BGE 92 I 317 |
57. Auszug aus dem Urteil vom 15. Juli 1966 i.S. Emser Werke AG gegen Kleinen Rat des Kantons Graubünden |
Regeste |
Einspruch gegen Liegenschaftsverkauf: Fall eines Unternehmens der chemischen Industrie mit ausgedehntem Landbesitz, welches eine landwirtschaftliche Liegenschaft hinzukauft, weil es sie für die Durchführung von Versuchen mit von ihm hergestellten landwirtschaftlichen Hilfsstoffen benötigt. Der Kauf ist kein Güteraufkauf im Sinne von Art. 19 Abs. 1 lit. a EGG (Erw. 3), noch bestehen Einspruchsgründe nach lit. b und c ebenda (Erw. 4, 5). |
Sachverhalt |
A.- Peter Conradin von Planta ist Eigentümer des im bündnerischen Kreis Domleschg liegenden Hofgutes Stufels, das er durch einen Pächter bewirtschaften lässt. Seit dem Jahre 1960 ist er auch Eigentümer des in der Gemeinde Pratval (Domleschg) gelegenen, 39'346 m2 messenden Grundstücks Auareda, das er anderweitig verpachtet hat. Die Auareda enthält Quellen, deren Wasser in das nahe Schlossgut Fürstenau abgeleitet wird. Dieses Gut hatte früher der Familie von Planta gehört. Seit einiger Zeit steht es im Eigentum der Emser Werke AG in Domat-Ems, welche auch Quellenrechte an der Auareda besitzt. Durch Vertrag vom 2. Juli 1963 hat P. C. von Planta die Auareda den Emser Werken zum Preise von Fr. 110'000.-- verkauft.
|
Die Emser Werke stellen landwirtschaftliche Hilfsstoffe (Dünger, Futtermittel, Pflanzenschutzmittel) her. Sie erklären, sie benötigten für die Entwicklung solcher Produkte einen eigenen landwirtschaftlichen Versuchsbetrieb, wofür von ihrem Grundbesitz in Graubünden einzig das Schlossgut Fürstenau geeignet sei, unter der Voraussetzung, dass es durch Erwerb weiteren Landes in der Umgebung vergrössert werden könne; aus diesem Grunde hätten sie die Auareda gekauft.
|
B.- Gegen diesen Kauf hat das Departement des Innern und der Volkswirtschaft des Kantons Graubünden gestützt auf das Bundesgesetz vom 12. Juni 1951 über die Erhaltung des bäuerlichen Grundbesitzes (EGG) Einspruch erhoben. Die kantonale Landwirtschaftskommission hat den Einspruch geschützt.
|
Auf Beschwerde der Emser Werke hin hat der Kleine Rat des Kantons Graubünden diesen Entscheid am 8. Februar 1965 bestätigt. Er führt aus, der Einspruch sei nach Art. 19 Abs. 1 lit. a und b EGG begründet. Es liege ein Güteraufkauf vor. Die Beschwerdeführerin habe allein in den Jahren 1957-1961 2'014'139 m2 Land in den Kreisen Domleschg, Thusis, Rhäzüns und Trins erworben. Sie besitze schon genug landwirtschaftlichen Boden für ihre Versuche. Es sei nicht nachgewiesen, dass sie ein aktuelles Bedürfnis für den Erwerb weiteren Landes zu Versuchszwecken habe. Eventuelle künftige Bedürfnisse genügten nicht. Übrigens wäre die Beschwerde auch gemäss Art. 19 Abs. 1 lit. c EGG abzuweisen; denn durch den Verkauf der Auareda würde ein landwirtschaftliches Heimwesen, zu dem dieses Grundstück gehöre, seine Existenzfähigkeit verlieren, ohne dass sich dies durch einen wichtigen Grund rechtfertigen liesse.
|
C.- Die Emser Werke AG führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Antrag, der Entscheid des Kleinen Rates und mit ihm der gegen den Kaufvertrag vom 2. Juli 1963 erhobene Einspruch seien aufzuheben. Sie bestreitet, dass die vom Kleinen Rat angeführten Einspruchsgründe gegeben seien.
|
D.- Der Kleine Rat beantragt Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Das Eidg. Justiz- und Polizeidepartement hat sich zur Sache geäussert, ohne einen Antrag zu stellen.
|
E.- Im Verfahren vor Bundesgericht ist ein Augenschein durchgeführt und ein Gutachten eingeholt worden. Der bestellte Experte, Ing. Agronom Dr. J. Geering, Sektionschef der Eidg. Landwirtschaftlichen Versuchsanstalt Zürich-OErlikon, hat seinen Bericht am 5. Mai 1966 erstattet.
|
Das Bundesgericht zieht in Erwägung: |
Der Kleine Rat erblickt jedoch in dem streitigen Landerwerb einen Güteraufkauf, unter Hinweis auf den umfangreichen Landbesitz, über den die Beschwerdeführerin bereits verfügt. Aus dem von der Beschwerdeführerin eingereichten Verzeichnis ihrer Grundstücke ergibt sich, dass sie Eigentümerin von 840 Landparzellen mit einer Fläche von rund 407 ha ist, die sich auf 19 Bündner Gemeinden verteilen. Davon sind 35 ha unproduktiv, 104 ha Maiensässe, Alpen und Wälder, 201 ha im Talboden gelegene Güter und 67 ha Fabrikareal. Die Frage, ob dieser Besitz, sei es auch nur zum Teil, durch Güteraufkauf im Sinne des Gesetzes erworben worden sei, stellt sich nicht; auch der Kleine Rat behauptet nicht, dass die Beschwerdeführerin Grundstücke, die ihr heute gehören, erst nach dem 15. Mai 1963, auf den der Kanton Graubünden durch Gesetz vom 17. März 1963 das Einspruchsverfahren eingeführt hat, erworben habe. Dagegen ist zu prüfen, ob sich der nunmehr von der Beschwerdeführerin beabsichtigte Erwerb von 39'346 m2 Boden in der Gemeinde Pratval als Güteraufkauf erweise. Wird dabei das ganze Grundeigentum in Betracht gezogen, das die Beschwerdeführerin am Tage des Abschlusses des umstrittenen Kaufvertrages (2. Juli 1963) schon besessen hat, so liegt darin weder eine unzulässige, noch überhaupt eine Rückwirkung des genannten kantonalen Gesetzes.
|
Wäre lediglich auf ein quantitatives Kriterium abzustellen, wie der Kleine Rat es getan hat, so wäre die Antwort kaum zweifelhaft. Zwar ist zu beachten, dass die Beschwerdeführerin als Fabrikareal, für Kraftwerkbauten, für Ersatzaufforstungen sowie für Wohnhäuser ihres Personals bedeutende Bodenflächen benötigt, und ferner, dass ihr Landbesitz, weil stark zersplittert, nicht so gut ausgenützt werden kann, wie wenn er aus lauter zusammenhängenden grossen Flächen bestände. Allein es wäre bei rein quantitativer Betrachtung gleichwohl nicht glaubhaft, dass die Beschwerdeführerin sich auf ihrem ausgedehnten Grundbesitz nicht so einrichten könnte, dass alle echten Bedürfnisse ihres Betriebes befriedigt werden könnten.
|
Nun ist aber auch der von der Beschwerdeführerin hervorgehobene qualitative Gesichtspunkt zu würdigen. Wie die Beschwerdeführerin erklärt und wie sich aus den von ihr vorgelegten Prospekten und Abhandlungen ergibt, entwickelt sie in ihrem Betrieb neue Nahrungsmittel für Milch- und Mastvieh, Silagezusätze und dgl., ferner Dünger in verschiedenen Varianten sowie Pflanzenschutzmittel für Kartoffeln, Getreide und Obst. Zur Erprobung solcher Produkte benötigt sie nach ihren Angaben eigenes Versuchsgelände. Sie behauptet, dass für diesen Zweck nach den massgeblichen Faktoren (Beschaffenheit der Bodensubstanz, Topographie, Klima, Entfernung vom Fabrikareal, Mass der Zerstückelung) einzig ihr Landbesitz in der Gegend von Fürstenau in Betracht komme, unter der Voraussetzung, dass sie ihn noch beträchtlich erweitern könne. Diese Darstellung ist vom beigezogenen Experten sorgfältig geprüft worden. Sein Befund lässt sich wie folgt zusammenfassen:
|
Für die Düngmittel und die dem Acker- und Futterbau dienenden Pflanzenschutzmittel ist ein eigener Versuchsbetrieb der Beschwerdeführerin entbehrlich, dagegen nicht für die im Obstbau zu verwendenden Pflanzenschutzmittel und vor allem nicht für die Futtermittel und Futterzusätze. Die Versuche an Milch- und Mastvieh erheischen einen Minimalbestand von 60 Grossvieheinheiten.
|
Für einen Versuchsbetrieb mit vorwiegender Graswirtschaft eignet sich vom Grundbesitz der Beschwerdeführerin, besonders mit Rücksicht auf die Beschaffenheit des Bodens und auf den Grad der Parzellierung, weitaus am besten das Land in der Gegend von Fürstenau. Die Böden in Domat/Ems sind mangels genügender Wasserhaltekraft ungeeignet. Unter den Verhältnissen im Domleschg sind für eine Grossvieheinheit 133 a, für 60 Grossvieheinheiten also rund 80 ha erforderlich. Die Beschwerdeführerin besitzt im Raume von Fürstenau heute 14,76 ha für einen Forschungsbetrieb geeignetes Kulturland. Unter Einbezug der Auareda und der Hoffnungsau (Gegenstand eines Kaufrechts der Beschwerdeführerin) hätte sie für diesen Zweck 21,78 ha zur Verfügung. Sie benötigt also immer noch nahezu 60 weitere ha. Zwar könnte sie, mindestens für den Anfang, einen grossen Teil des als Baulandreserve bezeichneten Areals von 14,06 ha in den Versuchsbetrieb (namentlich für den Obstbau) einbeziehen, doch wäre auch dann noch bei weitem nicht genügend Land verfügbar.
|
Die Auareda eignet sich als Futterbaufläche für die geplanten Versuche. Ein Austausch dieser Parzelle gegen noch besser geeignetes Land fällt ausser Betracht, weil die dortigen Quellen zur Versorgung der Schlossliegenschaft Fürstenau verwendet werden. Pachten kann die Beschwerdeführerin die Auareda nach der kategorischen Auskunft des derzeitigen Eigentümers nicht. Er will das Grundstück, das seinem Betrieb in Stufels nicht dient, abstossen und aus dem Erlös Boden in der Nähe von Stufels kaufen.
|
Der einzige Grundeigentümer, welcher der Beschwerdeführerin die noch erforderliche Bodenfläche in der Umgebung von Fürstenau durch Verkauf, Tausch oder langfristige Pacht zur Verfügung stellen könnte, ist der Kanton Graubünden, dessen Anstalten Beverin und Realta in der Gemeinde Cazis einige hundert ha Kulturland besitzen. Der Kleine Rat lehnt indessen die Abgabe von Land in jeder Form ab.
|
Die eidgenössischen landwirtschaftlichen Versuchsanstalten könnten die Erprobung der Produkte der Beschwerdeführerin nicht übernehmen, weil sie als neutrale Instanzen sich auf die Prüfung marktfertiger neuer Hilfsstoffe zu beschränken haben und daher nicht an den Forschungs- und Entwicklungsarbeiten eines privaten Industrieunternehmens teilnehmen können.
|
Aus diesen Feststellungen des Sachverständigen ergibt sich, dass die Beschwerdeführerin für die Durchführung ihres (in den grossen Zügen bereits festgelegten) Versuchsprogramms auf den Erwerb der Liegenschaft Auareda (und weiterer Grundstücke in der Umgebung von Fürstenau) angewiesen ist. Unter diesen Umständen kann aber nicht gesagt werden, dass dem umstrittenen Kaufsgeschäft die Absicht der Beschwerdeführerin zugrunde liegt, über den eigenen Bedarf hinaus möglichst viele Güter zusammenzukaufen. Man hat es daher nicht mit einem Güteraufkauf im Sinne von Art. 19 Abs. 1 lit. a EGG zu tun (BGE 83 I 316). Anders wäre auch dann nicht zu entscheiden, wenn entgegen der Voraussicht des Experten anzunehmen wäre, die Beschwerdeführerin werde die Auareda gegen anderes, für ihre Versuche noch besser geeignetes Land einzutauschen suchen (BGE 90 I 270 /71).
|
Diese Vorschrift ist offensichtlich auf Käufer, die natürliche Personen sind, zugeschnitten. Eine juristische Person hat keine Familie und keine Nachkommen. Das schliesst aber nicht aus, dass die Vorschrift sinngemäss auch auf juristische Personen angewandt wird. Andernfalls könnte die Gründung einer juristischen Person dazu missbraucht werden, die Bestimmung unwirksam zu machen. Bei der Anwendung der Vorschrift auf eine juristische Person ist darauf abzustellen, wie viel landwirtschaftlichen Boden sie in volkswirtschaftlich vertretbarer Weise für die Erfüllung ihrer rechtmässigen Zwecke benötigt. Die Antwort auf diese Frage ist aber in der Entscheidung über die vorher behandelte Frage, ob ein Güteraufkauf vorliege, schon enthalten. Dem Einspruchsgrund von Art. 19 Abs. 1 lit. b EGG fehlt einzig das Merkmal systematischen Zusammenraffens von Gütern über den Bedarf hinaus, das den Güteraufkauf kennzeichnet.
|
Nach allem, was in Erw. 3 hiervor ausgeführt wurde, bedarf jedoch die Beschwerdeführerin der Liegenschaft Auareda zur Durchführung ihres Forschungs- und Entwicklungsprogramms. Diese Verwendung der Liegenschaft ist aber auch mit den Interessen der Volkswirtschaft vereinbar: Nach den Ausführungen des Experten wird der landwirtschafliche Forschungsbetrieb der Beschwerdeführerin "mit einem zweifellos zu erwartenden Anschauungsbeispiel fortschrittlicher Bewirtschaftung, insbesondere in bezug auf die Produktivität des Futterbaues und der Tierhaltung, den Bündner Landwirten durch seine Gegenwart im Kantonsgebiet selbst zugute kommen". Damit ist zugleich festgestellt, dass der Erwerb der Auareda durch die Beschwerdeführerin sich auf jeden Fall durch einen wichtigen Grund im Sinne von Art. 19 Abs. 1 lit. b EGG rechtfertigen liesse. Ob auch die Quellenrechte der Beschwerdeführerin an der Auareda einen solchen Grund bilden könnten, kann dahingestellt bleiben.
|
Auch diese Vorschrift bildet kein Hindernis für den Erwerb der Auareda durch die Beschwerdeführerin. Das Grundstück wird zur industriellen Ausnützung verkauft und eignet sich nach dem Befund des Experten hiefür. Der Verkauf wäre daher sogar dann zulässig, wenn dadurch ein landwirtschaftliches Gewerbe seine Existenzfähigkeit verlöre. Er ist erst recht zulässig, wenn diese Wirkung nicht eintritt. So verhält es sich in der Tat. Das Heimwesen Stufels umfasst ohne die Auareda nach Angabe des Eigentümers am Augenschein 8 ha Wies- und Ackerland und 2 ha Wald. Im Jahre 1955 hat die durchschnittliche Kulturfläche der schweizerischen Landwirtschaftsbetriebe indessen nur 6,18 ha, diejenige der Bündner Landwirtschaftsbetriebe sogar nur 4,57 ha betragen (Statistische Erhebungen und Schätzungen des Schweiz. Bauernsekretariats 1966, S.11). Weil Auareda nicht von Stufels aus bewirtschaftet wurde, erleidet Stufels durch den umstrittenen Verkauf keine Einbusse, geschweige denn, dass es darob seine Existenzfähigkeit verlöre.
|
Zugunsten des Verkaufs spricht auch unter dem Gesichtspunkte von Art. 19 Abs. 1 lit. c EGG, dass der verkaufte Boden der Landwirtschaft nicht entfremdet, sondern in anderer Weise dienstbar gemacht wird, nämlich durch die Schaffung eines Versuchs- und Demonstrationsbetriebes, den ein einziger Landwirt nicht durchhalten könnte, dessen Ergebnisse aber der ganzen Landwirtschaft zugute kommen werden.
|
6. Die Gerichtskosten trägt in der Regel die unterliegende Partei; ist es ein Kanton, so dürfen ihm jedoch - wiederum in der Regel - die Kosten nur dann auferlegt werden, wenn es sich um sein Vermögensinteresse handelt (Art. 156 Abs. 1 und 2 OG). Das trifft hier nicht zu. Indessen ist zu beachten, dass die Abklärung des Sachverhalts durch ein gerichtliches Gutachten im Interesse nicht nur der Beschwerdeführerin, sondern auch des Kantons lag. Der Beschwerdeführerin gibt das Gutachten Aufschlüsse, die für sie über das vorliegende Verfahren hinaus wertvoll sind; dem Kanton vermittelt es Erkenntnisse, die für die Volkswirtschaft einer ganzen Region bedeutsam sind. Es rechtfertigt sich daher, die Kosten des Gutachtens je zur Hälfte der Beschwerdeführerin und dem Kanton aufzuerlegen (vgl. BGE 81 I 320). Im übrigen besteht hier kein Anlass, von den in Art. 156 Abs. 1 und 2 OG aufgestellten Regeln abzuweichen. Eine Parteientschädigung hat der Kanton nach Art. 159 Abs. 5 OG nicht zu zahlen.
|
Demnach erkennt das Bundesgericht:
|
1.- Die Beschwerde wird gutgeheissen, der angefochtene Entscheid aufgehoben und der Einspruch für unbegründet erklärt.
|