10. Auszug aus dem Urteil vom 24. Januar 1968 i.S. Stadtgemeinde Chur gegen Curiaedes AG und Grosser Rat des Kantons Graubünden.
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Regeste
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Gemeindeautonomie.
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Sachverhalt
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Am 10. April 1959 erhielt die Curiaedes AG vom Stadtpräsidium Chur die Bewilligung, auf einer Liegenschaft im Stadtzentrum ein Wohn- und Geschäftshaus mit sechs Geschossen und einem Walmdach zu bauen. Am 6. April 1960 erteilte ihr das Stadtpräsidium die Bewilligung, statt des Walmdachs ein Flachdach mit einem Attikageschoss zu erstellen. In der Folge ersuchte sie um die Bewilligung, im Attikageschoss anstelle von Estrich- und Archivräumen Wohn- und Arbeitsräume einzurichten, wurde aber vom Stadtrat durch Entscheid vom 13. Oktober 1965 unter Hinweis auf Art. 63 des städtischen Baugesetzes vom 27. Februar 1960 (BG), der jeden Ausbau des Dachstockes ausschliesse, abgewiesen. Einen Rekurs hiegegen hiess der Kleine Rat des Kantons Graubünden dahin gut, dass er den Stadtrat anwies, alle Räume des Attikageschosses als Wohn- und Arbeitsräume benutzen zu lassen, sofern sie den einschlägigen Vorschriften des BG (minimale Raummasse, Fensterflächen usw.) entsprechen. Die Stadt Chur rekurrierte hiegegen erfolglos an den Grossen Rat und führt gegen dessen Beschluss staatsrechtliche Beschwerde, mit der sie Verletzung des Art. 4 BV durch willkürliche Anwendung des BG und, dem Sinne nach, auch Verletzung der Gemeindeautonomie geltend macht. Das Bundesgericht weist ab.
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Aus den Erwägungen:
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Wie das Bundesgericht in BGE 91 I 42 Erw. 4 und BGE 92 I 375 Erw. 2 festgestellt hat und unbestritten ist, fällt das öffentliche Baurecht im Kanton Graubünden grundsätzlich in den Bereich der den Gemeinden in Art. 40 Abs. 2 KV gewährleisteten Autonomie. Die Gemeinden haben daher auf diesem Gebiet, wie es dort heisst, das "Recht der selbständigen Gemeindeverwaltung mit Einschluss der niedern Polizei" und sind "befugt, die dahin einschlagenden Ordnungen festzusetzen".
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Die Beschwerdeführerin nimmt ohne weiteres an, dass diese Autonomie verletzt werde, wenn der Grosse Rat eine Vorschrift ihres BG in willkürlicher Weise (anders als der Stadtrat) auslege. Damit setzt sie sich jedoch in Widerspruch zur bisherigen langjährigen Rechtsprechung des Bundesgerichts, ohne sich mit dieser irgendwie auseinanderzusetzen. Das Bundesgericht hat in seiner neuern Rechtsprechung angenommen, dass die Frage der Gemeindeautonomie eine solche der Zuständigkeit sei, dass eine Gemeinde insoweit autonom sei, als ihr durch Verfassung oder Gesetz freies Ermessen in Rechtsetzung und Verwaltung eingeräumt werde und sie dieses Ermessen frei von staatlicher Kontrolle betätigen dürfe; eine kantonale Behörde verletze die Gemeindeautonomie nur, wenn sie sich eine ihr nicht zustehende Entscheidungsbefugnis anmasse oder ihre Zuständigkeit formell überschreite (vgl.BGE 65 I 131Erw. 2 und 3,BGE 68 I 86, BGE 83 I 123 /4, BGE 84 I 203, BGE 89 I 111 /2, BGE 91 I 42 Erw. 3). Nach dieser Rechtsprechung, die freilich kritisiert worden ist (IMBODEN, Gemeindeautonomie und Rechtsstaat, Festgabe für Giacometti, 1953, S. 103; HANS HUBER, ZBJV 94/1958 S. 469/70, 100/1964 S. 339 und 419/20), ist die Gemeindeautonomie nicht verletzt, wenn eine kantonale Instanz, die zur freien Überprüfung einer von einer Gemeindebehörde in Anwendung von Gemeinderecht erlassenen Verfügung befugt ist, sich dabei irrt, das Gemeinderecht falsch oder gar willkürlich auslegt (BGE 83 I 123 Erw. 3 und 4, BGE 89 I 113 /5). Geht man hievon aus, so ist die vorliegende Beschwerde ohne weiteres abzuweisen, da der Grosse Rat, wie im angefochtenen Entscheid festgestellt und in der Beschwerde nicht bestritten wird, die Auslegung und Anwendung des BG frei überprüfen durfte (Art. 4 der VO vom 1. Dezember 1942 über das Verfahren in Verwaltungsstreitsachen vor dem Kleinen Rat), so dass er seine Zuständigkeit auch dann nicht überschritten hat, wenn die von ihm vertretene Auslegung des BG unrichtig oder, wie die Beschwerdeführerin behauptet, willkürlich sein sollte.
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Nun hat das Bundesgericht aber neuestens seine Rechtsprechung geändert und inbezug auf die Überprüfung der kommunalen Rechtsetzung durch kantonale Behörden die Zuständigkeit dieser Behörden (bzw. den Umfang ihrer Prüfungsbefugnis) als Kriterium zur Bestimmung des Umfangs der Gemeindeautonomie aufgegeben; es hat angenommen, eine Gemeinde sei ohne Rücksicht darauf, ob dem Kanton die Rechts- oder Ermessenskontrolle zusteht, insoweit autonom, als das kantonale Recht sie zur Rechtsetzung ermächtige und ihr dabei eine relativ erhebliche Entscheidungsfreiheit lasse; die Gemeindeautonomie sei schon verletzt, wenn eine an sich zur Überprüfung des kommunalen Erlasses zuständige kantonale Behörde denselben rechtswidrig aufhebt, weil sie eine in Wirklichkeit nicht bestehende Rechtsverletzung annimmt oder sonstwie ihre Rechtskontrolle oder die ihr gegebenenfalls zustehende Ermessenskontrolle willkürlich handhabt (BGE 93 I 160 Erw. 5 und 431 Erw. 3). Angesichts dieser Änderung der Rechtsprechung liegt es nahe, auch in bezug auf die kommunale Verwaltungstätigkeit nicht mehr an der Auffassung festzuhalten, dass die Gemeindeautonomie nur durch eine formelle Überschreitung der Zuständigkeit der kantonalen Behörde, nicht aber durch den materiellen Inhalt ihres Entscheids verletzt werden könne. Die einer Gemeinde eingeräumte Autonomie erscheint als fragwürdig, wenn sie zwar eigenes Recht setzen darf und sich gegen Eingriffe in diese Befugnis wehren kann, aber zusehen muss, wie das von ihr gesetzte Recht von einer kantonalen Behörde dadurch missachtet wird, dass diese es unrichtig oder willkürlich oder überhaupt nicht anwendet (vgl. hinsichtlich des kantonalen Rekursrechts der Gemeinde: IMBODEN, Schweiz. Verwaltungsrechtsprechung, Ergänzungsheft 1 Bem. V zu Nr. 106; ZBl 1964 S. 324). Doch lässt sich auch die Auffassung vertreten, eine für den Einzelfall getroffene Verfügung einer kommunalen Verwaltungsbehörde verdiene nicht im gleichen Masse Schutz wie die autonome Satzung, die eine allgemeine Ordnung zum Inhalt hat und das Ergebnis demokratischer Willensbildung ist; die Gemeinde habe in den Fällen, wo die von der kantonalen Behörde vertretene Auslegung auf Unklarheit oder Lückenhaftigkeit des Gemeinderechts zurückzuführen ist, die Möglichkeit, den Gemeindeerlass zu ändern oder zu ergänzen und damit ihrer Auffassung für die Zukunft zum Durchbruch zu verhelfen. Sodann erscheint das Rechtsschutzbedürfnis der Gemeinde auch deshalb kleiner, weil infolge des fortschreitenden Ausbaus der kantonalen Verwaltungsgerichtsbarkeit immer mehr Streitigkeiten zwischen Bürger und Gemeinde von richterlichen statt von politischen Behörden beurteilt werden. Ob und inwieweit es sich rechtfertigt, die in BGE 93 I 154 ff. und 427 ff. in bezug auf die kommunale Rechtsetzung vorgenommene Änderung der Rechtsprechung auf die Rechtsanwendung auszudehnen, braucht indes im vorliegenden Falle nicht entschieden zu werden. Da das Bundesgericht die Auslegung und Anwendung von Gemeinderecht nur unter dem beschränkten Gesichtswinkel der Willkür überprüfen kann, könnte es gegen die fehlerhafte Anwendung durch eine kantonale Behörde auf jeden Fall nur dann zugunsten der Gemeinde einschreiten, wenn diese Anwendung willkürlich, d.h. mit dem Wortlaut und Sinn der in Betracht fallenden Bestimmungen unvereinbar, mit keinen vernünftigen Gründen zu vertreten wäre. Dem von der Beschwerdeführerin erhobenen Vorwurfe der Willkür hält aber, wie sich aus den folgenden Erwägungen ergibt, die vom Kleinen und vom Grossen Rat vertretene Auslegung des BG der Stadt Chur stand.
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