BGE 130 I 234 |
20. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung i.S. Schweizerische Bundesanwaltschaft gegen X. und Bundesstrafgericht (Beschwerde) |
1A.139/2004 vom 22. Juni 2004 |
Regeste |
Art. 33 Abs. 3 lit. a SGG; Art. 214 ff. BstP; Beschwerde gegen einen Zwangsmassnahmenentscheid des Bundesstrafgerichtes. |
Sachverhalt |
A. Die Schweizerische Bundesanwaltschaft führt seit 31. Januar 2002 eine Strafuntersuchung gegen X. wegen Gehilfenschaft zu ungetreuer Geschäftsbesorgung, Beteiligung an einer kriminellen Organisation und Geldwäscherei. Die Strafuntersuchung stehe im Zusammenhang mit einem separaten Strafverfahren in Russland; die russische Strafjustiz habe die (russischen) Hauptangeschuldigten u.a. wegen Vermögensdelikten in Millionenhöhe zum Nachteil der Fluggesellschaft Aeroflot angeklagt. Die Bundesanwaltschaft wirft X. vor, er habe die russischen Hauptangeschuldigten mit Hilfe von Gesellschaften, die von ihm kontrolliert worden seien, auf strafbare Weise unterstützt. Am 11. Juli 2003 beantragte die Bundesanwaltschaft die Eröffnung einer Voruntersuchung.
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B. Am 22. Juli 2003 eröffnete die Eidgenössische Untersuchungsrichterin die Voruntersuchung. Mit Verfügung vom 23. Februar 2004 erliess sie eine Pass- und Schriftensperre gegen X. Gleichzeitig verfügte sie gegen den Angeschuldigten eine Meldepflicht (wöchentliche Meldung bei der Kantonspolizei Bern). Die strafprozessualen Zwangsmassnahmen (Ersatzmassnahmen anstelle von Untersuchungshaft) wurden mit dem Bestehen von dringendem Tatverdacht und Fluchtgefahr begründet.
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C. Gegen die Zwangsmassnahmenverfügung der Eidgenössischen Untersuchungsrichterin erhob X. am 26. Februar 2004 Beschwerde bei der Anklagekammer des Bundesgerichtes. Er beantragte die Wiederaushändigung der eingezogenen Ausweispapiere sowie die Aufhebung der Ausreisesperre und der Meldepflicht. Nachdem die Anklagekammer des Bundesgerichtes per 31. März 2004 aufgelöst worden war, entschied zuständigkeitshalber das Bundesstrafgericht (Beschwerdekammer) über die hängige Beschwerde. Mit Entscheid vom 28. April 2004 hiess das Bundesstrafgericht die Beschwerde gut und hob die Verfügung der Eidgenössischen Untersuchungsrichterin vom 23. Februar 2004 auf.
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D. Gegen den Entscheid des Bundesstrafgerichtes vom 28. April 2004 gelangte die Bundesanwaltschaft mit Beschwerde vom 2. Juni 2004 an das Bundesgericht. Sie rügt eine Verletzung ihrer prozessualen Parteirechte und beantragt die Aufhebung des angefochtenen Entscheides sowie die Rückweisung an das Bundesstrafgericht zur Neubeurteilung. Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut.
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Aus den Erwägungen: |
2.2 Bei der hier streitigen Pass- und Schriftensperre sowie der Meldepflicht handelt es sich um strafprozessuale Zwangsmassnahmen (vgl. ROBERT HAUSER/ERHARD SCHWERI, Schweizerisches Strafprozessrecht, 5. Aufl., Basel 2002, § 68 Rz. 45; NIKLAUS SCHMID, Strafprozessrecht, 4. Aufl., Zürich 2004, Rz. 717 ff.). Zwar geht es dabei um mildere Ersatzmassnahmen anstelle des Erlasses von Untersuchungshaft, mit denen (im Rahmen der Verhältnismässigkeit) einer gewissen Fluchtgefahr des Angeschuldigten vorgebeugt werden soll (vgl. SCHMID, a.a.O., Rz. 717). Die Massnahmen führen jedoch zu einer empfindlichen Einschränkung der Bewegungsfreiheit (bzw. der persönlichen Freiheit und der Wirtschaftsfreiheit) des Betroffenen. Dies gilt besonders im hier zu beurteilenden Fall. Gemäss den vorliegenden Akten hat der Beschwerdegegner seinen Hauptwohnsitz auf Zypern. Es handelt sich bei ihm um einen selbstständig erwerbenden Geschäftsmann. Infolge der Pass- und Schriftensperre bzw. des Ausreiseverbots konnte er sich weder an seinen Hauptwohnsitz begeben, noch Geschäften im Ausland nachgehen oder aus privaten Motiven (Besuche, Urlaub usw.) reisen. Ausserdem wurde ihm die Verpflichtung auferlegt, sich wöchentlich bei der Berner Kantonspolizei zu melden.
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Nach dem Gesagten ist die Beschwerde an das Bundesgericht in der vorliegenden Streitsache grundsätzlich zulässig.
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Nach dem Gesagten ist die Bundesanwaltschaft als Vertreterin der Anklage mit Parteistellung zur Beschwerdeführung befugt. Es kann offen bleiben, ob die Bundesanwaltschaft ihre Beschwerdelegitimation in jenen Fällen verlieren würde, bei denen Streitgegenstand eine Verfügung ist, welche von der Bundesanwaltschaft selbst erlassen wurde (vgl. dazu PETER BÖSCH, Die Anklagekammer des Schweizerischen Bundesgerichts, Aufgaben und Verfahren, Diss. Zürich 1978, S. 71). Im vorliegenden Fall wurden die streitigen Zwangsmassnahmen (im Sinne von Art. 214 Abs. 1 BStP) von der Eidgenössischen Untersuchungsrichterin im Voruntersuchungsverfahren verfügt.
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3.2 In verfahrensrechtlicher Hinsicht beschwert sich die Bundesanwaltschaft zunächst darüber, dass das Bundesstrafgericht ihr den angefochtenen Entscheid sowie eine weitere Verfügung des Bundesstrafgerichtes vom 17. Mai 2004 nicht förmlich zugestellt habe. In der Verfügung vom 17. Mai 2004 sei die Eidgenössische Untersuchungsrichterin zudem angewiesen worden, den angefochtenen Entscheid "unverzüglich" (noch vor Ablauf der Rechtsmittelfrist) zu vollziehen.
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Gemäss den vorliegenden Akten wurde der angefochtene Entscheid der Bundesanwaltschaft frühestens am 3. Mai 2004 (indirekt) eröffnet. Mit Posteingang der Beschwerde beim Bundesgericht am 3. Juni 2004 wurde die 30-tägige Beschwerdefrist gewahrt (vgl. Art. 32 OG i.V.m. Art. 99 Abs. 1 BStP).
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3.5 Die Beschwerde der Bundesanwaltschaft ist in französischer Sprache abgefasst. Der Beschwerdegegner und sein Anwalt sind (nach den vorliegenden Akten zu schliessen) deutscher Muttersprache. Der Beschwerdegegner hält sich in Bern auf bzw. wird in der streitigen Verfügung der Untersuchungsrichterin verpflichtet, sich wöchentlich bei der Berner Kantonspolizei zu melden. Der angefochtene Entscheid des Bundesstrafgerichtes erging auf deutsch. Daher ist auch das vorliegende Beschwerdeverfahren grundsätzlich auf deutsch zu instruieren (vgl. Art. 37 Abs. 3 OG). In Fällen wie dem vorliegenden könnte erwartet werden, dass auch die Bundesanwaltschaft ihre Prozesseingaben künftig in der Sprache des angefochtenen Entscheides (hier: deutsch) einreicht.
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4.2 Insgesamt wurden die Parteirechte der Bundesanwaltschaft mehrmals verletzt. Wie erwähnt, wurde die Bundesanwaltschaft schon nach der früheren Praxis der Anklagekammer des Bundesgerichtes (auch bei Beschwerden gegen Amtshandlungen des eidgenössischen Untersuchungsrichteramtes) als Partei behandelt (vgl. auch Art. 76 Abs. 1 lit. b Ziff. 3 E-BGG). Insbesondere wurde die Bundesanwaltschaft regelmässig zur Vernehmlassung eingeladen, und es wurden ihr die Urteile der Anklagekammer förmlich mitgeteilt.
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Im vorliegenden Fall rechtfertigt sich keine allfällige "Heilung" der Verfahrensfehler im Beschwerdeverfahren vor Bundesgericht, zumal dem Bundesgericht nur eine auf Rechtsfragen beschränkte Kognition zukommt (vgl. Art. 33 Abs. 3 lit. a SGG). Bei dieser Sachlage hat eine Rückweisung der Streitsache an das Bundesstrafgericht zu erfolgen, zur Neuentscheidung unter Wahrung der Parteirechte der Bundesanwaltschaft.
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Nachdem Art. 219 Abs. 3 BStP durch Ziff. I/4 des Bundesgesetzes vom 19. Dezember 2003 über das Entlastungsprogramm 2003 (mit Wirkung seit 1. April 2004) aufgehoben worden ist (AS 2004 S. 1633, 1647; BBl 2003 S. 5615), richtet sich die Frage der Kostenfolgen im Verfahren vor Bundesgericht nach den allgemeinen Vorschriften des OG. (...)
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