BGHZ 33, 145 - Wechsel der Glaubensgemeinschaft als Scheidungsgrund
1. Ob eine schwere Eheverfehlung darin liegt, daß ein Ehegatte gegen den Willen des anderen aus der bisher beiden gemeinsamen Religionsgemeinschaft (hier der evangelischen Kirche) austritt, um sich einer anderen Glaubensgemeinschaft (hier der Neuapostolischen Kirche) anzuschließen, hängt insbesondere davon ab, in welcher Weise und mit welcher inneren Einstellung zu dem anderen Ehegatten dieser Schritt vollzogen wird und ob diesem Ehegatten gegenüber dabei die gebotene Rücksichtnahme gewahrt wird.
2. Auch eine Eheverfehlung des klagenden Ehegatten, die keine schwere Verfehlung im Sinne des § 43 Satz 1 EheG ist, kann dazu führen, daß sein Scheidungsbegehren sittlich nicht gerechtfertigt ist.
EheG § 43
IV. Zivilsenat
 
Urteil
vom 6. April 1960
i. S. Ehemann E. (Bekl.) w. Ehefrau E. (Kl.)
- IV ZR 276/59 -
I. Landgericht Ansbach
II. Oberlandesgericht Nürnberg
Die Klägerin ist Ende Juli 1957 von der evangelischen Kirche, der auch der Beklagte angehört, zur Neuapostolischen Kirche (NAK) übergetreten. Dieser Übertritt führte zu einem Zerwürfnis zwischen den Parteien und schließlich zu ihrer Trennung. Im November 1957 hat die Klägerin Klage auf Scheidung der Ehe aus dem Verschulden des Beklagten erhoben. Sie hat behauptet, der Beklagte habe durch schwere Eheverfehlungen die ursprünglich glückliche Ehe zerrüttet. Er habe sie, die Klägerin, wie auch die beiden Töchter, wiederholt schikaniert, sie mit Schimpfworten belegt und geäußert, sie sollten sich zum Teufel scheren, er hätte die Klägerin längst totgeschlagen, wenn er nicht Angst hätte, eingesperrt zu werden. Weiter habe er gedroht, sie aus dem Hause zu werfen und an den Haaren hinauszuziehen, wenn sie noch einmal in diese Kirche gehe. Die NAK und die Klägerin habe er als Hurenpack und Teufelsbrut bezeichnet. Den Obertritt zur NAK habe er der Klägerin, obwohl er zunächst damit einverstanden gewesen sei, mit dem Hinweis verboten, sie seien geschiedene Leute, wenn sie übertrete. Von ihr, der Klägerin, habe er im Hinblick auf ihren Glauben erklärt, sie sei anstaltsreif, blöd und geistig nicht normal. Diese Vorfälle hätten sich im wesentlichen seit ihrem Übertritt zur NAK, Ende Juli 1957, abgespielt. Der Beklagte habe ihr auch viel zu wenig Haushaltsgeld gegeben, er habe sie vor allem in den Monaten nach dem Glaubenswechsel damit schikaniert, daß er von ihr tägliche Abrechnung des Wirtschaftsgeldes unter Vorlage nicht nur der Ware, sondern auch unterschriebener Kassenzettel verlangt habe. Einmal habe er sie sogar körperlich mißhandelt und mit ihrer Mutter aus dem Hause ausgesperrt.
Der Beklagte hat das Vorbringen der Klägerin zum großen Teil bestritten und Abweisung der Klage beantragt. Er hat Widerklage auf Scheidung der Ehe aus dem Verschulden der Klägerin erhoben und behauptet, die Ehe der Parteien sei bis zum Übertritt der Klägerin in die NAK im wesentlichen gut verlaufen. Alle Zerwürfnisse und die nachfolgende Zerrüttung der Ehe seien auf diesen Schritt der Klägerin zurückzuführen. Er habe zwar nichts dagegen eingewendet, daß die Klägerin seit Jahren auch mit den Kindern die Gotteschenste der NAK besucht habe, gegen einen Glaubenswechsel aber habe er sich gewehrt und diesem Schritt nie zugestimmt. Die Klägerin könne sich nicht ohne sein Einverständnis einfach über all die sittlichen und moralischen Pflichten hinwegsetzen, die sie mit der Ehe übernommen habe. Dazu gehöre auch die Erhaltung der geistlichen und religiösen Grundlage der Ehe. Besonders erschwerend komme hinzu, daß die Klägerin auch die beiden Töchter beeinflußt habe, zur NAK überzutreten, obwohl sie im gemeinsamen evangelischen Bekenntnis der Eltern hätten erzogen werden sollen. Seit ihrem Eintritt in die NAK habe die Klägerin das Hauswesen vernachlässigt, sie habe auch die Kinder gegen ihn aufgehetzt und ihn mit Schimpfworten beleidigt.
Das Landgericht hat die Ehe der Parteien auf Klage und Widerklage aus beiderseitigem Verschulden geschieden und dabei ausgesprochen, daß das Verschulden des Beklagten überwiege. Es hat eine schwere Eheverfehlung der Klägerin darin erblickt, daß sie gegen den Willen ihres Mannes der NAK beigetreten ist. Die Klägerin hat gegen dieses Urteil Berufung eingelegt mit dem Ziel, ein Erkenntnis gemäß ihren im ersten Rechtszuge gestellten Anträgen (Scheidung der Ehe aus dem alleinigen Verschulden des Beklagten, Abweisung der Widerklage) zu erwirken. Sie hat das Rechtsmittel vor allem damit begründet, daß ihr Übertritt zur NAK nicht als schwere Eheverfehlung habe bewertet werden dürfen. Der Beklagte hat Anschlußberufung eingelegt, um eine Scheidung aus beiderseitigem Verschulden mit der Feststellung zu erreichen, daß das Verschulden der Klägerin überwiege.
Das Oberlandesgericht hat das Urteil des Landgerichts aufgehoben und die Ehe auf die Klage aus dem alleinigen Verschulden des Beklagten geschieden. Die Widerklage hat es abgewiesen und die vom Beklagten eingelegte Anschlußberufung zurückgewiesen.
Die Revision des Beklagten führte zur Zurückverweisung.
 
Aus den Gründen:
Der Beklagte wendet sich mit der Revision in erster Linie gegen die Abweisung seiner auf § 43 EheG gestützten Widerklage, mit der er die Scheidung der Ehe aus dem überwiegenden Verschulden der Klägerin beantragt hat. Er hat dieses Begehren vor allem damit begründet, daß die Klägerin sich durch den gegen seinen ausdrücklichen Willen vollzogenen Übertritt zur NAK einer schweren Eheverfehlung schuldig gemacht und dadurch die Ehe zerrüttet habe.
Das Berufungsgericht hat zu der Frage, ob das Verhalten der Klägerin im Zusammenhang mit ihrem Übertritt zur NAK eine schwere Eheverfehlung darstelle, u. a. folgendes ausgeführt:
Das Wesen der Ehe verlange keine Übereinstimmung der Meinung beider Ehegatten, auch nicht in Fragen des Glaubens und der Religion. Die eigene Persönlichkeit eines Ehegatten mit dem Recht zur selbstverantwortlichen Bestimmung gemäß dem eigenen Glauben und Gewissen werde durch die Eingehung der Ehe nicht beeinträchtigt, kein Ehegatte habe also das Recht, dem anderen seine Meinung aufzuzwingen oder den Partner daran zu hindern, eine bisher vertretene Meinung um einer besseren Überzeugung willen zu ändern. Die gegenseitige Liebe und Achtung erfordere hier jedoch von beiden Seiten eine tolerante Rücksichtnahme auf den Glauben und das Gewissen des Lebensgefährten und auf die allgemeinen wesentlichen Ehepflichten. Soweit der einseitige Religionswechsel zwar die bisherige Glaubenseinheit zerstöre, aber sich nur in einer Änderung der persönlichen Meinung äußere, die in der Zugehörigkeit zu einer anderen Glaubensgemeinschaft ihren äußeren Ausdruck finde, müsse dem anderen Ehegatten regelmäßig die Hinnahme der Sinnesänderung in toleranter Duldsamkeit zugemutet werden und liege grundsätzlich keine Eheverfehlung vor. Der Beklagte habe zunächst das Recht der Klägerin zur eigenen Meinung durchaus anerkannt. Er habe keine Einwendungen erhoben, als die Klägerin vor Jahren Interesse für die NAK gezeigt habe, und habe es geduldet und gebilligt, daß sie seitdem häufig und schließlich regelmäßig die Gotteschenste der NAK besucht habe. Er habe seine Frau selbst zweimal dorthin begleitet und auch gegen Hausbesuche des Seelsorgers der NAK, mit dem er sich in aufgeschlossener Weise unterhalten habe, nichts einzuwenden gehabt. Er habe es auch nicht beanstandet, daß die Klägerin (mit den Kindern) nicht nur die beiden Gotteschenste an den Sonntagen, sondern auch den an den Mittwochabenden stattfindenden Gottesdienst besucht habe. Bei diesem großen Interesse der Klägerin habe es ihm nicht verborgen bleiben können, daß die religiösen Ansichten der Klägerin sich mehr und mehr mit der Lehre der NAK deckten und daß sie sich von der bisherigen Glaubensrichtung abwandte. Diese Sinnesänderung habe er nicht als ehezerstörend empfunden, auch nicht die daraus hervorgehenden äußeren Auswirkungen in Form von häufigerem Kirchgang.
Bei dieser Lage sei es nur noch ein formaler Schritt gewesen, wenn die Klägerin die Konsequenzen gezogen und unter Austritt aus der evangelischen Kirche in die NAK eingetreten sei. Entsprechend seinem bisherigen Verhalten sei das Verständnis des Beklagten für diesen Schritt der Klägerin zu erwarten gewesen. Es sei deshalb überzeugend, wenn der als Zeuge gehörte Seelsorger der NAK berichtet habe, der Beklagte habe ihm gegenüber in Gegenwart der Klägerin gesagt, seine Frau könne machen, was sie wolle. Die Glaubensangelegenheit sei ihre Sache, das müsse sie selbst wissen. Darin habe zwar vielleicht keine wirkliche Billigung des formellen Übertritts gelegen, der Beklagte habe sich aber der Gewissensentscheidung der Klägerin gebeugt, während er sich dem Glaubenswechsel der beiden Kinder ausdrücklich widersetzt habe. Zwar habe er in jenen Tagen vor und nach dem Gespräch mit dem Seelsorger F. zur Klägerin auch geäußert: \'bbWir sind geschiedene Leute, wenn Du übertrittst\'ab, und damit seine Mißbilligung deutlich zum Ausdruck gebracht. Es bleibe aber trotzdem, daß er in der von der Klägerin heraufbeschworenen Ehekrise den Glaubenswechsel nicht als ehestörend empfunden habe; denn nach übereinstimmenden Aussagen der Parteien sei der eheliche Verkehr fortgesetzt worden. In den kritischen Tagen von der Eröffnung des Entschlusses der Klägerin bis zum Tage ihrer feierlichen Versiegelung sei es mindestens einmal, wahrscheinlich sogar mehrmals zum ehelichen Verkehr gekommen. Nach dem vollzogenen Übertritt sei dieser zwar zunächst einige Tage unterblieben, habe aber dann zwischen dem 6. und 22. August 1957 (dem Tage des letzten ehelichen Verkehrs) wieder regelmäßig stattgefunden.
In diesen Ausführungen hat das Berufungsgericht mit Recht die Auffassung abgelehnt, daß schon der Übertritt eines Ehegatten zu einer anderen als der bisher beiden Ehegatten gemeinsamen Glaubensgemeinschaft als solcher in jedem Falle eine Eheverfehlung darstelle. Nach Art. 4 Abs. 1 GG ist die Freiheit des Glaubens und des religiösen Bekenntnisses unverletzlich. Dieses Grundrecht der Glaubens- und Bekenntnisfreiheit ist zwar, wie die Grundrechte überhaupt, in erster Linie ein Abwehrrecht des Bürgers gegen den Staat (BVerfGE 7, 198 - NJW 1958, 257). Als solches begründet es vor allem für diesen die verfassungsmäßige Verpflichtung, sich aller Maßnahmen zu enthalten, die sich als eine Einschränkung und Beeinträchtigung der Glaubens- und Bekenntnisfreiheit des Staatsbürgers auswirken würden. Dieser Verpflichtung entspricht das Recht des Bürgers, sich gegen solche Maßnahmen durch Anrufung des Schutzes der zuständigen staatlichen Organe zu wehren. In diesem Schutz erschöpft sich jedoch die Bedeutung des Grundrechts nicht. Wenn ein Staat in den Rechtssätzen, die die Grundordnung seines gesellschaftlichen und staatlichen Lebens regeln sollen, ein Rechtsgut feierlich für unverletzlich erklärt, so wird damit die Erkenntnis und zugleich das Bekenntnis ausgesprochen, daß dieses Gut unter dem rechtmäßigen Anspruch der in der Entwicklung der menschlichen Gesellschaft wirksamen sinn- und wertverwirklichenden Grundkräfte des Daseins steht. Dieser Anspruch aber wird nur dann ernst genommen, wenn er als Anspruch eines allgemein gültigen sittlichen Wertens und Wollens anerkannt wird, der darauf gerichtet ist, dieses Gut um seines unverlierbaren Wertes und Ranges willen gegen jeden Angriff sinn- und wertezerstörender Mächte zu behaupten.
Das bedeutet für die Organe des Staates, mögen sie der gesetzgebenden, der rechtsprechenden oder der vollziehenden Gewalt angehören, daß sie nicht nur den Bürger in sei nein so geschützten Rechtsgut vor Übergriffen des Staates zu schützen haben, sondern darüber hinaus verpflichtet sind, die das Rechtsgut schützende Grundsatznorm auch bei der ihnen übertragenen Beurteilung und Regelung menschlicher Verhältnisse, soweit sie die Beziehungen der Staatsbürger zueinander betreffen, zu beachten und zur Geltung zu bringen.
Die Grundsatznorm des Art. 4 GG bildet davon keine Ausnahme. Der Ansicht von Erdsiek (NJW 1959, 2007), dieses Grundrecht richte sich allein gegen den Staat und solle lediglich gegen eine von ihm ausgehende Intoleranz schützen, vermag der Senat nicht beizutreten. Würde sie zutreffen, so würde das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit auf einem wesentlichen Gebiet des vollen Rechtsschutzes ermangeln, obwohl es, wie in der angeführten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ausgesprochen ist, den Mittelpunkt des Wertsystems bildet, das dem Grundrechtsabschnitt des Grundgesetzes zugrunde liegt. Zugleich würde der Staat seine Aufgabe, im Rahmen seiner Zuständigkeit die echten Möglichkeiten für die Bildung und das Gedeihen menschlicher Gemeinschaften auf religiöser Grundlage offenzuhalten, nur unzulänglich erfüllen können.
Es darf nicht verkannt werden, daß neben den religiösen Gemeinschaften im eigentlichen Sinne es im besonderen die eheliche Gemeinschaft ist, die auch auf der gemeinsamen Anerkennung religiöser Glaubensinhalte und der aus ihnen hergeleiteten sittlichen Leitbilder, Wertvorstellungen und Verpflichtungen sowie auf der gemeinsamen Zugehörigkeit zu einer umfassenderen Gemeinschaft von Menschen der gleichen Glaubensrichtung und -haltung beruhen kann. Eine solche religiöse Grundlage der ehelichen Gemeinschaft aber kann auf die Dauer nur dann ihre tragende Kraft für das eheliche Leben bewahren, wenn sie von beiden Ehegatten aus eigener freier Überzeugung bejaht und so in ihren Beziehungen zueinander wie in ihren Lebensbeziehungen überhaupt zu lebendiger Entfaltung gebracht wird. In diesem Sinne um die Erhaltung und Entfaltung der wesentlichen religiösen Grundlage ihrer Gemeinschaft besorgt zu sein, ist bei einer auf dieser Grundlage und auf das aus ihr sich ergebende Lebensziel hin geschlossenen Ehe auch verpflichtender Inhalt des Ehegelöbnisses.
Die religiöse wie überhaupt die geistige Entwicklung eines Menschen ist jedoch in hohem Maße durch das bestimmt, was ihm schicksalhaft widerfährt: Veranlagung, Erziehung, schicksalhafte Begegnungen und Erfahrungen. Wie sie sich auswirken, ist weitgehend menschlicher Planung und Verfügung entzogen. Auch in der Ehe haben es die Ehegatten nicht einfach in der Hand, nach der Eheschließung ihrer religiösen Entwicklung die gleiche Richtung zu geben bzw. sie in der gleichen Richtung zu halten. Jeder von ihnen kann insbesondere von allgemeinen geistigen Strömungen und Bewegungen einer Zeit in ganz verschiedener Weise berührt und erfaßt werden. Dabei geschieht es dann, wie die Erfahrung zeigt nicht selten, daß sich bei einem Ehegatten ein Wandel in seiner religiösen Anschauung und Haltung vollzieht, an der der andere Ehegatte nicht oder nicht in gleichem Maße teilhat, und daß er in seinem religiösen Leben andere Wege beschreitet als die, die bisher beide Ehegatten gemeinsam gegangen sind. Schlägt er demgemäß einen anderen Weg ein, so rechtfertigt die Gefahr, daß es dadurch zu ernsten Spannungen und zur Entfremdung zwischen den Ehegatten kommt, es noch nicht sein Verhalten als Eheverfehlung zu verurteilen. Es würde dem Geist der freiheitlichen Grundordnung unseres gesellschaftlichen Lebens widersprechen, wollte man hier grundsätzlich einem moralischen oder gar rechtlichen Zwang zur Einheit auf Kosten der freien inneren Entwicklung der Persönlichkeit und auf Kosten ihres Willens zur Wahrheit und Wahrhaftigkeit das Wort reden.
Die grundsätzliche Freiheit eines Ehegatten, aus innerer Überzeugung die gemeinsame religiöse Grundlage der Ehe um des eigenen religiösen Weges willen zu verlassen, hebt jedoch seine Verantwortung für den anderen Ehegatten und dafür, daß beide trotz dieses Schrittes in gegenseitiger Achtung und Liebe verbunden bleiben, nicht auf. Ob dieses Verbundenbleiben möglich ist, ob insbesondere der in der bisher gemeinsamen Glaubensgemeinschaft zurückgelassene Ehegatte trotz der Trennung seine eheliche Gesinnung zu bewahren oder doch alsbald wiederzugewinnen vermag, hängt in aller Regel entscheidend davon ab, in welcher Weise und zu welchem Zeitpunkt der trennende Schritt vollzogen wird, ob und wie der übertretende Ehegatte sich bemüht, bei seinem Ehepartner Verständnis für seine Lage und seinen Entschluß zu wecken und sowohl in ihm wie auch in sich selbst den Glauben wachzuhalten, daß trotz der Trennung im religiösen Bekenntnis ein inneres Band zwischen ihnen bestehen bleibt, an dem beide in dem Vertrauen festhalten können, daß es sich, wenn auch vielleicht zur Zeit für ihr rationales Begreifen nicht faßbar, auf die Dauer im Lichte einer gereifteren Wert- und Wahrheitserkenntnis auf seiten des einen oder anderen oder beider Ehegatten - stärker und wesentlicher erweisen wird als das, was jetzt in ihrem Bewußtsein trennend und störend zwischen ihnen steht. Hieraus könnte dann beiden Ehegatten die Kraft zuwachsen, das Trennende zu ertragen, um es schließlich in gegenseitiger Achtung zu überwinden oder ihm doch seine ehestörende Macht mehr und mehr zu nehmen.
Die Verantwortung, die in dieser Hinsicht den übertretenden Ehegatten trifft, wird um so größer sein, je ungewöhnlicher sein Schritt für das Verständnis des anderen Ehegatten ist.
Betrachtet man das Verhalten der Klägerin, soweit es mit ihrem Übertritt zur NAK im Zusammenhang steht, aus dieser Sicht, so erscheint es zweifelhaft, ob sie dabei alles getan hat, was von ihr als Ehefrau erwartet werden konnte, um zu vermeiden, daß ihr Übertritt zu einem endgültigen Bruch zwischen ihr und ihrem Ehemann führte. Nach den bisherigen Feststellungen des Berufungsgerichts ist es vielmehr nicht auszuschließen, daß sie dabei in einer vielleicht wenig auffälligen und schwer greifbaren, aber doch verhängnisvoll wirksamen Weise an ihrer Ehe und ihrem Ehemann schuldig geworden ist, noch bevor dieser dann auf die vom Berufungsgericht festgestellte grobe und handgreifliche Art an ihr schuldig wurde, und daß sie damit die Erfüllung der entscheidenden, sittlichen Aufgabe, die ihr das Leben zugewiesen und die sie mit dem Eheversprechen unter jahrelanger Verwirklichung der ehelichen Gemeinschaft mit dem Beklagten übernommen hat, aufs Spiel gesetzt und verfehlt hat. Ob eine dahingehende Feststellung getroffen werden kann und muß, bedarf freilich noch nach Maßgabe der folgenden Ausführungen einer sorgfältigen Untersuchung.
Das Berufungsgericht ist davon ausgegangen, daß die Parteien, bevor die Klägerin sich der NAK zuwandte, auch durch die Gemeinschaft des evangelischen Glaubens und der gemeinsamen Zugehörigkeit zur evangelischen Kirche miteinander verbunden waren, in deren Lehren beide erzogen waren, deren Gottesdienst beiden von Jugend auf vertraut war, nach deren Ritus sie getraut waren und in deren Lehre sie auch ihre Kinder erzogen hatten. Wieweit freilich dieser überkommene geistige Besitz tatsächlich zu einem gemeinsamen Gut, zu einer lebendigen, das gemeinsame Ehe- und Familienleben mittragenden und mitbestimmenden Kraft geworden war und wieweit das religiöse Leben der Familie von einem bewußt gepflegten lebendigen Kontakt mit dem Leben der evangelischen Gemeinde, zu der die Parteien gehörten, gefördert und genährt wurde, ist aus dem bisher festgestellten Sachverhalt nicht zu entnehmen. Der Beklagte hat sich dem häufigeren Besuch der evangelischen Gotteschenste durch die Klägerin und die Kinder verhältnismäßig selten angeschlossen. Bei einem regeren Interesse an einer gemeinsamen religiösen Betätigung der Familie im Sinne des damals noch gemeinsamen Bekenntnisses hätte er sich möglicherweise weniger gleichgültig verhalten, als die Klägerin sich der NAK zuwandte und anfing, statt des Gottesdienstes in der evangelischen Kirche die Gottesdienste dieser religiösen Gemeinschaft zu besuchen. Schon hier ist möglicherweise eine erste Ursache für das Auseinanderleben der Parteien auf religiösem Gebiet zu suchen. Wen von ihnen hierfür die größere Verantwortung trifft, wird freilich schwer feststellbar sein. Es spricht manches dafür, daß beide Parteien sich zunächst allzu leicht mit dieser Entwicklung, die sie möglicherweise mehr und mehr an der Verwirklichung eines gemeinsamen Lebens aus ihrem Glauben verhinderte, abgefunden haben. Von einer Eheverfehlung, geschweige denn einer schweren Eheverfehlung der Klägerin wird man jedoch insoweit nicht sprechen können, wenn sie die Tragweite dieser Entwicklung und ihrer Auswirkung auf das eheliche Leben nicht erkannt hat. Eine Spannung oder Entfremdung der Ehegatten als Folge ihrer Hinwendung zur NAK wurde zunächst nicht sichtbar. Die Klägerin hat, wie das Berufungsgericht ohne Rechtsirrtum feststellt, über ihre häufigere Teilnahme an den Gotteschensten der NAK ihre ehelichen und ihre Hausfrauenpflichten nicht vernachlässigt. Sie hat sich offenbar auch in ihrer neuen Glaubenshaltung und Glaubensanschauung zunächst für den Beklagten offengehalten und ihn dazu bestimmt, sie einige Male in die Gotteschenste zu begleiten. Der Beklagte blieb indes für seine Person bei einer ablehnenden, jedenfalls kritischen Einstellung ohne jedoch, soweit ersichtlich, das Verhalten der Klägerin schon als eine Störung des ehelichen Lebens zu empfinden und ohne dagegen eindeutig und entschieden Stellung zu nehmen.
Die Kluft zwischen den Eheleuten tat sich erst auf, als die Klägerin dem Beklagten eröffnete, da\'ab sie entschlossen sei, schon in wenigen Tagen aus der evangelischen Kirche aus- und in die NAK einzutreten. Die Reaktion des Beklagten auf diese Mitteilung weist darauf hin, daß er durch sie überrascht und betroffen war. Offenbar war ihm erst jetzt klar geworden, daß die religiöse Entwicklung seiner Ehefrau und seiner Kinder, zu der er sich bisher ziemlich gleichgültig verhalten hatte, zu weittragenden Konsequenzen für das Ehe- und Familienleben führen konnte.
Das Berufungsgericht hat nun sowohl in der Tatsache, daß die Klägerin diesen Entschluß gefaßt hat, ohne ihn vorher mit dem Beklagten zu überlegen, als auch darin, daß sie ihn trotz der scharf ablehnenden Reaktion des Beklagten gegen dessen ausdrücklichen Willen sofort durchsetzte, keine, jedenfalls keine schwere Eheverfehlung erblickt. Bei Berücksichtigung der dargelegten Gesichtspunkte und der gesamten Umstände erscheint es zumindest zweifelhaft, ob diese Würdigung dem Sachverhalt gerecht wird.
Die Klägerin hatte seit Jahren nur noch - und zwar regelmäßig - die Gotteschenste der NAK besucht. Der Gedanke, dieser Glaubensgemeinschaft auch formell beizutreten, kann ihr deshalb nicht erst zu dem Zeitpunkt gekommen sein, als der Entschluß zum Übertritt von ihr gefaßt und seine Ausführung ins Werk gesetzt wurde. Wenn auch die Klägerin, wie das Berufungsgericht meint, nach dem vorangegangenen Verhalten des Beklagten erwarten konnte, daß dieser einem Übertritt nicht widersprechen würde, so erforderte es doch ihre Pflicht als Ehefrau, diesen wichtigen Schritt, bevor sie sich endgültig dazu entschloß mit ihrem Mann zu besprechen. Gerade weil der Beklagte sich, wie das Berufungsgericht feststellt, der religiösen Betätigung der Klägerin in der NAK bis dahin nicht widersetzt hatte, ist kein Grund ersichtlich, weshalb die Klägerin von einer solchen Aussprache mit dem Beklagten hätte Abstand nehmen sollen und dürfen. Sie konnte trotz alles Vorangegangenen doch keineswegs sicher sein, daß der Beklagte ohne weiteres mit ihrem Vorhaben einverstanden sein würde, zumal auch die Kinder übertreten sollten und der Beklagte nicht sofort übersehen konnte, welche Folgen und Verpflichtungen - möglicherweise auch finanzieller Natur - sich daraus für die Familie ergeben würden.
Diesem Umstand hat das Berufungsgericht bei seiner Würdigung des Sachverhalts nicht genügend Rechnung getragen, wenn es ausführt, es sei nur noch ein formaler Schritt von seiten der Klägerin gewesen, daß sie, nachdem sie bereits jahrelang regelmäßig den Gottesdienst der NAK besucht habe, nun die Konsequenzen aus ihrer Verbundenheit mit dieser Glaubensgemeinschaft gezogen habe und ihr unter Austritt aus der evangelischen Kirche auch als Mitglied beigetreten sei. Das Berufungsgericht ist offenbar der Meinung, daß der Beklagte durch das vorangegangene Verhalten der Klägerin auf diese Situation hinreichend vorbereitet gewesen sei. Das erscheint bedenklich. Nach der Lebenserfahrung ist die Stellung eines Anhängers solcher religiöser Gemeinschaften vor seinem Beitritt in der Regel von der eines formal beigetretenen Mitglieds wesentlich verschieden. Vor dem Übertritt kann er weitgehend selbst bestimmen, welche inneren und äußeren Leistungen und Verpflichtungen er auf sich nehmen will. Weil er noch außerhalb der Gruppe steht, fordert sie nichts von ihm. Sobald er ihr jedoch formell angehört, kann er sich den Anforderungen zu weitgehender Mithilfe und Mitarbeit, z. B. durch finanzielle Beiträge, durch Schriftenverkauf, Geldsammeln, Hausbesuche und dergleichen, nicht mehr entziehen. Es erscheint durchaus möglich, daß der Beklagte befürchtet hat, seine Ehefrau werde in dieser Hinsicht durch den formellen Übertritt zur NAK in eine erheblich größere innere und äußere Abhängigkeit von dieser Glaubensgemeinschaft gelangen als vorher, und daß seine Befürchtung, diese Abhängigkeit werde zu einer schweren Belastung für das Ehe- und Familienleben führen, wesentlich mitbestimmend war für seinen scharfen Widerspruch gegen ihr Vorhaben. Diese Befürchtung wäre um so verständlicher gewesen, wenn ihm bekannt war, daß die maßgebenden Leiter (\'bbApostel\'ab) der NAK, insbesondere aber der sog. Stammapostel, nach der Lehre dieser Gemeinschaft und dem Glauben ihrer Anhänger mit außerordentlich weit reichenden Vollmachten der Heilsvermittlung ausgestattet sind (vgl. Kurt Hutten, Seher, Grübler und Enthusiasten, Quell-Verlag der Evangl. Gesellschaft Stuttgart, 5. Aufl. 1958 S. 590 ff, 611, 616; ferner Algermissen, Konfessionskunde, 6. Aufl. Celle 1950 S. 79 ff, 676 ff).
Es ist aber bisher nichts dafür hervorgetreten, daß die Klägerin versucht hat, diese Befürchtungen des Beklagten oder seine sonstigen Bedenken zu zerstreuen, und daß sie dem Beklagten hinreichend Zeit gelassen hat, sich zuvor Gewißheit darüber zu verschaffen, inwieweit seine Bedenken begründet waren und sich auch innerlich auf die neue Lage, die durch den Übertritt entstand und bei der er einer anderen Religionsgemeinschaft angehören würde als seine Familie, er also innerhalb der Familie in eine gewisse geistige Isolierung hineingeriet, einzustellen. Stattdessen hat sie ihm wenige Tage vor der bereits beschlossenen Versiegelung und, ohne ihn auch nur um seine Meinung befragt zu haben, ihren Entschluß - als bereits unabänderlich gefaßt - eröffnet.
Aber auch, wenn man annehmen wollte, daß die Klägerin mit einem Widerspruch ihres Mannes gegen ihr Vorhaben in keiner Weise habe rechnen müssen und auch tatsächlich nicht gerechnet habe - im letzteren Falle ist es erst recht unverständlich, warum sie nicht vorher mit ihm darüber gesprochen hat -, läßt sich die Annahme, daß sie ihre eheliche Pflicht dadurch schuldhaft verletzt hat, daß sie den Widerspruch des Beklagten, obwohl er ihr in aller Deutlichkeit und mit dem Hinweis auf die einschneidenden Folgen für das eheliche Verhältnis erklärt war, unbeachtet ließ, nicht von der Hand weisen. Nach dieser Reaktion des Beklagten konnte auch die Klägerin nicht mehr darüber im Zweifel sein, daß die sofortige Durchführung ihres Entschlusses gegen den Willen ihres Mannes ihre Ehe aufs Schwerste gefährden mußte. Es ist nicht verständlich, warum sie, ebenso wie es dann bei den Kindern geschah, auf den Widerspruch und die Warnung des Klägers hin nicht wenigstens auch ihre Versiegelung zunächst einmal zurückgestellt hat, um noch jetzt dem Beklagten Zeit zu lassen; sich allmählich mit dem Gedanken ihres Übertritts und seinen Auswirkungen auf das Ehe- und Familienleben vertraut zu machen, und um zu versuchen, ihm - gegebenenfalls unter Zuziehung eines berufenen und erfahrenen Seelsorgers oder einer anderen Person, zu der beide Ehegatten Vertrauen hatten - in vertrauensvoller Aussprache ihre Beweggründe darzulegen und ihn davon zu überzeugen, daß sie diesen Schritt nicht mit einer gegen ihn gerichteten, sein Ansehen und seine Stellung als Ehemann verletzenden inneren Einstellung vollzog. Schon ein solcher Aufschub hätte dazu beitragen können, den Beklagten zu überzeugen, daß die Klägerin seine Bedenken nicht leicht nahm, und hätte es ihm so möglicherweise erheblich erleichtert, sich mit ihrem Vorhaben abzufinden. So aber, wie die Klägerin ihren Entschluß gefaßt und ausgeführt hat, mußte der Beklagte den Eindruck gewinnen, daß es ihr gleichgültig sei, was er zu ihrem Vorhaben meine und wie er sich dazu stelle. Dieser Eindruck mußte noch verstärkt werden, wenn die Klägerin, wie der Beklagte behauptet hat, mit Blumen, die auf die stattgefundene Feier eines freudigen Ereignisses hinwiesen, von der Versiegelung heimkam. Es lag nahe, daß der Beklagte dieses Verhalten als eine herausfordernde Geringschätzung seiner Auffassung und der von ihm geäußerten Bedenken empfand und daß er den Eindruck gewann, die Klägerin nehme seine Warnung, im Falle ihres Übertritts würden sie \'bbgeschiedene Leute\'ab sein, nicht ernst oder sie nehme diese Konsequenz sogar leichten und frohen Herzens in Kauf.
Das Berufungsgericht will anscheinend aus der Tatsache, daß zwischen dem Tag, an dem die Klägerin dem Beklagten von ihrer bevorstehenden Versiegelung Mitteilung machte, und dem Tag der Versiegelung noch ehelicher Verkehr stattgefunden hat, folgern, daß der Beklagte von der Mitteilung der Klägerin nicht sehr tief berührt gewesen sei, so daß der Klägerin kein schwerwiegender Vorwurf daraus zu machen sei, daß sie sich über seinen Widerspruch hinweggesetzt habe. Eine solche Folgerung wäre bei einer die Lebenserfahrung berücksichtigenden Betrachtung des Sachverhalts nicht überzeugend. Der Beklagte konnte sich zu einem ehelichen Verkehr in jenen kritischen Tagen auch gerade aus dem Gedanken heraus bereitfinden, daß dadurch die Verbundenheit beider Ehegatten und ihre gegenseitige Verantwortung füreinander noch einmal betont und die Klägerin dadurch mit bestimmt werden könnte, von ihrem Vorhaben abzulassen.
Die Widerklage des Beklagten kann nur dann Erfolg haben, wenn das Verhalten der Klägerin sich als eine schwere Verletzung der durch die Ehe begründeten Pflichten darstellt. Ob dies der Fall ist, ist eine Frage, die, wie der Senat wiederholt ausgesprochen hat, überwiegend auf tatsächlichem Gebiet liegt (BGHZ 4,186 = LM Nr. 2 zu EheG §§ 43, 48 mit Anmerkung von Lersch). Der Tatrichter hat dabei, wie der Senat hervorgehoben hat, nach Möglichkeit auch aufzuklären, aus welcher inneren Einstellung und aus welchen Beweggründen der verletzende Ehegatte gehandelt und wie sein Verhalten auf den anderen Ehegatten gewirkt hat. In dieser Hinsicht wird das Berufungsgericht insbesondere zu prüfen haben, welche Überlegungen für die Klägerin bei ihrer Entscheidung in dem Konflikt zwischen ihren aus ihrer religiösen Überzeugung und ihren Glaubensvorstellungen hergeleiteten Pflichten und Erwartungen einerseits und ihrer sittlichen Verantwortung für ihren Ehemann und für ihre Familie andererseits bestimmend waren. Das Berufungsgericht stützt seine Feststellung, daß eine Eheverfehlung der Klägerin nicht vorliege, wesentlich auf die Annahme, daß der Glaubenswechsel der Klägerin sich nur in der Änderung ihrer persönlichen Meinung - in bezug aufšT Glaubensfragen - geäußert und daß diese Änderung lediglich in der Zugehörigkeit zu einer anderen Glaubensgemeinschaft ihren äußeren Ausdruck gefunden habe. Es will damit ersichtlich auf die von ihm allerdings einwandfrei festgestellte Tatsache hindeuten, daß der Glaubenswechsel der Klägerin sie nicht veranlaßt hat, in der Besorgung des Haushalts und in der Betreuung ihres Ehemannes ihre Pflichten als Hausfrau und Gattin zu vernachlässigen, wie es sonst vorkommen mag, wenn Ehefrauen sich einer religiösen Sekte anschließen. Das schließt jedoch nicht aus, daß die Klägerin diesen Schritt gegenüber ihrem Ehemann in einer Weise vollzogen und ihm gegenüber ihren Glauben und ihre Zugehörigkeit zu der neuen Glaubensgemeinschaft in einer Weise bekundet und betätigt hat, die er als schwere Kränkung und Zurücksetzung, als Mißachtung seiner persönlichen Würde und seiner Stellung als Ehemann empfinden mußte und tatsächlich auch empfunden hat.
In diesem Zusammenhang kann die Erfahrungstatsache nicht unberücksichtigt bleiben, daß die Anhänger religiöser Sekten vielfach ein Erwählungsbewußtsein haben, das leicht dazu verleitet, den Mitmenschen, die bestimmte, nach ihren Vorstellungen heilswichtige Voraussetzungen nicht erfüllen, die Würde der Erwählung und damit die nach diesen Vorstellungen letztlich allein in dieser Erwählung begründete Würde als menschliche Person abzusprechen und ihnen demzufolge mit einer mehr oder minder bewußten Gleichgültigkeit oder gar Verachtung zu begegnen. Mit diesem Hinweis soll zwar weder gesagt sein, daß eine solche Einstellung für alle religiösen Sondergruppen in gleicher Weise kennzeichnend sei, noch, daß von ihrer Verbreitung in einer solchen Gruppe alle, die ihr angehören, erfaßt werden (vgl. dazu Adolf Köberle, Theologie und Psychologie der Sekten, in \'bbWege zum Menschen\'ab, 1960, S.240, Vandenhoeck und Ruprecht, Göttingen). Auch soll damit keineswegs ausgeschlossen werden, daß diese Einstellung nicht auch außerhalb solcher Gruppen, insbesondere etwa auch bei den Anhängern areligiöser oder pseudoreligiöser Ideologien, angetroffen werden kann. Der vorliegende Sachverhalt legt jedoch in besonderer Weise die Frage nahe, ob nicht das Verhalten der Klägerin gegenüber ihrem Ehemann durch eine solche Einstellung mitbestimmt war und dadurch wesentlich zur Entfremdung zwischen den Ehegatten beigetragen hat.
Das Berufungsgericht wird, wenn es dazu kommt, eine schwere Eheverfehlung der Klägerin zu bejahen, weiterhin zu prüfen haben, ob und in welchem Ausmaß der Übertritt der Klägerin zu einer anderen Religionsgemeinschaft sich auf die eheliche Gesinnung des Beklagten nachteilig ausgewirkt hat und dadurch für die Zerrüttung der Ehe ursächlich geworden ist (wird näher ausgeführt).
Falls die erneute Prüfung des Sachverhalts zu dem Ergebnis führt, daß die Klägerin sich einer schweren Eheverfehlung schuldig gemacht und dadurch die unheilbare Zerrüttung der Ehe mitverschuldet hat, würde damit noch nicht feststehen, daß das Scheidungsbegehren des Beklagten Erfolg haben muß. Der Beklagte hat sich, wie auch die Revision nicht verkennt, selbst erheblicher Eheverfehlungen schuldig gemacht. Danach könnte er mit seinem Scheidungsbegehren, auch wenn es im Hinblick auf die Verfehlung der Klägerin an sich begründet wäre, gemäß § 43 Satz 2 EheG nicht durchdringen, wenn nach der Art seiner Verfehlungen, insbesondere wegen des Zusammenhangs der Verfehlung der Klägerin mit seinem eigenen Verschulden, sein Scheidungsbegehren bei richtiger Würdigung des Wesens der Ehe sittlich nicht gerechtfertigt wäre. Das Berufungsgericht wird gegebenenfalls auch das gesamte Verhalten des Beklagten unter diesem Gesichtspunkt neu zu prüfen und zu würdigen haben. Schon im Rahmen dieser Prüfung wird es darauf ankommen, nach Möglichkeit aufzuklären, wie das Verhalten der Klägerin bei ihrem Übertritt zur NAK seelisch auf den Beklagten gewirkt hat und welche Beweggründe ihn bestimmten, den Übertritt, obwohl er bis dahin die religiöse Betätigung der Klägerin in der NAK widerspruchslos hingenommen hatte, so scharf abzulehnen und die Klägerin nach ihrem Übertritt so zu behandeln, wie er es getan hat. In diesem Zusammenhang wird auch der Behauptung des Beklagten nachzugehen sein, daß er für seine Ausfälle gegen die Klägerin, die das Berufungsgericht als Affekthandlungen bezeichnet hat, nicht voll verantwortlich gemacht werden könne, weil er damals infolge gesundheitlicher Schäden, die er sich in der russischen Kriegsgefangenschaft zugezogen habe, schwer herzleidend und leicht erregbar gewesen sei.
Eine weitere Aufklärung des Sachverhalts in dieser Richtung wird jedoch voraussichtlich für die Beurteilung der Handlungsweise des Beklagten allenfalls nur gewisse Milderungsgründe erbringen können. Diese werden kaum geeignet sein, die Schärfe und Heftigkeit, mit der er - und zwar nachdem bereits mehrere Wochen seit dem Übertritt der Klägerin vergangen waren und inzwischen wieder ehelicher Verkehr stattgefunden hatte - gegen die Klägerin vorgegangen ist, zu rechtfertigen und dieser seiner Handlungsweise den Charakter der schweren Eheverfehlung zu nehmen, wenngleich es für die Frage, ob ein ehewidriges Verhalten eine schwere Eheverfehlung darstellt, auch von maßgebender Bedeutung sein kann, inwieweit es durch ein ehewidriges Verhalten des anderen Ehegatten ausgelöst ist (vgl. dazu die bei LM Nr. 7 zu EheG § 43 veröffentlichte Entscheidung des Senats). Das würde bedeuten, daß die in § 43 Satz 1 EheG umschriebenen Voraussetzungen für eine Scheidung der Ehe auf Grund der von der Klägerin erhobenen Klage gegeben sind. Aber auch ihrem Scheidungsbegehren würde möglicherweise im Hinblick auf ihre eigene Verfehlung die Vorschrift des § 43 Satz 2 EheG entgegenstehen. Der Beklagte hat zwar im Berufungsrechtszuge keinen Hilfsantrag dahin gestellt, daß die Klage der Klägerin abgewiesen werden möge, falls er mit seinem Scheidungsbegehren nicht durchdringen könne. Im Revisionsrechtszuge hat er jedoch ausdrücklich erklärt, daß er keinesfalls um jeden Preis - also auch unter Feststellung seines alleinigen oder überwiegenden Verschuldens - geschieden werden wolle, vielmehr, falls eine Scheidung nach seinem Antrag nicht erfolgen könne, hilfsweise die Abweisung des Scheidungsbegehrens der Klägerin beantrage. Es ist danach nicht zweifelhaft, daß der Beklagte auch seinen im Berufungsrechtszuge gestellten Antrag in diesem Sinne gemeint hat und daß auch dieser Antrag dementsprechend auszulegen ist.
Voraussetzung dafür, daß eine etwaige eigene Verfehlung der Klägerin ihrem Scheidungsbegehren die sittliche Berechtigung nimmt, ist nicht unbedingt, daß es sich bei dieser Verfehlung um eine schwere im Sinne des § 43 Satz 1 EheG handelt. Das Reichsgericht hat zwar eine gegenteilige Auffassung vertreten (RG 158, 203), der sich auch der Oberste Gerichtshof für die Britische Zone (MDR 1949, 740) und teilweise auch das Schrifttum angeschlossen haben. Der Senat hält jedoch mit von Godin, EheG § 43 Anm. 9 S. 178, und Achilles/Greiff/Eggel, BGB, 20. Aufl. EheG § 43 Anm. 9 S. 1243, diese Auffassung nicht für richtig. Sie läßt sich weder aus dem Wortlaut noch aus dem Sinn des § 43 Satz 2 EheG herleiten. Das Gesetz spricht dort schlechtweg nur von Verfehlungen, ohne diese hinsichtlich ihrer Schwere näher zu charakterisieren. Für die Frage, ob eine Verfehlung des klagenden Ehegatten dazu führen kann, daß sein Scheidungsbegehren sittlich nicht gerechtfertigt ist, kann es nach dem Gesetzeswortlaut u. a. auf die Art seiner eigenen Verfehlung und darauf ankommen, ob zwischen ihr und dem Verschulden des anderen Ehegatten ein Zusammenhang besteht. Naturgemäß kann auch die Schwere der eigenen Verfehlung des klagenden Ehegatten für die sittliche Beurteilung seines Scheidungsbegehrens von Bedeutung sein, und in aller Regel wird sie auch dessen sittliche Berechtigung nur dann ausschließen können, wenn es sich auch bei ihr um eine schwere Eheverfehlung im Sinne des § 43 Satz 1 EheG handelt. Daß aber in jedem Falle nur eine schwere Eheverfehlung in diesem Sinne zu einer solchen Beurteilung des Scheidungsbegehrens führen könne, sagt das Gesetz nicht und wird auch durch die sittliche Ordnung nicht gefordert. Insbesondere kann es bei einer sehr starken Abhängigkeit der Verfehlungen des beklagten Ehegatten von denen des klagenden an einer sittlichen Berechtigung für das Klagebegehren auch dann fehlen, wenn es sich bei den ersteren um leichtere Verfehlungen handelt. Eine solche Abhängigkeit kann, wie der Senat in seiner zuletzt angeführten Entscheidung (LM Nr. 7 zu EheG § 43) dargelegt hat, insbesondere auch dadurch begründet sein, daß der beklagte Ehegatte seine Verfehlungen aus einer körperlichen oder seelischen Notlage heraus begangen hat, in die ihn die Verfehlungen des klagenden Ehegatten hineingebracht hatten.