BGE 6 I 171 - Jäggi |
Urtheil |
vom 2. April 1880 |
in Sachen Jäggi. |
Sachverhalt |
A. |
Das Strafgesetzbuch des Kantons Solothurn enthält in § 16 und 17 folgende Bestimmungen:
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"§ 16: Geldbuße ist nicht zulässig gegen Geltstager und unter Bevogtung gestellte Verschwender. Gegenüber diesen Personen hat der Richter, wenn im Gesetze Geld- oder Gefängnißstrafe angedroht ist, lediglich von letzterer Gebrauch zu machen, und wo das Gesetz nur Geldstrafe androht, statt derselben innert der Schranken des § 10 auf Gefängniß und zwar dermaßen, daß ein Tag Gefängniß einem Geldbetrage von zwei Franken gleichgerechnet wird, zu erkennen."
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"§ 17: Kommen die im vorigen § gedachten Verhältnisse zu Tage, nachdem bereits auf Geldstrafe erkannt ist oder wird die erkannte Geldstrafe innert Monatsfrist von der Zahlungsaufforderung an nicht entrichtet, so kann der Regierungsrath die Geldstrafe nach obbenanntem Maßstabe in Gefängnißstrafe umwandeln.
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Der Vollziehungsbehörde bleibt unbenommen, die erkannte Geldstrafe, wenn sie solches für angemessen erachtet, zuerst auf dem gewöhnlichen Schuldbetreibungswege einzufordern und erst, wenn die Zahlung nicht erhältlich ist, Strafumwandlung zu verfügen.
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Dem zur Geldstrafe Verurtheilten steht auch nach der Umwandlung der Strafe die Befugniß zu, sich durch Erlegung des Strafgeldbetrages, soweit er durch die erstandene Gefängnißstrafe noch nicht getilgt ist, von der letztern frei zu machen."
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Nach § 130 des solothurnischen Strafgesetzbuches sodann sind Ehrverletzungen mit Geldstrafe zu belegen. In Anwendung der citirten Gesetzesbestimmungen wurde nun der Rekurrent, welcher im März 1879 in Geltstag gefallen war, durch Urtheil des Obergerichts des Kantons Solothurn vom 15. Novbr. 1879 wegen Ehrverletzung begangen im September 1878 gegenüber dem Landjägerwachtmeister Matter, unter Bezugnahme auf § 16 leg. cit. zu einer Gefängnißstrafe von vier Tagen verurtheilt.
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B. |
Gegen dieses Urtheil hat A. Jäggi mittelst Rekursschrift vom 12. Dezember 1879 den Rekurs an das Bundesgericht ergriffen; er stellt den Antrag:
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es sei das obergerichtliche Urtheil vom 15. November 1879, soweit es die Gefängnißstrafe anbetreffe, als aufgehoben zu erklären. Zur Begründung führt er an: der § 16 des solothurnischen Strafgesetzbuches, welchen das Obergericht in seinem Urtheil zur Anwendung gebracht habe, verstoße gegen die im § 4 der Bundesverfassung enthaltene Gewährleistung der Gleichheit aller Schweizer vor dem Gesetze, indem er zwei Klassen von Menschen (Falliten und bevogtete Verschwender) unter ein ausnahmsweises Gesetz stelle. Diese Bestimmung sei auch im Hinblick auf diejenige des § 17 unnöthig und die Voraussetzung, von welcher sie ausgehe, daß jeder Geltstager eine ihm auferlegte Geldbuße entweder nicht zahlen wolle oder nicht zahlen könne, offenbar ungerechtfertigt.
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Das Obergericht des Kantons Solothurn, welches zur Vernehmlassung eingeladen wurde, bemerkte in seiner Eingabe vom 9. Januar 1880:
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Der angefochtene § 16 des solothurnischen Strafgesetzbuches sei auf verfassungsmäßigem Wege zu Stande gekommen und bestehe dermalen noch in Kraft; es könne also nicht in der Kompetenz des solothurnischen Richters liegen, von ihm Umgang zu nehmen, um so weniger, als das Bundesgericht selbst in einem Urtheile vom 28. September 1878 in Sachen Konrad Roth von Büßerach entschieden habe, der fragliche Gesetzesparagraph stehe mit keiner Bestimmung der kantonalen oder Bundesverfassung im Widerspruche. Bezüglich der rechtlichen Begründung dieser Ansicht wird einfach auf Erw. 2 des angeführten bundesgerichtlichen Urtheils verwiesen.
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Auszug aus den Erwägungen: |
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
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Erwägung 1 |
1. Das in Art. 4 der Bundesverfassung niedergelegte Prinzip der Gleichheit aller Schweizer vor dem Gesetze ist als grundgesetzliche Norm sowohl für die verwaltende und richterliche, als auch für die gesetzgeberische Thätigkeit der Staatsbehörden maßgebend; es wird dadurch sowohl gleiche Anwendung der Gesetze auf alle Bürger, wodurch denn die Befugniß der Bundesbehörden zum Einschreiten gegen Rechtsverweigerung und überhaupt gegen ungleichmäßige Handhabung der Gesetze durch kantonale Behörden begründet wird, als auch gleiche Behandlung der Bürger durch den Gesetzgeber gefordert. Bedeutung und Tragweite des Prinzips der Gleichheit vor dem Gesetze in letzterer Richtung nun bestimmt und beschränkt sich dadurch, daß dasselbe ein Postulat staatlicher Gerechtigkeit ist. Als solches ist dieser Grundsatz einerseits keineswegs auf das Verbot der in Art. 4, Abs. 2 speziell bezeichneten Vorrechte beschränkt, sondern ist er, wie auch aus der Entstehungsgeschichte des Artikels 4 (vergl. Blumer-Morel, Handbuch I, Seite 285 ff.) und aus der bisherigen bundesrechtlichen Praxis hervorgeht, als allgemeines, die gesammte Rechtsordnung beherrschendes Prinzip aufzufassen, aus welchem in Art. 4, Abs. 2 lediglich einzelne Folgerungen gezogen sind, andererseits dagegen liegt in demselben selbstverständlich nicht die, nicht nur unzweckmäßige, sondern auch ungerechte und völlig undurchführbare Anforderung, daß der Gesetzgeber alle Bürger ohne Unterschied schlechthin einer und derselben Rechtsregel unterstelle. Vielmehr ist ohne weiteres klar, daß, unbeschadet des Grundsatzes der Gleichheit vor dem Gesetze, die natürlichen Verschiedenheiten, welche zwischen den einzelnen Staatsangehörigen mit Rücksicht auf Alter, Geschlecht, Beruf und sonstige Lebensverhältnisse bestehen, auch in zahlreichen rechtlichen Verschiedenheiten zum Ausdrucke gelangen können und müssen, wie ja auch die Bundesverfassung selbst mannigfache Bestimmungen enthält, welche für verschiedene Klassen von Bürgern verschiedene Rechtsregeln theils aufstellen, theils voraussetzen oder zulassen. (Vergl. z.B. Art. 31, 34, 43, 45, 47, 59. ) Nicht jede rechtliche Verschiedenheit ist also eine Ungleichheit vor dem Gesetze. Dagegen kann auch nicht daran festgehalten werden, daß der Grundsatz der Gleichheit vor dem Gesetze nur unter der Voraussetzung absolut gleicher faktischer Verhältnisse gelte. Denn, dahin ausgelegt, wäre derselbe gegenüber allen Ausnahmegesetzen, welche sich nicht auf bestimmte Individuen, sondern auf ganze Klassen von Bürgern beziehen, gänzlich illusorisch, da es natürlich an einem unterscheidenden thatsächlichen Merkmale, vermöge dessen die durch ein Gesetz betroffene Klasse sich von den übrigen Bürgern unterscheidet, niemals fehlen kann, so daß denn, in schneidendem Widerspruche mit dem verfassungsmäßigen Prinzipe, die willkürlichsten Ausnahmegesetze zu Gunsten oder Ungunsten einzelner Personenklassen als zulässig betrachtet werden müßten. Das Prinzip der Gleichheit vor dem Gesetze fordert vielmehr gleiche Behandlung der Bürger nicht nur unter der Voraussetzung absolut gleicher thatsächlicher Verhältnisse, sondern es verlangt Gleichheit der Behandlung unter der Voraussetzung der Gleichheit aller erheblichen thatsächlichen Verhältnisse. Um eine Ungleichheit in der rechtlichen Behandlung der Bürger zu rechtfertigen, muß Verschiedenheit der Verhältnisse nicht in irgend welchen, sondern in solchen thatsächlichen Momenten vorliegen, welche nach anerkannten Grundsätzen der geltenden Rechts- und Staatsordnung für die Normirung gerade des bestimmten Rechtsgebietes, um welches es sich handelt, von Erheblichkeit sein können. Liegt eine Verschiedenheit in derartigen thatsächlichen Momenten nicht vor, so enthält eine ungleiche rechtliche Behandlung einzelner Bürger oder Bürgerklassen eine Abweichung von der Regel des Rechts, welche nicht auf objektive Gründe, sondern bloß auf willkürliche Satzung zurückgeführt werden kann und daher allerdings das verfassungsmäßige Prinzip der Gleichheit vor dem Gesetze verletzt. Daraus folgt einerseits: daß eine von der Regel abweichende Behandlung einzelner Personenklassen auf einem Rechtsgebiete als durchaus gerechtfertigt und mit dem verfassungsmäßigen Prinzipe vereinbar erscheinen, dagegen auf einem andern als absolut unzulässig und prinzipwidrig sich darstellen kann, andererseits: daß eine Verletzung der Gleichheit vor dem Gesetze nicht schon dann vorliegt, wenn ein Gesetz Rechtsverschiedenheiten von zweifelhaftem legislativem Werthe aufstellt oder festhält, sondern nur dann, wenn die fraglichen Rechtsverschiedenheiten an thatsächliche Verschiedenheiten geknüpft sind, welche nach feststehenden Rechtsgrundsätzen für die betreffende Rechtsfolge überall gar nicht in Betracht kommen können.
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Erwägung 2 |
2. Wenn nun § 16 des soloth. Strafgesetzbuches vorschreibt, daß gegenüber von Geltstagern in allen Fällen, in welchen das Gesetz alternativ oder ausschließlich Geldstrafe androhe, statt letzterer stets auf eine entsprechende Freiheitsstrafe zu erkennen sei, so belegt es wegen der gleichen Handlung die Geltstager mit einer anderen und zwar härteren Strafe als alle übrigen Bürger. Darin liegt nun allerdings eine Verletzung der Gleichheit vor dem Gesetze. Denn a) der Umstand, daß der Schuldige ein Geltstager ist, liegt, mit Bezug auf andere Delikte, als jenes des selbstverschuldeten Falliments, gänzlich außerhalb des strafrechtlichen Thatbestandes; er steht weder mit der objektiven noch mit der subjektiven Seite des Delikts in irgend welchem Zusammenhang, da dadurch offensichtlich weder die Schwere des Verschuldens noch der eingetretene rechtswidrige Erfolg irgendwie beeinflußt wird, b) die gesetzliche Substituirung einer Freiheitsstrafe für die Geldbuße kann auch nicht dadurch gerechtfertigt werden, daß die Buße gegenüber einem Geltstager wegen seiner notorischen Zahlungsunfähigkeit überhaupt nicht als geeignetes Strafübel betrachtet werden könne, denn dieser Grund ist, angesichts der auch vom soloth. Strafgesetzbuche (§ 17) anerkannten Möglichkeit der Umwandlung uneinbringlicher Geldbußen in Gefängniß offenbar hinfällig. Es steht demgemäß, wie keiner weitern Ausführung bedarf, mit feststehenden Grundsätzen des Strafrechts in Widerspruch, daß der Geltstager wegen der nämlichen That mit einer anderen und härteren Strafe bedroht wird, als jeder andere. Wenn an den Konkurs auf dem Gebiete des Privat- und Prozeßrechtes, sowie in Bezug auf die Ausübung politischer Rechte gewisse benachtheiligende Rechtsfolgen für den Konkursiten mit Grund geknüpft werden mögen, so kann dies dagegen für das Gebiet des Strafrechts nicht gelten, denn für die strafrechtliche Bedeutung einer That ist der Umstand, daß der Schuldige Konkursit ist, wie gezeigt, völlig gleichgültig, Da nun durch das angefochtene Urtheil der Rekurrent wegen einer im allgemeinen bloß mit Geldbuße bedrohten That, zu Gefängnißstrafe lediglich deßhalb verurtheilt worden ist, weil er Konkursit ist, so erscheint dasselbe als verfassungswidrig.
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Demnach hat das Bundesgericht erkannt: |