BGE 89 I 389 |
56. Urteil vom 9. Oktober 1963 i.S. Nelz und Kons. gegen Kanton Zürich. |
Regeste |
Art. 84, 85 OG: |
Unzulässigkeit der Abstimmungsbeschwerde |
a) wenn eine Anordnung in Frage steht, welche vor der Abstimmung hätte angefochten werden können, |
b) wenn es an einer der Beschwerde vorausgegangenen kantonalen Entscheidung über das Abstimmungsverfahren fehlt. |
Sachverhalt |
"Die Glaubens-, Gewissens- und Kultusfreiheit ist nach Massgabe des Bundesrechtes gewährleistet.
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Die evangelisch-reformierte Landeskirche und ihre Kirchgemeinden, eingeschlossen die französischen Kirchgemeinschaften, die römisch-katholische Körperschaft und ihre Kirchgemeinden sowie die christ-katholische Kirchgemeinde Zürich sind staatlich anerkannte Personen des öffentlichen Rechts.
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Die staatlich anerkannten kirchlichen Verbände ordnen ihre innerkirchlichen Angelegenheiten selbständig, unterstehen im übrigen aber der Oberaufsicht des Staates. Ihre Organisation sowie ihr Verhältnis zum Staat werden durch die Gesetzgebung geregelt, die auch die staatlichen Leistungen für das Kirchenwesen ordnet. .."
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Ferner wurde in derselben Abstimmung angenommen: das Gesetz über die evangelisch-reformierte Landeskirche; nach dessen § 2 baut sich die Landeskirche auf den Kirchgemeinden auf und sind beide staatlich anerkannte Personen des öffentlichen Rechts. Nach § 5 übernimmt der Staat unter Vorbehalt der näheren Bestimmungen des Gesetzes und der Verpflichtungen Dritter insbesondere die darin aufgeführten Leistungen für die ökonomischen Bedürfnisse der Landeskirche. Ebenso wurde angenommen das Gesetz über das katholische Kirchenwesen, das die kantonale römisch-katholische Körperschaft und die im Anhang zum Gesetz genannten römisch-katholischen Gemeinden als Personen des öffentlichen Rechts anerkennt und ihnen nach den Bestimmungen des Steuergesetzes die Steuerfreiheit und Autonomie einräumt (§§ 1-3 des Gesetzes).
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B.- Im Anschluss an die Abstimmung sowie die Publikation dieser Erlasse erheben Dr. Walter Nelz in Zürich als Präsident der neuen Freidenker-Vereinigung und 6 Mitunterzeichner staatsrechtliche Beschwerde mit den Anträgen, das Verfassungsgesetz, das Gesetz über die evangelisch-reformierte Landeskirche und dasjenige über das katholische Kirchenwesen als gegen die Bundesverfassung verstossend aufzuheben und dem Regierungsrat zu empfehlen, die völlige Trennung von Staat und Kirche im Kanton Zürich durchzuführen, das Kultusbudget abzuschaffen und die öffentlichen Schulen, insbesondere die Universität durch Abschaffung der theologischen Fakultät, "auf eine einwandfreie und zureichende wissenschaftliche Grundlage zu stellen". Zur Begründung wird ausgeführt, die öffentlichrechtliche Anerkennung der reformierten und der katholischen Kirche widerspreche der Glaubens- und Gewissensfreiheit, dem Grundsatz der Rechtsgleichheit und Art. 6 BV. Die Verletzung von Art. 49 Abs. 6 BV wird darin gesehen, dass das staatliche Kultusbudget nach Annahme der Kirchengesetze jährlich etwa 10 Millionen Franken betragen werde, obwohl etwa 20.000 Personen nicht Mitglieder der staatlich anerkannten Kirchen seien. Ferner wird gerügt, dass auf den Stimmzetteln die Frage zum Verfassungsgesetz mit "Abänderung der Art. 47, 52, 63 und 64 der Staatsverfassung" zu wenig deutlich bezeichnet worden sei, wenigstens hätte hinzugefügt werden müssen: "Verfassungsgrundlage für das reformierte und katholische Kirchengesetz". Dem Präsidenten des Kantonsrates sei am 18. Juni 1963 eine Einzelinitiative zugestellt worden, die bei ordnungsgemässer Weiterleitung an den Kantonsrat "durch ihr eventuelles Echo in der Presse noch vor der Abstimmung im Volke aufklärend hätte wirken können". Der Präsident des Kantonsrates habe sie zurückbehalten, was allein genügen müsse, die Abstimmung als ungültig zu erklären.
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Eine Vernehmlassung ist nicht eingeholt worden.
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C.- Nach Eingang der Beschwerde, d.h. am 4. Oktober 1963, hat die Bundesversammlung der geänderten Staatsverfassung des Kantons Zürich die Gewährleistung erteilt, weil die neuen Verfassungsbestimmungen nichts der Bundesverfassung Zuwiderlaufendes enthielten (BBl. 1963 II 852 f.).
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Das Bundesgericht zieht in Erwägung: |
1. Die staatsrechtliche Beschwerde wird angeschlossen an die Publikation des Verfassungsgesetzes und der beiden Ausführungserlasse und gleichzeitig an die Abstimmung darüber. Sie macht die Verfassungswidrigkeit der Erlasse geltend und ist insoweit eine Beschwerde im Sinne von Art. 84 lit a OG. Sie rügt ausserdem Mängel des Abstimmungsverfahrens und stellt sich insoweit als Abstimmungsbeschwerde im Sinne von Art. 85 lit. a OG dar. Die Legitimation der Beschwerdeführer dazu ergibt sich aus ihrer Eigenschaft als stimmberechtigte Kantonseinwohner; Verlangt wird von ihnen die Aufhebung der Erlasse und der Abstimmung darüber. Soweit mehr verlangt wird, nämlich die Anweisung an den Regierungsrat, bestimmte Massnahmen zu treffen, welche das Verhältnis von Kirche und Staat im Kanton Zürich berühren würden, ist die Beschwerde wegen ihres grundsätzlich kassatorischen Charakters unzulässig.
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2. Nach Art. 6 BV sind die Kantone verpflichtet, für ihre Verfassungen die Gewährleistung des Bundes nachzusuchen. Dieser übernimmt die Gewährleistung unter den in Abs. 2 genannten Voraussetzungen, u.a. dann, wenn die Verfassungen nichts den Vorschriften der Bundesverfassung Zuwiderlaufendes enthalten. Die Prüfung und Garantie wird der Bundesversammlung übertragen (Art. 85 Ziff. 7 BV). Das Bundesgericht wird als zuständig bezeichnet, über Beschwerden wegen Verletzung verfassungsmässiger Rechte der Bürger zu urteilen (Art. 113 BV). Als Objekt dieser Prüfung werden in Art. 84 OG Erlasse und Verfügungen bezeichnet. Daraus entsteht von selbst die Frage, ob zu den Erlassen und Verfügungen in diesem Sinne auch Vorschriften der kantonalen Verfassungen gehören, es also auch eine Aufgabe des Bundesgerichtes ist, kantonale Verfassungen daraufhin zu überprüfen, ob sie verfassungsmässige Rechte des Bürgers verletzen. Die Rechtsprechung hat angenommen, die Vorschriften der Art. 113 und 85 Ziff. 7 BV stünden zueinander nicht im Verhältnis gleichwertiger Normen; vielmehr stelle Art. 85 Ziff. 7 BV verglichen mit Art. 113 spezielles Recht dar, sodass kantonale Verfassungsvorschriften nicht Gegenstand staatsrechtlicher Anfechtung bilden könnten. Die Praxis wurde eingeleitet durch das Urteil vom 21. November 1891 i.S. der Gemeinde Wollishofen (BGE 17, 622). Später wurde sie wiederholt bestätigt (BGE 22, 1019; 56 I 330; 69 I 177; 71 I 252) und schliesslich in dem Sinne erweitert, dass die Gewährleistung auch eine vorfrageweise Überprüfung kantonaler Verfassungsvorschriften, also deren Anfechtung im Anschluss an eine Anwendungsverfügung, ausschliesse (BGE 83 I 181 Erw. 6). Die Praxis fand teils Zustimmung (FLEINER, Bundesstaatsrecht S. 59; GUT, Die Gewährleistung der Kantonsverfassungen durch den Bund S. 31: RÜEGG, Die Verordnung nach zürcherischem Staatsrecht S. 144), meist jedoch Ablehnung (BURCKHARDT, Kommentar zu Art. 6 S. 71; GIACOMETTI, Verfassungsgerichtsbarkeit S. 110 ff.; FLEINER-GIACOMETTI, Bundesstaatsrecht S. 134, CEREGHETTI, Die Überprüfung der Kantonsverfassungen durch die Bundesversammlung und das Bundesgericht, Zürich 1956, S. 135 ff.; SCHAUB, Die Aufsicht des Bundes über die Kantone, Zürich S. 203; JENNY, Die Aufsicht des Bundes über die Kantone S. 107 ff.; MARTI, Probleme der staatsrechtlichen Beschwerde, ZSR 1962 S. 44; BONNARD, Problèmes relatifs au recours de droit public, ZSR 1962 S. 407 ff.).
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Es stellt sich die Frage, ob an der bisherigen Praxis festzuhalten ist, wenn die staatsrechtliche Beschwerde an die Publikation der kantonalen Verfassungsvorschrift angeknüpft hat.
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Dabei spricht die Vermutung zum vorneherein dagegen, dass eine und dieselbe Aufgabe zwei verschiedenen Behörden übertragen werden wollte. Das träfe aber zu, wenn sowohl die Bundesversammlung als das Bundesgericht die Bundesrechtsmässigkeit kantonaler Verfassungsvorschriften im Anschluss an deren Erlass zu prüfen hätten. Wohl wären die Aufgaben der Bundesversammlung und des Bundesgerichtes bei dieser Kontrolle nicht genau dieselben. Jene hat vornehmlich die Wahrung des öffentlichen Interesses, dieses hätte den Schutz verfassungsmässiger Individualrechte zum Ziel. Mit Bezug auf den Gegenstand und den Inhalt der Kontrolle bestünden dagegen keine in Betracht fallenden Unterschiede. Wenn durch die kantonale Norm die derogatorische Kraft des Bundesrechtes verletzt wird, darf die Bundesversammlung sie nicht gewährleisten. Denn eine mit dem Bundesrecht im Widerspruch stehende kantonale Vorschrift verletzt auch eine Vorschrift der Bundesverfassung, nämlich Art. 2 der Übergangsbestimmungen. Wenn die verletzte Vorschrift des Bundes gleichzeitig ein Individualrecht beinhaltet, obläge dem Bundesgericht dieselbe Kontrolle wie der Bundesversammlung. Auch das Verbot rechtsungleicher Behandlung kann nicht bloss unter dem Gesichtspunkt individueller Freiheitsrechte, sondern auch unter demjenigen von Art. 6 BV eine Rolle spielen (Botschaft des Bundesrates an die Bundesversammlung vom 1. März 1957 über die Gewährleistung der abgeänderten Verfassung des Kantons Waadt: BBl. 1957 I 810; Verstoss einer Verfassungsvorschrift gegen Art. 4 BV, die die Bürger protestantischer Konfession vom Stimmrecht in Schulsachen ausschliesst: VON SALIS, Bundesrecht I 271 (franz. Ausgabe); Kontrolle der Vorschrift, wonach Personen, die nicht einer bestimmten Religionsgenossenschaft angehören, zu deren Vermögensverwaltung nicht zugelassen werden, auf ihre Übereinstimmung mit Art. 4 BV: von Salis I 258). Dasselbe gilt von andern Vorschriften der Bundesverfassung, deren Art. 31 (von Salis I 236), den Art. 27, 49 oder 55 (von Salis I 281). Die Aufgaben der beiden Behörden würden oder könnten sich jedenfalls überschneiden und die Kontrolle der einen diejenige der andern wenn nicht rechtlich, so doch faktisch präjudizieren.
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Die Nichtgewährleistung einer Verfassungsvorschrift durch die Bundesversammlung hat nach anerkannter Lehre die Bedeutung der autoritativen Feststellung der Bundesrechtswidrigkeit der betreffenden kantonalen Normen (BURCKHARDT, Kommentar zu Art. 6 S. 70; GIACOMETTI, Verfassungsgerichtsbarkeit S. 114; CEREGHETTI, a.a.O. S. 67). Nichtgenehmigte kantonale Verfassungsvorschriften, solche, denen die Bundesversammlung die Genehmigung versagt hat, könnten also, auch solange sie von den Kantonen nicht aufgehoben oder abgeändert worden sind, nicht zum Gegenstand einer staatsrechtlichen Beschwerde gemacht werden. Das bedeutet, dass eine staatsrechtliche Beschwerde solange, als die Bundesversammlung noch nicht entschieden hat, nicht beurteilt werden könnte und die Beschwerde nachher allfällig gegenstandslos würde. Der Verfassungsschutz durch das Bundesgericht könnte aus diesem Grunde kein umfassender sein. Er wäre durch den Beschluss der Bundesversammlung, welche die Gewährleistung verweigert, präjudiziert.
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Die Kontrolle der Bundesversammlung ist nicht von anderer Art, als jene des Bundesgerichtes es sein könnte, wenn es die kantonalen Verfassungen auf ihre Übereinstimmung mit dem Bundesrecht zu prüfen hätte. Denn ob eine kantonale Verfassung nichts den Vorschriften der Bundesverfassung Zuwiderlaufendes enthält, ist kein Entscheid politischer, sondern ein solcher rechtlicher Natur. Nicht politische Zweckmässigkeitserwägungen sind massgebend, sondern die Frage, ob die kantonale Verfassungsvorschrift rechtmässig ist (FLEINER, S. 57; BURCKHARDT, Komm. zu Art. 6 S. 70). Übt aber die Bundesversammlung eine reine Rechtskontrolle aus, so wäre sonderbar, wenn dieselbe Kontrolle auch noch dem Bundesgericht zukäme.
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Die Notwendigkeit, kantonale Verfassungsvorschriften zum Gegenstand einer staatsrechtlichen Beschwerde machen zu können, wenn sie verfassungsmässige Individualrechte des Bürgers verletzen, wird aber damit begründet, dass die der Gewährleistung vorangehende Kontrolle nur summarisch sein könne, die Gewährleistung nur dann verweigert werden dürfe, wenn ausser jedem Zweifel stehe, dass eine kantonale Verfassungsbestimmung Vorschriften des Bundesrechtes zuwiderlaufe (die erwähnte Botschaft des Bundesrates vom 1. März 1957, BBl. 1957 I 809; FLEINER-GIACOMETTI, S. 133; BBl. 1930 II 431; CEREGHETTI S. 57 f.).
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Es trifft zu, dass der Gewährleistungsbeschluss, der aus der Kontrolle hervorgeht, als Verwaltungsakt nicht unabänderlich ist, die Bundesversammlung vielmehr darauf zurückkommen kann, sowohl dann, wenn sie die Gewährleistung erteilt, als wenn sie sie zunächst verweigert hat. Das Letztere geschah bei der Gewährleistung des Wiedervereinigungsartikels der beiden Basel (BBl 1960 II 221; dazu AS. 1948, 219). Wenn aber danach die Überprüfung, die zur Genehmigung führt, nicht endgültig ist, nicht für alle Zeiten gelten kann, so folgt daraus doch nicht, dass auch das Bundesgericht befugt sein müsse, dieselbe kantonale Verfassungsvorschrift im Anschluss an ihren Erlass auf ihre Verfassungsmässigkeit zu überprüfen. Aus der Anfechtbarkeit kantonaler Erlasse, die der Genehmigung des Bundesrates bedürfen (Art. 102 Ziff. 13 BV) ergibt sich nichts Gegenteiliges. Denn die der Genehmigung vorangehende Prüfung des Bundesrates geht weniger weit. Sie bezieht sich regelmässig nur auf die Übereinstimmung mit dem Erlass des Bundes, der die Genehmigung vorsieht, sodass also der kantonale Erlass der Genehmigung des Bundesrates nur nach ganz bestimmten Richtungen bedarf (BGE 71 I 252). Aus diesem Grunde ist freilich Zweck jener Genehmigung nur eine vorläufige Überprüfung an sich rechtswirksamer Erlasse auf ihre Übereinstimmung mit dem Bundesrecht, nicht die endgültige, abschliessende Prüfung daraufhin, ob der Erlass bei seiner Anwendung dem Bundesrecht widerspricht oder verfassungsmässige Rechte des Bürgers verletzt (das erwähnte Urteil). Die der Gewährleistung vorangehende Kontrolle geht weiter. Wohl vermag sie nicht alle Anwendungsfälle zu überblicken und daher nicht festzustellen, dass die Anwendung der Verfassungsvorschrift vor dem Bundesrecht in jedem Anwendungsfall standhält. Das schliesst nicht aus, dass die Kontrolle der Übereinstimmung mit der Bundesverfassung und mit dem Bundesrecht überhaupt, einlässlich vorgenommen wird, sei es von Amtes wegen, sei es auf Veranlassung von Privaten oder Gruppen von Privaten oder von Korporationen, die eine Verfassungswidrigkeit behaupten.
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Entscheidend muss schliesslich sein, dass sich das Bundesgericht bei Anfechtung der Verfassungsvorschrift durch den Privaten oder eine Korporation nicht in anderer Lage befände, seine Kontrolle keine wesentlich andere sein könnte. Es vermöchte die Verfassungsmässigkeit der Vorschrift ebenfalls nicht für jeden Anwendungsfall zu überblicken. Seine Kontrolle wäre zudem eingeschränkt durch die Vorschrift von Art. 90 OG, welche die Kognition auf die in der Beschwerde vorgebrachten Gründe beschränkt, sodass es nicht allgemein, ohne Rücksicht auf die Beschwerdegründe untersuchen könnte, ob verfassungsmässige Rechte des Beschwerdeführers verletzt wurden. Auch die Wirkung des Urteils ginge nicht wesentlich weiter als diejenige des Gewährleistungsbeschlusses. Denn bundesgerichtlichen Urteilen, deren Anfechtungsobjekt eine generelle Norm ist, kommt keine materielle Rechtskraft zu. Die Unwiderruflichkeit der staatsrechtlichen Entscheidung ist in derartigen Fällen bloss eine relative (GIACOMETTI, Verfassungsgerichtsbarkeit S. 252; BIRCHMEIER, Organisation der Bundesrechtspflege zu Art. 38 Note 6). Die Entscheidung wäre nur rechtskräftig, solange nicht ein Beschwerdeführer auf Grund eines neuen Sachverhaltes dieselbe generelle Norm wieder zum Gegenstand der Anfechtung machen würde. Solche erneute Anfechtung käme insbesondere gegenüber jeder neuen Anwendung der Verfassungsnorm in Betracht.
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4. Es kann deshalb nicht die Meinung des Verfassungsgesetzgebers gewesen sein, dass die Kontrolle einer kantonalen Verfassungsvorschrift vor oder nach der Gewährleistung durch die Bundesversammlung noch einem andern Organ des Bundes, d.h. dem Verfassungsgerichtshof zustehen müsse. Dass der Gewährleistungsbeschluss in der Form eines einfachen und daher für das Bundesgericht nicht verbindlichen Bundesbeschlusses ergeht (Art. 113 Abs. 3 BV), hat nicht zur Folge, dass das Bundesgericht berufen sein müsse, vor oder nach dem Gewährleistungsbeschluss einen Entscheid zu fällen, der dieselbe Frage der Verfassungs- und Bundesrechtsmässigkeit betreffen würde, wenn auch bloss vom Standpunkt individueller Rechte des Bürgers aus. Gegen eine derart doppelte Entscheidung spräche schon der Gesichtspunkt der Rechtssicherheit. Bei abweichenden Entscheiden stünden einander der Beschluss der Bundesversammlung über die Gewährleistung und das Urteil des Bundesgerichtes gegenüber. Es wäre unsicher, wieweit die Gewährleistung durch ein Urteil des Bundesgerichtes berührt würde. Die zuverlässige Abgrenzung der von der Bundesversammlung vor Erteilung der Gewährleistung vorzunehmenden Kontrolle gegenüber den Aufgaben des Bundesgerichtes als Verfassungsgerichtshof wäre in Frage gestellt. Das wäre besonders dann der Fall, wenn anzunehmen wäre, das - die staatsrechtliche Beschwerde gutheissende oder abweisende - Urteil des Bundesgerichtes könne schon vor dem Gewährleistungsbeschluss ergehen, die Bundesversammlung aber die Gewährleistung in der Folge verweigern würde.
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Abgesehen hievon besteht für die Zulassung der staatsrechtlichen Beschwerde gegen eine kantonale Verfassungsvorschrift kein wirkliches Bedürfnis. Der Bürger, der glaubt, er werde durch diese in einem verfassungsmässigen Recht betroffen, kann sich an die Bundesversammlung wenden und seine Bedenken geltend machen. Ein Bedürfnis wäre umsoweniger vorhanden, wenn gestützt auf die Kritik, welche das Urteil BGE 83 I 173 gefunden hat (MARTI a.a.O. S. 45; IMBODEN, Normkontrolle und Norminterpretation in der Festschrift für Hans Huber S. 135) auf die Rechtsprechung zurückgekommen würde, wonach auch die Anfechtung der Kantonsverfassung im Anschluss an eine Anwendungsverfügung unzulässig ist. Ob aber hieran festzuhalten ist, braucht nicht entschieden zu werden. Die Beantwortung dieser Frage vermag diejenige nach der Zulässigkeit der Beschwerde im Anschluss an den Erlass und die Publikation der Verfassung nicht zu präjudizieren.
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Soweit sich die Beschwerde gegen die beiden gleichzeitig angenommenen Kirchengesetze richtet, ist sie nicht substanziert. Die Beschwerdeführer legen nicht dar, welches der Inhalt dieser Gesetze oder einzelner Vorschriften derselben ist und worin deren Verfassungswidrigkeit liegen soll, oder dass bei Verfassungswidrigkeit einzelner Gesetzesvorschriften die Gesetze in ihrer Gesamtheit aufgehoben werden müssten. Es wird einfach davon ausgegangen, weil das Verfassungsgesetz bundesrechtswidrig sei, seien es auch die beiden gestützt darauf erlassenen Gesetze. Die fehlende Substanzierung hat aber die Unzulässigkeit der Beschwerde gegen die beiden Kirchengesetze zur Folge (Art. 90 OG).
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Insoweit stellt sich die Beschwerde gleichzeitig als Abstimmungsbeschwerde im Sinne von Art. 85 lit. a OG dar. Damit kann geltend gemacht werden, eine Wahl oder Abstimmung sei nicht ordnungsgemäss vor sich gegangen. Dabei ist zu unterscheiden zwischen der eigentlichen Wahl- oder Abstimmungsverhandlung und der Feststellung ihres Ergebnisses sowie vorbereitenden Anordnungen, die zur Verfälschung der Wahl oder Abstimmung führen können.
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Die Beschwerde gegen die Vornahme der Abstimmung oder die Ermittlung des Ergebnisses muss an einen letztinstanzlichen Entscheid der kantonalen Behörde darüber angeschlossen werden. Die Beschwerdeführer haben von der ihnen nach § 131 des kantonalen Wahlgesetzes zustehenden Einsprachemöglichkeit keinen Gebrauch gemacht, sodass es schon an der Voraussetzung eines kantonalen Entscheides fehlt, an welchen die staatsrechtliche Beschwerde angeknüpft werden könnte.
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Bei der Anfechtung von vorbereitenden Anordnungen müsste sich die Einsprache überdies schon gegen diese selbst richten. Der Stimmberechtigte, der durch sie eine unzulässige Beeinflussung des Wahl- oder Abstimmungsergebnisses befürchtet, darf mit der Geltendmachung des Mangels nicht bis nach der Vornahme der Abstimmung zuwarten. Er muss, um den Mangel womöglich vor der Abstimmungs- oder Wahlverhandlung zu beheben, gegen die angeblich fehlerhafte Anordnung sofort Einsprache erheben (BGE 49 I 328, BGE 74 I 22, BGE 81 I 208 und weitere nicht veröffentlichte Urteile). Zu diesen einer Abstimmung vorausgehenden Massnahmen gehört auch die Formulierung der Abstimmungsfrage auf dem Stimmzettel. Dieser ist den Stimmberechtigten zugleich mit den Stimmrechtsausweisen spätestens am Mittwoch vor dem Abstimmungstage zugestellt worden (§ 20 des Wahlgesetzes), sodass die Möglichkeit bestanden hätte, eine allfällig mangelhafte Bezeichnung der Abstimmungsfrage zu rügen. Auch das haben die Beschwerdeführer unterlassen.
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Übrigens wäre nicht einzusehen, inwiefern der Stimmzettel deshalb mangelhaft gewesen wäre, weil er keinen Kommentar darüber enthielt, welche Tragweite der Abstimmung über die Verfassungsvorlage für die Gesetzgebungskompetenz des Kantons zukommt, zumal den Stimmberechtigten nicht entgehen konnte, dass das Verfassungsgesetz die Grundlage bilde für die gleichzeitig zur Abstimmung gelangenden Kirchengesetze.
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Da es an den gesetzlichen Voraussetzungen für eine Abstimmungsbeschwerde im Sinne von Art. 85 lit. a OG fehlt (Erwägung Ziff. 6 hievor), könnte der Umstand, dass die Abstimmung vor bzw. ohne Behandlung der Initiative durchgeführt wurde, die Aufhebung der Abstimmung nur zur Folge haben, wenn die Durchführung der Abstimmung aus diesem Grunde eine Verfassungsverletzung darstellen würde. Das ist nicht behauptet. Es wird nicht einmal darzulegen versucht, was der Inhalt der Initiative gewesen ist. Es könnte aus diesem Grunde auch nicht geprüft werden, ob es sich bei der Eingabe dem Gegenstand nach um eine Initiative im Sinne von § 1 des Gesetzes vom 12. August 1894 über das Vorschlagsrecht des Volkes gehandelt hat. Nach demjenigen, was in der Beschwerde über die Folgen einer Veröffentlichung der Initiative ausgeführt ist (nämlich, dass man die Initianten "nicht mehr derart negativ hätte beurteilen können"), wäre das ohnehin unwahrscheinlich. Handelte es sich aber nicht um eine Initiative im Sinne des Gesetzes, so kann von einer Verfassungswidrigkeit nicht die Rede sein, wenn der Präsident des Kantonsrates ihr keine Folge gab, bevor die Abstimmung stattfand.
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Demnach erkennt das Bundesgericht:
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