BGE 67 I 342 - Prokuristenwahl im Zirkulationsweg
 
Urteil der I. Zivilabteilung vom 17. Dezember 1941
i. S. Grossenbacher & Cie Aktiengesellschaft und Gerber gegen Eidgen. Amt für das Handelsregister.
Handelsregister, Aktiengesellschaft, Prokura.
1. Kognitionsbefugnis der Registerbehörden, Art. 940 OR, 21 HRegVo (Erw. 1).
2. Die Aktionäre können ihr Stimmrecht nur in der Generalversammlung ausüben; Zirkulationsbeschlüsse der Aktionäre verstossen gegen zwingendes Recht und sind nichtig. Art. 689 Abs. 1 OR (Erw. 3).
3. Eintragbarkeit der einem (als solchen nicht zeichnungsberechtigten) Verwaltungsratsmitglied der Aktiengesellschaft erteilten Prokura (Erw. 4).
 
Sachverhalt
 
A.
Der Verwaltungsrat der im Handelsregister Aarwangen eingetragenen "Grossenbacher & Cie Aktiengesellschaft" bestand bisher aus dem Geschäftsleiter Hans Jost, der Einzelunterschrift führt, und zwei weiteren, nicht zeichnungsberechtigten Mitgliedern. Daneben waren als Kollektivprokuristen eingetragen Albrecht Gerber und Thomas Hösli.
Gemäss notarieller Urkunde vom 19. September 1941 haben die vier Aktionäre, die zusammen sämtliche Aktien der Gesellschaft besitzen, am 30. August/3. September schriftliche Erklärungen des Inhalts abgegeben, dass sie unter Verzicht auf Einberufung einer ausserordentlichen Generalversammlung damit einverstanden seien, folgende Anträge des Verwaltungsrates zum Beschluss der Generalversammlung der Aktionäre zu erheben:
    "1. Herr Hans Jost... bisher Verwaltungsrat der Firma, wird als Delegierter des Verwaltungsrates ernannt.
    2. Als weiteres Mitglied des Verwaltungsrates wird gewählt Herr Albrecht Gerber, Prokurist der Firma.
    3. Die übrigen Eintragungen im Handelsregister bleiben unverändert."
Auf der daraufhin beim Handelsregister eingereichten Anmeldung dieser Wahlen ist bemerkt, dass Hans Jost nach wie vor einzig zeichnungsberechtigtes Mitglied des Verwaltungsrates sei und Albrecht Gerber auch fernerhin einzig als Prokurist kollektiv mit dem andern Prokuristen Thomas Hösli zeichne.
Das Handelsregisteramt Aarwangen nahm diese Anmeldung zur Eintragung entgegen. Das eidgenössische Amt für das Handelsregister weigerte sich jedoch mit Schreiben vom 1. Oktober 1941, diese Eintragung zu genehmigen, mit der Begründung, die Unterschriftsberechtigung von Gerber sei unzulässig, weil die Mitglieder des Verwaltungsrates nicht gleichzeitig Prokuristen sein könnten.
 
B.
Gegen diese Verfügung des eidgenössischen Amtes haben die Gesellschaft und Gerber die verwaltungsgerichtliche Beschwerde an das Bundesgericht ergriffen mit dem Antrag, es sei die angefochtene Verfügung aufzuheben und der Beschwerdeführer Gerber als Mitglied des Verwaltungsrates der Grossenbacher & Cie A.-G. im Handelsregister einzutragen unter gleichzeitiger Belassung seiner Eintragung als Prokurist der gleichen A.-G.
 
C.
Das eidgenössische Amt hat in seiner Vernehmlassung die Abweisung der Beschwerde beantragt. Es hält an seiner Auffassung fest, dass die gleichzeitige Eintragung derselben Person als Verwaltungsrat und als Prokurist unzulässig sei. Sie würde zu Verwirrung und Unklarheit Anlass geben, indem die Vollmacht eines Prokuristen und eines Verwaltungsrates inhaltlich verschieden sei. Übrigens sei diese Kombination nicht nur nicht eintragsfähig, sondern auch rechtlich unmöglich, weil den Mitgliedern der Verwaltung einer Aktiengesellschaft gemäss Art. 721 OR eine ähnliche Stellung zukomme wie dem Geschäftsherr (Prinzipal) bei der Einzelfirma, welcher auch nicht gleichzeitig Prokurist sein könne. Es werde ferner auf einen Bericht des Vorortes des Schweizerischen Handels- und Industrievereins vom 15. November 1941 verwiesen, der auf Grund einer Umfrage bei seinen Sektionen zum Schlusse komme, dass die erwähnte Kombination keinem praktischen Bedürfnis entspreche. Schliesslich sei die verlangte Eintragung auch deshalb abzulehnen, weil die Wahl von Gerber in den Verwaltungsrat nicht in einer Generalversammlung, sondern durch einen Zirkulationsbeschluss der Aktionäre erfolgt sei.
 
Auszug aus den Erwägungen:
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
 
Erwägung 1
Dass die streitigen Fragen dem materiellen Zivilrecht angehören, ist von Bedeutung für die Kognitionsbefugnis der Handelsregisterbehörden. Denn während sie die rein registerrechtlichen Voraussetzungen in vollem Umfange zu prüfen und zu entscheiden haben, ist, wie das Bundesgericht wiederholt erklärt hat, ihre Entscheidungsbefugnis im Bereiche des materiellen Zivilrechtes nur eine beschränkte: Sie haben nur dort einzuschreiten, wo die verlangte Eintragung offensichtlich und unzweideutig gegen das Gesetz verstösst. Ist dagegen die Frage einer Gesetzesverletzung nicht liquid, indem z.B. die zur Eintragung angemeldete Regelung auf einer an sich ebenfalls denkbaren Auslegung der gesetzlichen Bestimmungen beruht, so haben die Registerbehörden die verlangte Eintragung vorzunehmen; die materiellrechtliche Frage zu entscheiden ist in diesem Falle dem ordentlichen Richter vorbehalten (vgl. BGE 56 I 137/8; 60 I 57/9; 391/6; 62 I 262; 67 I 113/4).
 
Erwägung 2
 
Erwägung 3
3. Oberstes Organ aller Körperschaften des schweizerischen Privatrechts ist die Mitgliederversammlung (Art. 698, 808/810, 879 OR, 64 ZGB). An ihre Stelle bezw. an Stelle der Beschlussfassung in der Mitgliederversammlung lässt das Gesetz für einzelne Körperschaften die schriftliche Abstimmung (Urabstimmung) unter den Mitgliedern zu. So unterliegt es angesichts der weitgehenden Organisationsfreiheit des Vereins (Art. 63 ZGB) keinem Zweifel, dass nach den Statuten an Stelle der Vereinsversammlung eine schriftliche Abstimmung treten kann (BGE 48 II 156; Egger, Art. 64 N. 4); die schriftliche Zustimmung aller Mitglieder zu einem Antrag ist von Gesetzes wegen dem Beschluss der Vereinsversammlung gleich gestellt (Art. 66 Abs. 2 ZGB). Die Statuten der G.m.b.H. können die schriftliche Abstimmung ohne Einschränkung vorsehen (Art. 808 Abs. 2 OR). Das Genossenschaftsrecht sieht die schriftliche Beschlussfassung in Form der Urabstimmung der Genossenschafter nur vor bei Genossenschaften, die mehr als 300 Mitglieder zählen oder bei denen die Mehrheit der Mitglieder aus Genossenschaften besteht (Art. 880 OR). Angesichts dieser ausdrücklichen, offensichtlich eine Ausnahme statuierenden Vorschriften für die G.m.b.H. und die Genossenschaft muss aus dem Fehlen einer entsprechenden Bestimmung im Aktienrecht der Schluss gezogen werden, dass der Gesetzgeber Zirkulationsbeschlüsse der Aktionäre bewusst ausschliessen wollte. Dafür spricht auch die Formulierung von Art. 689 Abs. 1 OR:
    "Die Aktionäre üben ihre Rechte in den Angelegenheiten der Gesellschaft, wie Bestellung der Organe, Abnahme der Rechnung und Gewinnverteilung in der Generalversammlung aus"
(ähnlich schon Art. 639 alt OR und § 250 DHGB). Die Entwürfe zum rev. OR wollten als Ausnahme von diesem Grundsatz den Aktiengesellschaften gestatten, an Stelle der Wahl des Verwaltungsrates durch die Generalversammlung die Wahl durch die Aktionäre mit der Stimmurne vorzusehen (Art. 705 Abs. 4 des Entwurfs vom 21. Februar 1928). Doch wurde diese Bestimmung bei der Gesetzesberatung gestrichen, weil eine Urabstimmung getrennt von der Generalversammlung als unerwünscht und unnötig erachtet wurde (Sten. Bull. Nat. R. 1934 S. 140). In der Tat birgt dieses Verfahren gewisse Gefahren in sich und weist in der Regel gegenüber der Beschlussfassung auf Grund vorheriger Aussprache und Beratung Nachteile auf. Die Aktionäre können somit ihr Stimmrecht einzig und allein in der nach Art. 699/700 OR einberufenen oder nach Art. 701 (als Universalversammlung) zusammengetretenen Generalversammlung ausüben. Schriftliche Abstimmung an Stelle der Beschlussfassung in der Generalversammlung ist, selbst wenn sich Einstimmigkeit ergibt, ebensowenig zulässig, als schriftliche Zustimmung zu einem Generalversammlungsbeschluss die Anwesenheit des Aktionärs in der Versammlung zu ersetzen vermag (ebenso Literatur und Rechtsprechung zu § 250 HGB; vgl. Wieland, Handelsrecht II S. 94/5, Staub, Komm. zum HGB 12/13. Aufl. § 250 Anm. 2, Reichsgericht in "Das Recht" 1918 Nr. 1232). Diese Ordnung stellt zwingendes Recht dar. Beschlüsse und Wahlen, die auf dem Wege der schriftlichen Abstimmung ausserhalb der Generalversammlung erfolgen, und Statutenbestimmungen, die diese Art der Beschlussfassung vorsehen, sind nichtig und dürfen, weil offensichtlich und unzweideutig gegen das Gesetz verstossend, nicht in das Handelsregister eingetragen werden.
Das Handelsregisteramt hätte somit die vorliegende Anmeldung der Wahl des Prokuristen Gerber in den Verwaltungsrat wegen Ungültigkeit der Wahl zurückweisen müssen. Dies führt zur Abweisung der Beschwerde. Dass die Eintragung aus einem andern Grunde verweigert und die Ungültigkeit der Wahl erst im bundesgerichtlichen Beschwerdeverfahren eingewendet wurde, ist belanglos; entscheidend ist das Vorliegen dieses Mangels (Kirchhofer, Die Verwaltungsrechtspflege beim Bundesgericht S. 41/42).
 
Erwägung 4
Das Bundesgericht hat diese Frage bereits durch das Urteil i.S. Fridolin Schwitter A.-G. (BGE 60 I 55) entschieden, was das eidgenössische Amt zu übersehen scheint. Jedenfalls ergibt sich aber aus jenem Entscheid, dass die streitige Regelung der Zeichnungsberechtigung nicht gegen Art. 38 HRegV verstösst, wonach alle Eintragungen im Handelsregister wahr sein müssen, zu keinen Täuschungen Anlass geben und keinem öffentlichen Interesse widersprechen dürfen. Es ist lediglich noch zu prüfen, ob die beanstandete Regelung eine in jenem Entscheid nicht berücksichtigte Gesetzesbestimmung oder einen allgemeinen Grundsatz offensichtlich und unzweideutig verletzt (während die Frage, ob sie auch einem praktischen Bedürfnis entspreche, also "wünschbar" oder "überflüssig" sei, bei der Beurteilung handelsregisterrechtlicher Fragen im verwaltungsgerichtlichen Beschwerdeverfahren von vorneherein ausser Betracht fällt; vgl. BGE 60 I 394).
Das eidgenössische Amt macht in dieser Beziehung geltend, dass gemäss Art. 458 OB der Prokurist schon begrifflich eine vom Geschäftsherrn (Prinzipal) verschiedene Person sein müsse, dass die Mitglieder der Verwaltung einer Aktiengesellschaft aber nach Art. 721 OR eine ähnliche Stellung hätten wie der Prinzipal einer Einzelfirma und deshalb nicht zugleich Prokuristen sein könnten. Diese Auffassung kann sich auf die Literatur stützen (Siegmund, Handbuch für die schweiz. Handelsregisterführer S. 156, Oser-Schönenberger Art. 458 N. 21, ebenso für das deutsche Recht Staub a.a.0. § 48 Anm. 3). Es kann indessen nicht gesagt werden, dass die gegenteilige Ansicht offensichtlich einer bestehenden Vorschrift oder einem allgemeinen Grundsatz widersprechen würde. Gewiss macht Art. 458 OR einen klaren Unterschied zwischen Prinzipal und Prokurist und kann ein Prinzipal nicht zugleich Prokurist sein. Allein wenn man auch, etwa auf Grund von Art. 721 OR, die Verwaltung einer Aktiengesellschaft und nicht die Gesellschaft als Prinzipal betrachten wollte, so liesse sich doch sehr wohl die Auffassung vertreten, dass nur der Verwaltungsrat als Gesamtheit als Prinzipal gelte, nicht aber jedes einzelne Mitglied eines mehrköpfigen Verwaltungsrates oder ein einzelnes Mitglied, das als solches nicht vertretungsberechtigt ist und allein gar keine Organhandlungen vornehmen kann. Danach erscheint es zwar als ausgeschlossen, dass die Vertretungsmacht eines einzigen Verwaltungsrates oder des allein zeichnungsberechtigten Mitgliedes desselben auf den Umfang der Prokura beschränkt werden könnte, dies auch deshalb, weil die Gesellschaft dann im Grunde ohne Verwaltung wäre, ihr also ein notwendiges und mit gesetzlich geregelter Vertretungsmacht (Art. 718 OR) ausgestattetes Organ fehlen würde. Dagegen ist nicht ersichtlich, weshalb bei einem mehrköpfigen Verwaltungsrat mit zeichnungsberechtigten Mitgliedern nicht weiteren, als Verwaltungsrat nicht zeichnungsberechtigten Mitgliedern eine auf den Umfang der Prokura beschränkte Vertretungsmacht sollte eingeräumt werden können. Unter diesen Umständen sind die Handelsregisterbehörden in einem solchen Falle, wie bereits in BGE 60 I 55 festgestellt wurde, nicht befugt, diese materiellrechtliche Frage zu entscheiden und eine Eintragung im Handelsregister aus diesem Grunde abzulehnen. Die Entscheidung dieser Frage bleibt dem Zivilrichter vorbehalten.
 
Demnach hat das Bundesgericht erkannt:
Die Beschwerde wird im Sinne der Erwägungen abgewiesen.