BGE 84 I 98
 
15. Urteil vom 2. April 1958 i.S. Konsumgenossenschaft Reichenbach und Umgebung gegen Bern, Kanton und Verwaltungsgericht.
 
Regeste
Besteuerung des Ertrags der Selbsthilfegenossenschaften. Art. 4 und 31 BV.
 
Sachverhalt
A.- Nach dem bernischen Steuergesetz vom 29. Oktober 1944 (StG) wird von den Genossenschaften, die auf gemeinsamer Selbsthilfe beruhen und ihre Tätigkeit nicht auf Gewinnerzielung richten, neben der Vermögensauch eine Ertragssteuer erhoben (Art. 72). Gegenstand derselben ist der Reinertrag, der grundsätzlich dem Reingewinn gemäss dem für die Kapitalgesellschaften und die andern Genossenschaften geltenden Art. 64 StG entspricht (Art. 73 Abs. 1). Eine Sondervorschrift enthält jedoch Art. 73 Abs. 2 Satz 2, welcher lautet:
"Rückvergütungen, Rabatte und ähnliche Leistungen, welche Genossenschaften ihren Mitgliedern auf den Bezügen oder Leistungen gewähren, können bis zur Höhe von fünf Prozent vom Ertrag abgezogen werden."
B.- Die beschwerdeführende "Konsumgenossenschaft Reichenbach und Umgebung" betreibt in den Gemeinden Reichenbach und Aeschi mehrere Verkaufsläden. Ihre Statuten bestimmen in
Art. 3: Die Mitgliedschaft wird erworben auf Grund einer schriftlichen Beitrittserklärung gegen Bezahlung eines Eintrittsgeldes von Fr. 2.-. Die Mitgliedschaft ist an keine weiteren Geld- oder andere Leistungen geknüpft. Dagegen sind die Mitglieder verpflichtet, ihren Warenbedarf nach Möglichkeit bei der Genossenschaft zu decken, wobei das System der Barzahlung zu beobachten ist.
Art. 11: Vom Reinüberschuss sollen mindestens 20% dem Reservefonds zugewiesen werden. Der Rest wird unter die Mitglieder nach Massgabe ihrer Bezüge in Form von Rückvergütung verteilt. Der Generalversammlmmlung bleibt es vorbehalten, an Stelle der Rückvergütung oder neben der Rückvergütung das Rabattsystem einzuführen.
Die Beschwerdeführerin hat an Stelle der Rückvergütung das Rabattsystem eingeführt und gewährt sowohl den Mitgliedern als auch den übrigen Kunden auf ihren Einkäufen einen auf 7% festgesetzten Rabatt, indem sie Einkaufsmarken in der Höhe des Warenpreises abgibt und für solche Marken im Nennwert von Fr. 50.- den Betrag von Fr. 3.50 ausbezahlt.
Bei der Steuereinschätzung für 1957/58 auf Grund des Ergebnisses der Geschäftsjahre 1954/55 und 1955/56 zog die Beschwerdeführerin die gesamten in diesen Geschäftsjahren ausbezahlten Rabatte als Geschäftsunkosten ab und gab demgemäss in ihrer Steuererklärung den steuerbaren Reinertrag mit Fr. 4242.-- an. Die kantonale Steuerverwaltung rechnete die an die Mitglieder ausbezahlten, 5% übersteigenden Rabatte hinzu und setzte den steuerbaren Reinertrag auf Fr. 9752.-- fest. Die Beschwerdeführerin rekurrierte gegen diese Veranlagung, indem sie geltend machte, dass ein den Mitgliedern gewährter Rabatt als Reinertrag nur besteuert werden dürfe, wenn und soweit er den allgemeinen, auch Nichtmitgliedern gewährten Kundenrabatt übersteige. Die Kantonale Rekurskommission wies den Rekurs ab und bestätigte die angefochtene Einschätzung. Eine Beschwerde hiegegen wurde vom Verwaltungsgericht des Kantons Bern am 9. Dezember 1957 abgewiesen. Die Erwägungen der Rekurskommission und des Verwaltungsgerichts lassen sich wie folgt zusammenfassen:
Da Art. 73 Abs. 2 StG nur von Leistungen der Genossenschaft an ihre Mitglieder spreche und die Frage, wie es sich mit entsprechenden Leistungen an Nichtmitglieder verhalte, mit keinem Worte berühre, stimme die der angefochtenen Veranlagung zugrunde liegende Gesetzesauslegung mit dem Wortlaut überein. Dass sie dem Sinn der Bestimmung nicht entspreche und zu einem unvernünftigen Ergebnis führe, sei nicht dargetan. Das bern. StG habe, wie die Steuergesetze anderer Kantone, für die Besteuerung der Genossenschaften ein besonderes System gewählt und gehe von der wissenschaftlich umstrittenen, aber heute in der Schweiz mehrheitlich vertretenen Auffassung aus, dass die Rückvergütungen Gewinnausschüttungen darstellen und eine sogenannte Genossenschaftsrente bilden. Sie wären daher grundsätzlich dem steuerbaren Ertrag voll zuzurechnen, doch habe der Gesetzgeber 5% steuerfrei gelassen. Ob er damit den wirtschaftlichen Gegebenheiten hinreichend Rechnung getragen habe, könne der Richter nicht prüfen. Die Berufung der Beschwerdeführerin aufBGE 53 I 1ff. gehe fehl; einmal sei dort nur entschieden worden, dass es nicht angehe, Nichtmitglieder der Genossenschaft wie Mitglieder und den an Nichtmitglieder gewährten Rabatt als Ertrag zu behandeln; sodann habe es dort an einer gesetzlichen Grundlage für die Besteuerung der Rabatte gefehlt, während hier in Art. 73 Abs. 2 StG eine ausdrückliche und eindeutige gesetzliche Umschreibung des steuerbaren Genossenschaftsertrages bestehe. Diese Bestimmung verstosse nicht gegen Art. 4 BV. Wenn Leistungen an Mitglieder steuerrechtlich anders behandelt würden als Rabatte an Nichtmitglieder, so liege darin keine rechtsungleiche Behandlung, da diesen Rabatten nicht der gleiche rechtliche Charakter zukomme wie den Rückvergütungen an die Mitglieder, die mit der Genossenschaft weitgehend identisch seien, einen Einfluss auf die Geschäftsgebarung hätten und insbesondere auch am Geschäftsgewinn partizipierten.
C.- Mit der staatsrechtlichen Beschwerde beantragt die Konsumgenossenschaft Reichenbach und Umgebung, den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern vom 9. Dezember 1957 wegen Verletzung der Art. 4 und 31 BV aufzuheben. Sie bezeichnet die im angefochtenen Entscheid vertretene Auslegung von Art. 73 Abs. 2 StG als willkürlich, da es mit Sinn und Zweck dieser Bestimmung unvereinbar sei, den den Genossenschaftsmitgliedern gewährten Rabatt auch dann als Ertrag der Genossenschaft zu besteuern, wenn den Nichtmitgliedern ein gleich hoher Rabatt gewährt werde; bei einem solchen allgemeinen Kundenrabatt handle es sich um gewöhnliche Geschäftsunkosten (BGE 53 I 1ff.). Die angefochtene Auslegung habe zur Folge, dass sich für die Genossenschaft aus der Bedienung der Mitglieder eine stärkere Steuerbelastung ergebe als aus der Bedienung der Nichtmitglieder, was sich vernünftigerweise nicht rechtfertigen lasse und eine Rechtsungleichheit darstelle. Die Besteuerung der den Mitgliedern gewährten Rabatte laufe auch auf eine rechtsungleiche Behandlung der Genossenschaft im Vergleich zu andern Detailhandelsgeschäften hinaus, die sämtliche Rabatte als Unkosten abziehen dürften. Dass anders als im FalleBGE 53 I 1ff. eine gesetzliche Ausnahmebestimmung bestehe, sei unerheblich, da Art. 73 Abs. 2 im Falle der Beschwerdeführerin schon an sich gegen Art. 4 BV verstosse und daher unbeachtlich sei. Ferner verstosse die Bestimmung gegen Art. 31 BV, da der Handel der Beschwerdeführerin mit ihren Mitgliedern dadurch in ungerechtfertigter Weise beschränkt werde, dass er einer steuerlichen Belastung unterworfen werde, von der die übrigen Detailhandelsgeschäfte mit andern Rechtsformen nicht betroffen würden.
D.- Der Regierungsrat und das Verwaltungsgericht des Kantons Bern beantragen die Abweisung der Beschwerde.
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
a) Nach der streitigen Bestimmung können Rückvergütungen, Rabatte und ähnliche Leistungen, welche Genossenschaften ihren Mitgliedern auf den Bezügen oder Leistungen gewähren, bis zur Höhe von 5% vom Ertrag abgezogen werden. Das heisst mit andern Worten, dass die den Mitgliedern gewährten Rückvergütungen, Rabatte und ähnlichen Leistungen grundsätzlich zum steuerbaren Genossenschaftsertrag gehören, dass jedoch hievon, im Sinne einer Ausnahme, ein Teil abgezogen werden kann. Wie derartige Leistungen an Nichtmitglieder zu behandeln sind, ist der Vorschrift nicht zu entnehmen. Die Annahme des Verwaltungsgerichts, dass die Leistungen an Nichtmitglieder ausser Betracht fallen für die Bestimmung des steuerbaren Genossenschaftsertrages und zu diesem nur der 5% übersteigende Teil der Leistungen an die Mitglieder zu rechnen sei, entspricht somit durchaus dem Wortlaut von Art. 73 Abs. 2 StG. Die dem Wortlaut entsprechende Auslegung einer Vorschrift kann aber, wie das Bundesgericht von jeher entschieden hat, nicht als willkürlich bezeichnet werden (vgl.BGE 31 I 19,BGE 73 I 373, BGE 80 I 322), es sei denn, sie widerspreche dem Sinn und Zweck der Vorschrift offensichtlich und führe zu einem vom Gesetzgeber unmöglich gewollten Ergebnis. Das ist jedoch im vorliegenden Falle nicht dargetan. Angesichts der wirtschaftlichen Eigenart der Selbshilfegenossenschaften hat der bernische Gesetzgeber für ihre Besteuerung ein besonderes System gewählt. Er rechnet einen Teil der den Mitgliedern gewährten Rückvergütungen zum Genossenschaftsertrag und stellt, zur Verhinderung der Steuerumgehung (vgl.BGE 48 I 145/6), den Rückvergütungen die Rabatte und ähnliche Leistungen an die Mitglieder gleich. Dagegen hat er keine Regelung getroffen für den Fall, dass eine Genossenschaft - in einem gewissen Widerspruch zu ihrem Zweck der Selbsthilfe, d.h. der Förderung der Interessen der Mitglieder (vgl. Art. 828 OR) - dazu übergeht, die zunächst für die Mitglieder bestimmten Vergünstigungen jedem beliebigen Dritten zu gewähren. Der Standpunkt, dass sich eine Genossenschaft dadurch der ihr vom Gesetzgeber zugedachten Besteuerung nicht soll entziehen können, lässt sich sehr wohl vertreten. Darauf läuft aber der angefochtene Entscheid hinaus, wenn er die Rabatte an Mitglieder ungeachtet der gleichen Vergünstigungen an Nichtmitglieder zum steuerbaren Genossenschaftsertrag rechnet. Es kann daher nicht gesagt werden, diese Besteuerung sei mit Sinn und Zweck der gesetzlichen Ordnung offensichtlich unvereinbar und führe zu einem vom Gesetzgeber unmöglich gewollten Ergebnis. Die Berufung der Beschwerdeführerin auf das UrteilBGE 53 I 1ff., das übrigens kritisiert worden ist (AMMANN, Die Frage der Bevorzugung der Konsumenten-Genossenschaften in der Besteuerung S. 64/5), ist schon deshalb nicht schlüssig, weil im vorliegenden Falle, anders als dort, eine besondere gesetzliche Bestimmung über die Besteuerung der Selbsthilfegenossenschaften besteht, auf die sich die angefochtene Auslegung stützen kann.
b) Dass in dieser Auslegung keine rechtsungleiche Behandlung liegt, ist ohne weiteres klar. Das Gebot rechtsgleicher Behandlung (Art. 4 BV) verlangt, dass eine Vorschrift gegenüber allen, an die sie sich richtet, angewendet und in gleicher Weise ausgelegt wird. Das ist hier offenbar der Fall, da die Beschwerdeführerin nicht behauptet, dass der für Selbsthilfegenossenschaften aufgestellte Art. 73 Abs. 2 StG gegenüber andern gleichartigen Körperschaften anders als gegenüber der Beschwerdeführerin angewendet oder ausgelegt werde. Sie macht nur geltend, dass diese Bestimmung eine Rechtsungleichheit zwischen Selbsthilfegenossenschaften und andern Detailhandelsgeschäften schaffe. Das ist jedoch keine Frage der Auslegung von Art. 73 Abs. 2 StG. Vielmehr wird damit die Frage der Verfassungsmässigkeit von Art. 73 Abs. 2 StG aufgeworfen.
a) Gegen Art. 4 BV verstösst ein allgemein verbindlicher Erlass nur dann, wenn er sich nicht auf ernsthafte, sachliche Gründe stützen lässt, sinn- und zwecklos ist oder rechtliche Unterscheidungen trifft, die sich durch keine vernünftigen Gründe rechtfertigen lassen (BGE 81 I 184 und BGE 82 I 286 sowie dort angeführte frühere Urteile). Das trifft bei Art. 73 Abs. 2 StG nicht zu. Angesichts der Eigenart der Selbsthilfegenossenschaften hat der bernische Gesetzgeber, wie bereits bemerkt, für deren Besteuerung em besonderes System gewählt. Es besteht in der Hinzurechnung eines Teils der Rückvergütungen und Rabatte zum Genossenschaftsertrag. Diese Ordnung herrscht im schweizerischen Recht vor (Zum Problem der gleichmässigen Besteuerung der Erwerbsunternehmungen, Bericht der Expertenkommission für die Motion Piller, 1955, S. 75). Sie lässt sich durch die wirtschaftlichen Gegebenheiten rechtfertigen und wird als solche von der Beschwerdeführerin auch nicht angefochten. Die Verletzung von Art. 4 BV soll darin liegen, dass Rabatte an Mitglieder auch dann zum Genossenschaftsertrag gerechnet werden, wenn den Kunden, die keine Mitglieder sind, gleich hohe Rabatte wie den Mitgliedern gewährt werden. Das ist jedoch nicht zu beanstanden. Wenn die einen gewissen Prozentsatz übersteigenden Rückvergütungen und Rabatte zum steuerbaren Genossenschaftsertrag gerechnet werden, dürfte es freilich folgerichtig sein, dabei sowohl die an die Mitglieder als auch die an Dritte gewährten Vergünstigungen zu erfassen (vgl. die im Bericht der Expertenkommission für die Motion Piller S. 134 ff. und 166 enthaltenen Vorschläge, bei denen für die von den Genossenschaften im Detailverkauf von Waren gewährten Rückvergütungen und Rabatte kein Unterschied zwischen Mitgliedern und Nichtmitgliedern gemacht wird). Die weniger weitgehende Ordnung, die nur einen Teil der den Mitgliedern gewährten Rückvergütungen und Rabatte erfasst, mag nicht ohne weiteres einleuchten. Doch kann nicht gesagt werden, dass sie Unterscheidungen treffe, die sich durch keine vernünftigen Gründen rechtfertigen lasse. Die Mitglieder nehmen als solche am Gewinn der Genossenschaft teil und haben insbesondere ein Mitspracherecht bei der Beschlussfassung über die Verteilung des Reinertrages (Art. 879 Ziff. 3 OR). Im Hinblick hierauf kann dem ihnen als Rückvergütung oder in anderer Form überlassenen Gewinn jedenfalls aus dem Gesichtspunkt des Art. 4 BV die Eigenschaft eines tauglichen Kriteriums zur Bestimmung des steuerbaren Genossenschaftsertrages auch dann nicht abgesprochen werden, wenn eine Genossenschaft ausnahmsweise den Nichtmitgliedern die gleichen Vergünstigungen gewährt.
b) Der Einwand der Beschwerdeführerin, dass damit eine Rechtsungleichheit zwischen den Selbsthilfegenossenschaften und den übrigen Detailhandelsgeschäften geschaffen werde, geht fehl. Nachdem der Gesetzgeber für die Besteuerung der Selbsthilfegenossenschaften ein besonderes System gewählt hat, das von dem der Besteuerung anderer Unternehmungen abweicht und an sich nicht zu beanstanden ist, geht es nicht an, Einzelheiten der Besteuerung, denen im einen System eine ganz andere Bedeutung zukommt als im andern, miteinander zu vergleichen. Offensichtlich unbegründet ist schliesslich auch der Vorwurf, Art. 73 Abs. 2 StG verstosse gegen Art. 31 BV. Bei der von der Beschwerdeführerin erhobenen Ertragssteuer handelt es sich nicht um eine Gewerbesteuer, mit der ein besonderes Gewerbe (Warenhandel) oder eine besondere Betriebsart (Hausieren, Ausverkauf) belastet wird, sondern um eine Steuer, welche einer bestimmten Gruppe von Rechtssubjekten im Hinblick auf ihre besondere rechtliche Organisation auferlegt wird (vgl.BGE 61 I 324ff.). Eine solche Steuer verstösst so wenig gegen Art. 31 BV wie die allgemein übliche Verschiedenheit der Besteuerung natürrlicher und juristischer Personen.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Beschwerde wird abgewiesen.