BGE 87 I 250
 
42. Urteil vom 8. März 1961 i.S. H. gegen Kanton Aargau und Obergericht des Kantons Aargau.
 
Regeste
Kantonales Steuerrecht, Willkür.
 
Sachverhalt
A.- Das aargauische Gesetz über die ordentlichen Staats- und Gemeindesteuern (StG) vom 5. Februar 1945/ 27. November 1949/16. Dezember 1956 bestimmt in § 18 Abs. 1 lit. d, dass die Nettobeträge realisierter Kapitalgewinne, die im Betriebe eines zur Führung kaufmännischer Bücher verpflichteten Unternehmens bei der Veräusserung oder Verwertung von Vermögensstücken erzielt werden, wie insbesondere Liquidationsgewinne, zum steuerpflichtigen Einkommen zu rechnen sind.
B.- H. betrieb seit 1931 eine Wagnerei, in der er Leitern und Skis herstellte. In den letzten Betriebsjahren erzielte er einen Umsatz von rund Fr. 90'000.--. Er war nicht im Handelsregister eingetragen. Auf den 1. Januar 1958 verkaufte er das Geschäft seinen beiden Söhnen, die im Unternehmen mitgearbeitet hatten. Das Steueramt erklärte den beim Verkauf erzielten Liquidationsgewinn von Fr. 70'000.-- als steuerpflichtiges Einkommen; es ging dabei davon aus, dass H. zur Eintragung ins Handelsregister und damit zur Führung kaufmännischer Bücher verpflichtet gewesen sei.
H. bestritt das unter Berufung auf die Rechtsprechung des Bundesgerichts in Registersachen; er stützte sich dabei namentlich auf BGE 75 I 74 ff., wonach Handwerksbetriebe nicht zu den Fabrikationsgewerben im Sinne von Art. 53 lit. B HRV, sondern zu den "andern Gewerben" im Sinne von lit. C gehören und sie nur bei Vorliegen der darin aufgezählten Voraussetzungen eintragungspflichtig sind.
C.- Die Einwendungen H.s wurden von allen kantonalen Instanzen als unbegründet erklärt. Die verwaltungsgerichtliche Abteilung des Obergerichts, die als letzte darüber entschied, hat in ihrem Urteil vom 28. Oktober 1960 ausgeführt, dass H. zur Eintragung verpflichtet gewesen sei, ergebe sich weder aus Art. 53 lit. A HRV, da er in der Hauptsache kein Handelsgewerbe betrieben habe, noch aus lit. C, der Betriebe erfasse, die weder Handelsnoch Fabrikationsgewerbe seien, sondern aus lit. B, weil ganz zweifellos ein Fabrikationsgewerbe vorgelegen habe. Das Bundesgericht habe zwar in BGE 75 I 78 erkannt, dass die Wirkungen des Handelsregisters auf das Grossgewerbe, den Grossbetrieb zugeschnitten seien und nicht auf den handwerklichen Kleinbetrieb. Dieses Urteil sei wohl in registerrechtlichen Streitigkeiten von praejudizieller Bedeutung; die Behörden, die kantonales Steuerrecht anzuwenden hätten, binde es jedoch nicht. Immerhin verstehe es sich von selbst, dass die kantonalen Steuerbehörden nicht ohne triftigen Grund von der höchstrichterlichen Rechtsprechung in Registersachen abwichen. Ein solcher Grund liege hier vor. Wenn das Bundesgericht nur Grossbetriebe als eintragungspflichtig erkläre, dann setze es sich offensichtlich über Art. 54 HRV hinweg, der die Eintragungspflicht nicht für alle Kleinbetriebe entfallen lasse, sondern nur für solche, deren jährliche Roheinnahmen 50'000 Franken nicht überschritten. Es könne nicht eingewendet werden, Art. 54 HRV sei seinerseits gesetzwidrig. Nach Art. 934 OR müsse jedes nach kaufmännischer Art geführte Gewerbe im Handelsregister eingetragen werden. Diese Voraussetzung treffe hier zu. In H.s Betrieb seien drei Arbeitskräfte voll beschäftigt gewesen; das Unternehmen habe über erhebliche Warenlager und einen grösseren Kundenkreis verfügt. Ein solches Gewerbe lasse sich heute nur nach kaufmännischer Art betreiben, was sich schon darin zeige, dass H. eine Buchhaltung habe führen lassen.
D.- Mit der vorliegenden staatsrechtlichen Beschwerde wegen Verletzung des Art. 4 BV beantragt H., die veranlagte Steuer auf dem Liquidationsgewinn sei aufzuheben; eventuell sei der Entscheid des Obergerichts aufzuheben und dieses anzuweisen, die genannte Steuerveranlagung unter Verneinung der Eintragungspflicht aufzuheben. Der Beschwerdeführer macht geltend, die Buchführungspflicht im Sinne von § 18 Abs. 1 lit. d StG sei ein bundesrechtlicher Begriff, der bei der Veranlagung der kantonalen Steuern nicht anders gehandhabt werden dürfe als von den Registerbehörden. Nach den Kriterien, die das Bundesgericht hiefür aufgestellt habe, könne der Beschwerdeführer mit Bezug auf den veräusserten Wagnereibetrieb nicht ohne Willkür als eintragungspflichtig bezeichnet werden.
E.- Das Obergericht hat auf Vernehmlassung verzichtet. Das kantonale Steueramt schliesst auf Abweisung der Beschwerde.
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
2. § 18 Abs. 1 lit. d des aargauischen StG unterwirft Kapitalgewinne, die im Betriebe eines zur Führung kaufmännischer Bücher verpflichteten Unternehmens erzielt worden sind, der Einkommenssteuer. Der kantonale Steuergesetzgeber hat dergestalt darauf verzichtet, den Kreis der Steuerpflichtigen, die Kapitalgewinne als Einkommen zu versteuern haben, selbständig zu umschreiben. Er knüpft diese steuerrechtliche Folge vielmehr an einen Sachverhalt, der in einem andern Rechtsgebiet gründet: daran nämlich, dass das Unternehmen zur Führung kaufmännischer Bücher verpflichtet ist. Dieser Pflicht ist nach Art. 957 OR unterworfen, wer gehalten ist, seine Firma in das Handelsregister eintragen zu lassen. Wer zu dieser Eintragung verpflichtet ist, besagen die Art. 934 und 935 OR, die in den Art. 52 bis 56 HRV näher ausgeführt werden. Für die gleichmässige Auslegung und Anwendung dieser Vorschriften hat in letzter Linie die erste Zivilabteilung des Bundesgerichts (Art. 5 Ziff. 4 des Bundesgerichtsreglements) als frei entscheidende (Art. 104, 105 OG) Beschwerdeinstanz zu sorgen (Art. 5 HRV, Art. 99 Ziff. I lit. b OG).
Weil das Steuergesetz die Buchführungspflicht als vorgegeben hinnimmt, haben die Steuerbehörden bei der Anwendung von § 18 Abs. 1 lit. d StG nicht zu untersuchen, ob sie selber den Steuerpflichtigen auf Grund der einschlägigen Normen des OR und der HRV als eintragungs- und mithin buchführungspflichtig erklären würden; sie haben vielmehr lediglich zu prüfen, ob die zuständigen Registerbehörden die Eintragungspflicht des betreffenden Unternehmens bejahen würden. Da die Registerbehörden sich nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung in Registersachen ausrichten, dürfen sich die Steuerbehörden ihrerseits bei der Beantwortung dieser Vorfrage nicht über die eindeutige Praxis des Bundesgerichts hinwegsetzen. Die gegenteilige Stellungnahme des Obergerichts lässt sich deshalb schlechthin nicht vertreten. Die Verhältnisse liegen insofern wesentlich anders als in den in BGE 71 I 229 und BGE 73 I 188 behandelten Fällen, in denen die kantonalen Behörden zur selbständigen Handhabung eidgenössischer (bzw. inhaltlich gleicher kantonaler) Rechtssätze berufen waren.
3. Die erste Zivilkammer des Bundesgerichts hat in BGE 75 I 78 Grundsätze für die Beurteilung der Eintragungspflicht einer Gattung von Unternehmen entwickelt, der auch der Betrieb des Beschwerdeführers angehört. Die verwaltungsrechtliche Kammer des Bundesgerichts hat in Übereinstimmung mit der ersten Zivilabteilung diese Grundsätze in der Rechtsprechung zu dem § 18 Abs. 1 lit. d StG entsprechenden Art. 21 Abs. 1 lit. d WStB näher ausgeführt (ASA Bd. 21 S. 77, 431, Bd. 22 S. 34, Bd. 24 S. 484, Bd. 26 S. 438, 442). Das Obergericht bestreitet mit Recht nicht, dass das Unternehmen des Beschwerdeführers nach diesen Grundsätzen nicht eintragungspflichtig war, und dass er demgemäss keine kaufmännischen Bücher zu führen hatte. Es fehlt infolgedessen an der in § 18 Abs. 1 lit. d StG aufgestellten subjektiven Voraussetzung für die Besteuerung des Liquidationsgewinns. Der gegenteilige Schluss des Obergerichts lässt sich daher nicht halten; sein Entscheid ist, weil willkürlich und damit verfassungswidrig, aufzuheben.