BGE 81 I 48 |
9. Urteil vom 6. April 1955 i.S. Vormundschaftsbehörde Steffisburg gegen Vormundschaftsbehörde der Stadt Zürich. |
Regeste |
Art. 83 lit. e OG, 377 ZGB. |
Sachverhalt |
A.- Der 1919 geborene, in Biglen (BE) heimatberechtigte Werner Hofer ist auf Grund von Art. 369 ZGB bevormundet. Als Vormund bestellte die Vormundschaftsbehörde von Steffisburg Ernst Spring daselbst. Dieser erklärte sich im Juni 1953 damit einverstanden, dass das Mündel in Zürich Arbeit annehme. Dort hatte sich die Polizei mit Hofer schon in demselben Jahre wiederholt wegen Zechprellerei und Sachentziehung zu befassen. Das Mündel machte Schulden und liess sich Polizeiübertretungen zuschulden kommen. Im Mai 1954 wurde es durch die psychiatrische Poliklinik der Fürsorgestelle für Alkoholgefährtete gemeldet. Die Befragung des Logisgebers ergab, dass Hofer sich über das Wochenende regelmässig zu betrinken pflege, wenn er Geld habe. Diese Verhältnisse besserten sich auch nicht wesentlich, nachdem das Mündel sich der Fürsorgestelle gegenüber bis Ende des Jahres zur Abstinenz verpflichtet hatte. Vom Vormund wurde der Stelle gemeldet, Hofer sei ein schwerer Alkoholiker, man kenne ihn auf der Vormundschaftsverwaltung von Steffisburg zur Genüge. Das Schuldenmachen sei auch eine seiner Schwächen. Auf Grund dieser Erhebungen teilte die Fürsorgestelle der städtischen Vormundschaftsbehörde mit, Hofer sei auf alle Fälle in der Stadt sehr gefährdet und er werde sich in der Freiheit nicht zu halten vermögen. Man möge ihn verwarnen. Die Anstaltsversorgung dürfte voraussichtlich nur eine Frage des geeigneten Zeitpunktes sein (Bericht vom 30. September 1954).
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Mitte Oktober gleichen Jahres ersuchte die Vormundschaftsbehörde von Steffisburg die Vormundschaftsbehörde der Stadt Zürich um die Übernahme der Vormundschaft. Das Mündel befinde sich seit über einem Jahr in Zürich und es seien über sein Verhalten bisher keine Klagen laut geworden. Es habe dort regelmässigen Verdienst und könne Stellen versehen, die ihm in Steffisburg nicht geboten werden könnten. Eine Betreuung von dort aus sei nicht möglich und läge auch nicht im Interesse des Mündels.
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Die Vormundschaftsbehörde von Zürich liess sich einen Bericht des städtischen Wohlfahrtsamtes geben. Dieses konnte den gegenwärtigen Aufenthaltsort des Mündels nicht mehr eruieren, erklärte aber auf Grund der gemachten Nachforschungen, Hofer habe sich in Zürich schlecht eingeführt und werde kaum richtig Fuss fassen und sich eine Existenz aufbauen können. Was er verdiene, verbrauche er vorweg, und wenn er kein Geld habe, verlange er beim Arbeitgeber Vorschuss oder mache Schulden. Daraufhin antwortete die Vormundschaftsbehörde von Zürich derjenigen von Steffisburg, sie müsse die Übernahme der Vormundschaft ablehnen. Hofer führe in Zürich keinen geordneten Lebenswandel und es bestehe keinerlei Aussicht, dass er hier durch einen Vormund erfolgreich betreut werden könnte. Eine Beschwerde gegen diesen Beschluss hat der Bezirksrat von Zürich mit Entscheid vom 24. Dezember 1954 abgewiesen.
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B.- Mit staatsrechtlicher Klage vom 1. Februar 1955 beantragt die Vormundschaftsbehörde von Steffisburg, den Beschluss der Vormundschaftsbehörde der Stadt Zürich, bestätigt durch Entscheid des Bezirksrates von Zürich, aufzuheben und anzuordnen, dass die Beklagte die Vormundschaft über Werner Hofer zu übernehmen habe. Zur Begründung der Klage wird im wesentlichen ausgeführt: Hofer sei mit Zustimmung des Vormundes nach Zürich gezogen, weil er dort mehr verdiene und regelmässig arbeiten könne. Er beabsichtige, dort zu bleiben. Die Vormundschaftsbehörde habe dem Aufenthaltswechsel stillschweigend zugestimmt. Es liege im Interesse des Mündels, wenn die Vormundschaft in Zürich weitergeführt werde. Das Mündel bedürfe der Betreuung und es sei wichtig, dass es sich an Ort und Stelle an den Vormund wenden könne. Wenn die Auffassung der Vormundschaftsbehörde von Zürich zuträfe, könnte überhaupt kein Mündel den Wohnsitz m die St.adt verlegen. Wenn es trotzdem in der Stadt Arbeit finde und sich dort aufhalte, müsste es von einer auswärtigen Behörde betreut werden, was nicht der Sinn von Art. 377 ZGB sein könne.
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C.- Die Vormundschaftsbehörde von Zürich und der Bezirksrat beantragen die Abweisung der Klage. Jene führt u.a. aus: Die Übersiedlung des haltlosen und wiederholt vorbestraften Mündels nach Zürich entbehre der sachlichen Berechtigung. Die Widerhandlungen, die es in Zürich bereits begangen habe, und die Beanstandungen der Fürsorgestelle für Alkoholgefährdete seien ein deutlicher Beweis hiefür. Man könne der Behörde des Aufenthaltsortes nicht zumuten, dass sie einen Schutzbefohlenen übernehme und ihn gleich in einer Anstalt unterbringe. In übersichtlichen ländlichen Verhältnissen wäre Hofer weniger gefährdet. Er könne als Hilfsarbeiter seinen Unterhalt auch ausserhalb der Grossstadt verdienen.
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Das Bundesgericht zieht in Erwägung: |
1. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts zu Art. 377 ZGB geht die Vormundschaft über ein Mündel vom bisherigen Wohnsitz an die Vormundschaftsbehörde eines neuen Aufenthaltsortes über, wenn das Mündel sich mit Zustimmung der bisherigen Vormundschaftsbehörde dort aufhält und dieser Aufenthalt derart ist, dass gemäss Art. 23 ZGB dort sein Wohnsitz wäre, wenn dieser sich nicht nach Art. 25 Abs. 1 ZGB bestimmen würde (BGE 71 I 159, BGE 78 I 223, nicht publiziertes Urteil vom 1. Juli 1953 i.S. Waisenamt St. Gallen Erw. 2). Auch wenn dabei der Wille des urteilsfähigen Mündels - und mit einem solchen hat man es bei Werner Hofer offenbar zu tun - rechtlich nicht ganz unbeachtlich ist, seiner Absicht dauernden Verbleibens an einem bestimmten Orte also eine gewisse Bedeutung nicht abgesprochen werden kann, was auch hier offen bleiben mag, so würde dieser Wille allein zur Begründung eines Wohnsitzes nicht ausreichen. Es muss die Zustimmung der Vormundschaftsbehörde hinzutreten, die aber nur erteilt werden darf, wenn der Wohnsitzwechsel im wohlverstandenen Interesse des Mündels gelegen ist, der Aufenthaltswechsel dazu bestimmt ist, die mit der Vormundschaft verfolgten Zwecke zu erreichen. Eine Zustimmung, die den wahren Interessen des Mündels widerspricht, ist unbeachtlich, vermag den Wohnsitzwechsel nicht zu rechtfertigen und gibt daher der Behörde des neuen Aufenthaltsortes das Recht, die Übernahme der Vormundschaft abzulehnen (BGE 78 I 222sowie das erw. Urteil i.S. Waisenamt St. Gallen). Zwar wird damit eine vormundschaftliche Frage geprüft. Art. 83 lit. e OG steht dem jedoch nicht entgegen. Er will einer sachlich nicht begründeten Verschiebung einer Vormundschaft begegnen. Dieses Ziel würde nicht erreicht, wenn auch eine objektiv nicht gerechtfertigte Zustimmung zum Wohnsitzwechsel die Behörde am Aufenthaltsort zur Übernahme zwingen würde. Ein Aufenthaltswechsel läuft aber den wohlverstandenen Interessen des Mündels zuwider, wenn er geduldet wird, bloss um das Mündel wirtschaftlich besser zu stellen und von der Hilfe der Behörde unabhängiger zu machen. Er braucht mcht hingenommen zu werden, wenn das Mündel, dermassen auf sich selbst gestellt, entweder überhaupt nicht arbeitet oder den Arbeitsverdienst nicht für die Bedürfnisse des Lebensunterhaltes, für Nahrung, Wohnung und Kleider, sondern für Alkohol oder Vergnügungen ausgibt und ökonomisch oder sittlich verkommt.
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Demnach erkennt das Bundesgericht:
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