BGE 94 I 621 |
86. Urteil vom 8. November 1968 i.S. Marcandella gegen die Eidg. Oberzolldirektion. |
Regeste |
Zollstrafverfahren; Verteidigung des Beschuldigten. |
2. Natur der Untersuchungshandlungen, die Beamte der Zollverwaltung gemäss Art. 286 ff. BStP durchführen (Erw. 2). |
3. Schweigen des Gesetzes hinsichtlich des Beizuges eines Verteidigers während der Vernehmung des Beschuldigten; Auslegung: |
a) im Sinne des historischen Gesetzgebers (Erw. 3); |
b) nach dem heutigen Stand des Strafprozessrechtes (Erw. 4a) und der Lehre (Erw. 4b); |
c) nach Sinn und Zweck eines Administrativverfahrens (Erw. 4c). |
Sachverhalt |
A.- Alfons Marcandella wurde wegen Verdachtes von Zoll delikten im September 1966 in ein zollamtliches Untersuchungsverfahren einbezogen. Im Laufe der Untersuchung stellte Marcandella das Begehren, die Einvernahmen seien in Gegenwart von Rechtsanwalt Gerold Meier durchzuführen.Am 5. Dezember 1966 begleitete Rechtsanwalt Meier seinen Klienten zur Einvernahme und wohnte der Befragung bei. Die Zollkreisdirektion Schaffhausen teilte Marcandella am 6. Dezember 1966 mit, der Verteidiger dürfe bei weiteren Einvernahmen nicht mehr zugegen sein.
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B.- Gegen diesen Entscheid der Oberzolldirektion reichte Marcandella binnen der gesetzlichen Frist Verwaltungsgerichtsbeschwerde ein. Er beantragte, es sei der Beizug eines Anwaltes zu den weiteren Einvernahmen im hängigen Zollstrafverfahren zu gestatten.
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Zur Begründung macht der Beschwerdeführer geltend, es bestehe ein allgemeiner Anspruch auf Zulassung der Verteidigung; ein Ausschluss des Verteidigers müsse entweder in einem allgemein verbindlichen Erlass ausdrücklich vorgesehen sein oder sich im Einzelfall durch besondere Umstände (z.B. Kollusionsgefahr) rechtfertigen.
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C.- Die Eidg. Oberzolldirektion beantragt Abweisung der Beschwerde. Sie weist insbesondere darauf hin, dass der vom Beschwerdeführer behauptete Anspruch auf Beizug eines Verteidigers zu den Einvernahmen sich weder aus den Vorschriften über die Zollstrafuntersuchung ergebe noch aus allgemeinen rechtsstaatlichen oder strafprozessualen Grundsätzen hergeleitet werden könne.
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Das Bundesgericht zieht in Erwägung: |
2. Die Untersuchung von Fiskaldelikten durch Beamte der Verwaltung gemäss Art. 286 ff. BStP dient der Erforschung des Sachverhaltes und der Beweissicherung. Die zuständige Verwaltungsbehörde soll auf Grund des Ergebnisses darüber entscheiden können, ob eine Strafverfügung zu erlassen oder die Untersuchung einzustellen sei (Art. 293 BStP). Kommt es durch Einsprache des Beschuldigten oder auf Antrag der Verwaltung (vgl. Art. 300 BStP) zu einem gerichtlichen Verfahren, so ist der Richter an das Ergebnis der administrativen Untersuchung nicht gebunden (Art. 303 BStP). Die Möglichkeit, durch Strafverfügung das Verfahren ohne gerichtliche Beurteilung zu beenden, ist nach Zweck und Ausgestaltung dem Institut des bedingten Strafbefehls gleichzustellen: Es wird ein vorläufiger Entscheid gefällt, der mit Zustimmung des Betroffenen in Rechtskraft erwachsen oder durch Einsprache umgestossen werden kann (Art. 298 und Art. 300 ff. BStP).
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Unter diesen Umständen kommt der Untersuchung von Fiskaldelikten durch Verwaltungsorgane der Charakter eines administrativen Ermittlungsverfahrens zu, vergleichbar einer gemäss Art. 108 Abs. 1 und 2 MStGO vom Kommandanten durchgeführten Beweisaufnahme (MKGE 1 Nr. 90, 6 Nr. 38; HAEFLIGER, Komm. zur MStGO, N. 2 zu Art. 108).
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3. Die Mitwirkung eines Verteidigers ist weder im Zollgesetz noch im IV. Teil des Bundesstrafprozesses geordnet noch überhaupt erwähnt. Man hielt im Zeitpunkt der Ausarbeitung dieser Erlasse den Beizug eines Verteidigers im administrativen Untersuchungsverfahren nicht für erforderlich, weil man eine genügende Verteidigungsmöglichkeit des Betroffenen darin sah, dass er nach Abschluss dieser Ermittlungen eine gerichtliche Beurteilung mit allen Sicherheiten des Strafprozesses verlangen könne. Nur für die richterliche Voruntersuchung im Rahmen des Bundesstrafverfahrens wurde bei der Ausarbeitung des BStP die Parteiöffentlichkeit (vgl. BBl 1929 II S. 578, 610-614) erörtert und beschränkt von den Räten in Art. 118 BStP verankert (vgl. Sten.Bull. NR 1931 S. 723; Sten.Bull. StR 1932 S. 661). Das Schweigen hinsichtlich der Verteidigung bei der administrativen Untersuchung von - durchschnittlich weniger schwer wiegenden - Fiskaldelikten bedeutete somit in den Augen des historischen Gesetzgebers zweifellos einen Ausschluss (vgl. auch PFENNINGER, Das Bundesgesetz über die Bundesstrafrechtspflege vom 15. Juni 1934, in SJZ 31 S. 164); das Schweigen ist aber heute nach den jetzigen Anschauungen zu würdigen und auszulegen.
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a) Im Bundesstrafprozess ermöglicht Art. 27 VO über die Militärstrafrechtspflege vom 29. Januar 1954 an sich die Verbeiständung des Beschuldigten durch einen Verteidiger während der ersten Verfahrensstufe. Diese Ordnung gilt indessen nur für die vorläufige Beweisaufnahme, also für die vom Untersuchungsrichter in den Formen und mit den Mitteln der Voruntersuchung geführte Ergänzung des von der Truppe bereits ermittelten Sachverhalts (Art. 108 Abs. 3 MStGO in Verbindung mit Art. 23 VO über die Militärstrafrechtspflege). Nach dem Wortlaut des Art. 107 MStGO erscheint es zudem als fraglich, ob der Verteidiger auch der Vernehmung des Beschuldigten beiwohnen dürfe. - Im kantonalen Recht bildet bei einfachern Straftaten der direkte Übergang vom polizeilichen Ermittlungsverfahren zur gerichtlichen Beurteilung mehr und mehr die Regel. Übertretungen, sogar Vergehen, die lediglich mit einer Geldbusse zu ahnden sind, werden vielfach in einem polizeilichen Ermittlungsverfahren abgeklärt - unter Ausschluss oder erheblicher Beschränkung der Verteidigungsrechte (vgl. z.B. das Verzeigungsverfahren im Kanton Basel-Stadt §§ 211 ff. StPO; Aargau §§ 194 ff. StPO; Graubünden Art. 170 ff. StPO vom 8. Juni 1958, insbesondere Art. 171 und 178; Schaffhausen Art. 179 a StPO vom 3. März 1909/4. Mai 1964). Im Kanton Zürich könnte einem Verteidiger gestattet werden, der polizeilichen Vernehmung des Beschuldigten beizuwohnen; gewöhnlich wird das aber nicht bewilligt (WALDER, Die Vernehmung des Beschuldigten, S. 115). Art. 166 der neuen Strafprozessordnung des Kantons Waadt (vom 12. September 1967), die auf den 1. April 1968 in Kraft gesetzt worden ist, bestimmt dagegen ausdrücklich, dass das polizeiliche Ermittlungsverfahren geheim sei.
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Auch während der zweiten Verfahrensstufe, der formellen, richterlichen Voruntersuchung, ist die Mitwirkung des Verteidigers bei der Einvernahme des Beschuldigten vielfach (ausdrücklich oder stillschweigend) begrenzt oder sogar ausgeschlossen (vgl. Bern Art. 93 in Verbindung mit Art. 98 StPO; Luzern § 65 der Strafprozessordnung vom 3. Juni 1957; Glarus Art. 22 StPO vom 2. Mai 1965; Basel-Stadt § 114 Abs. 2 StPO). In einer Reihe von Kantonen kann die Anwesenheit des Verteidigers bei der Befragung des Beschuldigten - ähnlich wie in Art. 118 BStP - durch den Verfahrensleiter im Interesse der Untersuchung abgelehnt werden (vgl. Wallis Art. 57 StPO vom 22. Februar 1962; Neuenburg Art. 131 StPO; St. Gallen Art. 65 StPO; Schaffhausen Art. 43 und 133 StPO; Zürich § 17 Abs.2 StPO vom 4. Mai 1919).
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b) Nach ZELLWEGER sollte der Verteidiger im Stadium der Voruntersuchung von Anbeginn an am Verfahren mitwirken können; der Autor räumt aber ein, dass im polizeilichen Ermittlungsverfahren für die Ausübung der Verteidigungsrechte wenig Raum bleibe (ZStR 1951 S. 369). Zum gleichen Schlusse kommt CLERC (vgl. Le Procès pénal en Suisse romande, S. 122 unten), was daraus hervorgeht, dass er auf die Nachteile verweist, die der im Kanton Genf eingeführten kontradiktorischen Untersuchung innewohnen (vgl. hiezu GRAVEN, Similitude et divergence des procédures pénales genevoise et française, in Mémoires publiés par la Faculté de droit de Genève, Nr. 22 - 1967 -, S. 116 Anm. 54 und PONCET, L'instruction contradictoire dans le système de la procédure pénale genevoise, Diss. Genf 1967, S. 174-176). Die Teilnehmer des Internationalen Kongresses für Strafrecht (Rom 1953) forderten mehrheitlich die kontradiktorische Untersuchung mit Gegenwart eines Verteidigers, aber erst von der richterlichen Voruntersuchung an, nicht schon während des polizeilichen Ermittlungsverfahrens (vgl. GRAVEN, Les droits de l'accusé dans le procès pénal, in ZStR 1956 S. 128/9). In diesem Sinne wurde 1964 die Strafprozessordnung der Bundesrepublik Deutschland geändert (Gesetz über die Änderung der Strafprozessordnung vom 19. Dezember 1964; BGBI 1964 I S. 1067): Das Anwesenheitsrecht des Verteidigers wird gemäss § 169 in Verbindung mit § 192 StPO nur für richterliche Vernehmungen zuerkannt (ESER, Aussagefreiheit und Beistand des Verteidigers im Ermittlungsverfahren, in Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft 1967 Heft 3 S. 253/4). Zwar kann dem Verteidiger die Anwesenheit ausnahmsweise bereits im Ermittlungsverfahren gestattet werden; es müssen jedoch hiefür besondere Gründe vorliegen (SCHWARZ-KLEINKNECHT, Strafprozessordnung, 27. Aufl. 1967, N. 1/F zu § 163). Der französische Code de procédure pénale vom 31. Dezember 1957 sieht in Art. 118 Abs. 1 das Recht des Verteidigers vor, an Vernehmungen des Beschuldigten durch den Untersuchungsrichter teilnehmen zu können; ein gleiches Recht wurde hinsichtlich der Polizeiverhöre nicht eingeräumt (vgl. LARGUIER, in Revue Internationale de Droit Pénal, 1966 S. 135).
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c) Während der administrativen Abklärung gemäss Art. 286-292 BStP, die eine möglichst einfache und rasche Erledigung der Übertretungen fiskalischer Bundesgesetze anstrebt, ist ein kontradiktorisches Untersuchungsverfahren mit ausgebauten Verteidigungsrechten nicht gerechtfertigt. Ein Anwesenheitsrecht des Verteidigers bei den Einvernahmen könnte das Verfahren übermässig verzögern, da bei jeder Vorladung auf den Terminkalender des Anwaltes Rücksicht genommen werden müsste. Eingriffe des Verteidigers in einem Verhör, das von einem juristisch nicht gebildeten Beamten geführt wird, helfen nicht immer mit, den wahren Sachverhalt zu erforschen. Die Gegenwart eines Verteidigers mag zwar geeignet sein, ungenaue Protokolle zu verhindern. Sie kann aber zum Schaden der Wahrheitserforschung unbeeinflusste Aussagen des Beschuldigten hemmen und eine Vertrauensbeziehung zum Untersuchungsbeamten in Frage stellen.
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5. Was der Beschwerdeführer dagegen vorbringt, dringt nicht durch. Fehl geht insbesondere die Verweisung auf Art. 118 BStP und seine Überlegung, wenn schon im kriminellen Prozess grundsätzlich der Verteidiger zugelassen sei, müsse das erst recht im Übertretungsverfahren gelten. Einmal gibt Art. 118 BStP keinen grundsätzlichen Anspruch, sondern überlässt den Entscheid dem Untersuchungsrichter. Sodann ist das Bedürfnis nach einem Verteidiger zweifellos umso geringer, je niedriger die Strafandrohung ist, besteht also im Übertretungsverfahren weniger als im kriminellen. Selbst wenn es zuträfe, dass nach Art. 118 BStP der Verteidiger zuzulassen sei, falls nicht besondere Gründe wie Kollusionsgefahr dagegen sprächen, so wäre das nicht auf die administrative Untersuchung anzuwenden und erübrigt sich die Frage, ob hier solche Gründe vorliegen. Der Streit darüber, ob sich Rechtsanwalt Meier am 5. Dezember 1966 in die Befragung eingemischt oder nur eine richtige Protokollierung gesichert habe, ist daher gegenstandslos. Entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers besitzen weder die Protokolle über die einzelnen Untersuchungshandlungen (Art. 287 BStP) noch das zusammenfassende Strafprotokoll (Art. 292 BStP) besondere Beweiskraft (vgl. JAEGER, Das Zollstrafrecht und das Zollstrafverfahren, in SJZ 1952 S. 286).
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Demnach erkennt das Bundesgericht:
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