BGE 96 I 165
 
30. Urteil vom 20. März 1970 i.S. C. gegen Kanton Basel-Stadt
 
Regeste
Steueramnestie gemäss BG vom 15. März 1968.
2. Voraussetzungen der in Art. 3 Abs. 1 BG vorgesehenen Ausnahme von der Amnestie. Fall eines Erben, dem das kantonale Erbschaftsamt Ende Dezember 1968 auf einem Formular angezeigt hat, dass am 3. Januar 1969 ein Nachlassinventar aufgenommen werde und dass diese Massnahme als Einleitung eines Nachsteuerverfahrens gelte (Erw. 2).
 
Sachverhalt
A.- A.C. starb am 20. Dezember 1968 in Basel. Kurz vor seinem Tode setzte er in seinem Testament seine Schwester B.C. als Alleinerbin ein. Am 30. Dezember 1968 kündigte das Erbschaftsamt Basel-Stadt der Erbin an, dass am 3. Januar 1969 das erbschaftsamtliche Inventar aufgenommen werde. Das für die Mitteilung verwendete Formular trug den Titel "Anzeige betreffend Inventaraufnahme" und gab auf der Rückseite einige Gesetzes- und Verordnungsbestimmungen über die Aufnahme des Nachlassinventars wieder. Mit einem Umdruckapparat brachte das Erbschaftsamt auf allen Anzeigen, die es in der Zeit vom 6. September bis zum 31. Dezember 1968 versandte, somit auch auf der Anzeige, die B.C. erhielt, den folgenden Nachsatz an: "Die Aufnahme des Nachlassinventars gilt als Einleitung eines Nachsteuerverfahrens."
B.- Am 3. Januar 1969 wurde das Nachlassinventar aufgenommen. Dabei zeigte sich, dass der Erblasser ein Guthaben gegenüber seiner ehemaligen Arbeitgeberin in der Höhe von Fr. 62 648.55 besass, aber weder den Kapitalbetrag noch die Zinsen je der Steuerbehörde angegeben hatte. In der Folge verlangte die Steuerverwaltung des Kantons Basel-Stadt von B.C. kantonale Nachsteuern im Betrage von Fr. 2800.45, zuzüglich Verzugszinsen von Fr. 478.65, zusammen Fr. 3279. 10. Ferner belegte die kantonale Wehrsteuerverwaltung die Erbin mit Nachsteuern und Bussen für die 12., 13. und 14. Periode der eidgenössischen Wehrsteuer im Gesamtbetrag von Fr. 601.20.
Die Erbin erhob Einsprache mit dem Begehren, diese Forderungen seien aufzuheben, da sie unter die Steueramnestie fielen. Mit Entscheid vom 23. September 1969 wies die Steuerverwaltung des Kantons Basel-Stadt die Einsprache ab.
C.- Am 3. Oktober 1969 legte B.C. gegen den Einspracheentscheid beim Bundesgericht "Rekurs gemäss Art. 5 des Amnestiegesetzes" ein. Sie beantragt, die Nachsteuerforderungen seien aufzuheben und der Amnestie zu unterstellen.
D.- Die Steuerverwaltung des Kantons Basel-Stadt stellt den Antrag, das Begehren der Erbin sei abzuweisen, soweit es die kantonalen Steuern betrifft. Als Veranlagungsbehörde für die eidgenössische Wehrsteuer verzichtet sie dagegen auf die Forderung von Fr. 601.20.
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1. Der von Volk und Ständen am 18. Februar 1968 angenommene Artikel 9 der Übergangsbestimmungen zur Bundesverfassung räumt dem Bund in Abs. 1 die Befugnis ein, während der Jahre 1969 bis 1973 eine einmalige Steueramnestie mit Wirkung für die Steuern des Bundes, der Kantone und der Gemeinden anzuordnen. Das in Art. 9 Abs. 2 dieser Übergangsbestimmungen vorgesehene Ausführungsgesetz, das Bundesgesetz "über die Durchführung der allgemeinen Steueramnestie auf 1. Januar 1969" (vom 15. März 1968), trat am 1. Januar 1969 in Kraft (Art. 7 Abs. 1). Unter Hinweis auf Art. 111 lit. a OG (Fassung von 1943) ordnet das Amnestiegesetz in Art. 5 an, dass das Bundesgericht als einzige Instanz Anstände beurteilt, die sich bei der Anwendung dieses Gesetzes im Bereich der kantonalen Steuern ergeben. Dagegen werden Streitigkeiten über die Auswirkung der Amnestie auf eidgenössische Steuern von den ordentlicherweise für die Anwendung von Steuergesetzen des Bundes zuständigen Behörden und in letzter Instanz vom Bundesgericht auf Verwaltungsgerichtsbeschwerde hin entschieden.
Im vorliegenden Fall sind nur noch die kantonalen Nachsteuern streitig. Deshalb ist die Eingabe der Erbin B.C. an das Bundesgericht als verwaltungsrechtliche Klage im Sinne von Art. 116 OG (neu) zu behandeln. Die im Einspracheentscheid enthaltene Rechtsmittelbelehrung - die kantonale Steuerverwaltung spricht von einem "Rekurs" - ist nicht ganz zutreffend.
Nach dem Wortlaut des Nachsatzes, welcher auf der an die Klägerin gerichteten "Anzeige betreffend Inventaraufnahme" vom 30. Dezember 1968 angebracht ist, "gilt die Aufnahme des Nachlassinventars als Einleitung eines Nachsteuerverfahrens".
Beim Empfang dieser Anzeige wusste deshalb die Klägerin oder hätte wenigstens wissen müssen, dass ein solches Verfahren am 3. Januar 1969, am Tage der Aufnahme des Nachlassinventars, beginnen werde. Möglicherweise erhielt sie die Anzeige noch am 31. Dezember 1968. Dies ist indessen unerheblich; denn gemäss dem klaren Wortlaut des erwähnten Satzes leitet nicht schon die Zustellung der Anzeige das Nachsteuerverfahren ein, sondern erst die Aufnahme des Nachlassinventars. Dieses wurde indessen am 3. Januar 1969, also erst nach dem Inkrafttreten des Amnestiegesetzes, aufgenommen. Damit steht fest, dass das gegen B. C. laufende Nachsteuerverfahren am 1. Januar 1969 noch nicht mit ihrem Wissen eingeleitet war.
Die Steuerverwaltung des Kantons Basel-Stadt macht in der Klageantwort geltend, nach dem kantonalen Recht trete im Todesfalle an die Stelle der Steuererklärung der Erben die obligatorische amtliche Inventarisierung des Nachlasses, die fiskalischen Zwecken diene; hier sei mit der Aufnahme des amtlichen Erbschaftsinventars kraft Gesetzes ein an den Todesfall anknüpfendes Nach- und Strafsteuerverfahren eingeleitet worden.
Mit diesen Ausführungen ist jedoch nicht dargetan, dass am 1. Januar 1969 die Geltendmachung der Steuernachforderungen und der Steuerstrafen mit Wissen der Klägerin im Sinne von Art. 3 Abs. 1 des Amnestiegesetzes bereits eingeleitet war. Allerdings trifft es zu, dass das Bundesgericht bei der Anwendung des Art. 3 Abs. 2 des Bundesratsbeschlusses über die Erhebung eines einmaligen Wehropfers vom 19. Juli 1940 - diese Bestimmung lautet ähnlich wie Art. 3 Abs. 1 des Amnestiegesetzes - das im Recht des Kantons Basel-Stadt vorgesehene Nachlassinventar als eine der Steuerkontrolle dienende Massnahme betrachtet hat, als ein Inventar, dessen Aufnahme von Gesetzes wegen die Einleitung eines Nachsteuerverfahrens bedeutet, wenn der Erblasser seiner Steuerpflicht ungenügend nachgekommen ist (ZBl Bd. 44/1943, S. 482; vgl. auch Bd. 43/1942, S. 132). Indessen ist der in Art. 3 Abs. 1 des Amnestiegesetzes genannte Begriff der Geltendmachung von Steuernachforderungen und Steuerstrafen ein Begriff des Bundesrechts. Er ist deshalb im Sinne des Bundesrechts, nicht im Sinne irgendeines kantonalen Rechts auszulegen. Das Versenden eines blossen Formulars "Anzeige betreffend Inventaraufnahme" mit dem aufgedruckten Nachsatz, dass "die Aufnahme des Nachlassinventars als Einleitung eines Nachsteuerverfahrens gilt", kann aber noch nicht als Geltendmachung einer Steuernachforderung oder einer Steuerstrafe gemäss Art. 3 Abs. 1 des Amnestiegesetzes betrachtet werden. Von einer solchen Geltendmachung könnte erst gesprochen werden, wenn die Steuerverwaltung konkrete Verdachtsgründe dafür gehabt hätte, dass der Erblasser einen Teil seines Einkommens oder seines Vermögens verheimlicht habe, und wenn sie in entsprechender Weise gehandelt hätte. (Vgl. dazu das am 6. September 1968 von der Eidg. Steuerverwaltung an die kantonalen Wehrsteuerverwaltungen gerichtete Kreisschreiben Nr. 6, Ziff. 1 lit. c, 2. Abs.: "Das Verfahren ist eingeleitet, wenn die zuständige Behörde bestimmte, auf die Feststellung der Nachsteueransprüche gerichtete Massnahmen getroffen hat [Bücheruntersuchung, Einforderung von Belegen, Aufforderung zur Vernehmlassung im Sinne von Art. 132 Abs. 2 WStB usw.] Eine bloss vorsorgliche, formelle Ankündigung eines Verfahrens, der keinerlei eigentliche Untersuchungsmassnahmen vorangegangen sind, genügt nicht.") Im Zeitpunkt, in dem das Erbschaftsamt Basel-Stadt der Erbin die "Anzeige betreffend Inventaraufnahme" zustellte (am 30. Dezember 1968), lagen indessen noch gar keine konkreten Anhaltspunkte für einen Hinterziehungstatbestand vor. Die vom Erblasser nicht deklarierte Forderung im Betrage von Fr. 62 648.55 kam erst später, im Verlaufe der Inventaraufnahme, zum Vorschein. Die Zustellung der Anzeige mit dem erwähnten Nachsatz auf der Rückseite war bloss eine routinemässige Verrichtung, die das Erbschaftsamt Basel-Stadt ohne Rücksicht darauf besorgte, ob konkrete Verdachtsgründe für eine Steuerhinterziehung bestanden oder nicht. Die der Klägerin am 30. Dezember 1968 zugesandte Anzeige bedeutete deshalb noch keine Einleitung eines Nachsteuerverfahrens im Sinne des Art. 3 Abs. 1 des Amnestiegesetzes.
Anders verhielt es sich in dem vom Bundesgericht am 20. Februar 1970 beurteilten Falle L. Am 3. Januar 1966 erhielt L. von der Steuerverwaltung des Kantons Tessin einen vom 30. Dezember 1965 datierten eingeschriebenen Brief, worin sie ihm mitteilte, dass er die bei Grundstückverkäufen erzielten Gewinne in seinen Steuererklärungen nicht angegeben habe. Sie erklärte deshalb, dass sie unverzüglich ein Verfahren wegen Steuerhinterziehung einleiten werde. Die Steuerverwaltung des Kantons Zürich hatte ihr von den Gewinnen Kenntnis gegeben.
Da die Steuerverwaltung des Kantons Tessin somit Grund zur Annahme einer Hinterziehung hatte, bedeutete ihr Brief vom 30. Dezember 1965, anders als die vom Erbschaftsamt Basel-Stadt am 30. Dezember 1968 an B.C. abgeschickte Anzeige, eine Geltendmachung von Steuernachforderungen und Steuerstrafen.
Da im vorliegenden Fall das gegen die Klägerin eröffnete Nachsteuerverfahren am 1. Januar 1969 mit ihrem Wissen noch nicht eingeleitet war, steht ihr das Recht zu, von der Steueramnestie Gebrauch zu machen.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.- Es wird davon Kenntnis genommen, dass die Steuerverwaltung des Kantons Basel-Stadt auf die gegen B.C. erhobene Nachforderung von Wehrsteuern verzichtet.
2.- Es wird festgestellt, dass die Steuerverwaltung des Kantons Basel-Stadt von B.C. zu Unrecht kantonale Nachsteuern im Betrage von Fr. 3279.10 fordert.