BGE 83 I 250 |
34. Urteil vom 23. Oktober 1957 i.S. N. gegen Regierungsrat des Kantons Appenzell a.Rh. |
Regeste |
Art. 4 und 31 BV. |
2. Darf die Bewilligung zur Ausübung des Berufs eines Zahnarztes von der Niederlassung im Kanton abhängig gemacht werden? |
Sachverhalt |
"In der Praxis herrscht, was den ärztlichen oder tierärztlichen Beruf betrifft, mit Ausnahme der im nachstehenden Art. 3 bezeichneten Fälle volle Freiheit und können die in bürgerlichen Ehren und Rechten stehenden Kantonseinwohner, welche die gesetzliche Niederlsssung haben, an der Ausübung dieses Berufes nicht gehindert werden."
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Entsprechend bestimmt § 15 der Verordnung über das Gesundheitswesen vom 30. Mai 1924/25. Mai 1944:
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"Die Ausübung der Heiltätigkeit ist nur den in bürgerlichen Ehren und Rechten stehenden Kantonseinwohnern gestattet, welche die gesetzliche Niederlassung haben."
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Als ärztlicher Beruf bzw. Heiltätigkeit im Sinne dieser Rechtssätze gilt auch der Beruf eines Zahnarztes.
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B.- N. mietete 1948 in Herisau eine Vierzimmerwohnung, in der er seither eine zahnärztliche Praxis betreibt. Seme Ehefrau wohnte nur kurze Zeit mit ihm an diesem Ort, angeblich, weil sie das dortige Klima nicht erträgt. Seither wohnt sie in einem ihr gehörenden Einfamilienhaus in Zürich. N. begibt sich in der Regel am Freitagabend nach Zürich, um das Wochenende mit seiner Frau zu verbringen.
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Am 31. Dezember 1956 teilte ihm die Sanitätskommission von Appenzell a.Rh. mit, als Kantonseinwohner im Sinne der eingangs erwähnten Bestimmungen gelte nur, wer "regelrecht mit seiner Familie im Kanton" wohne, "d.h. hier den Mittelpunkt seiner Lebensgewohnheiten" habe. Das treffe für ihn nicht zu. Die Ausübung des zahnärztlichen Berufs werde ihm mit Wirkung ab 30. April 1957 verboten, sofern bis dahin seine "Wohnverhältnisse" nicht den Vorschriften entsprechend geordnet seien.
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Eine Beschwerde, die N. dagegen führte, wìes der Regierungsrat des Kantons Appenzell a.Rh. am 23. Juli 1957 mit der Begründung ab, der Mittelpunkt der Lebensverhältnisse und damit der Wohnsitz des Beschwerdeführers befinde sich eindeutig in Zürich. Eine ärztliche Untersuchung habe ergeben, dass sich seine Ehefrau zwar in Zürich wohler fühle, weil sie dort weniger nervösen Anspannungen ausgesetzt sei als am Arbeitsort ihres Ehemannes, dass sie das Klima von Herisau aber durchaus ertragen würde.
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C.- Mit der vorliegenden staatsrechtlichen Beschwerde beantragt N. die Aufhebung dieses Entscheids. Er rügt eine Verletzung der Art. 4 (Verweigerung des rechtlichen Gehörs, rechtsungleiche Behandlung, Willkür), 31, 45 und 54 BV, des Art. 2 Üb.Best. BV sowie der Art. 11 Abs. 1 und 12 KV.
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D.- Der Regierungsrat des Kantons Appenzell a.Rh. schliesst auf Abweisung der Beschwerde.
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Das Bundesgericht zieht in Erwägung: |
1. Der Beschwerdeführer macht in materieller Hinsicht vornehmlich geltend, Art. 1 der "Gesetzlichen Bestimmungen" vom 30. April 1871 und § 15 der Verordnung über das Gesundheitswesen verstiessen insofern, als sie die ärztliche (zahnärztliche) und tierärztliche Praxis nur den (in bürgerlichen Ehren und Rechten stehenden) Kantonseinwohnern, nicht aber den Einwohnern anderer Kantone freigeben, gegen Art. 4 und 31 BV; sie dürften deshalb nicht auf ihn angewendet werden. Können auch jene kantonalen Rechtssätze selbst nicht mehr mit staatsrechtlicher Beschwerde angefochten werden, weil die Frist dazu längst abgelaufen ist, so kann doch ihre Verfassungswidrigkeit noch in jedem einzelnen Anwendungsfall gerügt und verlangt werden, dass der sie anwendende Entscheid deswegen aufgehoben werde (BGE 83 I 113 /114 und dort angeführte Urteile).
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Der Regierungsrat ist der Ansicht, wenn der Kanton die Ausübung der zalmärztlichen Tätigkeit von einem Ausweis der Befähigung abhängig machen dürfe, so müsse es ihm frei stehen, an Stelle dieser Anforderung das bedeutend weniger weit gehende Erfordernis des Wohnsitzes im Kanton aufzustellen. Diese Beweisführung verkennt, dass die zweite Anforderung auf einer anderen Ebene liegt als die erste. Art. 33 BV ermächtigt die Kantone, nur solche Angehörige wissenschaftlicher Berufsarten zur Berufsausübung zuzulassen, die sich über bestimmte berufliche Fähigkeiten ausgewiesen haben. Die (zugegebenermassen nur auf Berufsleute ohne eidgenössisches Diplom anwendbare) Vorschrift des Kantons Appenzell a.Rh., wonach Ärzte (Zahnärzte) und Tierärzte im Kanton Wohnsitz haben müssen, dient demgegenüber nicht der Prüfung und Überwachung der beruflichen Fähigkeiten des Heilkundigen (an die das kantonale Recht keine Anforderungen stellt), sondern der Kontrolle seiner persönlichen Eigenschaften.
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Die Befugnisse, die den Kantonen auf diesem Gebiet zustehen, ergeben sich indes nach dem Gesagten nicht aus Art. 33 BV; sie beruhen vielmehr auf Art. 31 Abs. 2 BV, der die Kantone allgemein zum Erlass gewerbepolizeilicher, d.h. durch Gründe des öffentlichen Wohls gerechtfertigter Bestimmungen über die Ausübung von Handel und Gewerbe ermächtigt, die ihrerseits jedoch den Grundsatz der Handels- und Gewerbefreiheit nicht beeinträchtigen dürfen. Nach ständiger Rechtsprechung können die Kantone auf Grund des Art. 31 Abs. 2 BV die Zulassung zu den ärztlichen Berufen (ausser vom Befähigungsausweis) von bestimmten persönlichen Eigenschaften wie insbesondere dem Besitz der bürgerlichen Rechte, einem guten Leumund, Ehrenhaftigkeit und Zutrauenswürdigkeit abhängig machen. Die Anforderungen, die in dieser Hinsicht gestellt werden, dürfen jedoch nicht höher sein, als zum Schutze des Publikums vor unfähigen oder gewissenlosen Ärzten bzw. Zahnärzten und zur Aufrechterhaltung des Ansehens der Heilkunde und des Vertrauens in deren Vertreter notwendig ist (BGE 79 I 121). Es gilt somit auch hier der Grundsatz der Verhältnismässigkeit der polizeilichen Beschränkungen: diese dürfen nicht weiter gehen, als es zur Wahrung des öffentlichen Wohls notwendig ist. Aus dem Grundsatz der Rechtsgleichheit aller Bürger (Art. 4 BV) und insbesondere aller Angehörigen eines unter dem Schutze der Handels- und Gewerbefreiheit stehenden Berufes (Art. 31 BV) ergibt sich ferner, dass die gewerbepolizeilichen Beschränkungen keine Unterscheidungen zwischen den einzelnen Berufsgenossen treffen dürfen, für die ein vernünftiger Grund in den tatsächlichen Verhältnissen nicht ersichtlich ist.
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a) Die Vernehmlassung des Regierungsrats sucht die getroffene Unterscheidung in erster Linie mit dem Hinweis darauf zu stützen, dass unlautere Elemente von der ärztlichen bzw. zahnärztlichen Tätigkeit fernzuhalten seien; eine wirksame Überwachung sei aber nur möglich, wenn diese Berufsleute im Kanton Wohnsitz hätten. Der polizeiliche Zweck dieser an sich zweifellos gerechtfertigten Kontrolle kann indes nur im Schutz der öffentlichen Gesundheit liegen. Um zu prüfen, ob ein Heilkundiger die öffentliche Gesundheit gefährde, ist jedoch vor allem seine Heiltätigkeit zu überwachen, während es auf seine übrigen Lebensverhältnisse höchstens mittelbar ankommen kann. Die Kontrolle ist daher zur Hauptsache nicht am Wohnort, sondern am Arbeitsort auszuüben. Unter dem hier massgebenden Gesichtspunkt muss es daher jedenfalls genügen, wenn ein (nicht eidgenössisch diplomierter) Arzt, Zahnarzt oder Tierarzt den Mittelpunkt seiner beruflichen Tätigkeit (und nicht seiner gesamten Lebensverhältnisse) im Kanton hat. Das aber ist beim Beschwerdeführer eindeutig der Fall. Als Zahnarzt übt er seinen Beruf während fünf Tagen in der Woche in einer eigens dafür eingerichteten Praxis in Herisau aus. Seine Berufstätigkeit kann dementsprechend an jenem Orte vollständig überblickt werden. Dass er allenfalls seinen Wohnsitz nicht in dieser Gemeinde, sondern ausserhalb des Kantons hat, erschwert diese Kontrolle in keiner Weise.
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b) Um das Erfordernis des Wohnsitzes innerhalb des Kantons zu rechtfertigen, macht der Regierungsrat ferner geltend, um den Patienten die Durchsetzung allfälliger Schadenersatzansprüche aus nicht fachgerechter ärztlicher Tätigkeit zu erleichtern, müsse der Heilkundige im Kanton vor Gericht gezogen werden können. Wenn der Gläubiger auf diese Weise geschützt werden soll, so entspricht dies aber einem rein privaten Interesse; mit dem öffentlichen Interesse, insbesondere mit der Wahrung der öffentlichen Gesundheit, hat dieser Schutz nichts zu tun. Dass die in Betracht gezogenen Forderungen Schadenersatzansprüche aus kunstwidriger Heiltätigkeit betreffen, ändert daran nichts. Ebensowenig vermag der Einwand zu helfen, die leichtere Belangbarkeit könne einen nicht sachverständigen Heilkundigen davon zurückhalten, eine Heiltätigkeit aufzunehmen oder eine bestehende Praxis weiterzuführen. Sollte sich die Schaffung eines Gerichtsstandes im Kanton je in diesem Sinne auswirken, so stände dieses Ergebnis in keinem vertretbaren Verhältnis zu der Schwere der Einschränkung, die der Gesamtheit der Berufsgenossen aus dem Erfordernis des Wohnsitzes im Kanton erwächst.
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c) Der Regierungsrat sucht die angefochtene Anforderung schliesslich damit zu begründen, dass die mit der Übersiedelung in den Kanton verbundenen Kosten und Risiken manche ungeeignete Anwärter davon abschrecke, eine Heiltätigkeit im Kanton Appenzell a.Rh. aufzunehmen. Die Frage der Fernhaltung ungeeigneter Elemente stellt sich jedoch in ebendem Masse mit Bezug auf die im Kanton niedergelassenen Anwärter. Es besteht somit auch in dieser Hinsicht keine Verschiedenheit in den tatsächlichen Verhältnissen, die eine unterschiedliche Behandlung von Kantonseinwohnern und Auswärtigen rechtfertigen würde.
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Andere polizeiliche Gründe für das Wohnsitzerfordernis werden in der Vernehmlassung nicht geltend gemacht; sie sind auch sonst nicht ersichtlich. Es verhält sich somit bei Freigabe der Heilpraxis nicht anders, als wo die Ausübung einer ärztlichen Tätigkeit an den Besitz eines Fähigkeitszeugnisses gebunden ist, für welchen Fall das Bundesgericht das Erfordernis der Wohnsitznahme im Kanton bereits in BGE 67 I 200 als verfassungswidrig erklärt hat. Art. 1 der "Gesetzlichen Bestimmungen" und § 15 der Verordnung über das Gesundheitswesen verstossen deshalb, soweit sie nur Kantonseinwohner zur freien ärztlichen Praxis zulassen, gegen Art. 4 und 31 BV.
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4. Der angefochtene Entscheid ist mithin, weil in Anwendung verfassungswidrigen Rechts ergangen, aufzuheben. Bei diesem Ausgang erübrigt sich die Prüfung der weiteren Rügen des Beschwerdeführers. Insbesondere besteht kein Anlass, auf die Beschwerde wegen Verweigerung des rechtlichen Gehörs einzutreten, hätte deren Gutheissung doch nur eine Rückweisung zu neuer Entscheidung zur Folge. Dazu liegt aber bei der gegebenen Sachlage kein Grund vor (vgl. BGE 83 I 85).
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Demnach erkennt das Bundesgericht:
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