12. Urteil vom 20. Februar 1957 i.S. Cottoferm AG gegen Schweiz. Bundesbahnen.
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Regeste
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Enteignung.
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Die Schätzungskommission darf nicht die Vergütung für den Verkehrswert der enteigneten Liegenschaft (Art. 19 lit. a) vorweg festsetzen, den Entscheid über die weitern Nachteile (Art. 19 lit. c) auf später verschieben und anordnen, dass gegen Zahlung der Verkehrswertentschädiädigung das Eigentum an der enteigneten Liegenschaft auf den Enteigner übergehe.
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Sachverhalt
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A.- Zur Erweiterung des Bahnhofs Horgen enteignen die Schweiz. Bundesbahnen die 2080 m2 umfassende Liegenschaft der Cottoferm AG., auf der diese ihre chemische Fabrik betreibt. Das Enteignungsverfahren wurde im Frühjahr 1955 eröffnet. Im Dezember 1955 einigten sich die Parteien ausseramtlich dahin, dass die enteignete Liegenschaft am 1. April 1957 geräumt sein und den SBB zum Abbruch zur Verfügung stehen solle. Im März 1956 begann die Enteignete mit dem Bau eines neuen Fabrikgebäudes in Horgen-Oberdorf. Für die laufenden Bauauslagen leisteten ihr die SBB vorschussweise freiwillige Zahlungen. Der Betrieb soll im Laufe des März 1957 stufenweise an den neuen Ort verlegt werden.
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B.- Neben der Vergütung des vollen Verkehrswertes der enteigneten Liegenschaft (Art. 19 lit. a EntG), dessen Hauptposten (Wert der Liegenschaft ohne besondere Einrichtungen wie Leitungen nsw.) von der Enteigneten auf Fr. 1'035,549.--, von den SBB dagegen nur auf Fr. 473'043.-- beziffert wurde, verlangte die Enteignete eine Entschädigung für alle weitern ihr durch die Enteignung verursachten Nachteile (Art. 19 lit. c EntG; sog. Inkonvenienzen). Als solche machte sie geltend die Kosten des von der Baudirektion des Kantons Zürich abgelehnten Projekts für einen Neubau in Au-Wädenswil, die Kosten der Verlegung des Betriebes nach Horgen-Oberdorf (Planungskosten, Umtriebe für den Landerwerb, Mehrkosten der Vorproduktion für die Umzugszeit, Produktionsausfall während dieser Zeit, Kosten des Umzugs und der Neueinrichtung), die durch die Lage der neuen Fabrik bedingte Verteuerung der Transporte und den Schaden aus der Erhöhung der Kapitalzinslasten und der Verminderung der Mietzinseinnahmen, die mit der Preisgabe der alten und der Erstellung einer neuen Fabrik verbunden seien, schliesslich die Kosten der Berechnung der Ansprüche auf Enteignungsentschädigung. Weitere Begehren der Enteigneten bezogen sich auf den Ersatz allfälliger Wertzuwachssteuern durch die SBB und auf allfällig beim Abbruch und bei den Grabungen auf der enteigneten Liegenschaft zum Vorschein kommende Wertgegenstände (Schatzfund).
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C.- Obwohl die Enteignete die gesamthafte Beurteilung ihrer Begehren verlangte, beschränkte die Schätzungskommission VI das Verfahren entsprechend dem Antrag der SBB auf die Feststellung des Verkehrswertes der enteigneten Liegenschaft. Die weitern Enteignungsnachteile waren bei Gelegenheit des Augenscheins und der Schätzungsverhandlung vom 2. Oktober 1956 Gegenstand einer Einigungsverhandlung, die gemäss dem Protokoll hierüber nicht zu einer endgültigen Erledigung führte, wenn sich auch hinsichtlich einzelner Posten die Möglichkeit einer Verständigung abzeichnete. Das Dispositiv des den Parteien am 23. November 1956 zugestellten Entscheides der Schätzungskommission vom 2. Oktober 1956 lautet wie folgt:
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"beschlossen:
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1.:... (Nichteintreten auf das Begehren betr. Schatzfund).
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2. Über die der Enteigneten zustehende Inkonvenienzentschädigung (Art. 19 lit. c EntG) wird später entschieden.
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und
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erkannt:
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1. Die Liegenschaft ... geht auf den 1. April 1957 ... in das Eigentum der SBB über.
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2. Die SBB haben hiefür den Berechtigten als Verkehrswert (Art. 19 lit. a EntG) Fr. 588'000.-- zu bezahlen.
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3. Die Verfahrenskosten tragen die SBB. Sie haben der Enteigneten eine Parteientschädigung zu bezahlen.
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Über die Höhe der Kosten und der Parteientschädigung wird annlässlich der Erledigung der Inkonvenienzansprüche durch die Schätzungskommission entschieden.
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4. ... (Zustellung).
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5. ... (Rechtsmittelbelehrung)."
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Zur Begründung der Teilung des Verfahrens wird in den Erwägungen im wesentlichen ausgeführt, ordentlicherweise urteile die Schätzungskommission gleichzeitig über alle streitigen Begehren. Dies sei prozessökonomisch und erleichtere den Parteien bzw. dem Enteigner die Entschliessung darüber, ob das Bundesgericht anzurufen bzw. nachträglich auf die Enteignung zu verzichten sei. Das Gesetz enthalte jedoch keine Bestimmung, die unter allen Umständen eine Gesamterledigung fordern würde. Eine Teilung des Verfahrens sei deshalb statthaft, "wenn besondere Verhältnisse sie aufdrängen". So verhalte es sich hier. Die Nachteile infolge der Enteignung (Art. 19 lit. c EntG) seien zur Zeit nicht abschätzbar, da die Kosten der Betriebsverlegung noch nicht feststünden und die tatsächlichen Anlagekosten der neuen Fabrik noch unbekannt seien und genügende Unterlagen fehlten, um die mit der Inkonvenienzentschädigung zu verrechnenden produktionsmässigen Vorteile der neuen Anlage zu bestimmen. Auf der andern Seite sei die Schätzung des Verkehrswertes der enteigneten Liegenschaft spruchreif. Werde sie bis zum Entscheid über die Nachteile aus der Enteignung (Inkonvenienzen) aufgeschoben, so entstehe die Gefahr, dass eine allfällige Bewertung der alten Liegenschaft durch Mitglieder der Oberschätzungskommission im bundesgerichtlichen Verfahren nicht vor Beginn des Abbruchs der Gebäude am 1. April 1957 erfolgen könne. Für eine Schätzung dieser Gebäude bedürfe es aber des Augenscheins; eine durch Pläne und Photographien verdeutlichte Beschreibung des Zustandes könne diesen hier nicht ersetzen. Der sofortige Entscheid über den Verkehrswert dränge sich daher auf. Über die Inkonvenienzbegehren einschliesslich des Antrags auf Ausgleich der mit der Aufgabe der alten Liegenschaft verbundenen Steuern werde die Schätzungskommission entscheiden, sobald dies möglich sei.
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Über den Vollzug der Enteignung sagen die Erwägungen der Schätzungskommission, die Parteien hätten die Räumung der Liegenschaft auf Ende März 1957 vereinbart. Dem Wunsche der Enteigneten, bis dahin Eigentümerin des Grundstücks zu bleiben, stehe nichts entgegen. Die SBB seien zur Übernahme der Liegenschaft auf einen frühern Zeitpunkt nicht berechtigt, weil sie diese erst vom erwähnten Datum an benötigten. Sollte der Entscheid der Schätzungskommission dann noch nicht rechtskräftig sein, so könnten die SBB die vorzeitige Besitzeinweisung verlangen.
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D.- Mit ihrem Rekurs an das Bundesgericht beantragt die Enteignete, der angefochtene Entscheid sei "nichtig zu erklären", weil die Schätzungskommission in unzulässiger Weise nur einen einzigen der geltend gemachten Ansprüche (nämlich den Anspruch auf Ersatz des Verkehrswerts der enteigneten Liegenschaft) und auch diesen nur unvollständig beurteilt habe; eventuell sei der angefochtene Entscheid aufzuheben, die Entschädigung gemäss den Eingaben der Enteigneten an die Schätzungskommission einschliesslich der Inkonvenienzen auf Fr. 1'506,987.90 zu bestimmen und die Enteignerin zu verpflichten, der Enteigneten die Wertzuwachssteuern zu ersetzen und die beim Abbruch der Gebäude und bei den Grabarbeiten allfällig zu Tage geförderten Gegenstände von Wert auszuhändigen.
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Die SBB haben sich der Weiterziehung angeschlossen mit dem Begehren, der (von der Schätzungskommission) auf Fr. 90.- pro m2 bemessene Landwert sei auf Fr. 60.- pro m2 anzusetzen und im übrigen sei der Entscheid der Schätzungskommission zu bestätigen.
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E.- Am 5. Februar 1957 bestätigten die Parteien vor der bundesgerichtlichen Instruktionskommission ihre frühere Vereinbarung, wonach die enteignete Liegenschaft den SBB am 1. April 1957 zum Abbruch zur Verfügung stehen soll, und einigten sich dahin, dass das bundesgerichtliche Schätzungsverfahren auch im Falle einer Rückweisung der Sache an die Schätzungskommission noch vor dem Abbruch durchgeführt werden soll. Die SBB erklärten, dass sie auf den Rücktritt vom eingeleiteten Enteignungsverfahren (Art. 14 EntG) verzichten.
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Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
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Der Enteigner erwirbt das Eigentum am enteigneten Grundstück (oder das auf dem Enteignungsweg eingeräumte Recht an einem Grundstück) gemäss Art. 91 EntG erst durch die Bezahlung der "Entschädigungen". Darunter ist unzweifelhaft die Gesamtheit der dem Enteigneten nach Art. 19 EntG zukommenden Leistungen zu verstehen. Das ergibt sich nicht nur aus dem im gleichen Unterabschnitt (über die Bezahlung der Entschädigung) stehenden Art. 89 EntG, der in Abs. 1 die Entschädigungen gemäss Art. 19 lit. a und b und in Abs. 2 diejenige gemäss Art. 19 lit. c erwähnt, sondern vor allem auch daraus, dass allein diese Auslegung gewährleistet, dass der Enteignete sein Eigentum wirklich nur gegen volle Entschädigung preiszugeben hat. Vor Bezahlung der gesamten Entschädigung erwirbt der Enteigner das Eigentum am enteigneten Grundstück nur in den hier nicht gegebenen Ausnahmefällen von Art. 88 Abs. 1 Satz 2 und Art. 86 Abs 2 EntG, nämlich dann, wenn als Entschädigung für den Verkehrswert eines noch nicht endgültig vermessenen Grundstücks neunzig vom Hundert der nach den Massen im aufgelegten Plan berechneten Summe bezahlt sind oder wenn der bundesgerichtliche Instruktionsrichter nach Durchführung des Schriftenwechsels auf Verlangen des Enteigneten die sofortige Bezahlung der nicht mehr streitigen Entschädigung anordnet und gegen Sicherstellung des noch streitigen Betrags verfügt, dass die Wirkung der Enteignung schon mit der Bezahlung der Teilentschädigung (d.h. des nicht mehr streitigen Betrags) eintrete.
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Im vorliegenden Fall umfasst die vom Enteigner zu bezahlende volle Entschädigung neben dem von der Vorinstanz festgesetzten Verkehrswert im Sinne von Art. 19 lit. a EntG unstreitig auch eine Entschädigung für Enteignungsnachteile im Sinne von Art. 19 lit. c. Indem die Vorinstanz erkannte, dass die enteignete Liegenschaft auf den 1. April 1957 in das Eigentum der SBB übergehe und dass diese dafür (wenigstens einstweilen) nur die auf Fr. 588'000.-- bezifferte Verkehrswertentschädigung zu bezahlen haben, hat sie also die klaren Bestimmungen von Art. 16 und 91 EntG verletzt. Mit der Zuweisung des Eigentums auf den 1. April 1957 gegen blosse Zahlung des Verkehrswerts wäre übrigens, selbst wenn dieser bis zum angegebenen Tag endgültig festgesetzt werden könnte, für die SBB auch rein praktisch nichts gewonnen; denn die bei Bemessung der Enteignungsnachteile zu berücksichtigenden Vorteile der neuen Anlage gegenüber der alten lassen sich so wenig wie der Verkehrswert der enteigneten Liegenschaft ohne Besichtigung der alten Gebäude richtig schätzen, so dass den SBB der Abbruch trotz dem Eigentumsübergang verboten werden müsste, wenn es nicht möglich wäre, die alten Gebäude noch vor dem 1. April 1957 durch die mit der Schätzung der Enteignungsfolgen betrauten Sachverständigen beider Instanzen besichtigen zu lassen. Daher muss auf jeden Fall das den Eigentumsübergang anordnende Dispositiv 1 des Erkenntnisses der Vorinstanz aufgehoben werden.
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Die Art. 64. lit. a, 72, 73 Abs. 1 lit. g, 73 Abs. 2, 74 Abs. 1, 75, 76, 88 Abs. 1 und 116 EntG sprechen von der "Entschädigung" bzw. vom "Entscheid" der Schätzungskommission in der Einzahl. Von einem Teilentscheid über einzelne Entschädigungsposten und einer Trennung des Verfahrens ist im Gesetz nirgends die Rede. Schon deshalb liegt die Annahme nahe, dass die Schätzungskommission die gesamte Entschädigung in einem einzigen Entscheide festzusetzen hat. Der entscheidende Grund für diese Auslegung des Gesetzes liegt aber nicht im Wortlaut, sondern in sachlichen Erwägungen. Die Entschädigung für eine und dieselbe Enteignung bildet ihrer Natur nach eine Einheit, auch wenn sie aus verschiedenen Bestandteilen besteht. Sie ist das Entgelt für das Interesse, das der Enteignete hatte, nicht enteignet zu werden (vgl. W. BURCKHARDT, Die Entschädigungspflicht nach schweizerischem Expropriationsrecht, ZSR 1913 S. 145 ff.). Wenn der Enteignete eine aus verschiedenen Posten zusammengesetzte Entschädigungsforderung stellt, hat man es nicht etwa mit einer Klagenhäufung im Sinne von Art. 24 BZP zu tun, so wenig wie dort, wo ein Verunfallter im Prozess die Unfallfolgen einklagt und hierbei z.B. Ersatz für Heilungskosten, für eingetretenen Verdienstausfall und für Verminderung der künftigen Erwerbsfähigkeit sowie eine Genugtuungssumme verlangt. Eine Teilung des Verfahrens nach Art. 24 Abs. 3 des Gesetzes über den Bundeszivilprozess (das gemäss Art. 3 der Verordnung für die eidgenössischen Schätzungskommissionen vom 22. Mai 1931 auf das Verfahren dieser Kommissionen entsprechende Anwendung findet, soweit sich aus Gesetz und Verordnung nichts anderes ergibt und die Natur des Verfahrens nicht entgegensteht) kommt also keinesfalls in Frage. So wie der Zivilrichter die Beurteilung eines nicht ziffernmässig nachweisbaren Schadenspostens nicht einfach verweigern oder auf die Zukunft verschieben darf, sondern gemäss Art. 42 OR den Schaden nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge "abschätzen" muss, so muss der Richter auch im Enteignungsverfahren alle Posten der einheitlichen Enteignungsentschädigung auf einmal erledigen.
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Die Beurteilung der verschiedenen Bestandteile der Enteignungsentschädigung in getrennten Verfahren ist zudem deswegen abzulehnen, weil sie unvermeidlich auch zu praktischen Schwierigkeiten führt. Zu wissen, wieviel die Entschädigung insgesamt ausmacht, ist für die Parteien weit wichtiger als die Kenntnis der Einzelposten. Solange ihnen nicht bekannt ist, auf welchen Betrag die Schätzungskommission die Gesamtentschädigung bemisst, können sie also nicht richtig beurteilen, ob eine Weiterziehung an das Bundesgericht sich lohne. Ausserdem kann die Teilung des Verfahrens dazu führen, dass die Erledigung der ganzen Sache sich verzögert; denn wenn der auf einen einzelnen Posten bezügliche Teilentscheid weitergezogen wird, so ist es aus technischen Gründen (weil die Akten immer nur einer der beiden Instanzen zur Verfügung stehen können) oft nicht möglich, das bei der Schätzungskommission verbliebene und das beim Bundesgericht hängige Verfahren gleichzeitig zu fördern, sondern die eine oder andere Instanz muss unter Umständen den Fall ruhen lassen, obwohl er für sie spruchreif geworden ist. Schliesslich können sich aus der Teilung des Verfahrens auch Kompetenzkonflikte ergeben. Wird wie hier vorweg über den Verkehrswert entschieden und gegen diesen Entscheid der Rekurs ans Bundesgericht ergriffen, während die Schätzungskommission mit der Frage der Inkonvenienzen befasst bleibt, so weiss man nicht, ob fortan diese Behörde oder aber der bundesgerichtliche Instruktionsrichter über allfällige Gesuche um vorzeitige Besitzeinweisung im Sinne von Art 76 EntG zu befinden habe. (Zur Anwendung dieser Bestimmung im Verfahren vor Bundesgericht vgl. BGE 80 I 109 f.) Alle diese Schwierigkeiten und Unzukömmlichkeiten lassen sich nur dadurch verhindern, dass man eine derartige Teilung des Verfahrens ausschliesst.
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Der angefochtene Teilentscheid ist daher aufzuheben und die Sache an die Vorinstanz zurückzuweisen zur Festsetzung der Gesamtentschädigung in einem einzigen Entscheide.
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Hätte die Vorinstanz das Verfahren nicht geteilt und zur Abschätzung der im Gefolge der Enteignung entstehenden Nachteile (Art. 19 lit. c EntG) die entsprechenden Sachverständigen beigezogen, so läge wohl heute, da die Schätzung aller Inkonvenienzen spätestens zu Beginn dieses Jahres (zwei oder drei Monate vor der Betriebsverlegung) möglich geworden war, bereits ein erstinstanzlicher Entscheid über alle Entschädigungsposten vor.
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Demnach erkennt das Bundesgericht:
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Der Entscheid der Schätzungskommission VI vom 2. Oktober 1956 wird aufgehoben und die Sache im Sinne der Erwägungen zur Feststellung der Gesamtentschädigung an die Schätzungskommission VI zurückgewiesen.
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