BGE 38 II 551 - Bierbezugsverpflichtung |
Urteil der I. Zivilabteilung |
vom 4. Oktober 1912 |
in Sachen Luzerner Brauhaus A.-G., Kl. u. Ber.-Kl., |
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Weber-Bär, Bekl. u. Ber.-Bekl. |
Bierbezugsverpflichtung und Darlehensvertrag. Auslegung. |
Sachverhalt |
A. |
Durch Urteil vom 15. Juni 1912 hat das Obergericht des Kantons Luzern in vorliegender Streitsache erkannt: "Die Klage sei des gänzlichen abgewiesen."
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B. |
Gegen dieses Urteil hat die Klägerin die Berufung an das Bundesgericht ergriffen und den Antrag gestellt und begründet: Es habe ihr der Beklagte 2058 Fr. zu bezahlen, nebst Zins zu 5% seit dem 22. November 1908.
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C. |
Der Beklagte hat in seiner Antwort Abweisung der Berufung und Bestätigung des angefochtenen Urteils beantragt.
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Auszug aus den Erwägungen: |
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
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Erwägung 1 |
1. Am 12. April 1907 hat die Klägerin, das "Luzerner Brauhaus A.-G., vormals H. Endemann" "als Bierlieferantin" mit dem Beklagten, Wilhelm Weber-Bär, der damals das Restaurant Hinter-Ibach in Luzern käuflich erworben hatte, "als Bierabnehmer", einen Vertrag abgeschlossen, laut dessen § 1 die Klägerin dem Beklagten ein verzinsliches, bis zum 30. September 1912 festes Darlehen von 4000 Fr. gewährte. Von jenem Termine an sollte jede der Parteien das Darlehen unter Beobachtung einer dreimonatlichen Kündigungsfrist jederzeit zurückzahlen oder einverlangen können. Die Klägerin behielt sich das einseitige Recht vor, "die sofortige Abzahlung des Darlehens ohne Kündigung zu verlangen": a) "wenn der Bierabnehmer den in den §§ 3, 5 und 9 nachstehend genannten Verpflichtungen nicht nachkommt"; b) beim Erlöschen der Wirtschaftskonzession auf der Liegenschaft oder bei Einstellung des Bierschankes oder -verkaufes daselbst; c) wenn das Darlehenskapital, Zins und Bierrechnungen nicht innerhalb zwei Monaten nach Verfall bezahlt würden; d) wenn nicht der Klägerin auf erstes Verlangen genehmer Ersatz für den gestellten Bürgen gewährt werde. Der § 3 bestimmt des nähern, daß und wie das Darlehen gegen Wechselobligo gewährt werde. Der § 4 betrifft die vom Beklagten durch Hinterlegung einer Gült von 4000 Fr. geleistete faustpfändliche Sicherheit und die Stellung eines Solidarbürgen in der Person eines Gottlieb Heiniger. In § 5 sodann wird bestimmt:
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"Der Bierabnehmer verpflichtet sich, für sich und seine Rechtsnachfolger sämtliches in der Liegenschaft Restaurant Hinter-Ibach zum Ausschank oder durch ihn zum Verkauf gelangende Bier, so lange das Darlehen besteht, mindestens jedoch bis zum 31. Dezember 1912 (1900 und zwölf) ausschließlich von der L. B. A.-G. (der Klägerin) oder deren Rechtsnachfolger zu beziehen oder beziehen zu lassen."
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Die §§ 6 und 7, die die Bedingungen für die Bier- und Eislieferungen beschlagen, fallen hier außer Betracht. Dagegen ist wesentlich der § 8, wonach sich der Beklagte verpflichtet, der Klägerin "für jeden Tag, an welchem er während der in § 5 vorgenannt festgesetzten Zeit der Bierbezugsverpflichtung in der Liegenschaft Restaurant Hinter-Ibach kein von der L. B. A.-G. produziertes oder geliefertes Bier oder nur teilweise solches oder ausschließlich Bier anderer Brauereien ausschenkt oder verkauft bezw. ausschenken oder verkaufen läßt, als Entschädigung 2 Fr. (zwei Franken) zu bezahlen." Nach § 9 liegt dem Beklagten ob, die erwähnten Verpflichtungen des ausschließlichen Bierbezuges nach den Bestimmungen der §§ 5-8 einem allfälligen spätern Mieter oder Käufer der Liegenschaft zu überbinden. Eine solche Überbindung hat später tatsächlich stattgefunden, indem der Beklagte im Herbst 1911 die Liegenschaft dem Wirte Melchior Meier verkaufte und diesen dabei verpflichtete, den Vertrag vom 12. April 1907, "soweit es die Bierlieferungen betrifft, in allen Teilen anzuerkennen" und vom 15. September 1911 an das Bier von der Klägerin zu beziehen.
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Schon gegen Ende 1907 hatte die Klägerin vom Beklagten das Darlehen zurückgefordert, mit der Behauptung, er sei seinen vertraglichen Verpflichtungen nicht nachgekommen. Der Beklagte bestritt die Rückzahlungspflicht. Die Klägerin wandte sich darauf gegen den Solidarbürgen Heiniger, der am 21. April 1908 erklärte, die verbürgte Schuld als eigene anzuerkennen und zu übernehmen. Vom 9. Mai 1908 an stellte der Beklagte seine Bierbezüge bei der Klägerin ein. Am 21. November 1908 fiel er in Konkurs. Darin meldete die Klägerin neben einer Forderung aus Bierlieferungen eine Restanzforderung aus dem Darlehen (von 2653 Fr. 90 Cts.) und eine Konventionalstrafforderung von 410 Fr. wegen Verletzung der Bierbezugsverpflichtung während der Zeit vom 1. Mai 1908 bis zum Konkursausbruch an. Der Konkurs wurde durch einen am 26. März 1909 gerichtlich bestätigten Nachlaßvertrag aufgehoben. Da der Beklagte die Konventionalstrafforderung bestritten hatte, wurde im Nachlaßverfahren der Klägerin nach Art. 310 SchKG Frist zur gerichtlichen Geltendmachung angesetzt, welcher Aufforderung die Klägerin nicht nachkam.
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Erwägung 2 |
Erwägung 3 |
Richtig ist zunächst, daß der Beklagte bei der Eröffnung des Konkurses der Klägerin nicht mehr als Darlehensschuldner verpflichtet war. Der Direktor der Klägerin, Endemann, hat im Prozesse erklärt, daß der Bürge Heiniger am 21. April 1908 "die verbürgte Schuld als eigene anerkannt und übernommen habe". Hienach ist der Beklagte als Darlehensschuldner entlastet worden und soweit er der Klägerin noch weiter gehaftet hat, ist diese Haftung nur noch eine akzessorische Haftung für die jetzige Hauptschuld Heinigers gewesen. War aber der Beklagte beim Konkursausbruche nicht mehr Darlehensschuldner, so braucht nicht geprüft zu werden, ob die Vorinstanz mit Recht annehme, es genüge schon die Kündigung des Darlehens und bedürfe nicht dessen Rückzahlung, um die vertragliche Verpflichtung des Beklagten zum Bierbezuge aufhören zu lassen.
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Während nun im weitern der Beklagte davon ausgeht, daß mit der Entlastung von seiner Darlehensschuld von selbst auch seine Verpflichtung zum Bierbezuge dahingefallen sei, behauptet die Klägerin das Gegenteil und beruft sich hiefür auf die Stelle in § 5 des Vertrages, wonach der Bestimmung, daß diese Verpflichtung fortdauern solle, "solange das Darlehen besteht", noch beigefügt werde: "mindestens jedoch bis zum 31. Dezember 1912". Faßt man lediglich den letztern Satzbestandteil für sich allein, nach seinem grammatikalischen Sinne, ins Auge, so wäre dieser Auffassung beizupflichten. Allein sie hält nicht mehr Stand, sobald man auf den sonstigen Inhalt des Vertrages und seinen wirtschaftlichen Zweck Rücksicht nimmt. Alsdann ergibt sich, daß das begründete Darlehensverhältnis in engem Zusammenhange mit dem gleichzeitig zwischen den Parteien vereinbarten Lieferungsverhältnis steht. Der Beklagte hat das Darlehen aufgenommen, um sich die Betriebsmittel zur Führung seiner Wirtschaft zu verschaffen, und die Klägerin hat es ihm gewährt, um sich durch ein vertragliches Versprechen, das, wie die übernommene Zinspflicht, eine Gegenleistung für ihre Leistung als Darlehensgläubigerin bildet, den Konsum ihres Bieres in der Wirtschaft des Beklagten zu sichern. Entzieht nun die Klägerin dem Beklagten den gewährten Darlehenskredit und hört sie somit mit der einzigen von ihr eingeräumten vertraglichen Leistung auf, so muß angenommen werden, daß jetzt auch der Beklagte von seiner Verpflichtung, das Bier bei der Klägerin zu beziehen, so gut als von seiner Zinspflicht, entlastet sein soll. Andernfalls würden die vertraglichen Obliegenheiten der Klägerin erlöschen, dagegen die des Beklagten in einer wichtigen Beziehung weiterdauern und zwar so, daß er sich, unter Umständen auf Jahre hinaus, in seiner wirtschaftlichen Bewegungsfreiheit auf das empfindlichste gehemmt sähe: Die Klägerin könnte ihn bei der ersten, auch nur geringfügigen Vertragswidrigkeit zur Rückzahlung nötigen und zugleich bewirken, daß er nun trotzdem, in gleicher Weise wie bis anhin, in der Beschaffung des für sein Wirtschaftsgewerbe erforderlichen Bieres von ihr abhängig wäre. Diesen für eine sachgemäße Vertragsauslegung unannehmbaren Folgerungen entgeht man, wenn man den Worten "mindestens bis zum 31. Dezember 1912" eine im Verhältnis zum gesamten Vertragsinhalte mehr nebensächliche Bedeutung beilegt und annimmt, die Parteien hätten damit, was freilich in unklarer Weise geschehen ist, darauf hinweisen wollen, daß das Vertragsverhältnis ordentlicher Weise bis Ende 1912 andauern solle. Mit Unrecht glaubt die Klägerin ihre Auffassung sachlich mit der Begründung rechtfertigen zu können, es liege darin, daß die Bezugsverpflichtung auch nach der Rückzahlung des Darlehens fortdauere und hiedurch der Absatz an den Beklagten auf eine bestimmte Zahl Jahre gesichert worden sei, eine Risikoprämie für die Gewährung des Darlehens. Ihre Darlehensforderung hat sich ja die Klägerin durch die üblichen Mittel der Faustpfanddargabe und der Bürgschaftsleistung sichern lassen, während die Bierbezugs-Verpflichtung, wie gesagt, eine neben der Zinspflicht einhergehende Gegenleistung für die Darlehensgewährung bildet. Endlich läßt sich auch nicht sagen, der Beklagte habe die Richtigkeit der gegnerischen Vertragsauslegung anerkannt durch die Überbindung der Bierbezugs-Verpflichtung auf seinen Käufer. Wie sich aus den Akten ergibt, hat er sich um diese Überbindung nur deshalb bemüht, weil er erwartete, daß die Klägerin dafür die nunmehr gegen ihn erhobenen Ansprüche auf die Konventionalstrafe fallen lasse. Vorher hatte er diese Ansprüche ausdrücklich bestritten, wie namentlich aus seiner Konkurseingabe hervorgeht.
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Erwägung 4 |
Demnach hat das Bundesgericht erkannt: |