BGE 90 I 227 |
35. Auszug aus dem Urteil vom 7. Oktober 1964 i.S. Riniker gegen Bodenverbesserungsgenossenschaft Habsburg und Kantonale Bodenverbesserungskommission Aargau. |
Regeste |
Staatsrechtliche Beschwerde, Erschöpfung des kantonalen Instanzenzuges. Kantonale Rechtsmittel im Sinne von Art. 86 Abs. 2 OG sind nur solche, bei deren Ergreifung Anspruch auf einen Bescheid besteht, was bei der Petition oder bei der nach der aargauischen Verwaltungspraxis zulässigen "Aufsichtsbeschwerde" nicht zutrifft (Erw. 2). |
Sachverhalt |
A.- In der Gemeinde Habsburg wird eine Güterzusammenlegung gemäss der aarg. Verordnung über Bodenverbesserungen vom 21. Juni 1957 (BVV) durchgeführt.
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Der Beschwerdeführer August Riniker ist Eigentümer von 24 über das gesamte Gemeindegebiet verstreuten Parzellen, die zusammen 605,84 a halten und alle in die Zusammenlegung einbezogen wurden. Das am Dorfrand gelegene, 78,25 a haltende Hausgrundstück mit dem Baumgarten ist etwa 55 m breit und 140 m lang und grenzt mit der einen Längsseite an die aus dem Dorf nach Brugg führende Strasse.
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Nach dem Wegnetzentwurf wird diese Strasse als Ortsverbindungsstrasse ausgestaltet und beim Hausgrundstück des Beschwerdeführers in der Weise verlegt, dass sie dieses Grundstück schräg durchquert und es damit in zwei unregelmässig geformte Teile zerschneidet, von denen der etwas kleinere die Wirtschaftsgebäude und der etwas grössere den Baumgarten enthält.
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Bei der Neuzuteilung wurde von diesem Baumgarten ein 8,70 a haltendes, dreieckiges Stück, das in der Gabelung zwischen der geplanten Ortsverbindungsstrasse und der als Nebenstrasse bestehen bleibenden bisherigen Dorfstrasse unmittelbar gegenüber dem Hof des Beschwerdeführers liegt, dem Nachbarn Emil Riniker zugeteilt, dessen Sohn Walter Riniker Posthalter ist und dort ein Postgebäude zu erstellen beabsichtigt. Der Rest des Baumgartens wurde, vermindert um ein durch eine weitere Nebenstrasse abgetrenntes Stück und vermehrt um ein vom Haus abgelegenes Stück, wiederum dem Beschwerdeführer zugeteilt. Ferner erhielt er an Stelle der früheren über 20 kleinen und verstreuten Parzellen 3 grössere arrondierte Grundstücke, von denen die beiden Flurgrundstücke unweit vom Hausgrundstück gelegen sind.
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Hiegegen führte er Beschwerde mit dem Antrag, die vorgesehene Zuteilung an Emil Riniker für das Postgebäude aufzuheben und dem Beschwerdeführer die ganze Fläche des durch die neue Ortsverbindungsstrasse abgegrenzten Teils seines Baumgartens zuzuweisen.
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Die Kantonale Bodenverbesserungskommission (KBK) nahm einen Augenschein vor und wies hierauf das Begehren des Beschwerdeführers am 30. April 1964 ab mit der Begründung: Die Zuteilung eines Grundstücks (an Emil Riniker) für die Erstellung eines Postgebäudes sei gerechtfertigt, denn das Postgebäude solle im Interesse aller Dorfeinwohner an zentraler Verkehrslage zu stehen kommen.
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B.- Mit der staatsrechtlichen Beschwerde stellt August Riniker den Antrag, den Entscheid der KBK aufzuheben und ihm die ganze Fläche des durch die neue Ortsverbindungsstrasse abgegrenzten Teiles seines Baumgartens zuzuweisen. Als Beschwerdegrund wird Willkür sowie Verletzung der Eigentumsgarantie (Art. 22 KV) geltend gemacht.
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C.- Die KBK beantragt, die Beschwerde abzuweisen, soweit darauf einzutreten sei.
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Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut und hebt den Entscheid der KBK auf.
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Erwägungen: |
2. Staatsrechtliche Beschwerden wegen Verletzung des Art. 4 BV und der Eigentumsgarantie sind erst zulässig, nachdem von den kantonalen Rechtsmitteln Gebrauch gemacht worden ist (Art. 86 Abs. 2 OG). Der Begriff des Rechtsmittels im Sinne dieser Bestimmung ist weit auszulegen und umfasst nicht nur die ausserordentlichen Rechtsmittel, mit denen die gerügte Verfassungsverletzung geltend gemacht werden kann (BGE 89 I 126 Erw. 1 mit Verweisungen), sondern alle Rechtsbehelfe, mit denen die Beseitigung des mit der staatsrechtlichen Beschwerde angefochtenen Rechtsnachteils erreicht werden kann (BGE 78 I 250, BGE 81 I 61 /62, BGE 84 I 171 /72).
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§ 53 Abs. 1 BVV bezeichnet die Entscheide der KBK über Beschwerden aus ihrem Zuständigkeitsbereich ausdrücklich als "endgültig". Nach der Praxis steht jedoch gegen solche Entscheide das "Rechtsmittel der Aufsichtsbeschwerde" an den Regierungsrat wegen "eklatanter Rechtsverletzung und Verfahrensmängel" offen (Aarg. Gerichts- und Verwaltungsentscheide 1949 S. 292; Entscheid des Regierungsrates vom 13. Dezember 1963 i.S. Harnisch). Dieser Rechtsbehelf stellt indes, obwohl er zur Beseitigung des mit einer staatsrechtlichen Beschwerde wegen formeller oder materieller Rechtsverweigerung angefochtenen Rechtsnachteils führen kann, kein kantonales Rechtsmittel im Sinne von Art. 86 Abs. 2 OG dar. Darunter kann nur ein Rechtsmittel fallen, dessen Ergreifung die angerufene Behörde verpflichtet, sich mit der Sache zu befassen. Da bei der Petition kein Anspruch auf materielle Behandlung besteht, ist daher die Petition kein Rechtsmittel, das vor Erhebung der staatsrechtlichen Beschwerde ergriffen werden muss (nicht veröffentl. Urteil vom 7. Dezember 1960 i.S. Kunz, Erw. 4; vgl. Verwaltungsentscheide der Bundesbehörden 1955 S. 163; MARTI, Probleme der staatsrechtlichen Beschwerde ZSR 1962 II S. 57). Das gleiche gilt für die nach der aargauischen Verwaltungspraxis zulässige, an keine Frist oder andere Formvorschrift gebundene Aufsichtsbeschwerde gegen die Entscheide der KBK und anderer, der Aufsicht des Regierungsrates unterstehender Verwaltungsbehörden. Wer eine solche Beschwerde einreicht, hat keinen Anspruch auf einen Bescheid (MEIER, Die verwaltungsbehördliche Verwaltungsrechtspflege im Kt. Aargau, Diss. Zürich 1949, S. 67/68) und ist daher dann, wenn seiner Beschwerde keine oder nicht die gewünschte Folge gegeben wird, nicht in seinen persönlichen Interessen verletzt und zur staatsrechtlichen Beschwerde gegen den Regierungsrat nicht legitimiert (Urteil vom 7. Februar 1962, abgedruckt in ZBl 1962 S. 465 ff.). Kann aber der Entscheid, mit welchem der Regierungsrat eine Aufsichtsbeschwerde gegen einen Entscheid der KBK abweist oder darauf nicht eintritt, nicht mehr mit staatsrechtlicher Beschwerde angefochten werden, so kann, ja muss diese schon im Anschluss an den Entscheid der KBK erhoben werden. Das Bundesgericht ist denn auch auf Beschwerden gegen Entscheide der aargauischen KBK von jeher ohne weiteres eingetreten (Urteile vom 29. Januar 1964 i.S. Stäuble und vom 1. Juli 1964 i.S. Schneider sowie zahlreiche frühere Urteile).
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Der Beschwerdeführer macht geltend, die streitige Zuteilung sei unvereinbar mit dem Zweck, den die BVV verfolge. Nach § 1 Abs. 1 BVV gelten als Bodenverbesserungen "alle den landwirtschaftlich benützten oder nutzbaren Boden... betreffenden Verbesserungen, die geeignet sind, unfruchtbares oder wenig fruchtbares Land in fruchtbares umzuwandeln, zerstörtes Kulturland wieder herzustellen oder die Bearbeitung oder den Betrieb wirtschaftlicher zu gestalten". Es ist klar, dass die Erstellung eines Postgebäudes oder eines Wohnhauses mit einem Postbüro, wofür das streitige Land dem Beschwerdeführer weggenommen und Emil Riniker zugeteilt worden ist, nicht unter diese Zwecke der Bodenverbesserung fällt. Ebensowenig lässt sich die angefochtene Zuteilung auf § 1 Abs. 3 BVV stützen, wonach bei Bodenverbesserungen "auf die Belange der Orts- und Regionalplanung Rücksicht zu nehmen" ist. Diese Belange können die Ausgestaltung des Wegnetzes (vgl. § 82 Ziff. 6 BVV) sowie die Aufteilung des Zusammenlegungsgebietes in einen landwirtschaftlichen und einen nichtlandwirtschaftlichen Perimeter (§ 71 Abs. 1 BVV) beeinflussen, vermögen aber die Ausscheidung von Land für die Erstellung eines Postgebäudes oder für andere regulierungsfremde Zwecke nicht zu rechtfertigen. Für die Verwendung von Land zu solchen Zwecken gelten die in § 83 Abs. 2 und § 84 Abs. 4 BVV enthaltenen Bestimmungen, die jedoch, wie die KBK in der Beschwerdeantwort mit Recht anerkennt, vorliegend nicht anwendbar sind. Für die Zuteilung war vielmehr § 84 Abs. 2 BVV massgebend.
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Nach dieser Bestimmung ist nicht nur jedem Grundeigentümer für die abgetretenen Grundstücke nach Möglichkeit Ersatz in Land von ähnlicher Beschaffenheit und Lage zuzuweisen, sondern ist auch "eine möglichst rationelle Arrondierung anzustreben". Das heisst freilich nicht, dass die Grundeigentümer verlangen können, dass ihnen bei der Neuzuteilung ein einziges Grundstück zugewiesen werde. Wenn dagegen ein einzelnes Grundstück, und insbesondere das Hausgrundstück, nicht arrondiert, sondern im Gegenteil zerstückelt wird, so kann dies angesichts des Arrondierungsgebotes nur zulässig sein, wenn es für einen im Rahmen der BVV liegenden Zweck geschieht. Dass die neue Ortsverbindungsstrasse das Hausgrundstück des Beschwerdeführers in zwei Stücke zerschneidet, wird in der Beschwerde mit Recht nicht beanstandet, da die Schaffung eines verbesserten Wegnetzes dazu beiträgt, die landwirtschaftliche Nutzung aller Grundstücke im Gemeindegebiet wirtschaftlicher zu gestalten. Dagegen dient die Abtrennung eines weiteren, 870 m2 haltenden Stückes und dessen Zuteilung an Emil Riniker zur Erstellung eines Postgebäudes, wie bereits dargetan, nicht mehr einem mit der Güterzusammenlegung verfolgten Zwecke.
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Ein Entscheid, der auf unsachlichen, dem Zweck der massgebenden Vorschriften fremden Erwägungen beruht, ist willkürlich und verletzt den Art. 4 BV (BGE 86 I 85 /86, BGE 87 I 249). Der angefochtene Entscheid, bei dem dies zutrifft, ist daher aufzuheben. Dagegen kann dem weitergehenden Begehren des Beschwerdeführers, ihm die ganze Fläche des durch die neue Ortsverbindungsstrasse abgegrenzten Teils seines Baumgartens zuzuweisen, wegen der rein kassatorischen Natur einer staatsrechtlichen Beschwerde der vorliegenden Art nicht entsprochen werden. Es wird Sache der KBK sein, unter Berücksichtigung der vorstehenden Erwägungen neu über die vom Beschwerdeführer gegen den Entscheid der Schätzungskommission erhobene Beschwerde zu befinden.
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