BGE 88 I 125
 
20. Urteil vom 29. Juni 1962 i.S. Eidg. Steuerverwaltung gegen Stiedry und Wehrsteuer-Rekurskommission des Kantons Zürich.
 
Regeste
Wehrsteuer; Abkommen zwischen der Schweiz und den Vereinigten Staaten von Amerika zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen (AS 1951, 892).
 
Sachverhalt
A.- Dr. Fritz Stiedry ist Bürger der Vereinigten Staaten von Amerika und wohnt seit 1958 in Zürich. Er beziehtseit Vollendung des 65. Altersjahrs vom Office of Social Security in New York eine Altersrente. Bei seiner Veranlagung für die 10. Wehrsteuerperiode wurde diese Leistung im vollen Umfange in die Berechnung der Einkommenssteuer einbezogen. Die Einsprache des Steuerpflichtigen hiegegen wurde abgewiesen.
Mit Entscheid vom 7. März 1962 hat die Wehrsteuer-Rekurskommission des Kantons Zürich in Gutheissung einer Beschwerde Stiedrys die Rente von der Besteuerung ausgenommen. Sie führt aus, die Social Security-Rente, für die der amerikanische Staatsbürger Prämien bezahlt habe, stelle eine Leibrente im Sinne von Art. XI Abs. 2 und 4 des Abkommens zwischen der Schweiz. Eidgenossenschaft und den Vereinigten Staaten von Amerika zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen vom 24. Mai 1951 dar und dürfe daher in der Schweiz nicht besteuert werden. Dazu komme, dass die Schweiz in Art. XV Abs. 1 lit. b des Abkommens amerikanische Staatsangehörige mit Wohnsitz in der Schweiz von den schweizerischen Einkommenssteuern auf den aus amerikanischen Quellen stammenden Einkommensteilen habe freistellen müssen.
B.- Gegen den Entscheid der Rekurskommission hat die eidgenössische Steuerverwaltung Verwaltungsgerichtsbeschwerde erhoben. Sie führt aus, nach Art. 21 Abs. 1 lit. a und c WStB unterlägen Altersrenten der Wehrsteuer, wenn sie nicht ausdrücklich von der Besteuerung ausgenommen seien. Eine Ausnahme könnte hier nur daraus abgeleitet werden, dass das schweizerisch-amerikanische Abkommen das Recht zur Besteuerung der Social Security-Rente den Vereinigten Staaten zuweisen würde. Das sei aber nicht der Fall. Die Social Security-Rente sei keine Leibrente im Sinne des Art. XI des Abkommens. Sie lasse sich auch nicht unter eine andere Bestimmung des Abkommens subsumieren. Dieses enthalte keine Generalklausel. Übrigens bestehe keine Doppelbesteuerung, weil die Social Security-Renten in den Vereinigten Staaten nicht besteuert würden. Immerhin sei die Rente Stiedrys nach Art. 21 bis WStB nur zu 4/5 in die Steuerberechnung einzubeziehen.
C.- Stiedry schliesst auf Abweisung der Beschwerde. Er macht geltend, nach Art. XV Abs. 1 lit. b des Abkommens seien die in der Schweiz wohnenden Angehörigen der Vereinigten Staaten für alle aus diesen stammenden Einkommensteile von den schweizerischen Einkommenssteuern befreit. Die Social Security-Rente falle unter diese Bestimmung. Das Abkommen befasse sich mit ihr in Art. XI unter dem Titel der Leibrenten.
D.- Die kantonale Rekurskommission beantragt Abweisung, die kantonale Wehrsteuerverwaltung Gutheissung der Beschwerde.
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
"Private Pensionen und Leibrenten, die eine natürliche Person mit Wohnsitz im einen Vertragsstaate aus dem andern Staate bezieht, sind in diesem andern Staate von der Besteuerung ausgenommen."
Stiedry ist amerikanischer Bürger mit Wohnsìtz in der Schweiz und bezieht seine Rente aus den Vereinigten Staaten.. Wenn sie eine Leibrente im Sinne der zitierten Bestimmung ist, so ist sie danach von der Besteuerung nicht im Wohnsitzstaate, der Schweiz, sondern "in diesem andern Staate", d.h. in den Vereinigten Staaten, ausgeschlossen. Daraus wäre, falls keine andere, abweichende Vorschrift eingreift, entgegen der Auffassung der Rekurskommission nicht zu schliessen, dass die Rente von der Besteuerung in der Schweiz ausgenommen ist, sondern im Gegenteil, dass sie hier besteuert werden kann. So führt der Bundesrat in der Botschaft vom 29. Mai 1951 zum Abkommen aus (BBl 1951 II S. 279): "Nach den Absätzen 2 bis 4 des Artikels XI sollen private Pensionen und Leibrenten nur im Wohnsitzstaate des Empfängers besteuert werden; mithin wird inskünftig die amerikanische 30prozentige Quellensteuer auf solchen Leistungen in Wegfall kommen, wenn der Leistungsempfänger in der Schweiz Wohnsitz hat."
Indessen wäre trotz Art. XI Abs. 2 des Abkommens eine Besteuerung der Rente Stiedrys durch die Vereinigten Staaten, die sich aus deren interner Gesetzgebung ergäbe, nicht ausgeschlossen, weil Stiedry amerikanischer Bürger ist; denn Art. XV Abs. 1 lit. a des Abkommens bestimmt:
"Bei der Festsetzung ihrer in Art. 1 dieses Abkommens bezeichneten Steuern dürfen die Vereinigten Staaten ungeachtet anderer Bestimmungen dieses Abkommens (vom Gericht unterstrichen), soweit ihre Staatsangehörigen ... in Frage kommen, alle Einkommensteile in die Bemessungsgrundlage einbeziehen, die nach der Steuergesetzgebung der Vereinigten Staaten steuerbar wären, wenn das Abkommen nicht in Kraft stünde."
Dementsprechend hat auch die eidgenössische Steuerverwaltung am 17. Juli 1953 festgestellt: "Bezieht eine amerikanische Staatsbürgerin mit Wohnsitz in der Schweiz eine Leibrente aus amerikanischen Quellen, so bleibt sie hiefür in den USA steuerpflichtig." (LOCHER, Bd. 2, C - Art. XI (2) - (4), Nr. 4.) Eine solche Besteuerung der Rente in Amerika stände jedoch an sich der gleichzeitigen Besteuerung durch die Schweiz nicht entgegen; denn dann würde nach einer weiteren in Art. XV Abs. 1 lit. a enthaltenen Bestimmung eine Doppelbesteuerung dadurch vermieden, dass die Vereinigten Staaten den Betrag der betreffenden schweizerischen Steuer von ihrer eigenen Steuer abziehen müssten (s. dazu LOCHER, Bd. 1, S. 80, Nr. 98).
Aus Art. XI Abs. 2 des Abkommens lässt sich somit nicht herleiten, dass die Rente Stiedrys von der Besteuerung durch die Schweiz ausgenommen ist.
"Bei der Festsetzung ihrer in Artikel I dieses Abkommens bezeichneten Steuern wird die Schweiz, soweit Personen mit Wohnsitz in der Schweiz oder schweizerische Gesellschaften oder andere schweizerische Rechtsträger in Frage stehen, diejenigen aus den Vereinigten Staaten stammenden Einkommensteile, mit denen sich dieses Abkommen befasst und die nach diesem Abkommen weder von der Steuer der Vereinigten Staaten befreit noch im Genusse einer Ermässigung des Satzes dieser Steuer stehen, von der Bemessungsgrundlage ausnehmen; darüber hinaus wird die Schweiz, soweit Angehörige der Vereinigten Staaten mit Wohnsitz in der Schweiz in Frage stehen, alle aus den Vereinigten Staaten stammenden Einkommensteile von der Steuerbemessungsgrundlage ausnehmen. Die Schweiz behält dagegen bei der Festsetzung des anwendbaren Steuersatzes das Recht, auch die gemäss diesem Absatz von der Bemessungsgrundlage ausgenommenen Einkommensteile in Rechnung zu stellen."
Art. XV des Abkommens enthält die massgebliche Kollisionsnorm, d.h. er bestimmt, welche tatsächlichen Beziehungen das Steuersubjekt zu einem der Vertragsstaaten haben muss, damit diesem das Recht der Besteuerung zusteht. Bezüglich der Rechtsstellung der Steuerpflichtigen in der Schweiz werden dabei in Abs. 1 lit. b zwei Gruppen unterschieden, nämlich einerseits Personen, die nicht Angehörige der Vereinigten Staaten sind, mit Wohnsitz in der Schweiz, schweizerische Gesellschaften und andere schweizerische Rechtsträger, und anderseits Angehörige der Vereinigten Staaten mit schweizerischem Wohnsitz. Den letzteren wird eine besondere Rechtsstellung eingeräumt, indem bestimmt wird, dass die Schweiz alle aus den Vereinigten Staaten stammenden Einkommensteile von der Steuerbemessungsgrundlage ausnimmt. Auf Stiedry als Bürger der Vereinigten Staaten ist diese Sondervorschrift anwendbar. Sie bezieht sich jedoch nur auf die Einkommensteile, die nach den übrigen Bestimmungen des Abkommens unter dieses fallen. Zwar ist nur im ersten Satz von Art. XV Abs. 1 lit. b ausdrücklich die Rede von "Einkommensteilen, mit denen sich dieses Abkommen befasst", während im zweiten Satze lediglich erklärt wird, darüber hinaus werde die Schweiz, soweit Angehörige der Vereinigten Staaten mit schweizerischem Wohnsitz in Frage stehen, alle aus den Vereinigten Staaten stammenden Einkommensteile von der Bemessungsgrundlage ausnehmen. Jene Beschränkung auf Einkommen, mit dem sich das Abkommen befasst, gilt aber selbstverständlich nicht bloss im ersten, sondern auch im zweiten Falle; denn es kann nicht Sache einer Kollisionsnorm eines Staatsvertrages - wie Art. XV sie darstellt - sein, das in den vorausgehenden Vorschriften näher umschriebene Objekt der Besteuerung auf andere Einkommensteile auszudehnen (BGE 85 I 242). Für diejenigen Einkünfte, mit denen sich das Abkommen nicht befasst, schliesst es die Doppelbesteuerung ebensowenig aus wie für nicht aus amerikanischer oder schweizerischer Quelle fliessendes Einkommen (LOCHER, Bd. 1, S. 73 Nr. 12 und S. 81).
Mit Kapitalgewinnen, um deren Besteuerung es im zitierten Urteil des Bundesgerichts ging, befasst sich das Abkommen nicht, wohl aber, in Art. XI Abs. 2 - 4, mit privaten Pensionen und Leibrenten. Allerdings unterstellt es diese Leistungen dort der Besteuerung im Staate des Wohnsitzes des Empfängers; doch schliesst dies die Anwendung der Sondervorschrift von Art. XV Abs. 1 lit. b nicht aus. Wenn also die Altersrente Stiedrys unter Art. XI Abs. 2 fällt, ist sie ein Einkommensteil, mit dem sich das Abkommen befasst, und darf sie gemäss Art. XV Abs. 1 lit. b von der Schweiz nicht besteuert werden. Fällt sie dagegen nicht unter jene Bestimmung und damit überhaupt nicht unter das Abkommen, so steht ihrer Besteuerung durch die Schweiz nichts im Wege. In diesem Zusammenhang - und nur in diesem - ist es deshalb doch von Bedeutung, ob die Social Security-Rente eine private Pension oder Leibrente im Sinne von Art. XI Abs. 2 des Abkommens ist oder nicht.
Gemäss Abs. 4 ist unter einer Leibrente "eine bestimmte, periodisch an festen Terminen auf Lebenszeit oder während einer bestimmten Anzahl von Jahren als Gegenleistung für eine angemessene und volle Vergütung in Geld oder Geldeswert zahlbare Summe" zu verstehen. Stiedry hat für den Erwerb des Anspruchs auf die Altersrente früher Leistungen in Form der dafür bestimmten Sondersteuer erbracht; denn die gesamten Kosten der Social Security-Leistungen werden aufgebracht durch Steuern, die von den Arbeitnehmern und Arbeitgebern auf den von ihnen bezogenen bzw. ausbezahlten Löhnen - und von den Selbständigerwerbenden nach besonderer Veranlagung - erhoben werden; doch sind die Leistungen des Office durch Gesetz festgelegt und stehen nicht in einem bestimmten Verhältnis zu den vom Versicherten im einzelnen Falle geleisteten Beiträgen. Die Altersrente, die Stiedry bezieht, stellt daher nicht die Gegenleistung für eine von ihm erbrachte "angemessene und volle Vergütung" dar, ist also keine Leibrente im Sinne des Abkommens. Die Social Security-Renten sind denn auch von Anfang an weder von den amerikanischen noch von den schweizerischen Steuerbehörden als solche Leibrenten behandelt worden.
Da sich das Abkommen auch sonst nicht mit ihnen befasst, fallen sie nicht unter Art. XV Abs. 1 lit. b.
Die eidgenössische Steuerverwaltung hat - gerade auch mit der Begründung, dass es sich nicht um Pensionen oder Leibrenten handle - stets den Standpunkt vertreten, dass einer Besteuerung der Social Security-Renten durch die Schweiz, wenn ihr Empfänger hier wohnt, nichts entgegenstehe. Freilich hat sie anfänglich empfohlen, von diesem Besteuerungrecht zurückhaltend Gebrauch zu machen (LOCHER, Bd. 2, C - Art. 1, Nr. 2 am Ende). Sie tat dies in der Hoffnung, im Wege des Verständigungsverfahrens nach Art. XVII Abs. 2 des Abkommens zu erreichen, dass beide Vertragsstaaten darauf verzichten würden, AHV-Renten des anderen Staates, die von ihren eigenen Einwohnern bezogen werden, als Einkommen zu besteuern. Eine solche Verständigung ist jedoch nicht zustande gekommen, und in ihren späteren Stellungnahmen hat die eidgenössische Steuerverwaltung jene Empfehlung weggelassen. Aus einem Bericht der Pariser Vertretung des Internal Revenue Service des USA Treasury Department vom 18. Mai 1962 ist ersichtlich, dass die Vereinigten Staaten zwar die Leistungen ihres eigenen Office of Social Security nicht als steuerbares Einkommen behandeln, aber entsprechende Leistungen ausländischer Institutionen - mit einer einzigen Ausnahme gegenüber Panama - als Einkommen besteuern; das gilt insbesondere auch für schweizerische AHV-Renten.
Aus den vorstehenden Erwägungen ergibt sich, dass das schweizerisch-amerikanische Doppelbesteuerungsabkommen der vom schweizerischen Recht vorgesehenen Besteuerung der Altersrente Stiedrys nicht im Wege steht. Eine Doppelbesteuerung entsteht damit übrigens nicht, da die Vereinigten Staaten ihre Social Security-Renten nicht als Einkommen besteuern.
5. Die Altersrente Stiedrys ist mithin in die Berechnung der Wehrsteuerfür Einkommen einzubeziehen. Immerhin ist die ursprüngliche Veranlagung gemäss dem Antrag der eidgenössischen Steuerverwaltung zu berichtigen. Wenn auch die von Stiedry als obligatorisch Versichertem in Form der Sondersteuer bezahlten Beiträge keine "angemessene und volle Vergütung" für den Rentenanspruch im Sinne von Art. XI Abs. 4 des Abkommens darstellen, so sind sie doch, zusammen mit den Arbeitgeberbeiträgen, "Leistungen, auf denen der Anspruch des Steuerpflichtigen beruht", im Sinne des Art. 21 bis, Abs. 1 WStB. Anwendbar ist lit. b daselbst, da diese Leistungen mindestens zu 20% vom Steuerpflichtigen erbracht worden sind. Die Rente fällt deshalb nur zu vier Fünfteln in die Berechnung der Einkommenssteuer.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Beschwerde wird gutgeheissen und der angefochtene Entscheid aufgehoben...