BGE 80 I 194 |
31. Auszug aus dem Urteil vom 3. März 1954 i.S. Agopian gegen Kantone Zürich und Genf. |
Regeste |
Ein Teppichhändler, der sein gesamtes Warenlager in gemieteten Räumen im Zollfreilager unterbringt und seine Kunden dort die Teppiche besichtigen und auswählen lässt, besitzt im Kanton, in dem sich das Zollfreilager befindet, ein sekundäres Steuerdomizil der Betriebsstätte. |
Sachverhalt |
A.- Der Beschwerdeführer Artin Agopian wohnt in Genf. Er handelt mit Teppichen und hat in den Zollfreilagern von Genf, Zürich und Basel Lagerräume gemietet, in denen er die aus dem Orient kommenden, auf eigene Rechnung oder in Kommission übernommenen Teppiche einlagert. Er sucht in der Schweiz und im Ausland Grossisten auf, welche die Teppiche in den Zollfreilagern besichtigen und auswählen. Die Fakturen werden von Genf aus versandt, wo auch die Buchhaltung und Korrespondenz besorgt wird. Der Beschwerdeführer hat keine ständigen Angestellten; die Schreibarbeiten werden durch eine nach Bedarf beigezogene und tageweise entlöhnte Bürolistin erledigt, während die Bücher von einem selbständigen Geschäftsagenten geführt werden. Da der Beschwerdeführer keine Einfuhrbewilligung besitzt, müssen die schweizerischen Abnehmer die Einfuhrformalitäten und die Verzollung der gekauften Teppiche selbst besorgen.
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In Zürich hat der Beschwerdeführer im Zollfreilager zwei zusammen gegen 200 m3 haltende Lagerräume (Boxen) gemietet, in denen Ende Dezember 1952 für Fr. 39'000.-- ihm gehörende Teppiche sowie Kommissionsware eingelagert gewesen sein sollen. Ausserdem hat er in Zürich ein möbliertes Zimmer gemietet, in dem er bei seinen Reisen in die deutsche Schweiz übernachtet; irgend eine geschäftliche Tätigkeit wickelt sich dort nicht ab.
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B.- Bis 1951 ist der Beschwerdeführer ausschliesslich an seinem Wohnsitz Genf besteuert worden. Im Frühjahr 1952 stellte ihm die Steuerverwaltung des Kantons Zürich in der Annahme, dass er in Zürich ein sekundäres Steuerdomizil der Betriebsstätte besitze, eine Steuererklärung für das Steuerjahr 1952 zu. Der Beschwerdeführer sandte diese am 3. Juni 1952 unausgefüllt zurück mit der Bemerkung, dass er nur in Genf steuerpflichtig sei und dort die Steuern für 1952 bereits bezahlt habe. Unter Bezugnahme auf eine weitere Aufforderung zur Abgabe einer Steuererklärung für 1952 ersuchte der Beschwerdeführer das kantonale Steueramt Zürich am 31. August 1953, auf seine Besteuerung zu verzichten oder einen Entscheid zu fällen, gegen den ein Rechtsmittel ergriffen werden könne. Darauf teilte ihm das Steueramt am 5. September 1953 unter Hinweis auf das einen gleichen Fall betreffende nicht veröffentlichte Urteil des Bundesgerichts vom 8. Februar 1950 i.S. Moukhtarzade mit, dass der Kanton Zürich "an der Besteuerung des Gewinnes aus Verkauf ab Zollfreilager Zürich festhalten" müsse, und forderte ihn gleichzeitig auf, bis zum 15. September 1953 die bereits früher verlangten Unterlagen einzureichen. Als er dieser Aufforderung nicht nachkam, eröffnete ihm das Steueramt am 28. September 1953, dass es ihn für das Jahr 1952 ermessensweise für ein im Kanton Zürich steuerbares Reineinkommen von Fr. 25'000.-- und ein Reinvermögen von Fr. 100'000.-- verlangt habe.
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C.- Inzwischen hatte Artin Agopian am 22. September 1953 gegen den Entscheid des kantonalen Steueramts Zürich vom 5. September 1953 staatsrechtliche Beschwerde wegen Doppelbesteuerung erhoben mit dem Antrag, es sei zu erkennen, dass er im Kanton Zürich nicht steuerpflichtig sei und daher die von diesem Kanton verlangten buchhalterischen Unterlagen nicht einzureichen habe.
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Zur Begründung wird geltend gemacht: Das Zentrum der geschäftlichen Tätigkeit des Beschwerdeführers befinde sich an seinem Wohnsitz in Genf. Dort sei sein Büro, seine Buchhaltung, sein Personal und werde auch seine Korrespondenz erledigt. In Zürich besitze er lediglich ein Warenlager und übe er keine Geschäftstätigkeit aus. Die Miete eines Lagerraumes im dortigen Zollfreilager begründe daselbst keine Steuerpflicht. Die dort eingelagerte Ware sei grösstenteils Transitware und gebe zu keinen geschäftlichen Transaktionen in Zürich Anlass. Ein Zollfreilager sei, jedenfalls in wirtschaftlicher Beziehung, exterritorial, und es wäre für die Schweiz als europäisches Transitzentrum äusserst gefährlich, die Einlagerer zu besteuern, da dies den europäischen Handelsverkehr nötigen würde, die Schweiz zu meiden.
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D.- Der Regierungsrat des Kantons Zürich beantragt Abweisung der Beschwerde.
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Der Regierungsrat des Kantons Genf beantragt
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"Pour autant que le recours puisse être considéré comme dirigé contre l'assujettissement et la taxation du canton de Genève:
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Lui donner acte de ce qu'il s'en rapporte à justice sur la question d'une éventuelle répartition de la souveraineté fiscale entre Zurich et Genève".
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Das Bundesgericht hat die (nach Antrag und Begründung ausschliesslich gegen den Kanton Zürich gerichtete) Beschwerde abgewiesen im Sinne folgender
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Erwägungen: |
4. Der Beschwerdeführer hat seinen Wohn- und Geschäftssitz und damit sein primäres Steuerdomizil unbestrittenermassen in Genf. Er unterliegt daher der zürcherischen Steuerhoheit nur dann, wenn er im Kanton Zürich ein sekundäres Steuerdomizil der Betriebsstätte hat, was nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung dann der Fall ist, wenn er in diesem Kanton ständige körperliche Anlagen oder Einrichtungen besitzt, mittels deren sich daselbst ein qualitativ und quantitativ wesentlicher Teil seines Geschäftsbetriebes vollzieht (BGE 61 I 183/4 und dort angeführte frühere Urteile, BGE 62 I 139, BGE 79 I 222 Erw. 2).
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a) Als körperliche Anlagen und Einrichtungen im Sinne dieser Rechtsprechung hat, sofern damit ein eigener Betrieb, eine Tätigkeit verbunden ist, auch die dauernde Einlagerung von Waren zu gelten, gleichgültig ob diese in eigenen oder in fremden, z.B. in zu diesem Zweck gemieteten Räumlichkeiten erfolgt (BGE 66 I 156, BGE 67 I 94, BGE 77 I 39). Das Teppichlager, das der Beschwerdeführer, und zwar offenbar seit mehreren Jahren, in gemieteten Räumen in Zürich besitzt, ist daher an sich geeignet, daselbst ein sekundäres Steuerdomizil der Betriebsstätte zu begründen. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass sich diese Lagerräume in einem Zollfreilager befinden; denn Zollfreibezirke (Art. 2 Abs. 3 und Art. 42 ff. ZG) werden, wie das Bundesgericht bereits im nicht veröffentlichten Urteil vom 8. Februar 1950 i.S. Moukhtarzade ausgeführt hat, lediglich in zollrechtlicher Beziehung als Ausland behandelt und sind, abgesehen von dieser zur Förderung des internationalen Zwischenhandels aufgestellten Fiktion, schweizerisches Hoheitsgebiet, für das in jeder Hinsicht (Strafrecht, Baupolizeirecht usw.) schweizerisches (eidgenössisches oder kantonales) Recht gilt.
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b) Das Erfordernis des qualitativ und quantitativ wesentlichen Teils des Geschäftsbetriebs ist, wie die zahlreichen hierüber ergangenen Entscheide zeigen, stets weit ausgelegt worden. Das Bundesgericht hat es jeweils bejaht bei einer Tätigkeit, die zum eigentlichen Geschäftsbetrieb gehört und nicht von ganz untergeordneter oder nebensächlicher Bedeutung ist (BGE 41 I 443, BGE 62 I 139, nicht veröffentlichte Urteile vom 4. Oktober 1940 i.S. Simon, vom 25. September 1947 i.S. Twentieth Century-Fox Film Corp., vom 16. Oktober 1947 i.S. Klar-Film A.-G. und vom 28. Oktober 1948 i.S. Jezler & Co. A.-G.).
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Der Beschwerdeführer besitzt für die Teppiche, die er zum Verkauf auf eigene Rechnung oder in Kommission aus dem Ausland erhält, ausser den in den Zollfreilagern gemieteten Räumlichkeiten keinerlei Magazine, Verkaufs- oder Vorführungslokalitäten. Er führt daher seine in- und ausländischen Kunden, wie er bei seiner Einvernahme durch die Genfer Steuerbehörden erklärte, in die Zollfreilager, wo sie die ihnen angebotenen Teppiche besichtigen und ihre Wahl treffen. Dort wird also ein wesentlicher Teil der Kaufsverhandlungen geführt, ja werden in der Regel wohl auch die (nach Angabe des Beschwerdeführers nie schriftlichen, sondern stets mündlichen) Kaufverträge abgeschlossen. Die Räume in den Zollfreilagern ersetzen somit dem Beschwerdeführer ein Magazin; in ihnen spielt sich die Tätigkeit ab, die sich sonst in besondern Verkaufs- und Vorführungsräumlichkeiten abzuspielen pflegt. Bei dieser Sachlage muss aber die in den Lagerräumen der Zollfreilager entfaltete Tätigkeit als wesentlicher Teil der Absatztätigkeit des Beschwerdeführers und damit seines Teppichhandels überhaupt betrachtet werden, und zwar selbst dann, wenn - wie nach den Akten anzunehmen ist - die Fakturen von Genf aus versandt, die Korrespondenzen dort erledigt und die Bücher dort geführt werden. Dass die schweizerischen Abnehmer die Einfuhrformalitäten und die Verzollung der Teppiche selber besorgen, ist belanglos, da nur das, womit sich der Beschwerdeführer selbst befasst, in Betracht kommt für den Entscheid darüber, ob die im Zollfreilager sich abspielende Tätigkeit als qualitativ wesentlicher Teil seines Geschäftsbetriebes zu gelten hat.
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Über das zahlenmässige Verhältnis der im Jahre 1952 im Zollfreilager Zürich gelagerten und von diesem Lager verkauften Teppiche zu denjenigen, die im gleichen Zeitraum sich in den Zollfreilagern Genf und Basel befanden und dort umgesetzt wurden, werden in der staatsrechtlichen Beschwerde keine Angaben gemacht. Der Beschwerdeführer hat jedoch bei der Einvernahme durch die Genfer Steuerbehörden zugegeben, dass sich Ende Dezember 1952 - ausser Kommissionsware - für rund Fr. 39'000.-- ihm gehörende Teppiche im Zollfreilager Zürich befunden haben, d.h. nach seiner Bilanz per 31. Dezember 1952 sein gesamtes Warenlager. Ferner hat er in seinem Schreiben vom 3. Juni 1952 an das Steueramt Zürich erklärt, dass seine "affaires avec le Canton de Zurich" im Jahre 1951 23,7% und in den ersten 5 Monaten des Jahres 1952 15% seiner gesamten "activité" ausgemacht hätten. Die in Zürich sich abspielende Tätigkeit kann daher keinesfalls als völlig nebensächlich bezeichnet werden, was allein gestatten würde, ihr die quantitative Erheblichkeit abzusprechen (BGE 62 I 139).
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5. Da der Beschwerdeführer nicht gehalten war, sich im Kanton Zürich auf ein Veranlagungsverfahren einzulassen, bevor über die Steuerhoheit dieses Kantons rechtskräftig entschieden war (BGE 62 I 74), hat der Kanton Zürich auf seine Ermessenseinschätzung vom 28. September 1953 zurückzukommen, dem Beschwerdeführer neuerdings Frist zur Einreichung der verlangten buchhalterischen Unterlagen zu setzen und hierauf eine neue Veranlagung zu treffen. Sollte er dabei einen grösseren Teil des Geschäftsgewinnes oder Geschäftsvermögens erfassen, als ihm nach den bundesrechtlichen Ausscheidungsgrundsätzen zukommt, so bleibt es dem Beschwerdeführer unbenommen, dagegen neuerdings staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung von Art. 46 Abs. 2 BV zu erheben. Ob er damit auch einen allfälligen Anspruch auf Rückerstattung eines Teils der im Kanton Genf bereits bezahlten Steuern wird verbinden können, braucht heute nicht entschieden zu werden.
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