BGE 128 I 354 |
33. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung i.S. A. Ltd. gegen B. AG und Obergericht des Kantons Zürich (staatsrechtliche Beschwerde) |
4P.102/2001 / 4P.104/2001 vom 31. Mai 2002 |
Regeste |
Staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung von Staatsverträgen mit dem Ausland (Art. 84 Abs. 1 lit. c OG). |
Sachverhalt |
Am 4. August 2000 stellte die A. Ltd. dem Einzelrichter im summarischen Verfahren des Bezirkes Zürich die Begehren, das am 17. April 2000 vom Einzelschiedsrichter Michael Baker-Harber in London gefällte Urteil, mit welchem die B. AG zur Zahlung von US$ 95'062.50 plus £ 1'150.- verpflichtet wurde, vollstreckbar zu erklären, und ihr in der Betreibung Nr. 85779 des Betreibungsamtes Zürich 5 (Zahlungsbefehl vom 10. Mai 2000) für Fr. 167'494.15 nebst Zins und Betreibungskosten definitive Rechtsöffnung zu erteilen. Dieselben Begehren stellte sie in einer separaten Eingabe gleichen Datums mit Bezug auf die Kosten des am 5. Juni 2000 ergangenen schiedsrichterlichen Nebenfolgenentscheids in der Betreibung Nr. 86557 über Fr. 9'087.15 (entsprechend £ 3'404.02 plus £ 275.-). Der Einzelrichter wies die Begehren mit Verfügungen vom 18. Oktober 2000 ab, welche das Obergericht des Kantons Zürich auf Rekurse der A. Ltd. in gesonderten Verfahren am 23. März 2001 bestätigte.
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Die A. Ltd. beantragt dem Bundesgericht mit staatsrechtlichen Beschwerden nach Art. 84 Abs. 1 lit. c OG die Aufhebung der Beschlüsse des Obergerichts Zürich vom 23. März 2001. Ausserdem verlangt sie die Einvernahme von C. vor Bundesgericht.
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Das Bundesgericht weist die Beschwerden ab.
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Aus den Erwägungen: |
6. a) Dem Grundsatz nach ist die staatsrechtliche Beschwerde nur gegen letztinstanzliche kantonale Entscheide zulässig (Art. 86 Abs. 1 OG). Davon waren staatsrechtliche Beschwerden gegen kantonale Erlasse und Verfügungen (Entscheide) wegen Verletzung von Staatsverträgen mit dem Ausland gemäss Art. 84 Abs. 1 lit. c OG, mit der auch Verletzungen des New Yorker Übereinkommens über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche vom 10. Juni 1958 (NYÜ; SR 0.277.12) geltend gemacht werden können, in der bis zum 14. Februar 1992 geltenden Fassung von Art. 86 Abs. 3 OG (e contrario) ausgenommen. Da der kantonale Instanzenzug nicht erschöpft werden musste, hat das Bundesgericht im Beschwerdeverfahren nach Art. 84 Abs. 1 lit. c OG Noven zugelassen (BGE 98 Ia 226 E. 2a, 549 E. 1c; BGE 81 I 139 E. 1, je mit Hinweisen; AUER, Die schweizerische Verfassungsgerichtsbarkeit, S. 217, Ziff. 394; BIRCHMEIER, Handbuch des Bundesgesetzes über die Organisation der Bundesrechtspflege, N. 4 lit. f zu Art. 86 mit Hinweisen; MARTI, Die staatsrechtliche Beschwerde, 4. Aufl., S. 114, Rz. 200). Ebenso überprüfte das Bundesgericht die Auslegung und Anwendung von Staatsvertragsnormen sowohl in rechtlicher als auch in tatsächlicher Hinsicht mit freier Kognition (BGE 101 Ia 521 E. 1b; BGE 93 I 164 E. 2 mit Hinweisen), jedoch lediglich im Rahmen der vor Bundesgericht gemäss Art. 90 Abs. 1 lit. b OG erhobenen Rügen (BGE 98 Ia 537 E. 2 und 549 E. 1c). Mit der Begründung, die Erschöpfung des kantonalen Instanzenzuges sei in dieser Materie nicht erforderlich (Art. 86 Abs. 3 OG), liess das Bundesgericht neue Argumente und neue Beweise zu (BGE 99 Ia 78 E. I/3b), und zwar auch in Fällen, in denen die Parteien den kantonalen Instanzenzug ausgeschöpft hatten (BGE 98 Ia 549 E. 1c). Diese Grundsätze wurden in der Folge in unterschiedlichen Formulierungen in der bundesgerichtlichen Rechtsprechung stets wiederholt (vgl. BGE 115 Ib 197 E. 4a S. 198; BGE 109 Ia 335 E. I/5 S. 339; BGE 108 Ib 85 E. 2a; BGE 105 Ib 37 E. 2).
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b) Seit dem Inkrafttreten der Gesetzesnovelle vom 4. Oktober 1991 (am 15. Februar 1992; Verordnung des Bundesrates vom 15. Januar 1992, SR 173.110.0) gilt die Ausnahme von der Erschöpfung des kantonalen Instanzenzuges nur noch für Beschwerden auf dem Gebiet der interkantonalen Doppelbesteuerung und des Arrestes auf Vermögen ausländischer Staaten (Art. 86 Abs. 2 OG). Staatsvertragsbeschwerden nach Art. 84 Abs. 1 lit. c OG können daher nicht mehr direkt beim Bundesgericht erhoben werden (PATOCCHI/JERMINI, Basler Kommentar zum IPRG, N. 141 zu Art. 194 IPRG).
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Das Erfordernis der Erschöpfung des kantonalen Instanzenzuges wurde als Entlastungsmassnahme für das Bundesgericht eingeführt in der Meinung, von Vorinstanzen gehe generell eine gewisse Filterwirkung aus (Botschaft des Bundesrates betr. die Änderung des Bundesgesetzes über die Organisation der Bundesrechtspflege sowie die Änderung des Bundesbeschlusses über eine vorübergehende Erhöhung der Zahl der Ersatzrichter und der Urteilsredaktoren des Bundesgerichts vom 18. März 1991, BBl 1991 II 466, 478, 498 und 506; MOOR, Juridiction de droit public, in: CEDIDAC 1992 S. 70 f.). Diese Gesetzesänderung hat sich in der Rechtsprechung des Bundesgerichts bisher nicht niedergeschlagen. In BGE 119 II 380 E. 3b fasste das Bundesgericht seine Praxis zur Kognition von Rechts- und Tatsachenprüfung im Rahmen der Berufung, der staatsrechtlichen Beschwerde wegen Verletzung der Verfassung, eines Konkordats oder eines Staatsvertrags zusammen und führte unter Hinweis auf BGE 108 Ib 85 E. 2a und BGE 115 Ib 197 E. 4a aus, das Bundesgericht prüfe den angefochtenen Entscheid frei, aber im Rahmen der erhobenen Rügen. Sodann bemerkte es unter Hinweis auf BGE 115 Ib 197 E. 4a und die dort zitierten Entscheide, neue Tatsachen und Beweismittel seien zulässig. In der nicht veröffentlichten E. 1d von BGE 120 Ib 299 wurden unter Hinweis auf BGE 93 I 278 E. 3 die freie Tatsachen- und Rechtsprüfung wie auch das Novenrecht im Rahmen von Beschwerden nach Art. 84 Abs. 1 lit. c OG hervorgehoben, während sich in BGE 126 III 438 E. 3 lediglich ein Hinweis auf die freie Rechtsprüfung der Anwendung von Staatsverträgen findet.
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c) Fraglos ist daran festzuhalten, dass das Bundesgericht die Anwendung von Staatsverträgen, soweit sie gehörig beanstandet ist (Art. 90 Abs. 1 lit. b OG), frei prüft, bildet doch gerade deren Verletzung den spezifischen Rügegrund von Art. 84 Abs. 1 lit. c OG. Anders verhält es sich mit Bezug auf das Recht, mit der Staatsvertragsbeschwerde neue rechtliche Argumente und entsprechende Tatsachenbehauptungen vorzubringen. Das Novenrecht wird in Lehre und Rechtsprechung aus dem Recht auf Anrufung des Bundesgerichts unter Auslassung kantonaler Instanzen begründet (E. 6a hievor). Nachdem aber die Staatsvertragsbeschwerde dem Grundsatz der relativen Subsidiarität unterstellt wurde und das Bundesgericht nicht mehr als einzige Prüfungsinstanz zur Verfügung steht, greift folgerichtig der Grundsatz des Novenverbots Platz. Ist dem Bundesgericht eine kantonale Prüfungsinstanz vorgelagert, lässt sich nicht rechtfertigen, Staatsvertragsbeschwerden hinsichtlich des Novenrechts anders als die übrigen von der Ausnahmeregelung von Art. 86 Abs. 2 OG ebenfalls nicht erfassten staatsrechtlichen Beschwerden zu behandeln. Soweit sich aus der publizierten Rechtsprechung etwas anderes ergibt, ist daran nicht festzuhalten. Dieser Praxisänderung haben die anderen Abteilungen des Bundesgerichts im Verfahren nach Art. 16 OG zugestimmt.
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Damit gilt auch im Verfahren der staatsrechtlichen Beschwerde wegen Verletzung von Staatsverträgen mit dem Ausland das grundsätzliche Verbot, neue Tatsachenbehauptungen sowie rechtliche Argumente vorzubringen und neue Beweisanträge zu stellen. Festzuhalten ist allerdings, dass nach der Praxis des Bundesgerichts in den folgenden vier Fallgruppen Ausnahmen gelten. So sind neue Vorbringen rechtlicher und tatsächlicher Art zulässig, zu deren Geltendmachung erst die Begründung des angefochtenen Entscheides Anlass gibt. Ebenfalls zuzulassen sind neue Vorbringen zu Gesichtspunkten, die sich aufdrängen und die deshalb von der kantonalen Instanz offensichtlich hätten berücksichtigt werden müssen (BGE 99 Ia 113 E. 4a mit Hinweisen). Eine weitere Ausnahme gilt sodann für Vorbringen, die erstmals im Rahmen von Sachverhaltsabklärungen gemäss Art. 95 OG Bedeutung erlangen (BGE 107 Ia 187 E. 2b mit Hinweisen). Neue rechtliche Vorbringen werden schliesslich zugelassen, falls die letzte kantonale Instanz volle Überprüfungsbefugnis besass und das Recht von Amtes wegen anzuwenden hatte (BGE 119 Ia 88 E. 1a; BGE 107 Ia 187 E. 2b; zum Ganzen: KÄLIN, Das Verfahren der staatsrechtlichen Beschwerde, 2. Aufl., Bern 1994, S. 369 f.).
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d) Aus dieser Praxisänderung ergeben sich jedoch nicht zwingend Konsequenzen für die Kognition des Bundesgerichts in Sachverhaltsfragen. Das Bundesgericht hat seine Befugnis zur freien Sachverhaltsprüfung nie mit dem Novenrecht oder der Entbehrlichkeit, den kantonalen Instanzenzug auszuschöpfen, begründet (vgl. BGE 81 I 139 E. 1; BGE 84 I 30 E. 1; BGE 93 I 164 E. 2; BGE 98 Ia 549 E. 1c; BGE 101 Ia 521 E. 1b). In BGE 83 I 16 hat es der Kognition und dem Novenrecht je eine selbständige Erwägung gewidmet (E. 1 und 2). Sodann hat es die Befugnis zur freien Sachverhaltsprüfung nie auf die zulässig vorgebrachten Noven beschränkt, sondern ausdrücklich auf den vorinstanzlich festgestellten Sachverhalt bezogen (BGE 85 I 39 E. 1; BGE 93 I 49 E. 2) und als gesetzeskonform erachtet, dass seine Kognition bei Beurteilung einer Staatsvertragsrüge weiter geht als bei einer identischen Rüge, welche sich auf das innerstaatliche, auch das eidgenössische Recht stützt (BGE 116 II 625 E. 3b). An der freien Sachverhaltsprüfung im Rahmen von Staatsvertragsbeschwerden im Sinne der zitierten Rechtsprechung ist daher festzuhalten.
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