BGE 89 I 37 |
6. Auszug aus dem Urteil vom 20. Februar 1963 i.S. Burckhardt und Mitbeteiligte gegen Kanton Basel-Stadt. |
Regeste |
Wahl- und Abstimmungsbeschwerde (Art. 85 lit. a OG). |
Finanzreferendum. |
Begriff der "Ausgabe für einen einzelnen Gegenstand bis Fr. 80'000" im Sinn von § 29 Abs. 3 der basel-städt. KV. Inwieweit stellen Aufwendungen für Liegenschaftskäufe solche "Ausgaben" dar? (Erw. 2'3). |
Sachverhalt |
A.- Im Abschnitt über die politischen Rechte der
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Staatsbürger enthält die Verfassung des Kantons Basel Stadt (KV) unter anderem folgende Bestimmung:
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§ 29 KV: "Gesetze, sowie endgültige Grossratsbeschlüsse; die weder persönlicher noch dringlicher Natur sind, sollen der Gesamtheit der Stimmberechtigten zur Annahme oder Verwerfung vorgelegt werden, wenn es von 1000 Stimmberechtigten verlangt oder vom Grossen Rat beschlossen wird (fakultatives Referendum).
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Sie treten in Kraft, wenn binnen sechs Wochen vom Tage der Veröffentlichung an gerechnet dieses Verlangen nicht gestellt wird.
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In der ausschliesslichen Zuständigkeit des Grossen Rates liegt hingegen die Bewilligung des Voranschlages und von Ausgaben für den einzelnen Gegenstand bis Fr. 80'000.--. Höhere Ausgaben, für die eine spezielle Vorlage erfolgt, unterstehen dem Referendum. Bei auf mehrere Jahre verteilten Ausgaben ist die Gesamtsumme massgebend."
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Ausserdem wird im Abschnitt über die öffentlichen Behörden bestimmt:
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§ 48 KV: "Der Regierungsrat ist nach Genehmigung des Voranschlages zum Vollzug der darin enthaltenen Ausgaben befugt, soweit es sich um gesetzlich bestimmte, bisherige jährlich wiederkehrende (die für den Betrieb der bestehenden Verwaltung unerlässlich sind) oder in die ausschliessliche Zuständigkeit des Grossen Rates fallende Ausgaben handelt. Zum Vollzug der übrigen Ausgaben bedarf er der Ermächtigung durch einen auf Grund einer speziellen Vorlage erlassenen Beschluss des Grossen Rates. Für etwaige Überschreitungen des Voranschlages und der durch besondere Grossratsbeschlüsse bewilligten Kredite ist eine nachträgliche Genehmigung des Grossen Rates nachzusuchen.
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Das Gesetz bestimmt das Nähere über die Organisation und die Geschäftsordnung des Regierungsrates; es kann für spezielle Fälle die Ausgabenkompetenz erweitern oder einschränken."
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Schliesslich enthält das gestützt auf die §§ 46 und 48 KV erlassene Gesetz betreffend Organisation und Geschäftsordnung des Regierungsrates des Kantons Basel-Stadt vom 9. April 1908 (KOG) folgende Vorschrift:
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§ 4a: "Von den im genehmigten Voranschlag enthaltenen Ausgaben sind durch den Regierungsrat vollziehbar:
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.....
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e) Gantkäufe von Liegenschaften in der Innerstadt."
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B.- In der Volksabstimmung vom 25./27. Mai 1962 wurde die vom Grossen Rat des Kantons Basel-Stadt beschlossene Revision des Geschäftsordnungsgesetzes vom 9. April 1908 angenommen. In der neuen Fassung lautet § 4 a KOG auszugsweise wie folgt:
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"Von den im genehmigten Voranschlag enthaltenen Ausgaben sind durch den Regierungsrat vollziehbar:
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.....
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C.- Diese Gesetzesänderung fochten Dr. Alfons Burckhardt und fünf weitere in baselstädtischen Angelegenheiten stimmberechtigte Schweizerbürger mit staatsrechtlicher Beschwerde an, doch hat das Bundesgericht sie abgewiesen.
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Aus den Erwägungen: |
Dagegen begründet nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts das in den Kantonsverfassungen verankerte Recht der Stimmberechtigten, beim Erlass von Gesetzen oder anderen Beschlüssen mitzuwirken, ein durch die Verfassung gewährleistetes, politisches Recht der Bürger. Dieses wird verletzt, wenn ein nach der Kantonsverfassung der Volksabstimmung unterliegender Erlass oder eine entsprechende Einzelverfügung von der Mitwirkung des Volkes ausgenommen wird; der Stimmberechtigte ist legimiert, sich dagegen mit staatsrechtlicher Beschwerde zur Wehr zu setzen, selbst wenn er im übrigen durch die angefochtene Massnahme nicht in seinen persönlichen Rechten betroffen wird (BIRCHMEIER, Bundesrechtspflege S. 378; BGE 71 I 311 /312 und BGE 74 I 175 /176). Soweit mit der Beschwerde geltend gemacht wird, die neue Ordnung widerspreche der Kantonsverfassung und schalte das Volk von der verfassungsmässig vorgesehenen Mitwirkung bei der staatlichen Willensbildung teilweise aus, sind deshalb die Beschwerdeführer als stimmberechtigte Bürger des Kantons Basel-Stadt gestützt auf Art. 85 lit. a OG zur Beschwerde legitimiert.
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Im Gegensatz zu anderen Kantonsverfassungen enthält die Verfassung des Kantons Basel-Stadt wohl eine besondere Vorschrift über die Veräusserung und Verpfändung von Liegenschaften (§ 39 lit. e KV), doch fehlt eine spezielle Kompetenzbestimmung mit Bezug auf den Erwerb solcher Vermögenswerte. Beschwerdeführer und Regierungsrat stimmen jedoch darin überein, dass unter "Ausgaben für den einzelnen Gegenstand bis Fr. 80'000.--" im Sinne von § 29 Abs. 3 KV auch Aufwendungen für den Ankauf von Liegenschaften verstanden werden müssen und dass deshalb Ausgaben bis zum Betrage von Fr. 80'000.-- für den Erwerb von Liegenschaften vom Grossen Rat endgültig, in höheren Beträgen aber nur unter Vorbehalt des Referendums beschlossen werden können. Trotz des Fehlens einer besonderen Bestimmung ist demnach die Kompetenz zum Ankauf von Liegenschaften in der kantonalen Verfassung geregelt. Diese weist somit insoweit keine Lücke auf, sodass die Ausführungen der Beschwerdeführer darüber, dass eine allfällige Lücke in der verfassungsmässigen Regelung durch Gewohnheitsrecht ausgefüllt worden sei, gegenstandslos sind.
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Ist jedoch die Ausgabenkompetenz im Zusammenhang mit dem Erwerb von Liegenschaften in der kantonalen Verfassung geordnet, so wäre, weil eine verfassungsmässige Kompetenznorm in der Regel nicht auf dem Wege der einfachen Gesetzgebung abgeändert werden kann, für eine Änderung der Kompetenzordnung eine Abänderung von § 29 Abs. 3 KV, also eine Verfassungsrevision erforderlich.
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3. Die Beschwerdeführer sind der Ansicht, unter den Ausgaben im Sinne von § 29 Abs. 3 KV müssten insbesondere im Hinblick auf das Finanzreferendum alle Aufwendungen für Liegenschaftskäufe verstanden werden, gleichgültig ob diese zu Anlage- oder Verwaltungszwecken getätigt würden. Der Stimmbürger habe ein eminentes Interesse, die Verfügungen über staatliche Geldmittel schlechthin zu überwachen und keineswegs nur in Fällen, in denen einer Ausgabe kein realisierbarer Gegenwert gegenüberstehe. "Hierin muss", so führen die Beschwerdeführer aus, "die eigentliche Rechtfertigung des Finanzreferendums erblickt werden". Dieser Auffassung kann nicht gefolgt werden. Sie widerspricht nicht nur Doktrin und Praxis, sondern auch dem Wesen des Finanzreferendums, wie es in den schweizerischen Kantonen besteht, denn diese haben es durchwegs als typisches "Ausgabenreferendum", nicht als "Verwaltungsreferendum" ausgestaltet.
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a) Die Finanzwissenschaft versteht unter den Ausgaben eines öffentlichen Gemeinwesens die Aufwendungen zur Befriedigung seiner Bedürfnisse und zur Erfüllung seiner Aufgaben (vgl. zum Beispiel AMONN, Grundzüge der Finanzwissenschaft I. Teil S. 110 ff.).
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Auch im Rahmen der Rechtswissenschaft wird nicht jeder Kassenausgang als Ausgabe im Rechtssinne bezeichnet. So stellt es nach GIACOMETTI keine Ausgabe im Sinne des Ausgabenreferendums dar, wenn das "Finanzvermögen des Kantons eine veränderte realisierbare Anlage erhält". Von einer echten Ausgabe im Sinne des Ausgabenreferendums kann nach Auffassung des genannten Autors nur gesprochen werden, "wenn Mittel, die der Kanton aufgebracht hat, ausgegeben werden, ohne dass dadurch ein realisierbarer Gegenwert entsteht, also zum Beispiel wenn ein Stück des Finanzvermögens zu Verwaltungsvermögen wird." Nur die "Festlegungen von Finanzvermögen ohne realisierbaren Gegenwert haben ... als Verminderung desselben eine unmittelbare oder mittelbare Belastung des Steuerpflichtigen zur Folge und rechtfertigen damit entsprechend der besonderen ratio des Finanzreferendums ihre Unterstellung unter die Volksabstimmung" (siehe GIACOMETTI, Staatsrecht der schweizerischen Kantone, S. 532; in gleichem Sinne auch M. SCHÄR, Die verfassungsmässigen Finanzkompetenzen der Staatsorgane im Kanton Bern, S. 40 ff.; A. SCHAERR, Das Finanzrecht des Kantons Zürich, S. 53 ff.; H. ESCHER, Das Finanzreferendum in den schweizerischen Kantonen, S. 27 ff.). Nach BLUMENSTEIN (in Monatsschrift für bernisches Verwaltungsrecht, Bd. 41 S. 1 ff.) setzt der Begriff der Ausgabe ein Doppeltes voraus: Einerseits muss es sich um eine direkte Aufwendung staatlicher Mittel handeln, die über die laufende Verwaltung geht, und anderseits muss darin eine eigentliche Entäusserung liegen, das heisst es darf der fraglichen Aufwendung nicht ein neuer, ebenfalls realisierbarer Wert gegenüberstehen; sobald letzteres der Fall ist, betrifft die Aufwendung das Finanzvermögen, nicht das Verwaltungsvermögen.
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Auf dem nämlichen Standpunkte steht auch die Rechtsprechung des Bundesgerichtes. So wurde in BGE 25 I 472 ausgeführt: "Als eine Ausgabe wird dem Wesen der Sache nach in der privaten und der staatlichen Finanzwirtschaft die Verwendung vorhandenen Vermögens nicht betrachtet, wenn und soweit infolge der Verwendung einfach ein neuer, gleichartiger Wert an Stelle eines bisher vorhandenen tritt". In BGE 51 I 222 wurde diese Auffassung bestätigt: "Als Ausgabe erscheint aber rechtlich und wirtschaftlich nur die Entäusserung von Geld oder Geldeswert durch Überführung aus dem Vermögen des 'Ausgebenden' in dasjenige eines Dritten, nicht schon die Verschiebung solcher Werte von einem Unternehmen desselben Eigentümers zu einem andern (der 'Wechsel des Bestandeskontos' oder die 'Umgruppierung von Vermögensobjekten in der Hand des unveränderten Eigentümers', wie das Gutachten ... sich ausdrückt)" Von dieser Praxis abzuweichen besteht kein Anlass.
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b) Wieso diese rechtliche Umschreibung des Begriffes "Ausgaben" eines Gemeinwesens nicht auch im Rahmen von § 29 Abs. 3 KV gelten soll, ist nicht einzusehen, obschon nach der Verfassung des Kantons Basel-Stadt das Finanzreferendum äusserlich keine besondere Ausgestaltung erfahren hat und einfach einen Teil des allgemeinen Gesetzesreferendums darstellt. Dafür, dass die Verfassung des Kantons Basel-Stadt den Begriff in einem weiteren, uneigentlichen Sinne verwende, wie es die Beschwerdeführer zur Begründung ihres Standpunktes geltend machen, ergeben sich jedenfalls weder aus der baslerischen Gesetzgebung noch aus den in der Beschwerde hierzu angeführten Materialien zwingende Anhaltspunkte. Wie sich der bei den Akten liegenden Staatsrechnung des Kantons Basel-Stadt für das Jahr 1961 und den Ausführungen des Regierungsrates zur Beschwerdebeantwortung entnehmen lässt, wird auch im Kanton Basel-Stadt, wie in den übrigen Kantonen und bei den meisten öffentlichrechtlichen Gemeinwesen, ausdrücklich zwischen Finanzvermögen und Verwaltungsvermögen unterschieden: Das Finanzvermögen umfasst diejenigen Vermögenswerte, welche im Privateigentum des Staates stehen und zur Erfüllung öffentlicher Aufgaben nur mittelbar mit ihrem Kapitalwert beitragen; im Rechtsverkehr untersteht es den Regeln des Zivilrechtes. - Dem Verwaltungsvermögen dagegen werden Vermögenswerte zugerechnet, die dem Staat unmittelbar, durch ihren Gebrauch als solchen dienen; der Staat benötigt diese Art von Vermögenswerten nicht wegen ihres Kapitalwertes, sondern wegen ihres Gebrauchswertes; es handelt sich um die nicht realisierbaren Aktiven (vgl. SCHÄR, a.a.O. S. 25/26).
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Ob einer konkreten Aufwendung staatlicher Mittel ein neuer, ebenfalls realisierbarer Wert gegenüberstehe oder nicht, mag unter Umständen nicht immer leicht zu entscheiden sein, doch kann vorliegenden Falles von einer Überprüfung der damit in Zusammenhang stehenden Fragen abgesehen werden, weil die von den Beschwerdeführern angefochtene Ordnung ausschliesslich den Erwerb von Liegenschaften zu Anlagezwecken und damit Aufwendungen betrifft, die nach dem Gesagten keine Ausgaben im eigentlichen Sinne sind.
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c) Schliesslich ist auch darauf hinzuweisen, dass das Bundesgericht gemäss konstanter Praxis nicht ohne Not von der Interpretation abweicht, wie sie die oberste kantonale Instanz (Legislative) der kantonalen Verfassung zuteil werden lässt (BGE 74 I 176). Vorliegenden Falles hat der Grosse Rat des Kantons Basel-Stadt in unmissverständlicher Weise zum Ausdruck gebracht, dass seiner Meinung nach der Begriff "Ausgaben" im Sinne von § 29 Abs. 3 KV sich nur auf den Erwerb von Liegenschaften zu Verwaltungszwecken, nicht aber zu blossen Anlagezwecken beziehe, und dass die angefochtene Neuregelung sich ausschliesslich mit den Liegenschaftsankäufen zu Anlagezwecken befasse, sodass sie § 29 Abs. 3 KV nicht tangiere.
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