BGE 1 I 98 - Heiratsverbot nach Ehebruch
 
24. Urtheil
vom 20. Februar 1875 in Sachen Graf.
 
Sachverhalt
 
A.
Graf erzeugte während bestehender Ehe mit der ledigen A.G.G. von S. ein außereheliches Kind und wurde deßhalb auf Klage der Ehefrau am 5. Juni 1863 vom Ehegerichte des Kantons Appenzell A.-Rh. gänzlich geschieden.
 
B.
Gemäß Art. 7 des Gesetzes über die Ehe des Kantons Appenzell A.-Rh., welcher bestimmt, "daß Personen, die gemeinschaftlich mit einander einen Ehebruch begangen haben, bei Lebzeiten des beleidigten Ehegatten sich nicht heirathen dürfen", konnte Rekurrent die A.G. nicht ehelichen. Nach Annahme der jetzigen Bundesverfassung wandte sich derselbe nun an seine Heimatsbehörde, um von ihr die Bewilligung zur Auskündung der Ehe mit der genannten G. zu verlangen, wurde aber sowohl von dieser, als von der hierauf angerufenen Standeskommission abgewiesen, mit dem Hinweis auf den angeführten Art. 7 der Ehesatzungen, welcher durch die neue Bundesverfassung nicht aufgehoben sei.
 
C.
Ueber diesen Bescheid der Standeskommission vom 20. Juli 1874 beschwert sich nun Graf, indem er behauptet, derselbe enthalte eine Verletzung des Art. 54 der Bundesverfassung, welche klar vorschreibe, "daß weder kirchliche Gründe, noch das bisherige Verhalten oder andere polizeiliche Gründe ein Ehehinderniß bilden dürfen."
 
D.
In der Vernehmlassung führt die Regierung von Appenzell aus: Art. 7 des Ehegesetzes verstoße keineswegs gegen Artikel 54 der Bundesverfassung; auch gehe der Entwurf des Bundesgesetzes über die Ehe noch viel weiter als das appenzellische Ehegesetz, indem es den begangenen Ehebruch als absolutes Hinderniß nachheriger Ehe zwischen den betreffenden Personen hinstelle.
 
In rechtlicher Würdigung dieser Thatsachen zieht das Bundesgericht in Erwägung:
 
Erwägung 1
1. Nach Art. 54 Lemma 2 der Bundesverfassung darf das Recht zur Ehe weder aus kirchlichen oder ökonomischen Rücksichten, noch wegen bisherigen Verhaltens oder aus andern polizeilichen Gründen beschränkt werden.
 
Erwägung 2
2. Im vorliegenden Falle erscheint aber das Verbot der Ehe zwischen Ehebrechern nicht als eine Beschränkung der Ehe aus kirchlichen Rücksichten. Wenn dasselbe auch im kanonischen Rechte enthalten ist, so ist es doch nicht kirchlichen Ursprungs und erscheint namentlich, was entscheidend ist, in concreto nicht als eine Vorschrift der Kirche, sondern als eine Bestimmung der weltlichen Gesetzgebung. Bekanntlich kommt dasselbe auch in vielen andern Civilgesetzbüchern solcher Kantone und Länder vor, welche das Recht, die Bedingungen gültiger Eheschließungen festzusetzen, längst dem Staate beigelegt haben.
 
Erwägung 3
3. Ebenso wenig ist jenes Verbot mit der Bestimmung des angeführten Verfassungsartikels, welche die Beschränkung der Ehe wegen bisherigen Verhaltens oder andern polizeilichen Gründen verbietet, unverträglich. Wie nämlich die Fassung jenes Artikels zeigt, ist die Beschränkung des Rechtes zur Ehe wegen bisherigen Verhaltens auch als eine Beschränkung polizeilicher Natur aufgefaßt und geht die Tendenz desselben ohne Zweifel dahin, diejenigen Ehebeschränkungen aufzuheben, welche den Staat vor den Folgen unüberlegter leichtsinniger Eheschließungen schützen sollen und daher die kantonalen Behörden ermächtigen, solchen Leuten, welche bisher einen leichtfertigen oder liederlichen Lebenswandel geführt haben, die Ehe nicht bloß mit einer bestimmten Person, sondern im Allgemeinen zu verbieten.
Nun beruht aber die Beschränkung der Ehe zwischen Ehebrechern nicht auf solchen polizeilichen Gründen zur Verhinderung leichtsinniger Ehen, sondern vielmehr auf allgemein sittlichen Gründen zum Schutze der bestehenden Ehe.
 
Erwägung 4
4. Das Verbot ist daher, soweit es in der weltlichen Gesetzgebung sich findet, durch die neue Bundesverfassung nicht außer Kraft gesetzt worden, obgleich es implicite allerdings eine Bestrafung des Ehebruchs, also des bisherigen Verhaltens, enthält. Diese Ansicht haben auch der Bundesrath und der Ständerath getheilt, als sie das Verbot und zwar in seiner größten Strenge in den Entwurf des Bundesgesetzes betreffend die Ehe aufnahmen. Allerdings haben dann die eidg. Räthe dasselbe schließlich fallen lassen, allein es ist dies nicht wegen des Art. 54 der Bundesverfassung, sondern aus andern Gründen geschehen.
 
Demnach hat das Bundesgericht
erkannt:
Der Rekurs ist als unbegründet abgewiesen.