbesteht, das Kammergericht aber diese Frage letztlich offengelassen hat.
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bb) Nach Art. 39 Abs. 2 Satz 2 WÜD bleibt die diplomatische Immunität für dienstliche Handlungen auch nach Beendigung des Amtes bestehen. Was unter einer dienstlichen Handlung zu verstehen ist, erschließt sich aus dem Zweck der Vorschrift (vgl. zur Auslegung völkerrechtlicher Verträge Art. 31 Abs. 1 der Wiener Konvention über das Vertragsrecht vom 23. Mai 1969, BGBl. 1985 II S. 926; im folgenden: WVK): Die dienstlichen Handlungen des Diplomaten sind dem Entsendestaat zurechenbar. Ein gerichtliches Verfahren gegen den Diplomaten käme in seinen Auswirkungen einem Verfahren gegen den Entsendestaat nahe. Die fortwirkende diplomatische Immunität für dienstliche Handlungen dient deshalb dem Schutz des Entsendestaates selbst (vgl. statt aller Denza, Diplomatic Law, 1976, S. 249; Zoernsch v. Waldock, Court of Appeal, International Legal Materials [ILM] 1964, S. 425). An diese Betrachtung knüpft zudem die verbreitete Terminologie an, nach der die Immunität für dienstliche Handlungen als ratione materiae oder funktionell, die Immunität für Privathandlungen als ratione personae oder persönlich beschrieben wird (vgl. statt aller Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/1, 2. Aufl., 1989, S. 277 f.).
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Eine dienstliche Handlung i.S. von Art. 39 Abs. 2 Satz 2 WÜD liegt jedenfalls vor, wenn der Diplomat für seinen Entsendestaat als dessen ausführendes Organ und somit diesem zurechenbar handelt (vgl. Salmon, Manuel de Droit Diplomatique, 1994, S. 458 ff.). Unerheblich ist, ob die Handlung gegen das nationale Recht des Empfangsstaates verstößt (vgl. Salmon, Manuel de Droit Diplomatique, 1994, S. 466; sogar für konsularische Immunität BGHSt 36, 396 [401]; Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/1, 2. Aufl., 1989, S. 311; zur Möglichkeit dienstlich begangener Straftaten vgl. auch Folz/Soppe, Zur Frage der Völkerrechtmäßigkeit von Haftbefehlen gegen Regierungsmitglieder anderer Staaten, NStZ 1996, S. 576 [578]). Dies ergibt sich unmittelbar aus dem Sinn der diplomatischen Immunität, die nur eingreift, wenn der Diplomat angeblich oder tatsächlich gegen das Recht des Empfangsstaates verstößt. Immunität zu gewähren, ergibt überhaupt erst bei einer solchen rechtswidrigen Handlung einen Sinn.
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cc) Der Beschwerdeführer handelte in Ausübung seiner dienstlichen Tätigkeit als Mitglied der Mission im Sinne von Art. 39 Abs. 2 Satz 2 WÜD, da ihm ein Unterlassen zur Last gelegt wird, das im Rahmen seiner Verantwortungssphäre als Botschafter liegt und insoweit dem Entsendestaat zurechenbar ist.
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Dem Beschwerdeführer wird zur Last gelegt, er habe nichts unternommen, um die Herausgabe des Sprengstoffs zu unterbinden. Die entsprechende Handlungspflicht leitet das Kammergericht aus der dienstlichen Verantwortlichkeit des Beschwerdeführers als Missionsleiter für die in der Botschaft aufbewahrten Gegenstände ab. Nachdem der Sprengstoff in die Botschaft und damit in den Herrschafts- und Verantwortungsbereich des Beschwerdeführers gelangt war, oblag es ihm im Rahmen seiner dienstlichen Aufgaben zu entscheiden, wie mit dem Sprengstoff weiter zu verfahren sei. Eine solche Entscheidung hat der Beschwerdeführer getroffen. Dies geschah hier zudem auf der Grundlage der telegrafischen Anweisungen seines Entsendestaates, so daß private Interessen nicht erkennbar sind (zur Einordnung der Handlung auf Anweisung vgl. Bingham Fall, in: McNair, International Law Opinions, Bd. 1, 1956, S. 196 [197]; Denza, Diplomatic Law, 1976, S. 249 f.; Salmon, Manuel de Droit Diplomatique, 1994, S. 458 ff.). Vielmehr antwortete der Beschwerdeführer dem Dritten Sekretär gerade in seiner Eigenschaft als Dienstvorgesetzter und versuchte nach Ansicht des Kammergerichts, die im Sinne der Botschaft beste Lösung zu finden.
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Unerheblich für die Einordnung als dienstliche Handlung ist, ob das Verhalten nach der Rechtsordnung der Bundesrepublik Deutschland rechtswidrig ist (s.o. B.II.2.a)bb) und ob es diplomatische Aufgaben im Sinne von Art. 3 WÜD erfüllt (vgl. auch Stellungnahme des Eidgenössischen Politischen Departements vom 12. Mai 1961, Schweizerisches Jahrbuch für internationales Recht [SJIR] 21 [1964], S. 171; anders jedoch Stellungnahme des Eidgenössischen Politischen Departements vom 31. Januar 1979, abgedruckt in SJIR 36 [1980], S. 210 [211 f.]). Die Begehung von Straftaten gehört schlechthin nicht zu den Aufgaben der Mission. Wäre allein deshalb eine Straftat niemals als dienstlich anzusehen, bliebe die fortwirkende Immunität inhaltsleer.
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b) Es bestehen auch keine hier einschlägigen völkergewohnheitsrechtlichen (vgl. Präambel WÜD, 5. Erwägungsgrund) Ausnahmen von der diplomatischen Immunität, deren Existenz das Bundesverfassungsgericht im Rahmen seiner ausschließlichen Entscheidungskompetenz (Art. 100 Abs. 2, 25 GG) uneingeschränkt selbst prüft.
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aa) Die diplomatische Immunität von strafrechtlicher Verfolgung kennt grundsätzlich keine Ausnahmen für besonders gravierende Rechtsverstöße; der Diplomat kann in solchen Fällen nur zur persona non grata (Art. 9 WÜD) erklärt werden (vgl. Denza, Diplomatic Agents and Missions, Privileges and Immunities, Encyclopedia of Public International Law [EPIL] vol. I [1992], S. 1040 [1043]; Seidl-Hohenveldern, Völkerrecht, 9. Aufl., 1997, Rn. 1028; Fischer, in: Ipsen, Völkerrecht, 3. Aufl., 1990, S. 446, S. 449 f.; Shaw, International Law, 3. Aufl., 1991, S. 473; Salmon, Manuel de Droit Diplomatique, 1994, S. 480; vgl. auch Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/1, 2. Aufl., 1989, S. 278; Brownlie, Principles of Public International Law, 4. Aufl., 1990, S. 357; Higgins, The Abuse of Diplomatic Privileges and Immunities: Recent United Kingdom Experience, The American Journal of International Law [AJIL] 79 [1985], S. 641 [649 f.]; Murty, The International Law of Diplomacy, 1989, S. 347 ff., S. 366 ff., S. 416 f.). Daneben besteht die Möglichkeit, auf völkerrechtlicher Ebene gegen den Entsendestaat vorzugehen.
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Dürfte der Empfangsstaat auch mit anderen als den vom Diplomatenrecht vorgesehenen Mitteln gegen den Diplomaten vorgehen, so würden die Grundlagen der diplomatischen Beziehungen erschüttert, die ein Zusammenleben der Staaten erst ermöglichen. Die Unverletzlichkeit der Diplomaten als eine der ältesten Gewährleistungen des Völkergewohnheitsrechts ist fundamentale Voraussetzung für die Pflege zwischenstaatlicher Beziehungen. Im Verlauf der Geschichte haben daher Staaten aller Kulturen die zu diesem Zweck bestehenden gegenseitigen Verpflichtungen beachtet. Die Institution der Diplomatie mit ihren Privilegien und Immunitäten hat sich im Laufe der Jahrhunderte als unverzichtbares Instrument der effektiven Kooperation innerhalb der internationalen Gemeinschaft erwiesen, das es den Staaten erlaubt, unabhängig von ihren unterschiedlichen Verfassungs- und Sozialsystemen ein gegenseitiges Verständnis zu entwickeln und ihre Meinungsverschiedenheiten mit friedlichen Mitteln beizulegen (vgl. IGH, Diplomatic and Consular Staff [Order 15 XII 79] Fall, International Court of Justice-Reports of Judgements, Advisory Opinions and Orders [ICJ Rep.] 1979, S. 6 [19]; IGH, Diplomatic and Consular Staff [Judgement] Fall, ICJ Rep. 1980, S. 1 [42 f.]).
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Die Komplexität der heutigen internationalen Gemeinschaft verlangt mehr denn je, daß die Regeln, die den geordneten Fortschritt der Beziehungen zwischen ihren Mitgliedern sichern, dauerhaft und mit größter Sorgfalt respektiert werden (vgl. IGH, Diplomatic and Consular Staff [Judgement] Fall, ICJ Rep. 1980, S. 1 [43]). Zusätzlich ist die besondere Rolle der Gegenseitigkeit im Diplomatenrecht zu beachten: Jeder Empfangsstaat ist zugleich Entsendestaat; jede Einschränkung und jeder Verstoß gegen diplomatische Immunitäten und Vorrechte kann - rechtlich oder faktisch - auf die eigenen Diplomaten und ihre Angehörigen im Ausland zurückwirken (vgl. Higgins, The Abuse of Diplomatic Privileges and Immunities: Recent United Kingdom Experience, AJIL 79 [1985], S. 641 [641, 650]).
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Die Regeln des Diplomatenrechts stellen deshalb eine in sich geschlossene Ordnung, ein sog. self-contained regime dar, das die möglichen Reaktionen auf Mißbräuche der diplomatischen Vorrechte und Immunitäten abschließend umschreibt (vgl. IGH, Diplomatic and Consular Staff [Judgement] Fall, ICJ Rep. 1980, S. 1 [40]).
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bb) Allein für Präventivmaßnahmen wird in Rechtsprechung und Literatur erwogen, ob der Empfangsstaat sich gegen gröbsten Mißbrauch des diplomatischen Status zur Wehr setzen dürfe (vgl. dazu IGH, Diplomatic and Consular Staff [Judgement] Fall, ICJ Rep. 1980, S. 1 [40]; Herdegen, The Abuse of Diplomatic Privileges and Countermeasures not Covered by the Vienna Convention on Diplomatic Relations, ZaöRV 46 [1986], S. 734 [747 ff.]; Mann, "Inviolability" and Other Problems of the Vienna Convention on Diplomatic Relations, in: FS Karl Doehring, 1989, S. 553 [560 ff.]; Kokott, Mißbrauch und Verwirkung von Souveränitätsrechten bei gravierenden Völkerrechtsverstößen, in: FS Rudolf Bernhardt, 1995, S. 135 [136 ff.]; Brown, Diplomatic Immunity: State Practice under the Vienna Convention on Diplomatic Relations, International and Comparative Law Quaterly [ICLQ] 37 [1988], S. 53 [86 f.]; Higgins, The Abuse of Diplomatic Privileges and Immunities: Recent United Kingdom Experience, AJIL 79 [1985], S. 641 [646 ff.]; Simma, Self-Contained Regimes, Netherlands Yearbook of International Law 16 [1985], S. 111 [120 ff.]; Jennings/Watts, Oppenheim's International Law, vol. 1, 9. Aufl., 1992, S. 1080 Fn. 30; vgl. auch schon Grotius, De iure belli ac pacis, L.II, Cap. XVIII, § IV, 7). Im Fall des Beschwerdeführers geht es aber nicht um Prävention, sondern um einen Haftbefehl im repressiv wirkenden Strafverfahren.
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cc) Art. 7 der Charta des Internationalen Militärgerichtshofs in Nürnberg (UNTS, vol. 82, S. 279) und ihm folgend Art. 7 Abs. 2 des Statuts des Internationalen Gerichtshofs für Jugoslawien (ILM 32 [1993], S. 1192) sowie Art. 6 Abs. 2 des Statuts des Internationalen Gerichtshofs für Ruanda (ILM 33 [1994], S. 1602) bestimmen, daß die offizielle Stellung von Angeklagten, ob als Staatsoberhäupter oder verantwortliche Beamte in Ministerien, sie nicht von Verantwortlichkeit freistelle oder strafmindernd wirke. In Anlehnung an diese Regelung werden Ausnahmen von der Immunität für Fälle von Kriegsverbrechen, völkerrechtlichen Verbrechen und Verstöße gegen völkerrechtliches ius cogens diskutiert (vgl. dazu Sunga, Individual Responsibility in International Law for Serious Human Rights Violations, 1992, passim; Hugo Princz v. Federal Republic of Germany, Court of Appeals for the District of Columbia, ILM 33 [1994], S. 1485 [1491 ff.]; Bruce Smith, Paul S. Hudson et al. v. Socialist People's Libyan Arab Jamahiriya, Court of Appeals for the Second Circuit, ILM 36 [1997], S. 102 [104 ff.]; Belsky/Merva/Roht-Arriaza, Implied Waiver under the FSIA: Proposed Exception to Immunity for Violations of Peremptory Norms of International Law, California Law Review 77 [1989], S. 365 ff.; Reimann, A Human Rights Exception to Sovereign Immunity: Some Thoughts on Princz v. Federal Republic of Germany, Michigan Journal of International Law 16 [1995], S. 403 [404 ff.]; Zimmermann, Sovereign Immunity and Violations of International Jus Cogens - Some Critical Remarks, Michigan Journal of International Law 16 [1995], S. 433; vgl. dazu auch 28 U.S.C. § 1605 [7], ILM 36 [1997], S. 759). Wie bereits der Wortlaut von Art. 7 der Charta des Internationalen Militärgerichtshofs in Nürnberg deutlich macht, geht es dabei aber für das geltende Recht nur um die Staatenimmunität und die unmittelbar aus ihr fließende Immunität von staatlichen Organen, insbesondere von Regierungsmitgliedern, nicht um die diplomatische Immunität.
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dd) Staatenimmunität und diplomatische Immunität stellen zwei verschiedene Institute des Völkerrechts mit jeweils eigenen Regeln dar, so daß von etwaigen Beschränkungen in einem Bereich nicht auf den anderen geschlossen werden kann (vgl. für den Schluß von der diplomatischen auf die Staatenimmunität BVerfGE 16, 27 [55]). Das gilt auch für die fortwirkende Immunität nach Art. 39 Abs. 2 Satz 2 WÜD, obwohl sie mit dem Schutz des Entsendestaates begründet wird.
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Einem Schluß von der Staatenimmunität auf die diplomatische Immunität ratione materiae steht das personale Element jeder diplomatischen Immunität entgegen, das nicht den Entsendestaat, sondern den Diplomaten als handelndes Organ persönlich schützt. Wenn etwa der Staat für nicht-hoheitliche Tätigkeit keinen Immunitätsschutz genießt (vgl. BVerfGE 16, 27 [34 ff.]), bedeutet dies nicht, daß auch eine dabei als diplomatisches Organ handelnde Person der Gerichtsbarkeit des Empfangsstaates unterläge (vgl. dazu Salmon, Manuel de Droit Diplomatique, 1994, S. 463; Denza, Diplomatic Law, 1976, S. 250). Die für die Staatenimmunität charakteristische Trennung zwischen acta iure imperii und acta iure gestionis (vgl. BVerfG, a.a.O.) ist vielmehr im Rahmen des Art. 39 Satz 2 Satz 2 WÜD ebenso unbekannt wie im diplomatischen Immunitätsrecht allgemein.
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Die diplomatische Immunität für dienstliche Handlungen ist also nicht nur ein Reflex der Immunität des Entsendestaates, sondern erklärt sich eigenständig aus dem besonderen Status des Diplomaten. Seine Anwesenheit auf dem Territorium des Empfangsstaates und seine Befugnis, dort für den Entsendestaat tätig zu werden, beruhen auf der Zustimmung des Empfangsstaates in Form des Agrement (Art. 4 WÜD). Diese Zustimmung rechtfertigt die persönliche wie funktionelle diplomatische Immunität. Im Gegensatz dazu gewinnen Staatsorgane ihren Status allein durch einen innerstaatlichen Kreationsakt (vgl. Dinstein, Diplomatic Immunity from Jurisdiction ratione materiae, ICLQ 15 [1966], S. 76 [88]; zur fehlenden Immunität von Spionen BVerfGE 92, 277 [321]).
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3. Die angegriffenen Entscheidungen beruhen aber nicht auf dem Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2, 100 Abs. 2 GG. Denn das Bundesverfassungsgericht wäre im Verfahren nach Art. 100 Abs. 2 GG zu dem Ergebnis gelangt, daß weder eine allgemeine Regel des Völkerrechts besteht, nach der die fortwirkende Immunität auch gegenüber Drittstaaten wirkt (a), noch eine allgemeine Regel des Völkerrechts gilt, nach der die zunächst nur die DDR verpflichtende Immunität im Wege der Staatennachfolge nunmehr auch von der Bundesrepublik Deutschland zu beachten wäre (b). Da der erkennende Senat des Bundesverfassungsgerichts selbst der gesetzliche Richter ist, dem der Beschwerdeführer entzogen wurde - er wäre nach Art. 100 Abs. 2 GG, §§ 13 Nr. 12, 14 Abs. 2 BVerfGG berufen gewesen, die Frage nach der Geltung dieser Regeln zu beantworten -, kann im vorliegenden Verfahren festgestellt werden, daß die angegriffenen Entscheidungen nicht anders hätten ausfallen dürfen, wenn Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG beachtet worden wäre (vgl. BVerfGE 64, 1 [21 f.]).
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a) Es besteht keine allgemeine Regel des Völkerrechts, nach der die in Art. 39 Abs. 2 Satz 2 WÜD kodifizierte, fortwirkende Immunität über die Bestimmungen dieses Abkommens hinaus erga omnes, also auch gegenüber Drittstaaten wirkte (zur Wirkung erga omnes im Völkerrecht vgl. Barcelona Traction Fall, ICJ Rep. 1970, S. 1 [32]; East Timor [Judgement] Fall, ILM 34 [1995], S. 1583 [1589]).
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aa) Allgemeine Regeln des Völkerrechts sind das universell geltende Völkergewohnheitsrecht sowie die allgemeinen Rechtsgrundsätze (vgl. BVerfGE 23, 288 [317]; 94, 315 [328]). Zur Entstehung von Völkergewohnheitsrecht ist grundsätzlich erstens eine ausreichende Staatenpraxis, d.h. eine dauernde und einheitliche Übung unter weitgestreuter und repräsentativer Beteiligung erforderlich (vgl. BVerfGE 94, 315 [332]). Zweitens muß hinter dieser Praxis die opinio iuris sive necessitatis stehen, d.h. die Auffassung, im Rahmen des völkerrechtlich Gebotenen und Erlaubten oder des Notwendigen zu handeln (vgl. Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht, 3. Aufl., 1984, S. 353 ff.; Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/1, 2. Aufl., 1989, S. 59 ff.; s.a. Art. 38 Abs. 1 lit. b IGH-Statut). Zur Feststellung des Völkergewohnheitsrechts werden richterliche Entscheidungen und völkerrechtliche Lehrmeinungen als Hilfsmittel herangezogen (Art. 38 Abs. 1 lit. d IGH-Statut).
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Die Frage, ob die fortwirkende Immunität nach Art. 39 Abs. 2 Satz 2 WÜD erga omnes wirkt, betrifft das Völkergewohnheitsrecht und nicht das Völkervertragsrecht. Es geht nicht um die Auslegung von Bestimmungen des WÜD, sondern um die Frage, ob über die Regelung des WÜD hinaus Immunität außerhalb des Empfangsstaates bestehen kann. Für solche, nicht im WÜD geregelte Fragen gilt nach der Präambel des WÜD, 5. Erwägungsgrund, das Völkergewohnheitsrecht.
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bb) Diplomatische Immunität wirkt allein im Empfangsstaat. Drittstaaten haben der Tätigkeit des Diplomaten, der dort keinerlei Aufgaben zu erfüllen hat, nicht zugestimmt. Über diesen Grundsatz herrscht in der Literatur, soweit sie die Frage überhaupt aufwirft, bereits seit frühester Zeit Einigkeit (vgl. Grotius, De iure belli ac pacis, L.II, Cap. XVIII, § V, 1; Bynkershoek, De foro legatorum, Cap. IX m.w.N. der älteren Literatur; aus der moderneren Literatur Salmon, Manuel de Droit Diplomatique, 1994, S. 416; Zemanek, Der durchreisende Gesandte, Österreichische Zeitschrift für öffentliches Recht [ÖZöR] 4 [1952], S. 530 [531]; Sen, A Diplomat's Handbook of International Law and Practice, 3. Aufl., 1988, S. 209 f.; Gore-Booth/Pakenham, Satow's Guide to Diplomatic Practice, 5. Aufl., 1979, S. 154; No l-Henry, Anmerkung zu V. et Dicker c. D., Tribunal de premiere instance de Geneve, 29. März 1929, Clunet 54 [1927], S. 1184 [1185 f.]; Cluzel, Anmerkung zu Sickles c. Sickles, Tribunal civile de la Seine, 13. März 1909, Clunet 37 [1910], S. 533 [534]; vgl. auch Dembinski, The Modern Law of Diplomacy, 1988, S. 185 f.; unentschieden Jennings/Watts, Oppenheim's International Law, vol. 1, 9. Aufl., 1992, S. 1116 f.). Er wird bestätigt durch die in Art. 40 WÜD geregelten Ausnahmen. Wenn die diplomatische Immunität erga omnes gälte, wären solche Sonderregeln nicht notwendig.
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Das Diplomatenrecht als self-contained regime ist mit seinen integrierten Schutz- und Reaktionsmöglichkeiten grundsätzlich nicht auf das Verhältnis von Diplomaten zu Drittstaaten zugeschnitten. Der Empfangsstaat muß dem Diplomaten zwar Immunität gewähren, steht aber dennoch nicht schutzlos da. Er kann das Agrement verweigern (Art. 4 WÜD), einen Diplomaten zur persona non grata erklären (Art. 9 WÜD) oder sogar die diplomatischen Beziehungen abbrechen (zu diesem Zusammenhang vgl. Dinstein, Diplomatic Immunity from Jurisdiction ratione materiae, ICLQ 15 [1966], S. 76 [88]). Diese Reaktionsmöglichkeiten sind unverzichtbarer Bestandteil des self-contained regime, innerhalb dessen die diplomatische Immunität erst gewährt wird (vgl. IGH, Diplomatic and Consular Staff [Judgement] Fall, ICJ Rep. 1980, S. 1 [40]). Auch bei der Immunität, die durchreisenden Gesandten nach Art. 40 WÜD zu gewähren ist, hat der betroffene Staat die Möglichkeit, die Durchreise zu verweigern (vgl. Denza, Diplomatic Law, 1976, S. 259; Salmon, Manuel de Droit Diplomatique, 1994, S. 420). Darüber hinaus aber bestehen Schutzmöglichkeiten, die eine Pflicht zur Immunitätsgewährung ausgleichen könnten, für Drittstaaten nicht.
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cc) Der Grundsatz der fehlenden erga omnes Wirkung der diplomatischen Immunität wird durch die gerichtliche Staatenpraxis bestätigt, die Diplomaten in Drittstaaten keine Immunität gewährt (vgl. The New Chile Gold Mining Company v. Blanco, Queen's Bench Division, 27. Februar 1888, British International Law Cases 6 [1967], S. 236 [241]; Leon c. Diaz, Cour d'appel d'Amiens, 29. März 1892, Clunet 19 [1892], S. 1137 [1138]; Sickles c. Sickles, Tribunal civile de la Seine, 13. März 1909, Clunet 37 [1910], S. 529 [531]; Sto esco c. Sto esco, Tribunal civile de la Seine, 9. November 1917, Clunet 45 [1918], S. 656; V. et Dicker c. D., Tribunal de premiere instance de Geneve, 29. März 1929, Clunet 54 [1927], S. 1179 [1181, 1183]). Weitere Bestätigung findet er in Art. 12 Abs. 2 des Lateranvertrags vom 11. Februar 1929 (englische Übersetzung in British and Foreign State Papers, vol. 130, S. 791), der für die territoriale Besonderheit des Vatikan ausdrücklich vorsieht, daß den beim Heiligen Stuhl akkreditierten Diplomaten völkerrechtliche Vorrechte und Immunitäten auch in Italien zukommen. Wirkte die Immunität schon nach allgemeinem Völkerrecht erga omnes, so wäre eine solche ausdrückliche Vereinbarung nicht notwendig (zur Ausnahmestellung von Art. 12 Lateranvertrag vgl. Zemanek, Der durchreisende Gesandte, ÖZöR 4 [1952], S. 530 [538]; Salmon, Manuel de Droit Diplomatique, 1994, S. 419). Dem Ergebnis widerspricht auch nicht die Entscheidung des französischen Cour d'appel de Rouen, mit der die Anerkennung eines österreichischen Urteils gegen den in Österreich akkreditierten Botschafter der USA unter Hinweis auf dessen Immunität verweigert wurde (Salm c. Frazier, Cour d'appel de Rouen, 12. Juli 1933, englische Übersetzung in: AJIL 28 [1934], S. 382 f.). Denn hier ging es nicht darum, dem Botschafter Immunität vor französischen Gerichten zu gewähren. Vielmehr sah das Gericht in der anzuerkennenden österreichischen Entscheidung eine Verletzung der Immunität des eben dort akkreditierten Botschafters und weigerte sich deshalb, das Recht der diplomatischen Immunität seinerseits indirekt durch Anerkennung des völkerrechtswidrigen Urteils zu verletzen (vgl. dazu Grafton Wilson, Salm v. Frazier: Diplomatic Immunity, AJIL 28 [1934], S. 339 f.).
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dd) An der begrenzten Wirkung der Immunität ändert sich auch im Zeitpunkt der Beendigung der Mission nichts. Von diesem Zeitpunkt an erlischt zwar die persönliche Immunität, die funktionelle Immunität für dienstliches Handeln aber gilt nach der ausdrücklichen Bestimmung des Art. 39 Abs. 2 Satz 2 WÜD fort. Gälte diese fortwirkende Immunität gegenüber Drittstaaten, so unterläge ein Diplomat für ein und dasselbe dienstliche Verhalten zwar während seiner Amtszeit der Gerichtsbarkeit im Drittstaat, mit Beendigung der Mission aber plötzlich nicht mehr. Nach Art. 39 Abs. 2 Satz 2 WÜD würden also nicht nur Immunitäten weiterhin bestehen, sondern weltweit neu entstehen. Daß ein Diplomat nach Beendigung seiner Mission einen weitergehenden Immunitätsschutz genießen sollte als zuvor, widerspricht aber dem in Art. 39 Abs. 2 WÜD zum Ausdruck kommenden Grundgedanken des diplomatischen Immunitätsrechts.
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Daraus, daß die fortwirkende Immunität eine funktionelle und keine persönliche ist, folgt - entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers - nicht, daß sie auch in Drittstaaten wirke. Die fortwirkende Immunität erklärt sich nicht als bloßer Reflex der erga omnes wirkenden Staatenimmunität (s.o. B.II.2.b)dd). Anderenfalls müßte die Immunität für dienstliches Handeln - die schon vor Beendigung der Mission besteht, auch wenn sie währenddessen oft von der persönlichen Immunität überlagert wird (vgl. Dinstein, Diplomatic Immunity from Jurisdiction ratione materiae, ICLQ 15 [1966], S. 76 [79]) - auch schon während der Dienstzeit des Diplomaten erga omnes wirken.
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ee) Eine erga omnes Wirkung kann auch nicht damit begründet werden, daß anderenfalls Handlungen des Entsendestaates unter Verstoß gegen die Staatenimmunität vom Drittstaat zum Gegenstand eines gerichtlichen Verfahrens gemacht würden. Denn die Staatenimmunität verbietet ein solches Verfahren nicht. Sie greift nur ein, wenn der Staat als solcher Partei des gerichtlichen Verfahrens ist. Ist hingegen allein der Diplomat als natürliche Person Partei, so kommt nur die diplomatische Immunität in Betracht (vgl. Ress, Final Report on Developments in the Field of State Immunity and Proposal for a Revised Draft Convention on State Immunity, International Law Association, Report of the 66th Conference, 1994, S. 453 [478, 482]).
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Darüber hinaus ist die gerichtliche Entscheidung über Hoheitsakte anderer Staaten im Rahmen von Vorfragen völkerrechtlich nicht verboten und begegnet nur in den nationalen Rechtsordnungen des anglo-amerikanischen Rechtskreises unter der sog. Act of State Doktrin Bedenken (vgl. BVerfGE 92, 277 [322 f.]; Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht, 3. Aufl., 1984, S. 774 ff.; Steinberger, State Immunity, EPIL inst. 10 [1987], S. 428 [429]; zur US-amerikanischen Act of State Doktrin vgl. Banco Nacional de Cuba v. Sabbatino, 376 U.S., S. 398 [421 ff.]; W.S. Kirkpatrick & Co., Inc. et al. v. Environmental Tectonics Corp., International, ILM 29 [1990], S. 184 [187]).
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ff) Der Beschwerdeführer kann sich auch nicht auf eine Immunität als Staatsorgan berufen (vgl. dazu Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht, 3. Aufl., 1984, S. 773 f.; Gloria, in: Ipsen, Völkerrecht, 3. Aufl., 1990, S. 344 f.; ausführlich Folz/Soppe, Zur Frage der Völkerrechtmäßigkeit von Haftbefehlen gegen Regierungsmitglieder anderer Staaten, NStZ 1996, S. 576 ff.), die nicht von der Anerkennung durch einen Empfangsstaat abhängt und deshalb erga omnes wirken könnte. Denn neben dem Recht der diplomatischen Immunität ist für Diplomaten ein Rückgriff auf die allgemeine Organimmunität nicht möglich. Das self-contained regime der diplomatischen Immunität geht als lex specialis der allgemeinen Organimmunität vor (vgl. dazu auch BVerfGE 92, 277 [321]). Ein Rückgriff auf die Organimmunität bei Nichteingreifen der diplomatischen Immunität findet daher weder in der Literatur noch in der Staatenpraxis einen Niederschlag. Er würde zudem die bestehenden Beschränkungen der diplomatischen Immunität sinnlos machen.
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b) Die auf die ehemalige DDR beschränkte Pflicht, die fortwirkende Immunität des Beschwerdeführers nach Art. 39 Abs. 2 Satz 2 WÜD zu beachten, ist nicht im Wege der völkerrechtlichen Staatennachfolge auf die Bundesrepublik Deutschland übergegangen.
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aa) Die Frage der Nachfolge wird nicht durch Art. 12 Einigungsvertrag (EV) beantwortet. Diese Bestimmung enthält weder eine verbindliche Festlegung bestimmter Rechtsfolgen noch trifft sie den hier zu beurteilenden Fall.
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Aufgrund des in Art. 34 ff. WVK kodifizierten, völkerrechtlichen Verbots von Verträgen zu Lasten Dritter konnten die Bundesrepublik und die DDR das Schicksal ihrer mit dritten Staaten abgeschlossenen Verträge nicht einseitig durch den Einigungsvertrag verbindlich festlegen (vgl. Blumenwitz, Staatennachfolge und die Einigung Deutschlands, Teil I, 1992, S. 53 f., S. 103 f.; Frowein, Die Identität der Bundesrepublik Deutschland als Völkerrechtssubjekt, Handbuch des Staatsrechts, Bd. VIII, 1995, § 196 Rn. 5; Drobnig, Das Schicksal der Staatsverträge der DDR nach dem Einigungsvertrag, DtZ 1991, S. 76 [78]; Wittkowski, Die Staatensukzession in völkerrechtliche Verträge unter besonderer Berücksichtigung der Herstellung der staatlichen Einheit Deutschlands, 1992, S. 198, S. 285; Mansel, Staatsverträge und autonomes internationales Privat- und Verfahrensrecht nach der Wiedervereinigung, JR 1990, S. 441 [443]; Dannemann, Das staatsvertragliche Kollisionsrecht der DDR nach der Vereinigung, DtZ 1991, S. 130 [131]; Silagi, Staatsuntergang und Staatennachfolge, 1996, S. 139; Magnus, Deutsche Rechtseinheit im Zivilrecht - die Übergangsregelungen, JuS 1992, S. 456 [459]; Enderlein/Graefrath, Nochmals: Deutsche Einheit und internationales Kaufrecht, BB 1991, Beilage 6, S. 8 [11]; wohl auch Herber, Deutsche Einheit und internationales Kaufrecht, BB 1990, Beilage 37, S. 1 [3]). Dem entspricht der Wortlaut des Art. 12 EV, der nur eine gemeinsame Überzeugung der Vertragsparteien ausdrückt und keine bestimmten Rechtsfolgen festlegt, sondern Wege für zukünftige, diplomatische Verhandlungen vorzeichnet (vgl. Drobnig, Das Schicksal der Staatsverträge der DDR nach dem Einigungsvertrag, DtZ 1991, S. 76 [78, 80]; Papenfuß, Die Behandlung der völkerrechtlichen Verträge der DDR im Zuge der Herstellung der Einheit Deutschlands, 1997, S. 77 ff., zu Umsetzung umfassend S. 93 ff.; Herber, Deutsche Einheit und internationales Kaufrecht, BB 1990, Beilage 37, S. 1 [3]; Enderlein/Graefrath, Nochmals: Deutsche Einheit und internationales Kaufrecht, BB 1991, Beilage 6, S. 8 [11]; Wittkowski, Die Staatensukzession in völkerrechtliche Verträge unter besonderer Berücksichtigung der Herstellung der staatlichen Einheit Deutschlands, 1992, S. 292 ff.; Silagi, Staatsuntergang und Staatennachfolge, 1996, S. 139 f., S. 155 f.; vgl. auch Denkschrift zum Einigungsvertrag, BTDrucks 11/7760, S. 355 [362]). Art. 12 EV geht also davon aus, daß das Völkerrecht weder ein Erlöschen aller Verträge der DDR (vgl. Denkschrift zum Einigungsvertrag, BTDrucks 11/7760, S. 355 [362]) noch deren generelle Fortgeltung fordert. Er bestätigt so den Grundsatz, daß völkerrechtlich weder eine Art Universalsukzession des Nachfolgestaates in alle Rechte und Pflichten des Vorgängerstaates besteht noch solche Rechte und Pflichten völlig erlöschen, sondern jeweils eigene Regeln für die verschiedenen Fallkonstellationen aus der Staatenpraxis zu entwickeln sind (vgl. O'Connell, State Succession in Municipal Law and International Law, Bd. 1, 1967, S. 8 ff., insbes. S. 34; Blumenwitz, Staatennachfolge und die Einigung Deutschlands, Teil I, 1992, S. 22 f.; Starke, Introduction to International Law, 10. Aufl., 1989, S. 322 ff.; Brownlie, Principles of Public International Law, 4. Aufl., 1990, S. 655; Shaw, International Law, 3. Aufl., 1991, S. 604 ff.; Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/1, 2. Aufl., 1989, S. 158 f.; Fiedler, State Succession, EPIL inst. 10 [1987], S. 446 [448]; Epping, in: Ipsen, Völkerrecht, 3. Aufl., 1990, S. 315 f.; Jennings/Watts, Oppenheim's International Law, vol. 1, 9. Aufl., 1992, S. 209 f.).
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Darüber hinaus betrifft Art. 12 EV die Staatennachfolge in völkerrechtliche Verträge der DDR, also deren Erlöschen, Fortgeltung oder Anpassung. Da aber das Wiener Übereinkommen über diplomatische Beziehungen von vornherein sowohl in der Bundesrepublik Deutschland als auch in der DDR in Kraft war (BGBl. 1964 II S. 959; GBl. der DDR 1973 II S. 29) und deshalb auch nach der Wiedervereinigung uneingeschränkt für die gesamte Bundesrepublik Deutschland fortgilt (zu solchen Konstellationen Oeter, German Unification and State Succession, ZaöRV 51 [1991], S. 349 [368]), stellt sich das von Art. 12 EV geregelte Problem der Staatensukzession in völkerrechtliche Verträge nicht. Vielmehr geht es um den Übergang einer nur den Vorgängerstaat bindenden, einzelnen Pflicht - hier der Pflicht, die fortwirkende Immunität des Beschwerdeführers zu beachten -, die aber auf einer sowohl Vorgänger- als auch Nachfolgestaat verpflichtenden Klausel in einem multilateralen Vertrag beruht.
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bb) Für eine solchermaßen speziell gelagerte Nachfolgefrage ist - unabhängig davon, ob für die Art von Sukzession, wie sie bei der Vereinigung Deutschlands vorlag, überhaupt vergleichbare Beispielsfälle bestehen (vgl. dazu einerseits Blumenwitz, Staatennachfolge und die Einigung Deutschlands, Teil I, 1992, S. 28 f., S. 46 f.; andererseits Dörr, Die Inkorporation als Tatbestand der Staatensukzession, 1995, passim) - keine Staatenpraxis erkennbar. Eine völkergewohnheitsrechtliche Regel, nach der die Pflicht der DDR, die fortwirkende Immunität des Beschwerdeführers zu beachten, übergegangen wäre, findet somit keinen Rückhalt in der allgemeinen Staatenpraxis. Dies bestätigt Art. 12 EV, der selbst für völkerrechtliche Verträge der DDR und nicht nur für Einzelverbindlichkeiten davon ausgeht, daß keine generelle, völkerrechtliche Pflicht zur Übernahme besteht, sondern eine Verhandlungslösung im Einzelfall anzustreben ist. Die Rundnote des Auswärtigen Amtes vom 24. August 1990 geht nicht von anderen Grundlagen aus, da sie nur Aussagen über den Wegfall der Immunität nach Art. 39 Abs. 2 Satz 1 WÜD für zur Zeit der Wiedervereinigung noch in der DDR akkreditierte Diplomaten trifft, nicht aber über die fortwirkende Immunität für dienstliche Handlungen ehemaliger Diplomaten.
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cc) Daß die zunächst völkerrechtsgemäße, strafrechtliche Verfolgung des Beschwerdeführers durch die Bundesrepublik Deutschland nicht durch die Wiedervereinigung nach dem Recht der Staatensukzession völkerrechtswidrig geworden ist, wird rechtlich bestätigt durch eine Abwägung der beteiligten Interessen im Hinblick auf den Zweck der fortwirkenden Immunität (zur Abwägung im Recht der Staatensukzession vgl. O'Connell, State Succession in Municipal Law and International Law, Bd. 2, 1967, S. 24; Starke, Introduction to International Law, 10. Aufl., 1989, S. 326; Papenfuß, Die Behandlung der völkerrechtlichen Verträge der DDR im Zuge der Herstellung der Einheit Deutschlands, 1997, S. 27; vgl. auch Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/1, 2. Aufl., 1989, S. 160 f.; Art. 12 Abs. 1 EV).
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Der Sinn des Art. 39 Abs. 2 Satz 2 WÜD spricht nicht für einen Pflichtübergang im Wege der Staatennachfolge. In ihrem räumlichen Geltungsbereich beruht die Vorschrift nicht auf dem notwendigen Schutz des Entsendestaates - der für eine Wirkung erga omnes spräche -, sondern auf den mangelnden Schutzmöglichkeiten von Drittstaaten über Agrement, persona non grata Verfahren und Schließung der Mission (s.o. B.II.3.a)bb) und dd). Die Bundesrepublik befindet sich insofern jedoch in keiner von anderen Drittstaaten abweichenden Lage. Sie hat den Beschwerdeführer nicht als Diplomaten aufgenommen. Vor allem hat sie auch mit dem Untergang der DDR nicht deren frühere Zustimmung, insbesondere in Form des Agrement, übernommen. Mit der Vereinigung Deutschlands ging die DDR als Staat unter, so daß mit ihr auch ihre diplomatischen Beziehungen zu anderen Staaten (zur Beendigung der Mission durch Untergang von Entsende- oder Empfangsstaat Guggenheim, Lehrbuch des Völkerrechts, Bd. 1, 1948, S. 456 f.) und damit die früheren Akkreditierungen erloschen. Die diplomatischen Missionen in der DDR wurden mit dem Beitritt nicht zu Missionen der jeweiligen Drittstaaten in der Bundesrepublik Deutschland. Gegen die entsprechende, in der Rundnote des Auswärtigen Amtes vom 24. August 1990 zum Ausdruck gebrachte Praxis sind Proteste ausländischer Staaten nicht bekannt. Hat die Bundesrepublik Deutschland also selbst bei zur Zeit der Vereinigung noch bestehenden Missionen das Agrement der DDR nicht übernommen, so scheidet eine rückwirkende Übernahme der Zustimmung zu allen jemals vorher in der DDR akkreditierten Diplomaten - wie dem Beschwerdeführer - erst recht aus.
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Der Sinn des Diplomatenrechts und der diplomatischen Immunität, die effektive Kooperation und damit den Frieden innerhalb der Staatengemeinschaft zu ermöglichen, erfordert ebenfalls keinen Übergang der aus Art. 39 Abs. 2 Satz 2 WÜD entspringenden Pflicht. Da die gerichtliche Verfolgung durch die Bundesrepublik vor der Vereinigung völkerrechtlich zulässig war, lag darin keine völkerrechtlich erhebliche Beeinträchtigung der zwischenstaatlichen Kooperation. Dieselbe Verfolgung durch die Bundesrepublik wird aber nicht allein dadurch zur erheblichen Beeinträchtigung, daß zwischenzeitlich die Einheit Deutschlands vollendet worden ist.
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Auch Tatbestände des Vertrauensschutzes sind nicht einschlägig. Ein Vertrauen in fortdauernde Freiheit von Verfolgung wird durch Art. 39 Abs. 2 Satz 2 WÜD nicht geschützt. Die diplomatische Immunität dient gerade nicht dem Schutz des einzelnen Diplomaten (vgl. Präambel WÜD, 4. Erwägungsgrund). Auch ein Vertrauen des Entsendestaates darauf, daß sein hoheitliches Handeln nicht in Prozessen gegen sein Organ Gegenstand gerichtlicher Verfahren wird, schützt Art. 39 Abs. 2 Satz 2 WÜD nicht. Die Vorschrift dient vielmehr dem Schutz des Entsendestaates in der Person seines Gesandten vor Gerichten nur desjenigen Staates, der dem Gesandten freiwillig Zugang gewährt hat. Der Entsendestaat des Beschwerdeführers konnte vor der Vereinigung nicht auf ein Verfolgungshindernis in der Bundesrepublik Deutschland vertrauen und kann dies in Anbetracht der Kontinuität der Bundesrepublik Deutschland (vgl. dazu statt aller Blumenwitz: Staatennachfolge und die Einigung Deutschlands, Teil I, 1992, S. 47; Enderlein/Graefrath, Nochmals: Deutsche Einheit und internationales Kaufrecht, BB 1991, Beilage 6, S. 8 [10]; vgl. auch BVerfGE 92, 277 [330, 348]; Art. 11 EV) auch weiterhin nicht.
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III. |
Die angegriffenen Entscheidungen verstoßen auch nicht gegen Art. 2 Abs. 1, Abs. 2 Satz 2 i.V.m. Art. 25 GG. Ein Grundrechtsverstoß kommt hier schon deshalb nicht in Betracht, weil die vom Beschwerdeführer behaupteten, allgemeinen Regeln des Völkerrechts nicht bestehen (s.o. B.II.3.).
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IV. |
1. Verfassungsmäßige Rechte des Beschwerdeführers sind nicht dadurch verletzt, daß das Kammergericht sich in seinen Entscheidungen auf richterliche und polizeiliche Vernehmungen des Dritten Sekretärs stützte, bei denen weder dem Beschwerdeführer noch dessen Verteidiger ein Anwesenheitsrecht eingeräumt worden war. Das Grundgesetz steht der Regelung der Strafprozeßordnung nicht entgegen, die bei der polizeilichen Zeugenvernehmung Anwesenheitsrechte von Verteidiger und Beschuldigten nicht vorsieht. Für die richterliche Vernehmung von Zeugen hingegen räumt die Strafprozeßordnung grundsätzlich ein solches Anwesenheitsrecht ein (§ 168c Abs. 2). Der Dritte Sekretär wurde aber nicht als Zeuge, sondern als Beschuldigter vernommen; gegen ihn hat die Staatsanwaltschaft später Anklage erhoben. Eine Auslegung, nach der § 168c Abs. 2 StPO ein Anwesenheitsrecht bei der Vernehmung einer anderen Person als der eines Zeugen grundsätzlich nicht einräumt, ist von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden.
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2. Verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Rechtsanwendung durch die Fachgerichte und insbesondere gegen die Annahme einer Garantenstellung des Beschwerdeführers bestehen nicht.
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a) Die Anordnung der Untersuchungshaft setzt u.a. voraus, daß der Betroffene der Tat dringend verdächtig ist, § 112 Abs. 1 StPO. Den dringenden Verdacht hat der Richter aufgrund bestimmter Tatsachen zu prüfen. Der Richter darf die Freiheit der Person nur aufgrund eines förmlichen Gesetzes beschränken, das die Voraussetzungen der Freiheitsentziehung im Gesetzestext hinreichend bestimmt regelt (Art. 104 Abs. 1 Satz 1 GG). Inhalt und Reichweite der Formvorschriften eines freiheitsbeschränkenden Gesetzes sind von den Gerichten so auszulegen, daß sie eine der Bedeutung des Grundrechts angemessene Wirkung entfalten (vgl. BVerfGE 65, 317 [322 f.]).
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Soweit die Strafprozeßordnung in § 112 Abs. 1 eine Voraussetzung der Untersuchungshaft im Erfordernis eines dringenden Verdachts einer Straftat regelt, insoweit also auf eine anderweitige Regelung der Strafbarkeit insbesondere im Strafgesetzbuch verweist, muß diese gesetzliche Regelung der Strafbarkeit den Bestimmtheitsanforderungen des Art. 103 Abs. 2 GG genügen. Das Erfordernis gesetzlicher Bestimmtheit in Art. 103 Abs. 2 GG entspricht dabei demjenigen des Art. 104 Abs. 1 Satz 1 GG (vgl. BVerfGE 78, 374 [383]).
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aa) Die Strafbarkeit der unechten Unterlassungsdelikte nach § 13 StGB und insbesondere das die Garantenstellung umschreibende Merkmal "rechtlich dafür einzustehen hat" ist mit dem Bestimmtheitsgebot des Art. 103 Abs. 2 GG vereinbar.
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Das Bestimmtheitsgebot verpflichtet den Gesetzgeber, die Voraussetzungen der Strafbarkeit so konkret zu umschreiben, daß Tragweite und Anwendungsbereich zu erkennen sind und sich durch Auslegung ermitteln lassen (stRspr seit BVerfGE 25, 269 [285]). Der einzelne Normadressat soll vorhersehen können, welches Verhalten verboten und mit Strafe bedroht ist (vgl. BVerfGE 87, 363 [391]; stRspr). Das Gebot der Bestimmtheit des Gesetzes berücksichtigt jedoch die Auslegungsfähigkeit und - bedürftigkeit des Rechtsaktes. Gesetze können nicht alle zukünftigen Fälle im Detail voraussehen, müssen auch den Wandel der Verhältnisse aufnehmen und der Besonderheit des Einzelfalles in ihrer Allgemeinheit gerecht werden (vgl. BVerfGE 14, 245 [251]; stRspr). Generalklauseln oder unbestimmte, wertausfüllungsbedürftige Begriffe sind im Strafrecht jedenfalls dann verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn die Norm mit Hilfe der üblichen Auslegungsmethoden eine zuverlässige Grundlage für ihre Auslegung und Anwendung bietet oder sie eine gefestigte Rechtsprechung übernimmt und damit aus dieser Rechtsprechung hinreichende Bestimmtheit gewinnt (vgl. BVerfGE 45, 363 [371 f.]; 48, 48 [56 f.]; 86, 288 [311]; vgl. auch BVerfGE 78, 374 [389]).
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bb) Diesen Anforderungen genügen die Bestimmungen über die Strafbarkeit des Unterlassens und das Merkmal der Garantenstellung in § 13 Abs. 1 StGB. Zwar läßt sich eine gesetzliche Regelung jedes einzelnen unechten Unterlassungsdelikts wegen der Vielzahl der denkbaren Tatbestände praktisch kaum verwirklichen (vgl. dazu Schwalm, in: Niederschriften über die Sitzungen der Großen Strafrechtskommission, 12. Bd., 1959, S. 76). Rechtsprechung und Lehre haben aber die Strafbarkeit der traditionell anerkannten unechten Unterlassungsdelikte bereits vor einer ausdrücklichen gesetzlichen Regelung dahingehend eingegrenzt, daß nur eine Rechtspflicht, die einem durch besondere Umstände begründeten Schutzverhältnis zum gefährdeten Rechtsgut entspringt, eine Garantenstellung begründen kann, eine sittliche Pflicht oder nur die faktische Möglichkeit zur Schadensverhinderung aber nicht genügen (vgl. Schönke/Schröder: StGB, 14. Aufl., 1969, Vorbem. 102 ff. m.w.N.; Schwarz/Dreher: StGB, 30. Aufl., 1968, D vor § 1 StGB m.w.N.). Mit dem durch das Zweite Gesetz zur Reform des Strafrechts vom 4. Juli 1969 (BGBl. I S. 717) zum 1. Januar 1975 eingeführten § 13 StGB (vgl. § 1 des Gesetzes über das Inkrafttreten des Zweiten Gesetzes zur Reform des Strafrechts vom 30. Juli 1973, BGBl. I S. 909) fand diese jahrzehntelange Rechtsprechung ihre gesetzliche Form. Die auf sie zurückgehenden Merkmale der Garantenstellung wurden in der Folgezeit kontinuierlich weiterentwickelt (vgl. zum gegenwärtigen Stand nur Stree, in: Schönke/Schröder, StGB, 25. Aufl., 1997, § 13 Rn. 17 ff.)
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Im übrigen ist die Rechtsprechung einer unzulässigen Ausweitung der unechten Unterlassungsdelikte entgegengetreten, indem insbesondere die Zumutbarkeit der geforderten Handlung geprüft, also zwischen der Lage und den Fähigkeiten des Garanten sowie der Nähe und Schwere der Gefahr sowie der Bedeutung des Rechtsguts abgewogen wird (vgl. dazu Tröndle, StGB, 48. Aufl., 1997, § 13 Rn. 15 f. m.w.N.).
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b) Auch im übrigen begegnet die Rechtsanwendung durch die Fachgerichte keinen durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken.
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aa) Bei der Gesetzesanwendung haben die Strafgerichte einen Einschätzungs- und Beurteilungsspielraum. Der Verantwortungsbereich des Strafrichters für die ihm anvertraute Anwendung des Strafrechts ist erst verlassen, wenn seine Gesetzesauslegung auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von der Bedeutung eines Grundrechts beruht und auch in ihrer materiellen Auswirkung für den konkreten Rechtsfall von Gewicht ist (vgl. BVerfGE 18, 85 [93]). Ein Verstoß gegen das Gebot rechtsstaatlicher Vertretbarkeit liegt erst vor, wenn die fehlerhafte Rechtsanwendung unter Berücksichtigung der das Grundgesetz beherrschenden Gedanken nicht mehr verständlich wäre (vgl. BVerfGE 4, 1 [7]). Bei der rechtlichen Würdigung eines Haftbefehls ist außerdem zu berücksichtigen, daß der Richter hier regelmäßig die festgestellten Tatsachen nur vorläufig beurteilt.
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bb) Gemessen an diesem Maßstab bleiben die Erwägungen, mit denen das Kammergericht seine Auffassung begründet, im Rahmen zulässiger Gesetzesauslegung.
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Das Kammergericht hat die Garantenstellung gemäß § 13 StGB nicht nur mit der Sachherrschaft über das Botschaftsgebäude, sondern auch mit hinzutretenden besonderen Umständen begründet. Insofern konnte es sich auf eine gefestigte höchstrichterliche Rechtsprechung (vgl. BGHSt 30, 391 [394]) stützen, die den Begriff "Rechtspflicht" einschränkend auslegt und verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist.
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Im Rahmen rechtsstaatlicher Vertretbarkeit verbleiben auch die Erwägungen, mit denen das Kammergericht den Gehilfenvorsatz begründet hat. Dem Beschwerdeführer war bekannt, daß die in der Botschaft erschienene Person Mitglied einer Terroristengruppe war, sie den Sprengstoff unter Umgehung der strengen und strikt kontrollierten Weisungen der Staatssicherheit nach Berlin (West) transportieren wollte, sie also zu einem risikoreichen Handeln bereit war und die außergewöhnlich große Menge an Sprengstoff zudem bereits ein besonderes Gefahrenpotential darstellte, dessen legale Verwendung in Berlin (West) nicht erwartet werden konnte.
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Die Absicht des Terroristen, den Sprengstoff aus der relativen Sicherheit des Botschaftsgebäudes nach Berlin (West) bringen zu lassen, weist auf einen konkreten Plan zur alsbaldigen Verwendung dieses Materials. Die Schlußfolgerung des Kammergerichts, der Beschwerdeführer sei davon ausgegangen, der Terrorist werde den Sprengstoff zur Durchführung eines Anschlages in Berlin (West) mitnehmen, bleibt deshalb in dem verfassungsrechtlichen Rahmen der dem Strafgericht obliegenden Tatsachenfeststellungen am Maßstab des Strafgesetzes. Auch die Annahme, der Beschwerdeführer habe die - zumindest in gewissen Umrissen erforderliche (vgl. Tröndle, StGB, 48. Aufl., 1997, § 27 Rn. 9 m.w.N.) - Kenntnis von der Haupttat gehabt, begegnet angesichts der bisherigen terroristischen Aktivitäten der Gruppe und der Menge an Sprengstoff keinen verfassungsrechtlichen Bedenken.
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Limbach, Kruis, Kirchhof, Winter, Sommer, Jentsch, Hassemer |