BGE 90 I 276 |
42. Urteil vom 23. Dezember 1964 i.S. X. gegen Bürgerrat der Stadt Basel und Regierungsrat des Kantons Basel-Stadt. |
Regeste |
Einbürgerung. Willkür. |
2. Abweisung eines Gesuchs wegen "notorisch anstössigen Lebenswandels" (§ 2 lit. d des basel-städtischen Bürgerrechtsgesetzes vom 19. Juni 1902). Unhaltbarkeit der Annahme, dass darunter auch mangelnde Assimilation und freches Benehmen bei der behördlichen Einvernahme zum Einbürgerungsgesuch falle (Erw. 3). |
Sachverhalt |
§ 2. Das Gemeindebürgerrecht kann nicht erworben werden von Personen, welche
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a) im Aktivbürgerrecht eingestellt sind;
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b) innert der letzten 3 Jahre in Konkurs geraten oder fruchtlos gepfändet worden sind oder einen Nachlassvertrag abgeschlossen haben;
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c) der öffentlichen oder privaten Wohltätigkeit dauernd zur Last fallen oder voraussichtlich zur Last fallen werden;
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d) sich eines notorisch anstössigen Lebenswandels schuldig machen;
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e) an seelischen oder körperlichen Leiden erkrankt sind oder voraussichtlich an solchen erkranken werden, durch welche sie, ihre Nachkommen oder ihre Umgebung erheblich gefährdet werden.
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§ 3. Mehrjährigen Nichtbürgern, welche seit 15 Jahren im Kanton wohnhaft sind, und welche das 45. Altersjahr noch nicht zurückgelegt haben, steht das Recht auf die Aufnahme in das Bürgerrecht der Gemeinde zu, in welcher sie unmittelbar vor Stellung des Gesuches seit mindestens einem Jahre wohnhaft sind...
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§ 11. Der Bürgerrat prüft, ob die Bewerbungen den gesetzlichen Voraussetzungen entsprechen, und ob nicht eines der in § 2 aufgezählten Hindernisse vorliege.
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Bei Bewerbungen auf Grund der §§ 3 und 4 spricht er die Aufnahme aus, sofern keines der in § 2 aufgestellten Hindernisse vorliegt.
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B.- Die Beschwerdeführerin Fräulein X. ist am 18. September 1942 als Tochter eines Italieners und einer gebürtigen Schweizerin in Basel geboren und wohnte seither ununterbrochen dort. Sie möchte Schweizerbürgerin werden und bewarb sich im Herbst 1962 um das Bürgerrecht der Stadt Basel. Nachdem sie am 10. Mai 1963 von der Bürgerkommission der Stadt Basel einvernommen und ihr am 7. Oktober 1963 die eidg. Einbürgerungsbewilligung erteilt worden war, erhielt sie am 19. März 1964 die Mitteilung, dass der Bürgerrat ihr Bürgerrechtsgesuch "gemäss § 2 lit. d (notorisch anstössiger Lebenswandel)" abgewiesen habe.
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Gegen diesen nicht weiter begründeten Entscheid rekurrierte die Beschwerdeführerin an den Regierungsrat des Kantons Basel-Stadt. Dieser holte eine Vernehmlassung des Bürgerrates ein und wies hierauf den Rekurs am 15. September 1964 ab, indem er ausführte: Der Abweisungsgrund des "notorisch anstössigen Lebenswandels" (§ 2 lit. d BRG) werde gemäss jahrzehntelanger Praxis sehr extensiv ausgelegt und nicht nur auf Bewerber angewendet, die sich in strafrechtlicher oder moralischer Beziehung vergangen haben, sondern auch auf solche, die wegen ihrer politischen Einstellung, wegen unerfreulicher Charaktereigenschaften oder wegen mangelnder Assimilation abgewiesen werden. Es werde ausdrücklich festgestellt, dass die Beschwerdeführerin "weder in moralischer noch in sittlicher Hinsicht tangiert wird". Dagegen werde ihr mit Recht vorgeworfen, dass sie unerfreuliche Charaktereigenschaften aufweise und nicht assimiliert sei. Sie habe sich der Bürgerkommission gegenüber arrogant und anmassend benommen. So habe sie u.a. die Frage, wie man von Basel nach Olten oder Luzern gelange, mit den Worten "den Wegweisern nach" beantwortet, was eindeutig ihre Arroganz beweise, aber auch zeige, wie wenig ihr am Erwerb des Bürgerrechts liege, denn wer solche Antworten gebe, müsse zum vorneherein damit rechnen und nehme in Kauf, dass er die "Prüfung" nicht bestehe. Mit dieser und andern entsprechenden Antworten habe sie offenbar auch ihre vollständige Unwissenheit über Basler und Schweizer Institutionen und Verhältnisse verdecken wollen. Jedenfalls sei sie den Beweis für ihre Assimilation schuldig geblieben. Damit seien die Voraussetzungen zum Erwerb des Basler Bürgerrechts zur Zeit nicht erfüllt.
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C.- Gegen diesen Entscheid des Regierungsrats hat Fräulein X. staatsrechtliche Beschwerde erhoben mit dem Antrag, ihn aufzuheben. Als Beschwerdegrund macht sie Verletzung des Art. 4 BV durch Willkür und Gehörsverweigerung geltend. Die Begründung dieser Rügen ist, soweit wesentlich, aus den nachstehenden Erwägungen ersichtlich.
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D.- Der Regierungsrat des Kantons Basel-Stadt und der Bürgerrat der Stadt Basel beantragen Abweisung der Beschwerde. Auf ihre Ausführungen wird, soweit nötig, ebenfalls in den Erwägungen zurückgekommen.
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Das Bundesgericht zieht in Erwägung: |
2. Der Regierungsrat bemerkt in der Beschwerdeantwort, dass die Gründe, die den kantonalen Gesetzgeber zu dieser Beschränkung des kantonalen Rechtswegs bestimmten, auch für das Bundesgericht Geltung haben sollten und sich daher die Frage stelle, ob auf die staatsrechtliche Beschwerde überhaupt einzutreten sei. Der Einwand ist unbegründet. Nach § 3 Abs. 1 BRG steht einem mehrjährigen Nichtbürger, der - wie die Beschwerdeführerin seit mehr als 15 Jahren im Kanton wohnt und das 45. Altersjahr noch nicht zurückgelegt hat, unter bestimmten Voraussetzungen ein Recht auf die Aufnahme in das Bürgerrecht der Wohnsitzgemeinde zu. Damit wird, wie der Regierungsrat anerkennt, ein eigentlicher Anspruch auf Einbürgerung begründet, wie ihn auch einzelne andere Kantone kennen (GIACOMETTI, Staatsrecht der Kantons S. 119). Besteht aber unter gewissen Voraussetzungen ein Rechtsanspruch auf Einbürgerung, so ist der Bewerber, dessen Einbürgerungsgesuch abgewiesen worden ist, befugt, gegenüber dem Entscheid der letzten kantonalen Instanz staatsrechtliche Beschwerde zu erheben und damit geltend zu machen, dass das Vorliegen jener Voraussetzungen willkürlich verneint oder Art. 4 BV in anderer Weise, z.B. durch Verweigerung des rechtlichen Gehörs oder durch rechtsungleiche Behandlung verletzt worden sei (im gleichen Sinne nicht veröffentlichtes Urteil des Bundesgerichts vom 3. Dezember 1954 i.S. Döbele c. Grosser Rat des Kt. Thurgau).
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Nach dieser Bestimmung kann das Gemeindebürgerrecht nicht erworben werden durch Personen, die "sich eines notorisch anstössigen Lebenswandels schuldig machen". Der Regierungsrat nimmt an, gestützt hierauf könne die Einbürgerung nicht nur solchen Personen verweigert werden, welche sich in strafrechtlicher oder moralischer Beziehung vergangen haben, sondern auch allen denjenigen, deren Einbürgerung wegen ihrer politischen Einstellung, wegen unerfreulicher Charaktereigenschaften oder wegen mangelnder Assimilation als unerwünscht erscheine. Diese Auslegung von § 2 lit. d BRG im Sinne einer Generalklausel lässt sich mit dem klaren Wortlaut und Sinn des BRG nicht vereinbaren. Gemäss § 11 Abs. 2 BRG ist das Bürgerrecht in dem hier zutreffenden Fall des § 3 zu erteilen, "sofern keines der in § 2 aufgestellten Hindernisse vorliegt". Das kann nichts anderes heissen, als dass die in § 2 enthaltene Aufzählung dieser Hindernisse abschliessend ist. Der Regierungsrat selber hat denn auch in dem von ihm eingelegten Entscheid vom 3. Dezember 1948 bemerkt, dass der Bürgerrat an die gesetzlich festgelegten Abweisungsgründe gebunden sei. Der in § 2 lit. d BRG umschriebene Abweisungsgrund des "notorisch anstössigen Lebenswandels" aber wird, auch bei weitester Auslegung dieses Begriffs, nicht erfüllt durch das, was der Beschwerdeführerin im angefochtenen Entscheid vorgeworfen wird, nämlich arrogantes Benehmen gegenüber der Bürgerkommission und vollständige Unkenntnis der Basler und Schweizer Institutionen und Verhältnisse. Dieser Hinderungsgrund hat offensichtlich im wesentlichen die gleiche Bedeutung wie das in den meisten kantonalen Gesetzen aufgestellte Erfordernis des guten Leumunds und wird auch von GIACOMETTI (a.a.O. S. 110/11, insb. Anm. 27 und 32) in diesem Sinne verstanden. Dass das basel-städtische BRG von 1902 im Gegensatz zu andern kantonalen Erlassen und auch zum basel-städtischen BRG vom 19. März 1964 (§ 14 lit. c) die Assimilation, d.h. die Anpassung des Bewerbers an die schweizerischen Verhältnisse, nicht verlangt, bedeutet keine unerträgliche Lücke, da die Assimilation im allgemeinen mit dem für Ausländer erforderlichen mehr als 15-jährigen Wohnsitz im Kanton eintritt (GIACOMETTI, a.a.O. S. 114) und zudem bei der vom Eidg. Justiz- und Polizeidepartement gemäss Art. 14 Abs. 1 BüG zu prüfenden "Eignung zur Einbürgerung" untersucht werden kann.
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Die im angefochtenen Entscheid vertretene unhaltbare Auslegung von § 2 lit. d BRG lässt sich auch nicht mit dem Einwand rechtfertigen, sie entspreche einer "jahrzehntelangen Praxis". Eine solche Praxis vermöchte gegen den klaren Wortlaut und Sinn des Gesetzes nur aufzukommen, wenn sich dadurch ein Gewohnheitsrecht entwickelt hätte, was der Regierungsrat nicht zu behaupten wagt. Übrigens ist die behauptete Praxis nicht dargetan. Vielmehr geht aus den 6 die streitige Bestimmung betreffenden, in den Jahren 1931-1950 ergangenen Entscheiden des Regierungsrates, die im Zentralblatt für Staats- und Gemeindeverwaltung abgedruckt sind (ZBl 1936 S. 460, 1938 S. 324, 1939 S. 303, 1944 S. 127, 1948 S. 264 und 1951 S. 128), klar hervor, dass der Regierungsrat die Verweigerung der Aufnahme in das Bürgerrecht wegen "notorisch anstössigen Lebenswandels" jeweils nur als zulässig betrachtet hat gegenüber Personen, welche sich Verfehlungen von einer gewissen Schwere hatten zuschulden kommen lassen, ja er hat in einem dieser Entscheide (ZBl 1944 S. 127/28) von einem Verhalten des Bewerbers sogar ausdrücklich erklärt, es "genügt nicht zum Vorhalt eines ungünstigen Leumunds, geschweige denn zum Vorwurf eines notorisch anstössigen Lebenswandels". Das gleiche ergibt sich aus dem von ihm eingelegten Entscheid vom 3. Dezember 1948. In zwei weiteren Entscheiden vom 28. April 1953 und 30. Juni 1959 hat er freilich die Betätigung als Mitglied einer landesverräterischen Partei oder Bewegung einem "notorisch anstössigen Lebenswandel" gleichgesetzt. Ob diese Auslegung von § 2 lit. d BRG vor Art. 4 BV standhält, kann dahingestellt bleiben, da der Beschwerdeführerin kein Verhalten vorgeworfen wird, das auf eine unschweizerische, unsern demokratischen Einrichtungen feindliche Gesinnung schliessen liesse, sondern eine vielleicht freche Antwort auf eine nicht gerade geschickte und auch nicht eindeutige Frage sowie mangelndes Wissen über unsere Institutionen und Verhältnisse, was keinesfalls unter den Begriff "notorisch anstössiger Lebenswandel" fallen kann.
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Demnach erkennt das Bundesgericht:
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