BVerfGE 160, 164 - Tierarztvorbehalt
Tierarztvorbehalt – eA
 
Beschluss
des Ersten Senats vom 24. Januar 2022
– 1 BvR 2380 und 2449/21 –
in den Verfahren über die Verfassungsbeschwerden I. 1. der Frau (...), 2. der Frau (...), 3. der Frau (...), – Bevollmächtigter: (...) – gegen § 50 Absatz 2 des Gesetzes über den Verkehr mit Tierarzneimitteln und zur Durchführung unionsrechtlicher Vorschriften betreffend Tierarzneimittel (Tierarzneimittelgesetz) vom 27. September 2021 (Bundesgesetzblatt I Seite 4530) – 1 BvR 2380/21 –, II. der Frau (...), – Bevollmächtigte: (...) – gegen § 50 Absatz 2 des Gesetzes über den Verkehr mit Tierarzneimitteln und zur Durchführung unionsrechtlicher Vorschriften betreffend Tierarzneimittel (Tierarzneimittelgesetz) vom 27. September 2021 (Bundesgesetzblatt I Seite 4530) – 1 BvR 2449/21 –;
hier: Anträge auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.
 
Entscheidungsformel:
Die Anträge auf Erlass einer einstweiligen Anordnung werden abgelehnt.
 
Gründe:
I.
Die Beschwerdeführerinnen wenden sich mit ihren Anträgen auf Erlass einer einstweiligen Anordnung und den damit verbundenen Verfassungsbeschwerden als praktizierende Tierheilpraktikerinnen mit dem Therapieschwerpunkt Klassische Homöopathie gegen § 50 Abs. 2 des Gesetzes über den Verkehr mit Tierarzneimitteln und zur Durchführung unionsrechtlicher Vorschriften betreffend Tierarzneimittel (Tierarzneimittelgesetz – TAMG) vom 27. September 2021 (BGBl I S. 4530), der zum 28. Januar 2022 in Kraft treten soll.
1. Die Klassische Homöopathie ist eine Behandlungsmethode aus dem Bereich der Alternativmedizin. Ihr liegt die Überzeugung zugrunde, dass ein bestimmter Stoff, der in höherer Konzentration an Gesunden ähnliche Symptome hervorruft wie die Krankheit, in geringerer Konzentration heilende Wirkungen entfaltet. Um toxische Wirkungen auszuschließen, kommen sogenannte Hochpotenzen mit einem Mindestverdünnungsgrad von 1/10.000 (Arzneimittel-Urtinktur/Fertigprodukt) zur Anwendung, welche die Selbstheilungskräfte des Organismus anstoßen sollen. Die zur Anwendung in der Klassischen Homöopathie vorgesehenen Arzneimittel lassen sich weder einem bestimmten Anwendungsgebiet noch einer bestimmten Indikation zuordnen. Vielmehr wird jeweils auf der Grundlage einer Anamnese im Einzelfall ermittelt, welches homöopathische Arzneimittel in welcher Dosierung eingesetzt werden soll (vgl. zum Ganzen: Böttger/Kirchner, in: Fuhrmann/Klein/Fleischfresser, Arzneimittelrecht, 3. Aufl. 2020, § 4 Rn. 10–49; Schumacher, Alternativmedizin, 2017, S. 29–31).
Die im Tierarzneimittelbereich verfügbaren Homöopathika ermöglichen kein Arbeiten nach den Prinzipien der Klassischen Homöopathie. Tierheilpraktikerinnen und Tierheilpraktiker, die – wie die Beschwerdeführerinnen – ihre tierischen Patienten im Wege der Klassischen Homöopathie behandeln, greifen daher auf Humanhomöopathika zurück.
2. a) Nach bisheriger und bis zum Ablauf des 27. Januar 2022 geltender Rechtslage ist auch Personen, die nicht Tierärztinnen oder Tierärzte sind, die Anwendung nicht-verschreibungspflichtiger Humanarzneimittel bei Tieren, die nicht der Gewinnung von Lebensmitteln dienen, gestattet. Dies ergibt sich – im Umkehrschluss – aus § 57a, § 58 Abs. 1 Arzneimittelgesetz (AMG). Verschreibungspflichtig sind grundsätzlich Arzneimittel, welche die in der Anlage 1 zur Arzneimittelverschreibungsverordnung (AMVV) bestimmten Stoffe oder Zubereitungen aus Stoffen enthalten (vgl. § 1 AMVV). Nach § 5 AMVV gilt dies allerdings nicht für Arzneimittel, die nach einer homöopathischen Verfahrenstechnik hergestellt sind, wenn die Endkonzentration dieser Arzneimittel im Fertigprodukt die vierte Dezimalpotenz nicht übersteigt, also das Fertigprodukt nicht mehr als 1/10.000 der Arzneimittel-Urtinktur enthält. Diese Voraussetzung erfüllen registrierte Humanhomöopathika (vgl. § 39 Abs. 2 Nr. 5b AMG), welche die Beschwerdeführerinnen ausschließlich anwenden.
b) Ab dem 28. Januar 2022 gilt in der Europäischen Union für Tierarzneimittel die Verordnung (EU) 2019/6 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Dezember 2018 über Tierarzneimittel und zur Aufhebung der Richtlinie 2001/82/EG. Dies veranlasste den deutschen Gesetzgeber, ein Tierarzneimittelgesetz als eigenständiges Stammgesetz zur Durchführung der Verordnung (EU) 2019/6 zu erlassen und im Arzneimittelgesetz die bisher dort auf Tierarzneimittel bezogenen Regelungen zum 28. Januar 2022 aufzuheben.
Der angegriffene § 50 Abs. 2 TAMG, der am 28. Januar 2022 in Kraft treten soll, hat folgenden Wortlaut:
§ 2 AMG ("Arzneimittelbegriff"), auf den die angegriffene Norm verweist, hat in der ab dem 28. Januar 2022 gültigen Fassung folgenden Wortlaut:
Nach § 4 Abs. 26 AMG sind auch Humanhomöopathika Arzneimittel im Sinne des Arzneimittelgesetzes und fallen daher unter die angegriffene Vorschrift des § 50 Abs. 2 TAMG.
Zweck der angegriffenen Regelung ist ausweislich der Gesetzentwurfsbegründung die Sicherstellung eines hohen Schutzniveaus bei der Anwendung von Tier- und Humanarzneimitteln bei Tieren, weil diese Auswirkungen auf die Lebensmittelkette, die Beschaffenheit von Lebensmitteln tierischen Ursprungs, die Umwelt, die Tiergesundheit und über die Entstehung und Ausbreitung von Antibiotikaresistenzen auch auf die öffentliche Gesundheit haben könne (vgl. BTDrucks 19/28658, S. 109, 128).
3. Die Beschwerdeführerinnen tragen vor, dass sie seit vielen Jahren hauptberuflich als Tierheilpraktikerinnen arbeiten und vor allem Hunde, Katzen und Pferde, zum Teil auch Kleintiere behandeln. Mit den Einnahmen aus ihrer Praxistätigkeit bestritten sie jedenfalls einen Großteil ihres Lebensunterhalts. Sie arbeiteten therapeutisch ausschließlich oder nahezu ausschließlich klassisch homöopathisch unter Verwendung hochpotenzierter registrierter Humanhomöopathika. Die Beschwerdeführerin zu II. gibt an, dass sie daneben privat zwei Hunde und zwei Pferde hält, die sie als Tierhalterin bei Bedarf mit diesen Arzneimitteln behandelt.
4. Die Beschwerdeführerinnen zu I. rügen eine Verletzung ihrer Berufsfreiheit, die Beschwerdeführerin zu II. zusätzlich eine Verletzung von Art. 3 Abs. 1 GG und – als Tierhalterin – eine Verletzung ihrer allgemeinen Handlungsfreiheit, soweit die angegriffene Norm Tierheilpraktikerinnen und Tierheilpraktikern sowie Tierhalterinnen und Tierhaltern untersagt, insbesondere nicht-verschreibungspflichtige und zugleich registrierte Humanhomöopathika bei Tieren anzuwenden, die nicht der Gewinnung von Lebensmitteln dienen.
Die Verordnung (EU) 2019/6 schreibe keinen Tierarztvorbehalt für homöopathische Humanarzneimittel vor. Die Regelung des § 50 Abs. 2 TAMG sei unionsrechtlich daher nicht geboten gewesen. Der Tierarztvorbehalt sei nicht geeignet, das Tierwohl oder den Gesundheitsschutz von Menschen zu verbessern, denn es gebe keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass die Anwendung von Homöopathika schädlich sein könnte. Humanhomöopathika seien deshalb bei Menschen ohne ärztliche Anordnung oder Aufsicht frei anwendbar, auch bei Kindern, Säuglingen und pflegebedürftigen Personen. Deshalb sei die Einbeziehung registrierter Humanhomöopathika in den Anwendungsbereich des Tierarztvorbehalts auch nicht erforderlich; andere nicht-verschreibungspflichtige Humanarzneimittel (z.B. bestimmte Schmerzmittel), die am Tier Leiden und Schäden hervorrufen könnten, sollten dagegen durchaus unter den Tierarztvorbehalt fallen. Es sei ferner nicht erforderlich, Tierheilpraktiker dem Verbot zu unterwerfen, weil ihnen eine besondere Sachkunde zukomme, aufgrund ihrer Spezialisierung sogar bessere Sachkunde als Tierärzten. Mildere Mittel seien in jedem Fall ein Tierarztvorbehalt nur in Bezug auf Tiere, die der Lebensmittelgewinnung dienten, oder die Einführung eines Sachkundenachweises für Tierheilpraktiker. Der Eingriff sei schließlich aufgrund seiner besonderen Schwere und seiner Wirkung als Berufsverbot nicht angemessen. Das Gesetz sehe keine Ausnahme- und Übergangsregelungen vor.
Die Beschwerdeführerin zu II. rügt ferner eine Verletzung von Art. 3 Abs. 1 GG. Die angegriffene Norm bedeute eine ungerechtfertigte Ungleichbehandlung gegenüber der freien Anwendbarkeit von Humanhomöopathika an Menschen und gegenüber Humanheilpraktikern, die bei ihren Patienten Homöopathika anwenden dürften. Eine Gleichbehandlung ohne sachlich rechtfertigenden Grund bestehe darin, dass die Anwendung von Humanhomöopathika auf nicht der Lebensmittelgewinnung dienende Tiere und auf solche, die der Lebensmittelgewinnung dienten, ohne Unterschied dem Tierarztvorbehalt unterfalle.
Sie sei darüber hinaus in ihrer allgemeinen Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) betroffen, weil sie als Tierhalterin ihre Hunde und Pferde nicht mehr homöopathisch behandeln dürfe. Auch dieser Eingriff sei unverhältnismäßig, weil keine schädlichen Wirkungen der Anwendung von Homöopathika bekannt seien.
II.
1. Zu den Anträgen auf Erlass einer einstweiligen Anordnung haben die Bundesregierung durch das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft sowie die Bayerische Staatskanzlei Stellung genommen.
a) Das Bundesministerium meint, den Beschwerdeführerinnen fehle bereits die Beschwerdebefugnis, weil sie auch nach derzeit geltendem Recht bei Tieren keine Humanhomöopathika anwenden dürften. Schon nach § 56a Abs. 1 und 2 AMG sei die Umwidmung eines Humanarzneimittels zur Anwendung bei einem Tier nur Tierärzten und auch diesen nur im Fall eines sogenannten Therapienotstandes gestattet. Nachdem sich die Beschwerdeführerinnen in der Sache also gegen § 56a Abs. 1 und 2 AMG wendeten, seien die Verfassungsbeschwerden verfristet.
Hinzu komme, dass § 50 Abs. 2 TAMG der Durchführung der Art. 112 ff. VO (EU) 2019/6 diene. Die angegriffene Norm sei daher am Unionsrecht zu messen. Unabhängig davon könnten die Beschwerdeführerinnen aber jedenfalls im Hinblick auf Art. 12 Abs. 1 GG kein schutzwürdiges Vertrauen in Anspruch nehmen, weil ihre Tätigkeit schon bislang nicht erlaubt gewesen sei. Angesichts der bereits am 7. Januar 2019 bekanntgemachten Art. 112 ff. VO (EU) 2019/6 hätten sie auch mit einer Neuregelung rechnen müssen. Die angegriffene Norm sei keine Berufswahlregelung, sondern eine bloße Berufsausübungsregelung; sie mache die Tätigkeit des Tierheilpraktikers nicht unmöglich. Selbst wenn § 50 Abs. 2 TAMG eine bislang erlaubte Tätigkeit der Beschwerdeführerinnen einschränke, sei dies gerechtfertigt, denn die Vorschrift diene dem legitimen Zweck des Tierschutzes und dem Schutz der öffentlichen Gesundheit. Die behauptete Verletzung des Gleichheitssatzes könne nicht nachvollzogen werden. Art. 2 Abs. 1 GG sei nicht verletzt, weil die Anwendung von Humanhomöopathika bei Tieren durch Tierhalter bereits nach geltendem Recht untersagt sei.
Die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung lägen nicht vor. Die Verfassungsbeschwerden seien offensichtlich unbegründet. Jedenfalls falle eine Abwägung zulasten der Beschwerdeführerinnen aus, denn die von § 50 Abs. 2 TAMG untersagte Umwidmung einstweilen zu gestatten, würde zu einer gefährlichen Regelungslücke führen. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung würde zudem der Verordnung (EU) 2019/6 im Hinblick auf deren Art. 112 ff. ihren Geltungsanspruch versagen und daher dem Wohl des Bundes Nachteile zufügen.
b) Die Bayerische Staatskanzlei weist darauf hin, dass § 50 Abs. 2 TAMG entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerinnen nicht gänzlich verzichtbar sei. Insbesondere eine Beibehaltung des Verbots der Anwendung von Humanhomöopathika durch Personen, die nicht Tierärzte seien, bei Tieren, die der Gewinnung von Lebensmitteln dienten, sei dringend geboten. Hingegen könne die bisherige Rechtslage (vor Geltungsbeginn des neu geschaffenen Tierarzneimittelgesetzes) zur Anwendung von Humanhomöopathika bei anderen Tieren beibehalten werden.
2. In ihren Erwiderungen führen die Beschwerdeführerinnen ergänzend aus, das bereits nach bisherigem Recht in § 56a Abs. 1 Nr. 3 AMG geregelte Umwidmungsverbot gelte nur für Tierärzte und sei zudem nicht auf Homöopathika anwendbar, was sich aus dem eindeutigen Wortlaut des § 56a Abs. 2 Satz 5 AMG ergebe.
III.
Die Anträge auf Erlass einer einstweiligen Anordnung haben keinen Erfolg.
1. Nach § 32 Abs. 1 BVerfGG kann das Bundesverfassungsgericht einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist. Bei der Entscheidung über die einstweilige Anordnung haben die Gründe, die für die Verfassungswidrigkeit der mit der Verfassungsbeschwerde angegriffenen Maßnahmen vorgetragen werden, grundsätzlich außer Betracht zu bleiben, es sei denn, die in der Hauptsache zu entscheidende Verfassungsbeschwerde erwiese sich als von vornherein unzulässig oder offensichtlich unbegründet (vgl. BVerfGE 140, 99 [106 Rn. 11]; 143, 65 [87 Rn. 35]; stRspr). Bei offenem Ausgang des Hauptsacheverfahrens muss das Bundesverfassungsgericht im Rahmen einer Folgenabwägung die Nachteile abwägen, die einträten, wenn eine einstweilige Anordnung nicht erginge, die Verfassungsbeschwerde aber in der Hauptsache Erfolg hätte, gegenüber den Nachteilen, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, der Verfassungsbeschwerde in der Hauptsache aber der Erfolg zu versagen wäre (vgl. BVerfGE 140, 99 [106 Rn. 11]; 143, 65 [87 Rn. 35]; 157, 332 [377 Rn. 73], jeweils m.w.N.; stRspr).
2. Die Verfassungsbeschwerden sind weder von vornherein unzulässig noch offensichtlich unbegründet.
a) Die Beschwerdeführerinnen sind durch die angegriffene Norm selbst, gegenwärtig und unmittelbar betroffen (vgl. dazu BVerfGE 125, 39 [73]; 129, 78 [91]; 138, 64 [85 Rn. 61]). Die angegriffene Norm tritt zwar erst zum 28. Januar 2022 in Kraft. Es ist aber bereits aktuell klar abzusehen, dass sie von der Norm betroffen sein werden, was für eine gegenwärtige Betroffenheit ausreicht (vgl. BVerfGE 97, 157 [164]; 102, 197 [207]; 110, 141 [151 f.]; 114, 258 [277]; stRspr). Die Verfassungsbeschwerden genügen zudem den aus § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG abgeleiteten Anforderungen an ihre Begründung jedenfalls im Hinblick auf die als verletzt gerügten Art. 12 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 GG.
b) Die Verfassungsbeschwerden wahren auch den Grundsatz der Subsidiarität, § 90 Abs. 2 BVerfGG.
aa) Beschwerdeführende müssen bei gesetzesunmittelbaren Verfassungsbeschwerden zwar zunächst im Rahmen des ihnen Zumutbaren versuchen, Rechtsschutz durch die Fachgerichte zu erlangen (vgl. BVerfGE 143, 246 [321 Rn. 209]). Anders verhält es sich jedoch, soweit die Beurteilung einer angegriffenen Norm ausschließlich spezifisch verfassungsrechtliche Fragen aufwirft, die das Bundesverfassungsgericht zu beantworten hat, ohne dass von einer vorausgegangenen fachgerichtlichen Prüfung verbesserte Entscheidungsgrundlagen zu erwarten wären; einer vorangehenden fachgerichtlichen Entscheidung bedarf es dann nicht (vgl. BVerfGE 143, 246 [322 Rn. 211]; 150, 309 [327 Rn. 44]; stRspr).
bb) So liegt es hier. Die angegriffene Norm enthält keine auslegungsbedürftigen und auslegungsfähigen Rechtsbegriffe und wirft allein spezifisch verfassungsrechtliche Fragen auf. Bereits ihr eindeutiger Wortlaut legt nahe, dass von dem Tierarztvorbehalt ausnahmslos alle Humanarzneimittel nach § 2 Abs. 1, Abs. 2 und Abs. 3a AMG erfasst sind, worunter nach § 4 Abs. 26 AMG auch registrierte Humanhomöopathika fallen. Dieses Normverständnis wird durch die Gesetzentwurfsbegründung bestätigt (vgl. BTDrucks 19/28658, S. 128) und von der Literatur geteilt (vgl. Peters/Ibrahim, A&R 2021, 234 [239 f.]). Auch die Bundesregierung und die Bayerische Staatskanzlei stimmen in ihren Stellungnahmen darin überein.
c) Die Einlegungsfrist ist gewahrt.
Nach § 93 Abs. 3 BVerfGG ist die Verfassungsbeschwerde innerhalb eines Jahres seit In-Kraft-Treten der angegriffenen Norm einzulegen (vgl. BVerfGE 76, 107 [115 f.]; 79, 127 [142]; 107, 1 [8]). Eine Verfristung käme allenfalls dann in Betracht, wenn der Gesetzgeber – wie die Bundesregierung in ihrer Stellungnahme meint – einen bislang bereits in § 56a Abs. 1 und 2 AMG geregelten Tierarztvorbehalt in Bezug auf die Anwendung registrierter Humanhomöopathika bei Tieren, die nicht der Gewinnung von Lebensmitteln dienen, im Wege der Verabschiedung des § 50 Abs. 2 TAMG lediglich im Sinne einer Bestätigung erneut in seinen Willen aufgenommen hätte (vgl. BVerfGE 11, 255 [259 f.]; 137, 108 [139 Rn. 70]; stRspr). Dies ist jedoch nicht der Fall. § 56a AMG ("Verschreibung, Abgabe und Anwendung von Arzneimitteln durch Tierärzte") stellt nur Gebote für Tierärzte auf, während § 57a AMG ("Anwendung durch Tierhalter") Gebote für die Anwendung von Arzneimitteln im Hinblick auf Personen normiert, die wie die Beschwerdeführerinnen keine Tierärztinnen oder Tierärzte sind (vgl. Heßhaus/Laber-Probst, in: Kügel/Müller/Hofmann, AMG, 2. Aufl. 2016, § 56a Rn. 1, 4 und 16; Kluge, in: Fuhrmann/Klein/Fleischfresser, Arzneimittelrecht, 3. Aufl. 2020, § 38 Rn. 2, 15 f. und 29; Meier, in: Meier/v. Czettritz/Gabriel/Kaufmann, Pharmarecht, 2014, S. 155 f.; Rehmann, AMG, 5. Aufl. 2020, § 56a Rn. 1; Saalfrank, in: Kloesel/Cyran, Arzneimittelrecht, 135. EL 2019, § 56a AMG Anm. 1.0; s.a. Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz zum Entwurf eines Fünfzehnten Gesetzes zur Änderung des Arzneimittelgesetzes, BTDrucks 17/4720, S. 7).
Damit ist die Jahresfrist des § 93 Abs. 3 BVerfGG eingehalten. Die Beschwerdeführerinnen greifen nicht einen bereits für ihre Tätigkeit geltenden Tierarztvorbehalt an, sondern dessen erstmalige Einführung mit § 50 Abs. 2 TAMG. Diese Norm soll erst am 28. Januar 2022 in Kraft treten.
d) Die Verfassungsbeschwerden sind im Hinblick auf Art. 12 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 GG auch nicht offensichtlich unbegründet.
aa) Die von den Beschwerdeführerinnen ausgeübte Tätigkeit als Tierheilpraktikerinnen unterfällt, weil sie auf Dauer zur Schaffung und Erhaltung einer Lebensgrundlage angelegt ist, dem Schutzbereich des Art. 12 Abs. 1 GG. Dass es sich nicht um einen staatlich anerkannten Beruf handelt, ist für den Schutz durch Art. 12 Abs. 1 GG nicht von Bedeutung (vgl. BVerfGE 141, 121 [130 f. Rn. 34]; 155, 238 [276 Rn. 92]; m.w.N.).
bb) In Art. 12 Abs. 1 GG darf nur auf gesetzlicher Grundlage und unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit eingegriffen werden (vgl. BVerfGE 141, 82 [98 Rn. 47 m.w.N.]; 145, 20 [67 Rn. 121]; stRspr). Der Eingriff muss einem legitimen Zweck dienen und geeignet sowie erforderlich sein, diesen Zweck zu erreichen; ferner darf er die Grundrechtsträger nicht in unzumutbarer Weise belasten (vgl. BVerfGE 155, 238 [278 Rn. 99]; s.a. BVerfGE 141, 121 [133 Rn. 40]; 145, 20 [67 Rn. 121]; stRspr). Ob § 50 Abs. 2 TAMG diesen Anforderungen entspricht, bedarf der Überprüfung im Verfassungsbeschwerdeverfahren. Insbesondere wird zu klären und zu prüfen sein, ob und inwieweit die angegriffene Regelung gegenüber den Beschwerdeführerinnen als geeignete und erforderliche Maßnahme gerechtfertigt werden kann, um die mit dem Gesetz verfolgten Zwecke zu erreichen.
cc) Das Gleiche gilt, soweit sich die Beschwerdeführerin zu II.) als Tierhalterin gegen § 50 Abs. 2 TAMG wendet, im Hinblick auf Art. 2 Abs. 1 GG.
3. Allerdings haben die Beschwerdeführerinnen keine für den Erlass einer einstweiligen Anordnung sprechenden Gründe von ganz besonderem Gewicht substantiiert dargelegt.
a) Wird die Aussetzung des Vollzugs eines Gesetzes begehrt, gelten dafür besonders hohe Hürden (vgl. BVerfGE 140, 99 [106 f. Rn. 12]; stRspr). Das Bundesverfassungsgericht darf von seiner Befugnis, den Vollzug eines Gesetzes auszusetzen oder bereits das In-Kraft-Treten eines Gesetzes vorläufig zu unterbinden, nur mit größter Zurückhaltung Gebrauch machen, weil dies einen erheblichen Eingriff in die originäre Zuständigkeit des Gesetzgebers darstellt (vgl. BVerfGE 157, 332 [374 f. Rn. 67]; 157, 394 [402 f. Rn. 20]; stRspr). Müssen die für eine vorläufige Regelung sprechenden Gründe schon im Regelfall so schwer wiegen, dass sie den Erlass einer einstweiligen Anordnung unabdingbar machen, so müssen sie, wenn beantragt ist, den Vollzug eines Gesetzes auszusetzen, darüber hinaus ganz besonderes Gewicht haben und in Ausmaß und Schwere deutlich die Nachteile überwiegen, die im Falle der vorläufigen Außerkraftsetzung eines sich als verfassungsgemäß erweisenden Gesetzes einträten (vgl. BVerfGE 122, 342 [361 f.]; 140, 99 [107 Rn. 12]; 157, 332 [374 f. Rn. 67] m.w.N.; stRspr). Insoweit ist von entscheidender Bedeutung, ob die Nachteile irreversibel oder auch nur sehr erschwert revidierbar sind, um das Aussetzungsinteresse durchschlagen zu lassen (vgl. BVerfGE 118, 111 [123]; 140, 211 [219 f. Rn. 13]; stRspr), oder ob sie in der Zeit zwischen dem In-Kraft-Treten eines Gesetzes und der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts in der Hauptsache sehr schwer wiegen (vgl. BVerfGE 108, 45 [50]; 131, 47 [61 ff.]; dazu auch BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 13. Mai 2015 – 1 BvQ 9/15 –, Rn. 20; Beschlüsse der 3. Kammer des Ersten Senats vom 25. Februar 2019 – 1 BvR 842/17 –, Rn. 7; vom 10. März 2020 – 1 BvQ 15/20 –, Rn. 21; vom 28. Oktober 2020 – 1 BvR 972/20 –, Rn. 11; vom 29. Dezember 2020 – 1 BvQ 152/20 u.a. –, Rn. 10).
Dieser äußerst strenge Maßstab verlangt nicht nur eine besondere Schwere der Nachteile, die entstehen, wenn die einstweilige Anordnung nicht ergeht, sondern stellt auch sehr hohe Anforderungen an die nach § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG gebotene Begründung des Antrags, dass solche Nachteile zu gewärtigen sind (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 13. Mai 2015 – 1 BvQ 9/15 –, Rn. 20 m.w.N.). Insoweit bedarf es in tatsächlicher Hinsicht zumindest im Sinne einer Plausibilitätskontrolle nachvollziehbarer individualisierter und konkreter Darlegungen (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 28. Oktober 2020 – 1 BvR 972/20 –, Rn. 12). Fehlt es daran, kommt es auf eine Folgenabwägung nicht an (vgl. BVerfGE 156, 335 [337 f. Rn. 4]; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 29. Dezember 2020 – 1 BvQ 152/20 u.a. –, Rn. 11).
b) Die von den Beschwerdeführerinnen als Tierheilpraktikerinnen vorgetragenen Nachteile sind zwar gewichtig, genügen gemessen an diesen strengen Voraussetzungen für sich genommen jedoch nicht, um die Dringlichkeit einer Eilentscheidung gegen ein Gesetz zu begründen.
Die Beschwerdeführenden legen nicht hinreichend dar, dass ihre möglicherweise in der begrenzten Zeit bis zur Entscheidung in der Hauptsache eintretenden beruflichen Nachteile irreversibel oder auch nur sehr erschwert revidierbar sind oder sonst sehr schwer wiegen. So arbeitet die Beschwerdeführerin zu I.1) auch als "Human-Heilpraktikerin" und behandelt zu etwa einem Drittel ihrer Tätigkeit auch Menschen, woraus sie jedenfalls einen Teil ihres Einkommens erzielt. Die Beschwerdeführerin zu I.3) bestreitet ihren Lebensunterhalt nicht allein aus den Einnahmen aus ihrer beruflichen Tätigkeit. Alle Beschwerdeführerinnen zu I.) üben zudem neben ihrer Praxis Tätigkeiten aus, die sie auch bei Geltung der angegriffenen Regelung bis zur Entscheidung in der Hauptsache fortführen können. Sie tragen selbst vor, es sei lediglich "unklar", ob die sich aus einer vorübergehenden Unterbrechung ihrer Tätigkeit als Tierhomöopathinnen ergebenden Nachteile wieder rückgängig zu machen seien. Dies gilt auch für die Beschwerdeführerin zu II.). Sie ist ausgebildete Tierheilpraktikerin und generiert einen Teil ihres Einkommens auch aus dem Einsatz anderer Behandlungsmethoden. Sie ist daher nicht auf die Behandlung von Tieren mit Humanhomöopathika beschränkt, sondern kann auch andere Therapieansätze anwenden. Die Beschwerdeführerin müsste daher die bisher ihre Lebensgrundlage bildende Tätigkeit bis zu der Entscheidung in der Hauptsache nicht vollständig aufgeben und wäre innerhalb dieses Zeitraums auch nicht zum Aufbau einer neuen, auf anderen beruflichen Voraussetzungen beruhenden Existenz gezwungen (vgl. dazu BVerfGE 25, 367 [370]; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 13. Mai 2015 – 1 BvQ 9/15 –, Rn. 27). Das bislang beruflich erworbene Wissen und ihre spezifischen Berufserfahrungen kann sie weiterhin verwerten. Wirtschaftliche Nachteile, die Einzelnen durch den Vollzug eines Gesetzes entstehen, sind daneben grundsätzlich nicht geeignet, die Aussetzung der Anwendung von Normen zu begründen (vgl. BVerfGE 6, 1 [6]; 7, 175 [179, 182 f.]; 14, 153; 20, 363 f.; dazu auch BVerfGK 7, 188 [191 f.]; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 28. Oktober 2020 – 1 BvR 972/20 –, Rn. 18).
c) Soweit die Beschwerdeführerin zu II. geltend macht, sie sei auch in ihrer allgemeinen Handlungsfreiheit betroffen, weil sie als Tierhalterin ihre Hunde und Pferde nicht mehr homöopathisch behandeln dürfe, legt sie keine gewichtigen Nachteile dar. Es ist nicht ersichtlich, dass die Tiere bei Bedarf bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache nicht auf andere (schulmedizinische oder alternativmedizinische) Weise von anderen auf dem Gebiet der Tierheilkunde tätigen Personen oder einem Tierarzt behandelt werden könnten.
4. Da es hier bereits an der Darlegung von Nachteilen von ganz besonderem Gewicht fehlt, kommt es auf eine Folgenabwägung nicht an.
Harbarth Paulus Baer Britz Ott Christ Radtke Härtel