BGE 92 I 271 |
47. Urteil vom 26. Oktober 1966 i.S. Centrozap gegen Orbis, Dr. X, Obergericht und Kassationsgericht des Kantons Zürich. |
Regeste |
Art. 4 und 58 BV |
2. Ein Schiedsrichter ist befangen, wenn seine Ehefrau als Anwältin beim Rechtsvertreter derjenigen Partei arbeitet, die ihn zum Schiedsrichter ernannt hat (Erw. 5). |
Sachverhalt |
A.- Die Orbis, Importadura e Exportadura Ltda in Rio de Janeiro (im folgenden Orbis genannt) führt gegen die Centrozap, Aussenhandelszentrale in Kattowitz (im folgenden Centrozap genannt) einen Prozess vor einem Schiedsgericht in Zürich. Nach dem Wegfall der ursprünglichen Schiedsrichter ernannten für dieses Amt die Centrozap Rechtsanwalt Przymusinski in Warschau, die Orbis Dr. X., Bezirksrichter in Zürich.
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Die Centrozap lehnte in der Folge Dr. X. als Schiedsrichter ab, weil seine Ehefrau als juristische Mitarbeiterin im Anwaltsbüro von Dr. Y., des Vertreters der Orbis, tätig sei. Die polnische Firma machte geltend, Frau X. habe sich mit dem vorliegenden Prozess befasst, ihn nach dem natürlichen Lauf der Dinge mit ihrem Gatten besprochen und von diesem Rat genommen. Damit seien die Unfähigkeits- bzw. Ausstandsgründe der §§ 112 und 113 des zürch. Gerichtsverfassungsgesetzes (GVG) gegeben. Die Centrozap ersuchte das Obergericht des Kantons Zürich, Dr. X. als unfähig zu erklären, in der genannten Sache Schiedsrichter zu sein, und ihn aufzufordern, sich in den Ausstand zu begeben.
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Dr. X. bestritt das Vorliegen eines Unfähigkeits- oder Ausstandsgrundes und erklärte, er habe das Mandat als Schiedsrichter erst übernommen auf Grund der verbindlichen Zusage von Dr. Y., dass dieser den Prozess für die ganze Dauer persönlich führe und Frau X. nichts damit zu tun habe.
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Dr. Y. bestätigte diese Erklärung gegenüber dem Obergericht und beantragte für die Orbis Abweisung des Gesuchs der Centrozap. Für den Fall der Gutheissung stellte er den Antrag, auch den Schiedsrichter der Centrozap auszuschliessen, weil dieser Angestellter einer Organisation des polnischen Staates sei und deshalb die Interessen der ebenfalls staatlichen Centrozap wahren müsse.
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B.- Mit Beschluss vom 1. April 1966 hat die II. Zivilkammer des zürcherischen Obergerichts das Gesuch der Centrozap abgewiesen. Zur Begründung führt sie im wesentlichen aus, für die Unfähigkeit und Ablehnbarkeit der Schiedsrichter gälten nach § 363 ZPO die gleichen Gründe wie für die ordentlichen Gerichte, also die §§ 112 und 113 GVG. Von den Unfähigkeitsgründen des § 112 komme einzig Z. 1 in Betracht ("in seinen eigenen Sachen und denen seiner Frau"). Eigene Sache sei ein Prozess nur für die Partei, nicht für deren Anwalt. Dr. X. wäre nicht einmal im Falle der Prozessführung durch seine Ehefrau zur Ausübung des Richteramtes unfähig. Das könne er deshalb erst recht dann nicht sein, wenn - wie der Vorgesetzte von Frau Rechtsanwalt X. glaubhaft erkläre - diese sich mit dem Prozess der Orbis gegen die Centrozap überhaupt nicht zu beschäftigen habe. Es sei aber auch keiner der in § 113 GVG genannten Ablehnungsgründe gegeben. Die Abweisung des Gesuchs auf Grund des zürcherischen Rechts, welches die Unfähigkeits- und Ablehnungsgründe eng umschreibe, entspreche ebenfalls dem Bundesrecht. Nach bundesgerichtlicher Praxis gewährleiste Art. 58 BV nur den fundamentalen Satz, dass niemand in eigener oder von ihm vertretener Sache Richter sein könne; im übrigen sei aber die Ordnung der Unfähigkeits- und Ablehnungsgründe den Kantonen überlassen.
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C.- Mit staatsrechtlicher Beschwerde beantragt die Centrozap Aufhebung des obergerichtlichen Beschlusses, Gutheissung ihres vor Obergericht gestellten Antrags sowie Abweisung des Eventualantrags der Orbis auf Ausschluss des von der Centrozap ernannten Schiedsrichters, eventuell Rückweisung der Sache an das Obergericht zu neuem Entscheid. Die Beschwerdeführerin rügt, der angefochtene Beschluss sei willkürlich, verletze die verfassungsmässigen Garantien der Rechtsgleichheit, des rechtlichen Gehörs und des verfassungsmässigen Richters (Art. 4 und 58 BV).
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D.- Die Behandlung der Beschwerde wurde aufgeschoben bis nach dem Entscheid des Zürcher Kassationsgerichtes über eine gleichzeitig bei diesem gegen den Beschluss des Obergerichts eingereichte Nichtigkeitsbeschwerde. Mit Entscheid vom 4. Juli 1966 hat das Kassationsgericht die Nichtigkeitsbeschwerde abgewiesen, soweit es darauf eintrat.
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Die Centrozap ficht auch diesen Entscheid mit staatsrechtlicher Beschwerde an.
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E.- Die Orbis und Dr. X. beantragen Abweisung beider Beschwerden. Dabei erneuert die Orbis ihren Eventualantrag auf allfälligen Ausschluss auch des Schiedsrichters der Centrozap.
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Das Obergericht und das Kassationsgericht des Kantons Zürich haben auf Vernehmlassung verzichtet.
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Das Bundesgericht zieht in Erwägung: |
3. Insoweit die Beschwerde dem Obergericht und dem Kassationsgericht willkürliche Anwendung des kantonalen Rechts vorwirft, erweist sie sich als unbegründet. So durfte das Obergericht das Vorliegen des Unfähigkeitsgrundes von § 112 Ziff. 1 GVG ("in seinen eigenen Sachen und denen seiner Ehefrau...") sowie der Ablehnungsgründe von § 113 Ziff. 4 und 6 GVG (Verhältnis besonderer Freundschaft oder Feindschaft, besonderes Pflicht- und Abhängigkeitsverhältnis zwischen dem Richter und einer Partei) ohne Willkür verneinen, indem es sich auf den Gesetzeswortlaut stützte und es demzufolge ablehnte, dem Begriff der Partei denjenigen des Parteivertreters gleichzustellen. Wenn das Obergericht sodann dafür hielt, ein "nicht ganz unerheblicher Vorteil" im Sinne von § 113 Ziff. 1 GVG käme allenfalls Dr. Y. als dem Anwalt der Orbis, nicht jedoch seiner Angestellten Frau X. zugute, so entbehrt auch diese Auffassung nicht jedes sachlichen Grundes. Der nur dem "natürlichen Lauf der Dinge" entnommenen Vermutung der Beschwerdeführerin, Dr. X. habe seiner Ehefrau Rat erteilt und von ihr Bericht angenommen (§ 113 Ziff. 3 und 5 GVG), durfte ebenfalls ohne Willkür die tatsächlich abgegebene Erklärung von Dr. X. vorgezogen werden, wonach dieser vom ganzen Prozess einstweilen lediglich die Namen der Parteien, ihrer Vertreter und des andern Schiedsrichters kenne.
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Aber auch das Kassationsgericht ist nach dem Gesagten nicht in Willkür verfallen, wenn es in der Auslegung der kantonalen Ausschliessungs- und Ablehnungsvorschriften durch das Obergericht keinen Nichtigkeitsgrund gesehen hat.
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Nach Art. 58 Abs. 1 BV darf niemand seinem verfassungsmässigen Richter entzogen, und es dürfen daher keine Ausnahmegerichte eingeführt werden. Schon in BGE 33 I 147 hat das Bundesgericht erkannt, dass Art. 58 BV dem Bürger einen Anspruch auf einen unparteilichen Richter verleiht und dass sich die Anforderungen an die Unparteilichkeit aus Gesetz und allgemeinen Rechtsgrundsätzen ergeben. Daraus, dass ein Richter Gewähr für die nötige Unparteilichkeit bieten muss, wurden zunächst die Verbote des Richters in eigener und vertretener Sache abgeleitet (BGE 33 I 143 ff., BGE 38 I 91 ff.). Entgegen der Auffassung des Obergerichts und des Kassationsgerichts bilden die beiden zuletzt genannten Tatbestände somit nicht die einzige bundesrechtliche Schranke in der Frage der richtigen Besetzung eines Gerichts; sie sind lediglich Anwendungsfälle jenes allgemeinen Rechtsgrundsatzes, wonach sich der Einzelne nur einem unparteilichen Richter zu stellen hat.
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Soweit ersichtlich, hatte der Staatsgerichtshof nach den in den Bänden 33 und 38 wiedergegebenen Entscheiden auf Beschwerde wegen Verletzung des Art. 58 BV erst in BGE 91 I 399 ff. wieder zu prüfen, ob ein Gericht richtig besetzt sei. Dabei wurde der bundesrechtliche Anspruch auf unabhängige Gerichtsbarkeit erneut bejaht. Allerdings konnte das Bundesgericht die Frage nach dem Umfang seiner Kognition offenlassen (in den beiden früheren Urteilen hatte es die freie Prüfung angewandt); trotzdem deutete es an (BGE 91 I 402 /3, Erw. b), dass es wie in der Rechtsprechung zum rechtlichen Gehör (BGE 85 I 207 Erw. 1; BGE 87 I 106 Erw. 4, 339a; BGE 89 I 356) frei darüber zu befinden habe, ob bei einer als nicht willkürlich und nicht rechtsungleich erkannten Anwendung des kantonalen Rechts der bundesrechtliche Anspruch auf unabhängige Beurteilung gewahrt sei. An dieser Betrachtungsweise ist festzuhalten.
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Freilich betreffen die in den bisherigen Urteilen entwickelten Grundsätze staatliche Gerichte; sie haben jedoch auch für Schiedsgerichte zu gelten, wenn diese die selbe Gewähr für Unparteilichkeit bieten sollen, was erst die Gleichstellung ihrer Entscheide mit denjenigen der staatlichen Rechtspflege rechtfertigt.
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Um einer Person die Fähigkeit absprechen zu können, in einem bestimmten Rechtsstreit Richter zu sein, genügt es nicht, dass eine Partei diesen Richter als befangen empfindet. Vielmehr müssen Tatsachen vorhanden sein, welche das Misstrauen in die Unabhängigkeit objektiv rechtfertigen (vgl. dazu auch BIRCHMEIER, Bundesrechtspflege, N. 3 zu Art. 23 lit. c OG). Diese Voraussetzung ist im vorliegenden Falle erfüllt. Es wird von keiner Seite bestritten, dass Frau X. als juristische Mitarbeiterin desjenigen Anwalts tätig ist, der ihren Gatten Dr. X. für die Orbis im Prozess gegen die Beschwerdeführerin zum Schiedsrichter ernannt hat. Angesichts dieser Tatsachen kann dem Empfinden der Beschwerdeführerin, es handle sich bei Dr. X. weniger um einen Richter als um einen Interessenvertreter der Gegenpartei, nicht von vornherein jede Berechtigung abgesprochen werden. Das zwischen Herrn und Frau X. bestehende eheliche Band birgt jedenfalls die Gefahr in sich, auf den Ausgang des hängigen Schiedsverfahrens Wirkungen auszuüben, welche für die Beschwerdeführerin nachteilig sein könnten. Dies genügt für die Feststellung, Dr. X. sei ein befangener und deshalb kein verfassungsmässiger Richter. Gerade in Fällen, in denen, wie hier, den Parteien das Recht zusteht, einen Schiedsrichter zu bezeichnen, darf selbst die Gefahr der richterlichen Abhängigkeit nicht geduldet werden.
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Das Obergericht wird deshalb das nur für den Fall dieses Ausgangs gestellte, bisher von ihm nicht beurteilte Begehren der Orbis noch zu entscheiden haben, wonach auch der von der Centrozap ernannte Schiedsrichter auszuschliessen sei.
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Demnach erkennt das Bundesgericht:
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