BGE 147 I 153
 
10. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S. A. gegen Universitätsspital Zürich (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten)
 
2C_410/2020 vom 10. November 2020
 
Regeste
Art. 6 Ziff. 1 EMRK; Anspruch auf eine öffentliche und mündliche Verhandlung bei der gerichtlichen Beurteilung der Rechtmässigkeit der Erhebung einer kantonalen Spitaltaxe.
Präzisierung der Rechtsprechung zum Anwendungsbereich von Art. 6 EMRK bei abgaberechtlichen Verpflichtungen (E. 3.4).
Anspruch auf eine öffentliche und mündliche Verhandlung gemäss Art. 6 Ziff. 1 EMRK bei der Beurteilung der Rechtmässigkeit der Gebührenerhebung vorliegend bejaht (E. 3.5).
 
Sachverhalt
A. A. wurde vom 2. bis 12. Januar 2016 stationär am Universitätsspital Zürich behandelt.
A.a Die stationäre Behandlung stand im Zusammenhang mit einem im Sommer 2015 erlittenen Unfall, bei dem unter anderem der Rücken von A. geprellt wurde. Zur Untersuchung und Behandlung der Rückenschmerzen war ein stationärer Aufenthalt im Universitätsspital Zürich ab dem 11. Januar 2016 geplant gewesen. Nach Angaben von A. bestätigte ihm sein Zusatzversicherer, dass der Spitalaufenthalt (privat) versichert sei und die Kosten übernommen würden. Da A. unter grossen Schmerzen litt, begab er sich bereits am 2. Januar 2016 in die Notfallaufnahme des Universitätsspitals Zürich. Im Rahmen des Eintritts ins Spital gab er gestützt auf die von seinem Zusatzversicherer erteilte Kostengutsprache "privat" an. In der Folge kam A. vom 2. bis 12. Januar 2016 in den Genuss einer stationären Behandlung auf der privaten Abteilung des Spitals. Im Nachgang an die stationäre Behandlung übernahm sein Krankenversicherer die Kosten der Grundversicherung. Sein Zusatzversicherer hingegen lehnte eine Kostengutsprache für die private Behandlung ab.
A.b Am 26. Februar 2016 stellte die Direktion Finanzen des Universitätsspitals Zürich A. eine Rechnung im Betrag von Fr. 16'030.- für die stationäre Behandlung zu. Nachdem A. trotz mehrfacher Ermahnung die Rechnungen nicht beglichen hatte, leitete die Direktion Finanzen am 28. April 2017 die Betreibung ein. A. erhob dagegen am 10. Mai 2017 Teilrechtsvorschlag in Bezug auf die Rechnung vom 26. Februar 2016.
B. Mit Verfügung vom 8. September 2017 verpflichtete die Direktion Finanzen des Universitätsspitals Zürich A. zur Zahlung des geschuldeten Betrags nebst Zins zu 5 % seit dem 23. April 2016. Sie beseitigte den Teilrechtsvorschlag vom 10. Mai 2017 für die stationären Behandlungskosten von Fr. 16'030.- zuzüglich der Betreibungskosten von Fr. 103.30 und der Mahnspesen von Fr. 20.-. Den gegen die Verfügung vom 8. September 2017 erhobenen Rekurs wies die Spitaldirektion des Universitätsspitals Zürich mit Beschluss vom 17. Oktober 2018 ab.
Die gegen den Beschluss vom 17. Oktober 2018 erhobene Beschwerde von A. hiess das Verwaltungsgericht des Kantons Zürich mit Urteil vom 24. Februar 2020 teilweise gut, soweit es die Mahnspesen von Fr. 20.- betraf. Im Übrigen wies es die Beschwerde ab und beseitigte den Teilrechtsvorschlag vom 10. Mai 2017 im Umfang von Fr. 16'030.- nebst Zins zu 5 % seit dem 23. April 2016 und den Betreibungskosten von Fr. 103.30.
C. Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten vom 19. Mai 2020 gelangt A. an das Bundesgericht. Er beantragt die Aufhebung des Urteils vom 24. Februar 2020. Der Teilrechtsvorschlag vom 10. Mai 2017 über Fr. 16'030.- nebst Zins zu 5 % seit dem 23. April 2016 sei aufrechtzuerhalten. Eventualiter sei das Urteil vom 24. Februar 2020 aufzuheben und zur Neubeurteilung nach Durchführung einer Gerichtsverhandlung sowie von Beweisabnahmen an die Vorinstanz zurückzuweisen.
Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut, soweit es darauf eintritt.
(Zusammenfassung)
 
Aus den Erwägungen:
3.3.1 Gestützt auf das Gesetz des Kantons Zürich vom 19. September 2005 über das Universitätsspital Zürich (USZG; LS 813.15) besteht unter dem Namen "Universitätsspital Zürich" eine Anstalt des kantonalen öffentlichen Rechts mit eigener Rechtspersönlichkeit und Sitz in Zürich (vgl. § 1 USZG; vgl. auch Urteil 2C_94/ 2019 vom 1. Oktober 2019 E. 2.2). Gemäss § 16 Abs. 1 des Spitalplanungs- und -finanzierungsgesetzes des Kantons Zürich vom 2. Mai 2011 (SPFG; LS 813.20) sind die Leistungen der vom Kanton und den Gemeinden betriebenen öffentlich-rechtlichen Spitäler gebührenpflichtig. Für Zusatzleistungen können über den Vollkosten liegende Taxen erhoben werden. Ergänzend kann ein ärztliches Zusatzhonorar verrechnet werden. Die Taxen und die ärztlichen Zusatzhonorare werden nach marktwirtschaftlichen Grundsätzen festgelegt (vgl. § 16 Abs. 2 SPFG). Die Taxordnung des Universitätsspitals Zürich vom 25. März 2009 (TO USZ; LS 813.155) bestimmt sodann, dass es für seine Leistungen Gebühren und für Zusatzleistungen zugunsten von Privatpatienten Zusatztaxen erhebt (vgl. § 8 i.V.m. § 14 und § 16 TO USZ). Die Taxen werden in erster Linie von der Patientin oder dem Patienten geschuldet (vgl. § 25 lit. a TO USZ).
3.3.2 Die in der zu beurteilenden Angelegenheit umstrittene Forderung betrifft das Entgelt für eine medizinische Behandlung des Beschwerdeführers in einem öffentlich-rechtlichen Spital des Kantons Zürich. Bei den in der Taxordnung des Universitätsspitals Zürich geregelten Gebühren und Zusatztaxen handelt es sich gemäss kantonalem Recht um eine verwaltungsrechtlich begründete Kausalabgabe in der Form einer Benutzungsgebühr als Entgelt für die Nutzung einer öffentlich-rechtlichen Anstalt (vgl. Urteil 2C_336/2011 vom 29. September 2011 E. 3.2; vgl. auch Urteile 2C_94/2019 vom 1. Oktober 2019 E. 2.2; 9C_152/2007 vom 19. Oktober 2007 E. 2.4). Folglich liegt der Rechnung vom 26. Februar 2016 eine kantonale, öffentlich-rechtliche Forderung zugrunde. Daran vermag auch das Vorbringen des Beschwerdeführers nichts zu ändern, wonach es ihm beim Eintritt in das Spital aufgrund der Taxordnung unmöglich gewesen sei, die Höhe der Geldforderung abzuschätzen. Eine allfällige Unvorhersehbarkeit der Forderungshöhe steht der Qualifikation als Benutzungsgebühr nicht entgegen, zumal sich die Bemessung der Gebühren- und Zusatztaxenhöhe am (marktwirtschaftlichen) Wert der Leistung zu orientieren hat (vgl. § 16 Abs. 2 SPFG) und das Kostendeckungs- und Äquivalenzprinzip einzuhalten ist (vgl. BGE 143 I 227 E. 4.2.3 S. 234; BGE 123 I 254 E. 2b/aa S. 255 f.).
3.4.2 Vorbehältlich des abgaberechtlichen Strafrechts sind abgaberechtliche Verpflichtungen grundsätzlich vom Anwendungsbereich von Art. 6 EMRK ausgenommen. Von dieser Ausnahme betroffen sind indes in erster Linie abgaberechtliche Verpflichtungen im steuerechtlichen Sinne, zumal der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in diesem Zusammenhang von "obligations fiscales", "procédure fiscale" oder "matière fiscale" spricht (Urteile des EGMR Chambaz gegen Schweiz vom 5. Juli 2012 [Nr. 11663/04] § 38; Ferrazzini gegen Italien vom 12. Juli 2001 [Nr. 44759/98], Recueil CourEDH 2001-VII S. 327 § 25 ff.; Bendenoun gegen Frankreich vom 24. Februar 1994 [Nr. 12547/86] § 44 ff.; vgl. BGE 144 I 340 E. 3.3.5 S. 348; BGE 140 I 68 E. 9.2 S. 74; BGE 132 I 140 E. 2.1 S. 146; Urteil 2C_214/2014 vom 7. August 2014 E. 3.6.2). Demgegenüber hat der EGMR beispielsweise öffentlich-rechtliche Erschliessungsbeiträge als zivilrechtliche Verpflichtung im Sinne von Art. 6 Ziff. 1 EMRK betrachtet (vgl. Urteil des EGMR Stork gegen Deutschland vom 13. Juli 2006 [Nr. 38033/02] § 28 f.).
3.4.3 Die vorliegende Angelegenheit hat keine abgaberechtliche Verpflichtung im Sinne des Steuerrechts zum Gegenstand. Es liegt nach Massgabe des kantonalen öffentlichen Rechts zwar eine Kausalabgabe vor (vgl. E. 3.3 hiervor). Die zu beurteilende öffentlich-rechtliche Forderung ist indes mit einer privatrechtlichen Forderung für eine Behandlung in einem privatrechtlich organisierten Spital vergleichbar und fällt unter den autonom auszulegenden Anwendungsbereich von Art. 6 EMRK. Es ist offenkundig, dass das Universitätsspital Zürich massgeblich in Rechte und Verpflichtungen privatrechtlicher Natur eingreift, indem es für seine (medizinischen) Leistungen vom Beschwerdeführer einen Betrag von Fr. 16'030.- fordert. Es liegt folglich eine zivilrechtliche Verpflichtung im Sinne von Art. 6 Ziff. 1 EMRK vor.
3.5.1 Gemäss Art. 6 Ziff. 1 EMRK hat jede Person ein Recht darauf, dass über Streitigkeiten mit Bezug auf ihre zivilrechtlichen Ansprüche und Verpflichtungen von einem unabhängigen und unparteiischen, auf Gesetz beruhenden Gericht in einem fairen Verfahren, öffentlich und innerhalb angemessener Frist verhandelt wird. Nach ständiger Rechtsprechung gilt die Pflicht zur Durchführung einer öffentlichen und mündlichen Verhandlung indes nicht absolut. Die Rechtsprechung des EGMR und des Bundesgerichts lässt ein Absehen von einer öffentlichen und mündlichen Verhandlung zu, wenn die Angelegenheit ohne Weiteres aufgrund der Akten sowie der schriftlichen Parteivorbringen beurteilt werden kann, wenn sich keine Tatfragen - insbesondere keine Fragen der Beweiswürdigung -, sondern reine Rechts- oder Zulässigkeitsfragen mit geringer Tragweite stellen oder wenn der Streitgegenstand komplexe technische Fragen betrifft. Hingegen ist eine öffentliche und mündliche Verhandlung notwendig, wenn die Überprüfung der vorinstanzlichen Sachverhaltsermittlung erforderlich ist, wenn die Beurteilung der Angelegenheit vom persönlichen Eindruck abhängt oder wenn das Gericht weitergehende Abklärungen zu gewissen Punkten treffen muss. Ob eine öffentliche und mündliche Verhandlung durchzuführen ist, beurteilt sich anhand der konkreten Umstände des Einzelfalls (vgl. Urteil des EGMR Ramos Nunes de Carvalho e Sá gegen Portugal vom 6. November 2018 [Nr. 55391/13, Nr. 57728/13 und Nr. 74041/13] § 190 ff.; BGE 144 III 442 E. 2.6 S. 447; BGE 136 I 279 E. 1 S. 281; BGE 124 I 322 E. 4a S. 324; Urteile 2E_1/2018 vom 25. Oktober 2019 E. 2.2.2; 8C_136/2018 vom 20. November 2018 E. 4.2; 2C_608/2017 vom 24. August 2018 E. 4.4.1; 1C_461/2017 vom 27. Juni 2018 E. 3.4, nicht publ. in: BGE 144 I 170; 5A_208/2011 vom 24. Juni 2011 E. 5.2; 8C_141/2009 vom 2. Juli 2009 E. 5.3.2; vgl. auch BGE 141 I 97 E. 5.1 S. 98 ff.).
3.5.2 Die Voraussetzungen, um von einer öffentlichen und mündlichen Verhandlung abzusehen, sind vorliegend nicht erfüllt. Der Beschwerdeführer hat im vorinstanzlichen Beschwerdeverfahren, in welchem die Vorinstanz als erste gerichtliche Instanz an die Vorgaben von Art. 6 Ziff. 1 EMRK gebunden ist, einen Antrag auf Durchführung einer "Gerichtsverhandlung zur Anhörung des Beschwerdeführers und der ihn behandelnden Ärzte" gestellt. Er hat im Weiteren entscheidrelevante Sachverhaltselemente beanstandet und in diesem Zusammenhang vorgebracht, er habe beim notfallmässigen Eintritt in das Universitätsspital Zürich am 2. Januar 2016 unter einer grossen Schmerzbelastung gestanden (vgl. Art. 105 Abs. 2 BGG). Vor Bundesgericht legt der Beschwerdeführer erneut dar, dass mit seiner Anhörung und den Aussagen der beantragten Zeugen belegt werden könnte, dass er beim Eintritt in das Universitätsspital Zürich nicht habe erkennen können, ein Kostenrisiko im geforderten Umfang zu tragen.
3.5.3 Aus dem soeben Dargelegten wird ersichtlich, dass die zu beurteilende Angelegenheit nicht rechtsgenüglich aufgrund der Akten sowie der schriftlichen Parteivorbringen gelöst werden kann und sich insbesondere nicht bloss reine Rechtsfragen, sondern auch Fragen der Beweiswürdigung stellen. Die Vorinstanz als einzige richterliche Behörde und letzte kantonale Instanz ist verpflichtet, den Sachverhalt frei zu prüfen und das massgebende Recht von Amtes wegen anzuwenden (vgl. Art. 110 BGG). Unter diesen Umständen ist es unzureichend, für die Sachverhaltsermittlung lediglich auf die Verfügung der Direktion Finanzen des Universitätsspitals Zürich vom 8. September 2017, auf den Beschluss der Spitaldirektion des Universitätsspitals Zürich vom 17. Oktober 2018 und auf die Akten aus diesen verwaltungsinternen Verfahren abzustellen. Eine öffentliche und mündliche Verhandlung ist insbesondere dann notwendig, wenn - wie vorliegend - die Überprüfung oder neue Ermittlung des Sachverhalts erforderlich ist und die Beurteilung der Angelegenheit vom persönlichen Eindruck abhängen kann. Indem die Vorinstanz auf die Durchführung einer öffentlichen und mündlichen Verhandlung verzichtet, verletzt sie Art. 6 Ziff. 1 EMRK.