13. Auszug aus dem Urteil vom 9. April 1954 i.S. PAX, Schweizerische Lebensversicherungs-Gesellschaft, gegen Eidg. Justiz und Polizeidepartement.
|
Regeste
|
Versicherungsaufsicht:
|
2. Rechtsnatur und Tragweite der behördlichen Genehmigung (Art. 3 VAG).
|
Sachverhalt
|
A.- Das BG betreffend Beaufsichtigung von Privatunternehmungen im Gebiete des Versicherungswesens, vom 25.6.85 (VAG), enthält u.a. folgende Bestimmungen über die Vorlage der sog. Materialien:
|
Art. 2: "Um in der Schweiz Geschäfte betreiben zu können, haben die privaten Versicherungsunternehmungen folgende Erfordernisse zu erfüllen:
|
1. Es sind dem Bundesrate diejenigen öffentlich ausgegebenen Dokumente einzureichen, aus welchen die Grundbestimmungen und die allgemeinen Versicherungsbedingungen der Unternehmung entnommen werden können, und überdies, sofern diese schon vor dem Inkrafttreten dieses Gesetzes Versicherungsgeschäfte betrieben hat, diejenigen Vorlagen zu machen, aus welchen der bisherige Stand der Unternehmung in den durch Art. 5 bis 8 bezeichneten Richtungen zu erkennen ist (Statuten, Prospekte, Tarife, Rechenschaftsberichte, Jahresrechnungen usw.).
|
...
|
Art. 4: "Treten später Veränderungen in den unter Art. 2, Ziff. 1 bis 3, bezeichneten Verhältnissen ein, so ist von denselben dem Bundesrate sofort Kenntnis zu geben."
|
In Art. 20 des BRB vom 17.11.14 betreffend die Zuständigkeit der Departemente und der ihnen unterstellten Amtsstellen zur selbständigen Erledigung von Geschäften ermächtigte der Bundesrat das eidg. Versicherungsamt (EVA) u.a. zum Entscheid über den Umfang der von privaten Versicherungsunternehmungen zur Erlangung der Konzession zu erbringenden Ausweise sowie über die Zulassung der allgemeinen Versicherungsbedingungen, Antrags- und Policenformulare und anderer für deren Geschäftsbetrieb bestimmten Materialien. Gestützt hierauf erliess das EVA an die in der Schweiz konzessionierten Versicherungsgesellschaften gerichtete Weisungen über "Vorlage der Materialien". Die letzte derselben datiert vom 27.7.44; sie umschreibt in Z. 1 die vorlagepflichtigen Materialien und enthält u.a. folgende Bestimmungen:
|
"3. Die vorlagepflichtigen Materialien sind vor ihrer Einführung in den Geschäftsbetrieb dem Versicherungsamt im Entwurf rechtzeitig in einem Exemplar zu unterbreiten. .....
|
4. Nach erteilter Genehmigung sind dem Versicherungsamt 3 Definitivexemplare der neuen Materialien einzureichen. ....."
|
Seit 1951 entstanden zwischen dem EVA und der Schweiz. Lebensversicherungsgesellschaft PAX in Basel (Pax) Differenzen über Umfang und Tragweite der Vorlagepflicht. So sandte die Pax dem EVA ihre mit Wirkung auf den 1.1.54 geänderten Statuten ausdrücklich nur zur Kenntnisnahme ein und bestritt, dass sie einer Genehmigung bedürften. Am 18.9.53 erliess das Eidg. Justiz- und Polizeidepartement (EJPD) folgenden Entscheid:
|
"Die von Ihrer Delegiertenversammlung am 30.5.53 geänderten Genossenschafts-Statuten werden genehmigt. .....
|
Im Schreiben vom 18.8.53 bestreiten Sie ohne nähere Begründung die Vorlagepflicht der Statuten. Wir bitten Sie, davon Kenntnis zu nehmen, dass gestützt auf Art. 2, 3, 4 und 9 des Aufsichtsgesetzes abgeänderte Statuten dem EJPD und die andern in Art. 2 des Aufsichtsgesetzes und in den Weisungen des EVA vom 27.7.44 erwähnten Drucksachen (wie Prospekte, Antragsformulare usw.), die materiell geändert werden, dem Versicherungsamt rechtzeitig vor deren Verwendung im Entwurf zur Genehmigung vorzulegen sind."
|
B.- Mit der verwaltungsgerichtlichen Beschwerde beantragt die Pax:
|
"1. Es sei der Entscheid des EJPD vom 18.9.53 insoweit aufzuheben, als er verfügt, dass neue bzw. abgeänderte Materialien dem Versicherungsamt im Entwurf zur Genehmigung vorzulegen sind.
|
2. Es sei festzustellen, a) dass die für den Geschäftsbetrieb einer konzessionierten schweizerischen Lebensversicherungsgesellschaft bestimmten Materialien dem Bundesrate bzw. dem EVA nicht zur Genehmigung unterbreitet werden müssen, sondern ..... lediglich sofort, d.h. bevor sie im Geschäftsbetrieb Verwendung finden, zur Kenntnis zu bringen sind; b) dass die Weisung des EVA vom 27.7.44, auf die sich das EJPD in seinem Entscheide vom 18.9.53 stützt, der gesetzlichen Grundlage entbehrt und daher ungültig ist, soweit sie Art. 4 des Aufsichtsgesetzes in seiner sub a) umschriebenen Bedeutung widerspricht."
|
C.- Das EJPD beantragt Abweisung der Beschwerde.
|
Das Bundesgericht hat die Beschwerde abgewiesen
|
in Erwägung:
|
|
Einerseits anerkennt die Beschwerdeführerin ihre "Ordnungspflicht" zur Vorlage der Materialien vor deren Verwendung im Geschäftsbetrieb; sie bestreitet nur das Recht der Aufsichtsbehörden zu deren "Genehmigung" mit konstitutiver Wirkung und macht geltend, jene hätten nur zu prüfen, ob die Materialien vom gewerbepolizeilichen Standpunkt aus zu beanstanden seien. Anderseits erklärt das EJPD mit Recht, die von ihm bzw. vom EVA auszusprechende Genehmigung habe keine konstitutive Wirkung, sondern sei lediglich eine gewerbepolizeiliche Erlaubnis, besage bloss, dass der Verwendung der Materialien vom Standpunkt der Versicherungsaufsicht aus nichts entgegenstehe. Damit entfällt die vermeintliche grundsätzliche Differenz über die Rechtsnatur und Tragweite des von jeher als Genehmigung bezeichneten Entscheids über die Zulassung der vorgelegten Materialien: Er ist eine blosse Polizeierlaubnis, die den Gesellschaften kein neues Recht erteilt, sondern lediglich feststellt, dass gegen die beabsichtigte Tätigkeit - die Verwendung der Materialien in ihrem Geschäftsbetrieb - keine polizeilichen Hindernisse vorliegen; wenn das zutrifft - d.h. wenn durch jene Verwendung die von den Aufsichtsbehörden zu wahrenden Interessen der Öffentlichkeit und der Versicherten nicht berührt werden -, muss die Genehmigung erteilt werden (vgl. FLEINER, Institutionen, 8. Aufl., § 25, insbesondere S. 408 und 410). Der ganze Streit zwischen den Parteien beschränkt sich so auf die Frage, ob die Beschwerdeführerin die Materialien, die sie anerkanntermassen dem EVA bzw. dem EJPD vorzulegen hat, schon vor der Genehmigung durch diese Behörden verwenden darf oder nicht.
|
Die Beschwerdeführerin wendet sich namentlich gegen die Vorschrift, wonach sie die Materialien "im Entwurf" vorzulegen habe. Hiezu erklärt das EJPD, diesem in der Weisung vom 27.7.44 und in der täglichen Praxis verwendeten Ausdruck komme nur untergeordnete Bedeutung zu; er stelle lediglich eine Empfehlung an die Gesellschaften dar, um ihnen unnütze Kosten und Umtriebe zu ersparen, falls die Materialien nicht in der vorgelegten Form genehmigt würden. Bei dieser Erklärung ist das EJPD zu behaften; sie enthält eine Einschränkung gegenüber dem Wortlaut der Weisung, die von dem EVA, einer dem Departement unterstehenden Amtsstelle, auf Grund einer Delegation erlassen wurde. Da die Beschwerdeführerin nun gar nicht verpflichtet wird, die Materialien schon im Entwurf vorzulegen, ist die Beschwerde in diesem Punkte gegenstandslos.
|
|
4. Die Vorlagepflicht für die Materialien ergibt sich aus den Art. 2 und 4 VAG.
|
Art. 2 ordnet die erstmalige Vorlage im Rahmen des Bewilligungsverfahrens für Versicherungsunternehmungen, die in der Schweiz Geschäfte betreiben wollen. Sie haben die dort aufgeführten Dokumente "dem Bundesrate einzureichen"; er entscheidet gemäss Art. 3 "auf Grund der vorgelegten Ausweise und allfällig anderer von ihm ermittelten tatsächlichen Verhältnisse" über die Bewilligung. Hieraus ergibt sich ohne weiteres, dass die in diesem Verfahren vorgelegten Materialien nicht vor der Genehmigung verwendet werden dürfen und können; die Genehmigung der Materialien fällt zusammen mit der Bewilligung des Geschäftsbetriebes überhaupt. Das in Art. 2 allein vorgeschriebene "Einreichen" erfolgt zu diesem Zwecke; aus ihm ergibt sich die Genehmigungspflicht, die hier auch von der Beschwerdeführerin anerkannt wird. Die Prüfung - der Bewilligungsfrage überhaupt wie auch der einzelnen Materialien - geschieht unter dem Gesichtspunkt der Versicherungsaufsicht, d.h. der Wahrung der mit dem Versicherungswesen zusammenhängenden öffentlichen Interessen sowie derjenigen der Versicherten selbst, die als Laien bei diesen komplizierten Verträgen der schwächere Partner sind, die in Frage kommenden technischen Unterlagen und Faktoren wie Prämientarife, allgemeine Versicherungsbedingungen usw. nicht zuverlässig beurteilen können und daher vor möglichen Täuschungen bewahrt werden sollen (BGE 76 I 240ff.).
|
Art. 4 verpflichtet die zum Geschäftsbetrieb zugelassenen Versicherungsunternehmungen, später eintretende Veränderungen in den in Art. 2 bezeichneten Verhältnissen dem Bundesrat sofort zur Kenntnis zu bringen. Die Bestimmung leuchtet ohne weiteres ein: Wenn sich die Verhältnisse, auf Grund deren die Bewilligung erteilt wurde, verändern, z.B. wenn die Gesellschaft die seinerzeit genehmigten Materialien abändern will, so wird die Berechtigung der Bewilligung in Frage gestellt und muss erneut unter dem gleichen Gesichtspunkt der Versicherungsaufsicht geprüft werden; es ist keine Veränderung zuzulassen, welche die Interessen der Öffentlichkeit oder der Versicherten verletzen würde. Das gilt sowohl für Abänderungen an den früher genehmigten Materialien als auch für die Einführung neuer Dokumente, die unter die Aufzählung in Art. 2 fallen, in den Geschäftsbetrieb. Ihre "sofortige Kenntnisgabe" nach Art. 4 wird zum gleichen Zwecke verlangt wie das "Einreichen" nach Art. 2, nämlich um sie vom Standpunkt der Versicherungsaufsicht aus zu prüfen. Hieraus ergibt sich gleich wie dort, dass sie der Genehmigung durch die Aufsichtsbehörde bedürfen und nicht vor deren Erteilung verwendet werden dürfen. Es liefe auf eine Umgehung des ursprünglichen Bewilligungsverfahrens hinaus und würde die darin enthaltene Garantie entwerten, wenn die genehmigten Materialien später abgeändert und so verwendet werden könnten, ohne in der neuen Form geprüft und genehmigt worden zu sein. Der Zweck der Versicherungsaufsicht wird nur erreicht, wenn die Verwendung von Materialien, welche die Interessen der Versicherten verletzen, von vornherein verhindert wird; ein nachträgliches Einschreiten genügt nicht, weil die Gültigkeit der auf Grund solcher Materialien bereits abgeschlossenen Versicherungsverträge dadurch nicht berührt wird. Die vorgängige Prüfung liegt übrigens auch im Interesse der Versicherungsgesellschaften selbst; ihnen wäre schlecht gedient, wenn solche Dokumente, die in grossen Auflagen hergestellt und dem Geschäftsbetrieb zugrunde gelegt werden, kurz nach der Einführung wieder zurückgezogen werden müssten, weil sie von der Aufsichtsbehörde gewerbepolizeilich beanstandet würden.
|
Art. 4 VAG wurde denn auch von Anfang an dahin ausgelegt, dass er eine Genehmigungspflicht aufstellt und dass die abgeänderten Materialien erst nach ihrer Genehmigung verwendet werden dürfen. Dahin ging nicht nur die Praxis der Aufsichtsbehörden während bald 70 Jahren, sondern auch die Auffassung der gesetzgebenden und richterlichen Behörden. So enthält die der Rechtsvorgängerin der Pax am 26.11.86 erteilte Bewilligung zum Geschäftsbetrieb u.a. folgende Bedingung: "Die in Art. 4 des Gesetzes vorgesehenen Veränderungen werden für die Schweiz erst wirksam nach ihrer Genehmigung durch den Bundesrat." Bei Erlass des Versicherungsvertragsgesetzes vom 2.4.08 ging der Gesetzgeber davon aus, dass das Aufsichtsgesetz die Prüfung und Genehmigung der allgemeinen Versicherungsbedingungen durch den Bundesrat vorsieht (s. Votum des Berichterstatters Scherrer im Ständerat, StenBull 1905 StR 312). Zu Unrecht wendet die Beschwerdeführerin ein, wenn die Genehmigungspflicht allgemein bestünde, so hätte ihre besondere Statuierung bezüglich der Abfindungswerte in Art. 91 Abs. 3 VVG keinen Sinn gehabt. In der Botschaft vom 2.2.04 erklärt der Bundesrat hiezu ausdrücklich, die allgemeinen Versicherungsbedingungen seien schon gemäss Aufsichtsgesetz dem Bundesrat zur Prüfung und Genehmigung vorzulegen; nun werde ihm noch die weitere Aufgabe zugewiesen, von Fall zu Fall über die Angemessenheit der vom Versicherer vorgesehenen Abfindungswerte zu entscheiden (BBl 1904 I 329). Bei der Ordnung der Zuständigkeiten im BRB vom 17.11.14 wurde die Genehmigungspflicht ebenfalls als feststehend angesehen und deshalb bestimmt, welche Materialien durch das EJPD (Art. 12, Z. 10) und welche durch das EVA (Art. 20, Z. 4, 5 und 8) zu genehmigen seien. Gestützt hierauf hat das EVA seine Weisungen über die Vorlage der Materialien jeweils nach Rücksprache mit den Gesellschaften und mit deren Zustimmung erlassen. Zwar vermöchte weder eine an die Betriebsbewilligung geknüpfte Bedingung noch die Zustimmung der Gesellschaften eine gesetzwidrige Genehmigungspflicht zu begründen; doch zeigen jene Umstände, wie das Gesetz auch von den zunächst Beteiligten verstanden wurde. Aus diesem selbst, nämlich aus Art. 4 in Verbindung mit Art. 2 VAG, ergibt sich die Genehmigungspflicht in dem Sinne, dass die abgeänderten Materialien erst nach der gewerbepolizeilichen Zulassung durch die Aufsichtsbehörde verwendet werden dürfen ("Polizeiverbot mit Erlaubnisvorbehalt", FLEINER a.a.O.). In diesem Sinne hat auch das Bundesgericht in BGE 76 I 242 von einer Genehmigungspflicht gesprochen. Ebenso ist in der Literatur immer wieder von Zulassung, Genehmigung und Genehmigungspflicht die Rede; alle diese Begriffe schliessen in sich, dass die Materialien nicht vorher verwendet werden dürfen. Ausdrücklich und eingehend vertritt diese Auffassung H. MEYER in Schweiz. Versicherungszeitschrift (SVZ) Jg. 19 S. 357 ff. Die von ihm zitierten Autoren sind mit einer Ausnahme der Ansicht, dass die Materialien der Aufsichtsbehörde zur Genehmigung und nicht nur zur Kenntnisnahme zu unterbreiten sind. Einzig F. REICHENBACH stellt in SVZ Jg. 18 S. 301 die umgekehrte These auf und erklärt, die Aufsichtsbehörde habe keine Genehmigung oder Zulassung auszusprechen, sondern könne lediglich die ihr zur Kenntnis gebrachten Materialien aus gewerbepolizeilichen Gründen verbieten. Das steht aber, wie bereits dargetan wurde, im Widerspruch zur präventiven Aufgabe der Versicherungsaufsicht und zu einer sinngemässen Auslegung von Art. 4 VAG.
|
|
Die Beschwerdeführerin hat zwar beiläufig auch die in der Weisung enthaltene Umschreibung der vorlagepflichtigen Materialien als "nicht über alle Zweifel erhaben" bezeichnet, aber nach dieser Richtung keinen Antrag gestellt. Gegenstand der vorliegenden Beschwerde bildet nicht der Umfang der Genehmigungspflicht, sondern nur ihr Inhalt, d.h. die Frage, ob die abgeänderten Materialien vor der Genehmigung im Geschäftsbetrieb verwendet werden dürfen oder nicht.
|