119. Urtheil vom 24. Dezember 1875 in Sachen Rusterholz gegen Nordostbahn.
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Sachverhalt
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A.
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Der Antrag der Instruktionskommission geht dahin:
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1. Die Nordostbahn ist verpflichtet, an den Expropriaten für den Fall als die Abtretung nur, soweit dieselbe zum Bahnbaue nöthig ist, verlangt wird, Fr. 1775 zu bezahlen sammt Zins à 5 Prozent von Inangriffnahme der Abtretungsobjekte an;
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2. Für den Fall, als sie Gesammtabtretung verlangt, hat die Bahngesellschaft 15500 Franken, nebst Zins zu 5 Prozent von 7175 Fr. vom Beginne der Bauarbeiten und vom Rest vom Tage der Gesammtabtretung an, zu bezahlen und es ist Rusterholz verpflichtet, gegen diese Entschädigung sein ganzes Besitzthum an die Nordostbahn abzutreten.
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B.
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Diesen Antrag nahm die Eisenbahngesellschaft in dem Sinne an, daß sie sich zur Gesammtübernahme des Rusterholzschen Heimwesens erklärte; der Expropriat bestritt dagegen das Recht der Bahngesellschaft, die Gesammtabtretung zu verlangen, weil dasselbe erst bei der bundesgerichtlichen Lokalbesichtigung gestellt worden sei, und acceptirte daher nur die übrigen Dispositive des Antrages.
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Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
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Erwägung 1
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1. Nach Art. 5 des Bundesgesetzes über die Abtretung von Privatrechten vom 1. Mai 1850 ist der Bauunternehmer be rechtigt, wenn der durch die theilweise Enteignung eines Grundstückes herbeigeführte Minderwerth des Restgrundstückes mehr als ein Viertel des Werthes des letztern beträgt, die gänzliche Abtretung des Grundbesitzes gegen volle Entschädigung zu verlangen.
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Erwägung 2
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2. Dieses Recht des Bauunternehmers ist ein unbedingtes, indem weder in Art. 5 noch sonst in einer Bestimmung des erwähnten Bundesgesetzes eine Frist zu dessen Geltendmachung festgesetzt ist. Dasselbe kann daher nicht bloß vor Schatzungskommission, sondern auch noch vor Bundesgericht in Anspruch genommen werden und zwar um so mehr, als sehr häufig der Bauunternehmer erst durch den Entscheid der Schatzungskommission oder den Antrag der bundesgerichtlichen Instruktionskommission Veranlassung erhalten wird, von demselben Gebrauch zu machen.
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Erwägung 3
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3. Dagegen kann das Bundesgericht, sofern das Begehren um gänzliche Abtretung erst im Rekursverfahren gestellt wird, nicht sofort über dasselbe, resp. die dem Bauunternehmer obliegende Leistung, entscheiden, weil der Art. 26 des erwähnten Bundesgesetzes ausdrücklich vorschreibt, daß die Ausmittlung der Leistungen, welche in Bezug auf die Entschädigung des Abtretungspflichtigen nach Inhalt des Art. 3 bis 5 ibidem dem Bauunternehmer aufzulegen seien, durch die Schatzungskommission zu geschehen habe, sonach dem Expropriaten das unbedingte gesetzliche Recht auf einen vorgängigen Entscheid der Schatzungskommission zusteht, welches Recht ihm nur durch ausdrücklichen Verzicht verloren geht. Ein solcher Verzicht ist aber im vorliegenden Falle weder behauptet noch bewiesen worden.
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Erwägung 4
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4. Die vom Vertreter der Nordostbahn im schriftlichen Verfahren aufgeworfene Frage, ob der Entscheid über das der Bahngesellschaft durch Art. 5 leg. cit. eingeräumte Recht der Ausdehnung der Expropriation dem Bundesrathe oder dem Bundesgerichte zustehe, ist heute von den Parteien nicht ausdrücklich erörtert worden; nach ihren mündlichen Ausführungen scheinen dieselben jedoch übereinstimmend der Ansicht zu sein, daß das Bundesgericht den Entscheid zu geben habe und es muß diese Ansicht auch hierorts getheilt werden, indem jenes Recht des Bauunternehmers mit dem Prinzip der Abtretung, wonach nur der nothwendige Grund und Boden beansprucht werden darf, überall nichts zu thun hat, sondern dem Exproprianten lediglich deßhalb eingeräumt worden ist, um ihn vor übermäßigen Entschädigungsansprüchen zu sichern, der Art. 25 des citirten Bundesgesetzes aber ohne Zweifel lediglich diejenigen Streitigkeiten dem Bundesrathe zur Erledigung zuweist, bei welchen es sich um die Anwendung des Enteignungsrechtes, d.h. des Rechtes, das zu öffentlichen Unternehmungen nothwendige Grundeigenthum u.s.w. zu entziehen oder zu beschränken, handelt.
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Erwägung 5
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5. Wenn nun auch nach dem in Erwägung 3 Gesagten, sofern die Eisenbahn auf dem Begehren der Gesammtabtretung beharrt, vorerst die Schatzungskommission die dem Rusterholz dießfalls gebührende Entschädigung zu bestimmen hat, so hindert dieser Umstand das Bundesgericht nicht, die dem Expropriaten für die bloß theilweise Enteignung zukommende Entschädigung sofort definitiv festzusetzen, indem, in dieser Hinsicht die Procedur vollständig und Expropriat auch berechtigt ist, für den bereits abgetretenen Theil seines Grundeigenthums Ausbezahlung des Gegenwerthes zu verlangen. Fällt der Entscheid der Schatzungskommission dann derart aus, daß Expropriat gemäß Art. 5 des mehrerwähnten Bundesgesetzes sein ganzes Besitzthum abtreten muß, so ist die für die theilweise Enteignung bezahlte Summe einfach an der Entschädigung, welche Rusterholz für das ganze Besitzthum zu beanspruchen hat, in Abzug zu bringen.
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Demnach hat das Bundesgericht erkannt:
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1. Die Nordostbahn ist, vorbehaltlich des Rechtes, die Abtretung des gesammten Besitzthumes des Rusterholz zu verlangen, pflichtig, an denselben Fr. 7175 zu bezahlen, sammt Zins zu 5 Prozent von Inangriffnahme der Abtretungsobjekte an.
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2. Der Nordostbahngesellschaft wird eine Frist von dreißig Tagen vom Empfange der schriftlichen Ausfertigung dieses Urtheils an angesetzt, um das Begehren um Gesammtabtretung des Rusterholzschen Besitzthums bei der Schatzungskommission anhängig zu machen, widrigenfalls Verzicht auf dasselbe angenommen würde.
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